München: Wir sind alle verdächtig! 1000 Teilnehmende bei #noPAG-Demo

17.11.2022, Lesezeit 7 Min.
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Foto(s): Magnus Waltl

30 Tage sollen die "Letzte Generation"-Aktivist:innen wegen des Festklebens und Blockieren am Stachus in Präventivhaft bleiben. Ermöglicht wird dies durch das bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG), gegen das es bereits seit 2018 Proteste gibt. Trotz geringer Vorbereitungszeit gingen am Sonntag circa 1000 Teilnehmende in Solidarität auf die Straße.

Erst vier Jahre ist es her, dass 40.000 Menschen gegen die Einführung des neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) in München auf die Straße gingen. Trotz der großen Gegenproteste, für die Bayerns damaliger Innenminister Joachim Hermann die sogenannte Lügenpropaganda, die auch unbedarfte Bürger:innen in die Irre geführt hätte, verantwortlich machte, wurde das PAG 2018 durch den CSU-dominierten Landtag geschleust. Auch die Novellierung bzw. weitere Verschärfung von 2021 machte deutlich, dass Bayern das härteste Polizeigesetz seit 1945 hat.

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Insbesondere die sogenannte Präventivhaft stand immer wieder im Fokus der Kritik: So können Personen rein zur Vorbeugung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten bzgl. bedeutender Rechtsgüter oder deren Fortsetzung auf richterliche Anordnung zunächst einen Monat und mit Möglichkeit zur Verlängerung um einen weiteren Monat in Gewahrsam bleiben. Seit 2021 muss ihnen zumindest dann, wenn der Gewahrsam über Mitternacht des Folgetags hinaus andauert, ein:e Anwalt/Anwältin gestellt werden. Auf dieser Grundlage sitzen nun auch die Aktivist:innen der Letzten Generation bis zu 30 Tage in Haft, obwohl sie anschließend wahrscheinlich lediglich mit einer Geldstrafe zu rechnen haben.

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Klimaschutz ist kein Verbrechen

Den Aufruf zur Demo am Sonntag unterzeichneten mehr als 50 Gruppen aus verschiedenen politischen Bereichen.Nach der Auftaktkundgebung mit den ersten Reden am Wettersteinplatz lief die Demo Richtung JVA Stadelheim, wo auch die Abschlusskundgebung mit weiteren Reden stattfand. Die Redner:innen thematisierten Verschiedenes: Aufgrund des aktuellen Anlasses wurde die Notwendigkeit von Protesten für den Klimaschutz immer wieder betont. Auch während der Demo skandierten die Teilnehmenden immer wieder „Klimaschutz ist kein Verbrechen.“ Des Weiteren wurde Bezug auf rassistische Polizeigewalt einerseits und Repression v.a. in Verfahren nach § 129, 129a und 129b gegen linke Aktivist:innen andererseits genommen.

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Kerem Schamberger verwies dabei explizit auf die Kriminalisierung von Kurd:innen in Deutschland, die in Folge des PKK-Verbots wegen der angeblichen Unterstützung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland verurteilt werden. Sprecher:innen von antifaschistischen Bündnissen verwiesen zudem auf weitere politische Gefangene, die derzeit in Haft sitzen. Gemeinsam gelang es den Teilnehmenden ihre Botschaften, wie beispielsweise „Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen“, so laut auf die Straße zu bringen, dass Gefangene von der JVA diese hörten und dies im Rahmen ihrer Möglichkeiten durch die vergitterten Knast-Fenster signalisierten.

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Eine Gewerkschafterin von verdi machte deutlich, dass sie in den Gewerkschaften nur noch nicht von Repression betroffen seien, weil sie sich nicht auf der Straße festklebten. Auch eine Anwältin verurteilte das Vorgehen des bayerischen Staates scharf. Es sei darauf hingewiesen, dass bereits im vergangenen Jahr durch die Polizei versucht wurde, Aktivist:innen mittels Präventivhaft an Protesten gegen die IAA zu hindern; damals kippte allerdings ein Landesgericht die Entscheidung. Viel häufiger allerdings sind es Geflüchtete, die ohne Anklage in Haft sitzen, was bereits seit 2017 in Folge des „Gefährdergesetzes“ Praxis ist.

