Münchner Oberbürgermeister pöbelt gegen den Kita-Streik: Umso lauter ist unsere Solidarität

26.09.2020, Lesezeit 6 Min.
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Foto von uritours

In vielen verschiedenen Betrieben sind im Moment Streiks zum TVöD angekündigt, darunter auch in Kindertagesstätten. Der Oberbürgermeister der Stadt München sagt zu diesen Kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen: "mir fehlt jegliches Verständnis"

Schon vor der Corona-Pandemie war die Lage der Kindertagesstätten in Deutschland alles andere als angemessen. Der Personalschlüssel war im März des vergangenen Jahres für etwa 1,7 Millionen Kita-Kinder bundesweit nicht kindgerecht. In amtlich erfassten Kita-Gruppen hatten 74 Prozent der Kinder also nicht genügend Fachpersonal zur Verfügung. Der Personalmangel erhöht auch deutlich das Risiko, dass die Qualität der Bildung nicht kindgerecht ist. Das bedeutet, dass weniger auf die Bedürfnisse der Kinder eingegangen werden kann und deren individuelle Förderung in den Hintergrund treten muss (Quelle: Bertelsmann-Stiftung).

Die Arbeitsbedingungen, unter denen Kinder leiden

Die Lage ist während der Corona Pandemie nur noch schwieriger geworden:

Während des Lockdowns hatten Kindertagesstätten geschlossen, um das Ansteckungsrisiko für Kinder und Erzieher:innen zu verringern. Dass aber viele Eltern trotzdem weiter arbeiten mussten, führte zu einer sehr großen Last in tausenden Haushalten. Es ist weiterhin so, dass die Kinderbetreuung, genau wie die restliche Hausarbeit auch im Jahre 2020 immer noch primär von Frauen übernommen wird. Durch eine Schließung von Kitas wird die ungleiche Verteilung der Hausarbeit in der Familie noch ungerechter.

Seit der Wiedereröffnung der Kitas ist es noch viel wichtiger geworden, die Kita-Gruppen zu verkleinern, um das Infektionsrisiko zu senken. Damit nicht einfach nur weniger Kinder in die Kita zugelassen werden können, braucht es deutlich mehr Fachkräfte.

Es braucht bessere Löhne und Arbeitsbedingungen, damit mehr Menschen sich entscheiden Erzieher:innen zu werden. Auch die Ausbildungsbedingungen müssen verbessert werden, es braucht eine existenzsicherende Ausbildungsvergütung.

Kein angemessener Schutz trotz steigender Infektionszahlen (in München)

So ist auch der konkrete Anlass für die Ausweitung des TVöD-Streiks von einer streikenden Person pro Einrichtung auf gesamte Einrichtungen durch die Corona-Pandemie bedingt:

Auch wenn der Inzidenzwert von 50 in München überschritten wurde, beschloss die Stadt keine neuen Maßnahmen. Ausgerechnet diejenigen Menschen, ohne die alle Familien wieder komplett überlastet wären, sollen also nicht so viel Schutz vor Ansteckung kriegen wie sie brauchen! Es braucht Hygienekonzepte und -maßnahmen, statt erhöhter Polizeipräsenz um die Infektionszahlen wieder zu senken.

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zu den Streiks

An dieser Stelle äußert sich der Oberbürgermeister der Stadt München folgendermaßen zu den angekündigten Streiks in den Kitas:

Ich halte dies zum jetztigen Zeitpunkt, mitten in einer der größten Gesundheitskrisen weltweit und nach Monaten der Notbetreuung und schwieriger Situation für die Eltern, schlicht für verantwortungslos.

