Münster: „Resilienz gegen Antisemitismus“ – rassistische Veranstaltung der Polizei und des Landes NRW an der Uni
Am 12. November fand an der Universität die Veranstaltung “Resilienz gegen Antisemitismus” in Zusammenarbeit mit der Hochschule der Polizei und dem NRW Innenministerium statt. Treffender wäre jedoch der Titel “Resilienz gegen Kritik an Israels Genozid” gewesen.
Am 12. November luden das Polizeipräsidium Münster, die Hochschule der Polizei Münster sowie das Land NRW gemeinsam mit der Universität Münster zu der ganztätigen Veranstaltung „Resilienz gegen Antisemitismus“ ein. Die Veranstaltung richtete sich besonders an junge Polizist:innen und Polizeianwärter:innen sowie Lehramtsstudent:innen. Als Gastredner:innen waren unter anderem der NRW-Innenminister Herbert Reul, der stellvertretende Botschafter Israels, Guy Gilady, sowie der Leiter des Verfassungsschutzes NRW, Jürgen Kayser, eingeladen. Bereits im Vorfeld löste die Veranstaltung Kritik aus der pro-palästinensischen Bewegung in Münster aus, da das Programm und die Auswahl der Gastredner:innen einen deutlichen Fokus auf die falsche Vermischung von berechtigter Kritik am Vorgehen des Staates Israel in Gaza und Libanon und Antisemitismus vermuten ließ. Deshalb nahmen Genoss:innen der Gruppe Palästina Antikolonial und Students for Palestine Münster gemeinsam an der Veranstaltung teil, um diese kritisch zu begleiten. Im Vorfeld hatten die Students bereits einen Flyer mit Informationen über die Veranstaltung und den Zusammenhang mit der neuen Bundestagsresolution „zum Schutz jüdischen Lebens“ erstellt.
Reul: Antisemitismus im „arabischen Raum“, weniger im rechten Spektrum
Nach der Eröffnung durch den Rektor der Uni Münster, Johannes Wessels, sprach der Innenminister des Landes NRW, Herbert Reul, zu den Anwesenden. Dieser erklärte, dass es einen massiven Anstieg antisemitischer Straftaten im letzten Jahr gegeben habe. Dabei bezog er sich auf die Statistik der „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus“ (RIAS). Darin werden jegliche Meldungen als antisemitische Vorfälle registriert, selbst wenn sie keinen Straftatbestand erfüllen und nicht angezeigt wurden. Jeder „Free Palestine“ Ruf kann theoretisch dort gemeldet werden und taucht dann als antisemitischer Vorfall in der RIAS-Statistik auf. Die Daten, auf die sich Reul dort bezogen hat, sind vor diesem Hintergrund besonders kritisch zu betrachten. Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Anzahl antisemitischer Straftaten in den letzten Jahren zugenommen hat. Ein Verweis auf die RIAS-Statistiken sorgt aber für einen verzerrten Blick und erschwert die tatsächliche Erfassung von Antisemitismus und dessen Ursachenforschung und -bekämpfung. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass Reul den Antisemitismus vor allem im „arabischen Raum“ verortet und weniger in der „rechten Ecke“. In seinen Augen seien „vermeintliche Israelspezialisten, die jedoch weder betroffen sind noch jemals dort waren“ dafür verantwortlich, Antisemitismus in Deutschland wieder „salonfähig“ zu machen. Tatsächlich wird aber die palästinasolidarische Bewegung zu großen Teilen von Palästinenser:innen getragen. Falls sie nie in Palästina gewesen sind, liegt das vor allem daran, dass Israel ihnen die Rückkehr in ihre Heimat verwehrt. Innenminister Reul schürt damit bewusst antiarabischen und antimuslimischen Rassismus. Das ist im Rahmen dieser Veranstaltung besonders perfide, da das Publikum zu einem großen Teil aus angehenden Polizist:innen und Lehrer:innen bestand. Gleichzeitig verharmlost er dabei rechten Antisemitismus, dabei liegt der rechtsextreme Anschlag von Halle auf eine Synagoge gerade einmal fünf Jahre zurück.