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Kampf gegen Repression statt Anbiederung an den Staat

Wie bei allen linken Demos war auch dieses Mal das USK zur Stelle, was längst kein Erstaunen mehr hervorruft und von der Demo-Leitung lediglich mit dem Hinweis kommentiert wurde, Fahrradhelme an den Fährrädern festzusperren oder in den Lautsprecherwagen zu legen, da es sich um Passivbewaffnung handle. Auffällig war dagegen vielmehr eine grundsätzliche Zweiteilung der Demo: Im ersten Block vor dem Lautsprecherwagen liefen das noPAG-Bündnis sowie sämtliche explizit linken Gruppen ausgestattet mit Transparenten und Fahnen, hinter dem Lautsprecherwagen im zweiten Block folgten die Klimaschutz-Organisationen.

Eine von den Veranstaltenden festgelegte Aufstellung existierte allerdings nicht. Es erschien eher so, als würde einerseits gegen Repression und Kriminalisierung durch den Staat mittels PAG und § 129er-Verfahren, andererseits für Klimaschutz und dessen Legitimität protestiert werden. Stattdessen müssen die Kämpfe zusammengedacht werden. Es handelt sich um einen Angriff auf einen politischen Protest von Seiten des bürgerlichen Staates, der den Diskurs verschiebt. Die Klimafrage ist und bleibt zentral und es ist dieser Staat, der Energiekonzerne subventioniert, RWE ermöglicht, Lützerath weiter abzubaggern, Öl-Deals mit Katar macht und Rüstungskonzernen weiterhin Energie für den Bau von Panzern zur Verfügung stellt. Es gibt keinen Verlass auf diese Regierung in der Bekämpfung der Klimakrise und der aktuellen sozialen Krise!

In diesem Sinne besteht die Unmöglichkeit, die Klimakrise durch zivilen Ungehorsam zu bremsen. Die Anbiederung an die Regierung – und letztlich an den bürgerlichen Staat – führt dazu, dass bei den Aktionen des Widerstandes die Forderungen in den Hintergrund geraten und höchstens Bilder der Repression generiert werden. Diese werden dann allerdings durch die mediale Hetze verzerrt und verfehlen somit das erwünschte Ziel. Während die Antwort auf die brennende Frage der Letzten Generation, „Was, wenn die Regierung das nicht im Griff hat?“, bezüglich der Klimakrise offenbar ist, muss sie in Bezug auf die Protestaktionen invers beantwortet werden. Die Regierung hat die Isolierung der Proteste und die ‘Legitimität’ der Repression fest im Griff.

Dabei ist anzumerken, dass sich Repressionen nicht gegen Einzelne richten, sondern der Abschreckung und Unterdrückung von linker Politik dienen. So kommt es etwa auch in den wenigsten § 129er-Verfahren zu einer Verurteilung. Der Paragraph ermöglicht aber die systematische Überwachung ganzer Strukturen, wofür bereits die unterstellte Zugehörigkeit zu einer konstruierten Vereinigung ausreicht, d.h. einzelnen Betroffenen müssen überhaupt keine weiteren Straftaten vorgeworfen werden. Dass zumeist Geflüchtete von der Präventivhaft betroffen sind, reiht sich ein in weitere rassistische Praktiken von Polizei und Abschiebebehörden. Der Kampf gegen staatliche Repressionsorgane ist ein dauerhafter, der solidarisch mit allen Betroffenen geführt werden sollte. Das einfache Akzeptieren oder Hinnehmen von Repression sollte keine Option darstellen, insofern es dies einem Unterordnen unter den bürgerlichen Staat gleichkommt.

Linke Proteste ohne Querfront

Die große Beteiligung an der Demo zeigt, dass linke Proteste ohne Querfront möglich sind und stattfinden. Dies sollte als positives und motivierendes Beispiel gewertet und auf zukünftige Proteste gegen die aktuelle Regierungspolitik im Kontext von Inflation, Energiekosten, Sanktionen, Waffenlieferungen und Sparmaßnahmen im Bereich von Gesundheit, Bildung und Sozialem übertragen werden! Streiks wie in den französischen Raffinerien oder aktuell bei Riesa sowie im Metall-, und Elektrosektor zeigen, dass es die Arbeiter:innenklasse ist, die über die Mittel verfügt, sich gegen Krisenprofiteure und die Angriffe des bürgerlichen Staates zu wehren, ohne sich dabei mit der Demagogie der Rechten gemein zu machen oder die Regierungspolitik zu verteidigen.

Unsere Solidarität gegen ihre Repression – für die Freilassung aller politischen Gefangenen!

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