München: Ein Lichtermeer des aufgeklärten Nationalismus
Nach linken Reden gegen Rechts vor 300.000 Menschen ist der Veranstalter FFF München eingeknickt. Als Folge bürgerlichen Drucks gab es keine Demo mehr, sondern ein "Lichtermeer", nicht gegen Rechts, sondern gegen "Rechtsextremismus und Antisemitismus". Was das bedeutet und was zu tun ist.
Auf der Festwiese, dem weitaus größten Versammlungsort Münchens, gingen zwei Wochen zuvor einige Tausend Landwirt:innen auf die Straße gegen die Ampel-Sparpolitik (wir berichteten). Sie standen noch etwas einsam da. Nun mobilisierten die Kräfte der Ampel selbst, imposant für Drohnenaufnahmen sollte es sein, aber ohne Demo, dafür mit Lichtern, ohne Feuer und Bengalo, dafür zusammen mit Konservativen, zusammen als vielfach angerufene „Mitte der Gesellschaft“ gegen – ja, gegen was eigentlich? Das war vorher leider nicht mehr klar, gegen Rechts auf jeden Fall sollte es nicht mehr gehen. Und auf keinen Fall durfte der Antifaschismus links sein.
Immerhin mindestens 100.000 Menschen waren erneut gegen die AfD gekommen, deren „Geheimrede“ bundesweit eine ganze Bewegung gegen Rechts losgetreten hatte. Hier in München, wo etwa 300.000 auf eine Großdemo kamen, die wegen Überfüllung abgebrochen wurde. Und der Veranstalter Fridays For Future München (FFF) danach in einer „Heiligen Allianz“ von Grünen bis Freien Wählern mit einem Shitstorm überfüllt wurde, wie sie es wagen konnten, nicht nur die politische Konkurrenz der AfD anzugreifen, sondern auch das gleichzeitig verabschiedete Abschiebegesetz der Ampel und die rechte Politik von CSU und Freien Wählern. Also die rechte Politik der Etablierten, die mit Abschiebe-Rassismus, Krieg und Kürzungen die Menschen geradezu in die Arme der AfD treibt.
Die Hauptrede: Loblied auf das heilige demokratische Deutschland
Kommen wir am besten direkt zur Hauptrede auf der Theresienwiese, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Gehalten wurde sie von Düzen Tekkal, Unternehmerin und Diversity-Beraterin, unter anderem für Daimler Benz und die Bundeswehr: Ein „Lichtermeer von Liebe und Zusammenhalt“ sollte es sein, „gegen Rechtsextremismus, die AfD und jedwede Menschenfeindlichkeit“, wie es von der Hauptrednerin auch später in Interviews wiederholt wurde. Konkreter: Man müsse „eigene partikulare Interessen überwinden und für den kleinsten gemeinsamen Nenner“ eintreten. Daher richtete die Rednerin einen ausdrücklichen Dank an „die bürgerlichen, die konservativen, die liberalen, die linken Stimmen“. Die linken Stimmen allerdings zuletzt, denn um hier zu sein, „dafür muss man nicht links sein, dafür muss man nur Mensch sein“, so Tekkal.
Dass Tekkal nicht links ist, zeigte sie deutlich. Als Grund für den Rechtsruck machte sie nicht etwa die Abschiebe- und Ausgrenzungspolitik der Regierungen in Bund und Land aus, die Prekarisierung und Verarmung, die seit dem Weltkrieg in Deutschland ungekannte Militarisierung, sondern eine ominöse „German Angst“, die überwunden werden müsse. Daraufhin folgte ein Lob an Bayern und eine Beschwörung auf die heilige Einheit Deutschlands, wie man sie auch auf einer konservativen Kundgebung hören könnte: „Es gibt nur ein Deutschland!“ An die CSU gerichtet ruft Tekkal etwas, das man auf einer antifaschistischen Kundgebung nun wirklich noch nicht gehört hat: „Wenn ihr sagt, nichts darf rechter sein als die CSU, dann löst das auch ein.“ Die CSU sollte also rechts sein, damit die AfD überflüssig wird – die Logik von Franz-Josef Strauß.