Stellvertretender Botschafter Israels und Leiter des Verfassungsschutzes setzen Antizionismus und Antisemitismus gleich
Als ein weiterer Redner sprach der stellvertretende Botschafter Israels, Guy Gilady, zu den Anwesenden im Saal. Für ihn werde eine „rote Linie“ überschritten, sobald man das Existenzrecht Israels nicht anerkenne, da nur so das Recht auf Selbstbestimmung für Jüd:innen gewährleistet sei. Dass die Mehrheit aller jüdischen Menschen dabei nicht in Israel lebt und sich auch nicht als Israeli bezeichnet, lässt er dabei unerwähnt. Zudem erkennt der israelische Staat eben dieses Recht auf staatliche Souveränität, auf das er selbst stets eindringlich pocht, für einen palästinensischen Staat nicht an. Er besetzt palästinensisches Land, entrechtet die dort lebenden Palästinenser:innen, die auch auf israelischem Staatsgebiet Bürger zweiter Klasse sind und betreibt aggressiven Siedlerkolonialismus im Westjordanland. Seit dem achten Oktober 2023 treibt das israelische Militär zudem einen Krieg genozidalen Ausmaßes Gazastreifen voran.
Im weiteren Verlauf seines Grußwortes griff Gilady dann auch deutsche Universitätsprofessor:innen an, die ihre Studierenden „bekehren“ würden und Antisemitismus schürten. Als Beispiel nannte er das Unterzeichnen gewisser Statements, die dazu führen würden, Antisemitismus an Unis gesellschaftsfähiger zu machen. Dabei bezieht er sich vermutlich auf den offenen Brief von hunderten Dozierenden, die sich gegen die gewaltsame Räumung an der FU-Berlin ausgesprochen haben. Damit hat die Universität einem Politiker den Raum gegeben, Wissenschaftsfreiheit und kritischen, akademischen Diskurs offen in Frage zu stellen.
Etwas ausgewogener war der Vortrag vom Leiter des Verfassungsschutzes NRW, Jürgen Kayser. Er stellte verschiedene Formen von Antisemitismus und seine Hintergründe anhand von Beispielen dar. Dazu gehörten islamistischer Antisemitismus, rechtsextremer Antisemitismus und auslandsbezogener Antisemitismus. In Bezug auf sogenannten „linken Antisemitismus“ verfällt er jedoch in dieselbe Logik wie seine Vorredner, in dem er Antizionismus, Antiimperialismus und Antikapitalismus in Verbindung mit Antisemitismus bringt. Beispielsweise ordnete er die rechten Krawalle von israelischen Hooligans bei einem Fussballspiel in Amsterdam als antisemitische Gewalt gegen Juden ein – eine völlige Verkehrung des wirklichen Hergangs der Ereignisse. Außerdem bezeichnete er das Zeigen einer Choreo mit der Aufschrift „Free Palestine“ der Ultras von Paris St. Germain als antisemitisch. Dabei wurde die Choreo ergänzt durch ein Spruchband mit der Aufschrift: „Krieg auf dem Platz, Frieden auf der Welt“ und kann somit nur als Aufruf zum Frieden in der Region verstanden werden. Dabei ist gerade die Bezeichnung des Spruches „Free Palestine“ als antisemitisch verräterisch: wer die Selbstbestimmung der Unterdrückten als Bedrohung wahrnimmt, zählt sich zu ihren Unterdrücker:innen.
Massives Polizeiaufgebot schüchtert kritische Studierende ein
Im Vorfeld der Veranstaltung sorgte ein starkes Polizeiaufgebot dafür, dass sich kritische Studierende sehr unwohl gefühlt haben. Die Taschen der Besucher:innen wurden am Eingang kontrolliert. Nachdem Aktivist:innen der palästinasolidarischen Gruppen die Infoflyer in den Toiletten ausgehängt hatten, wurden Personen beim Gang zur Toilette untersucht. Die Flyer wurden durch Veranstalter und Polizei entsorgt. In dieser Atmosphäre war es linken Studierenden nicht möglich, kritische Wortbeiträge zu machen und einen öffentlichen Diskurs über das Gesagte zu führen.
Eine Studentin aus den Students for Palestine merkte zudem an, dass die Veranstaltung lediglich deutschsprachigen Studierenden offenstand. Als Person, die aus dem Ausland zum Studieren nach Münster gekommen ist, wurde sie de facto von der Teilnahme an dieser Veranstaltung ausgeschlossen.