❗️Gewerkschaften kündigen für Montag Streiks in Kitas an❗️

Ich habe es immer unterstützt, wenn Beschäftigte für bessere…

Gepostet vonDieter Reiteram Freitag, 25. September 2020

 

Verantwortungslos sind doch nicht die Forderungen der unterbezahlten Erzieher:innen, sondern vielmehr die Arbeitsbedingungen! Da die Stadt Arbeitgeberin der Kita-Beschäftigten ist, ist Reiter auch durchaus in der Position z.B. durch Verbesserung der Arbeitsbedingungen dafür zu sorgen, dass die Erzieher:innen gar nicht erst streiken müssen. Er könnte auch die grundlegendsten Schutzmaßnahmen zu beschließen, die laut ver.di bei den aktuellen Infektionszahlen in München nötig wären.

Es scheint außerdem, als hätte Reiter das Kernelement des Streiks nicht verstanden, auch wenn er „seit über 40 Jahren Gewerkschaftsmitglied“ ist. Gerade jetzt, direkt nachdem die Gesellschaft mehr denn je die Bedeutung von Kitas wahrnehmen konnte, ist die richtige Zeit, um Forderungen zu stellen! Es geht beim Streik doch darum, durch den „Mangel“ an getaner Arbeit aufzuzeigen, wie wichtig diese Arbeit ist.

Der Kampf in den Kitas ist ein feministischer!

Der Streik für bessere Arbeitsbedingungen und besseren Lohn in der Kita ist aus doppelter Hinsicht ein feministischer Kampf: Zum einen handelt es sich bei der Arbeit der Kinderpfleger:innen und Erzieher:innen um angebliche „Frauenberufe“, die besonders schlecht bezahlt werden. Diese geschlechtliche Teilung und Diskriminierung der Arbeit wird ideologisch damit gerechtfertigt, dass es so etwas wie die natürliche Berufung von Frauen sei, sich um Kinder zu kümmern. Außerdem wird in Pflege und Erziehung kein direkter Mehrwert produziert und deshalb diese Arbeit als „weniger wertvoll“ angesehen.

Zum anderen ist die Kita ein sehr wichtiges Instrument, um die gesellschaftliche Gleichstellung von Männern und Frauen zu erreichen. Die Erziehung von Kindern aus der Kernfamilie hinauszutragen ist ein erster Schritt in Richtung Vergesellschaftung aller Reproduktionsarbeit. Trotz Gleichheit vor dem Gesetz gibt es immer noch die Ungleichheit im Leben: die meisten Alleinerziehenden sind Frauen, sie leisten die meiste Reproduktionsarbeit und leben besonders häufig in Altersarmut.

Vereinigung der Kämpfe aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst

Es bahnen sich Streiks im Öffentlichen Dienst an und es ist die richtige Zeit um aufzuzeigen, dass wir gemeinsam stärker kämpfen als getrennt!

Kinderpfleger:innen, Krankenhausarbeiter:innen, Müllabfuhrarbeiter:innen, die Post und viele mehr müssen aufzeigen, welche Rolle sie in der Gesellschaft einnehmen!

Folgt dem Beispiel der Hebamme Amrei, die sich mit den streikenden Kita-Erzieher:innen solidarisiert. Sie antwortet auf den Spaltungsversuch des Münchner Oberbürgermeisters Dieter Reiter auf Facebook:

Solidarität mit den streikenden Erzieher:innen und Kinderpfleger:innen!! Corona hat den Druck auf das Fachpersonal in den Kindertageseinrichtungen massiv erhöht. Kämpfen wir gemeinsam für die finanzielle Anerkennung dieser Berufsgruppe. München braucht sie. Sie arbeiten für lau in einem Knochenjob!

Und weiter:

Erzieher*innen und Kinderpfleger*innen sind massiv überlastet, seit Jahren!
Fünf Jahre unbezahlte Ausbildung um dann in München nicht mal ansatzweise leben zu können. (Und: lieber Dieter Reiter, sie können sich ausrechnen wieviel Monat am Ende des Geldes einer/eines Erzieher*in über bleibt, wenn man/frau hier 1000€ kalt allein für die Miete von 30 qm zahlen muss).

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