Und damit wäre eigentlich auch alles gesagt gewesen. Aber Tekkal war leider noch nicht fertig. Es reichte nicht aus, die möglichen Koalitionspartner der AfD – Union und Freie Wähler – hineinzuholen in die „demokratische Mitte“. Von der guten, integrierten Tekkal sollten auch welche ausgeschlossen werden, und zwar die bösen Migrant:innen, die das Spiel nicht mitspielen, sich einer Demokratie zu unterwerfen, die sie unterwirft. Und das war gemeint mit dem Teil des Aufrufs „gegen Antisemitismus“, der nicht gegen Antisemitismus bedeutete, sondern gegen Palästinasolidarität angesichts eines gerade stattfindenden Genozids in Gaza.
Tekkals Rede richtete sich im bürgerlichen Mainstream gegen die Palästina-Solidarität an der Uni – wir berichteten ausführlich über die Lügen, die hier unter dem Deckmantel der angeblichen Bekämpfung von Antisemitismus verbreitet werden. Direkt danach sprach die Rednerin an, Muslime sollten nicht unter Generalverdacht stehen – welch ein Widerspruch! Tekkal verwendete in ihrer Rede auch Chiffren zur Rechtfertigung von Abschiebung, wie es bürgerliche Politiker:innen gern tun: „Alle Menschen sind willkommen, die auf dem Boden der Demokratie stehen.“ Soll heißen, wer dem Mantra des Bündnisses von Deutschland und Israel um jeden Preis widerspricht und deshalb als „israelfeindlicher Antisemit“ verunglimpft wird, soll keine Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltsrecht bekommen.
Düzen Tekkal ist nicht irgendeine „Menschenrechtsaktivistin“, wie sie sich darstellt. Die Grenzen ihrer Solidarität sind die der deutschen Außenpolitik. Immer wieder betonte sie, dass der „kleinste gemeinsame Nenner“ das Ziel sei, der Kampf gegen „jedwede Menschenfeindlichkeit“. Hier zeigt sich auch die Grenze der liberalen Repräsentationslogik: Es gibt nicht nur einen imperialistischen Feminismus, der auf den Frauenrechten der Mehrheit der Welt herumtritt, sondern auch eine imperialistische Vertretung von (Post-)Migrant:innen in Deutschland, die dann besonders hilfreich sind, wenn es gilt die „demokratischen“ Migrant:innen von denen zu trennen, die unterdrückt werden sollen. Das Lob von Tekkal an FFF München war entsprechend ein bitteres: Willkommen im bürgerlichen Lager.
Gegen die Umlenkung der Bewegung gegen Rechts
Wenn zuvor auf die Melodie von „Hejo, spann den Wagen an!“ die Zeile „Auf die Barrikaden“ gesungen wurde, fragte man sich deshalb, welche Barrikaden hier gemeint waren. Es waren nicht die Barrikaden gegen Rechts, denn um die „moderaten“ Rechten wurde ja gerade eben geworben. Es waren die Barrikaden zur Verteidigung des heiligen demokratischen Deutschland und seiner Profite in der Welt – einer Welt, die vor der Rückkehr des Trumpismus steht und in der die „moderaten Bürgerlichen“ keine Alternative sind.
In der Hauptrede sprach Tekkal eben gegen den Trumpismus, der wiederkehrt. Das ist ein interessanter Vergleich. Ist in den USA doch das Programm des aufgeklärten Nationalismus der Mitte, des Neoliberalismus mit menschlichem Antlitz, des Imperialismus mit Pride-Fahne in der Hand so ziemlich das Programm von Joe Biden, der trotz seiner Unbeliebtheit als kleineres Übel gegen Trump gewählt wurde. Weil man den kleinsten gemeinsamen Nenner brauchte, weil es galt die angebliche bürgerliche Mitte abzubilden. Und genau dieser Biden machte in den USA Donald Trump, der damit zur einzigen sichtbaren Opposition gegen das Regime wurde, wieder so stark, sodass sein erneuter Einzug ins Weiße Haus wahrscheinlich erscheint – und er eine extrem rechte Basis um sich scharen konnte.