Propagandaveranstaltung für künftige Staatsdiener:innen statt wissenschaftlicher Diskurs
Bei dieser Veranstaltung handelte es sich nicht um eine kritische Auseinandersetzung mit Antisemitismus für alle Studierende, sondern um ein Propagandaevent des bürgerlichen Staates, der seine künftigen Staatsdiener:innen (Polizeianwärter:innen und Lehramtsstudierende) auf seine ideologische Linie einschwören will. Dass Lehrveranstaltungen, die eigentlich in diesen Räumlichkeiten hätten stattfinden sollen, für eine Hetzkampagne der Polizei und Fans des israelischen Staates und seines Vorgehens in Gaza, gegen Linke und Araber:innen abgesagt werden, ist ein Skandal. Die Förderung wissenschaftlichen Diskurses kann hier nicht als Erklärung herangezogen werden; die Redebeiträge wurden in keiner Weise wissenschaftlichen Standards gerecht. Studierende, gemeinsam mit den Angestellten der Universität sowie den Lehrenden, müssen sich entschieden gegen diese Zweckentfremdung universitärer Räume stellen. Der Bundestag hat in der Resolution „zum Schutz jüdischen Lebens“ bereits gefordert, die Präsenz von Polizei an den Unis zu erhöhen, Druck auf Forschende und Lehrende bezüglich ihrer Position zu Israel und zu Israels Kriegspolitik zu machen und damit die Wissenschafts- sowie Meinungsfreiheit massiv einzuschränken. Auch in anderen Städten in Deutschland finden solche Veranstaltungen unter dem Deckmantel der angeblichen „Aufklärung über Antisemitismus“ statt, beispielsweise an der Universität Bielefeld. Die reale Gefahr, die der Antisemitismus in Deutschland für Jüd:innen bedeutet, wird so schamlos und zynisch vom deutschen Staat instrumentalisiert, um seine außenpolitischen Interessen durchzusetzen.
Wie können Studierende und Beschäftigte dagegen kämpfen?
Eine ausführliche Bilanz der studentischen Palästinabewegung hat Klasse Gegen Klasse bereits im Oktober veröffentlicht. Wir sehen in den aktuellen Plänen der Regierung unter dem Feigenblatt der Antisemitismus-Bekämpfung einem massiven Ausbau repressiver Maßnahmen, der sich an den Universitäten besonders gegen die palästinasolidarische Bewegung als auch gegen Linke im Allgemeinen richtet. Dieser autoritäre Staatsumbau steht im direkten Zusammenhang mit dem Rechtsruck. Um diesen Phänomenen etwas entgegenzusetzen, setzen wir auf die Selbstorganisierung der Beschäftigten und Studierenden. Dazu schlagen wir die Perspektive einer Vollversammlung an der Universität vor. Darauf arbeiten wir bereits als Teil der Students for Palestine hin. Wenn ihr gemeinsam mit uns aktiv werden wollt, kommt zu den offenen Treffen der Students for Palestine Münster jeden Sonntag um 18:30 Uhr. Alle Studierenden und Beschäftigten der Universitäten in Münster sind herzlich dazu eingeladen. Weitere Infos findet ihr auf dem Instagram-Kanal Students for Palestine Münster. Darüber hinaus laden wir euch dazu ein, bei unserer marxistischen Hochschulgruppe „Waffen der Kritik“ in Münster und auch bundesweit aktiv zu werden. Wir haben eine Welt zu gewinnen!
Als marxistische Hochschulgruppe Waffen der Kritik kämpfen wir für eine Zeitenwende in unserem Sinne gegen die Kapitalist:innen und ihre Regierungen. Anhand der marxistischen Theorie und den Erfahrungen der Arbeiter:innenklasse wollen wir als Studierende einen Beitrag im Klassenkampf leisten. Wir haben eine Welt zu gewinnen – ohne Klassen und Staat, eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Wir sind aktiv in Berlin, Bremen, Kassel, Leipzig, Münster, München und haben Genoss:innen in verschiedenen weiteren Städten. Schreibe uns, wenn du dich in Waffen der Kritik organisieren willst, per Mail oder auf Instagram. Hier kannst du mehr über uns erfahren.