Zurück nach Deutschland. Dass aus der ersten Großdemo „Gegen Rechts“ nun „Gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus“ wurde bedeutet übersetzt: Keine Kritik an der sehr rechten CSU, Hubert Aiwangers Freien Wählern (das Ausschwitz-Flugblatt „seines Bruders“ ist fürs Bürgertum längst vergeben und vergessen) oder der Abschiebe-Ampel – und Hetze gegen Palästinasolidarität, die pauschal als Antisemitismus gebrandmarkt wurde. Das Lichtermeer bereitete vor, dass aus Demos gegen Rechts Demos gegen sogenannten Extremismus werden, die sich also auch gegen Links, gegen Palästinenser:innen, gegen Kriegsgegner:innen richten können. Und die Wohlfühl-Slogans gegenüber Kürzungen der Regierung bedeuten, dass die fatale Gleichung „Rechts = Opposition, gegen Rechts = für die Regierung“ sich festsetzt, wie auch die im Kern berechtigten Bauernproteste rechts geführt werden.
Diese Umdeutung des Antifaschismus betrieb das Bündnis „München ist bunt“ bereits am antifaschistischen Kampftag am 9. November, der zu einem Tag gegen Extremismus umgedeutet werden sollte (wir berichteten). So werden Teile der Bewegung gegen Rechts von den bürgerlichen Hegemonieapparaten – parteinahen Vereinen, Kirchen, Hilfsorganisationen, Bürokratien der Gewerkschaften und pro-zionistischen Linken – selbst in den Rechtsruck umgeleitet.
Für einen Antifaschismus von unten
Lichtermeere sind eine tragische Wiederholung der Geschichte, als in den 1990ern ebenfalls hunderttausende Menschen mit Lichtern auf die Straße gingen, während Nazis mordeten. Gleichzeitig wurde von Union und SPD die de-facto-Abschaffung des individuellen Asylrechts mit dem „Asylkompromiss“ beschlossen und damit eine Forderung der Rechten erfüllt. Wir sehen jetzt ähnliches mit neuen Abschiebegesetzen und Forderungen nach völliger formaler Abschaffung des Asylrechts, Wasser auf den Mühlen der Rechten.
Aus dieser Geschichte müssen wir lernen. Dass FFF München nach einer zunächst ziemlich linken – und deutlich größeren – Demo vor dem bürgerlichen Druck eingeknickt ist und den Rechtsruck mitmacht, gegen den sie angetreten war, ist ebenso peinlich wie ärgerlich. Es ist aber kein Grund für Antifaschist:innen selbst in Pessimismus zu verfallen.
Das Phänomen der Proteste gegen Rechts ist noch offen, es handelte sich um eine besonders konservative Momentaufnahme auf der Theresienwiese. Insgesamt ist die Protestbewegung vor allem eines: widersprüchlich.
So gibt es ebenso linke Momente in der Bewegung. Beispielsweise fand auch in Bremen eine „anti-extremistische“ Hetze gegen die Kundgebung gegen Rechts statt, allerdings war es dennoch möglich, mit Kritik am Rechtsruck aller Parteien – auch der in Bremen für den Rechtsruck mitverantwortlichen DIE LINKE – aufzutreten, und Anklagen der Kürzungspolitik und der Unterstützung des Genozids in Gaza zu verbinden. Die größte Gefahr für den antifaschistischen Kampf wäre es momentan, der Bewegung den Rücken zu kehren, sich von falschen Vorwürfen aus den Demos und Kundgebungen vertreiben zu lassen – damit ließe man die „Anti-Extremist:innen“ ihr Spiel spielen und schöne Reden gegen die AfD schwingen, während sie „in großem Stil abschieben“ (Olaf Scholz).
Je näher die Wahlen im Osten rücken, desto notwendiger ist das Einüben von Massendemonstrationen und politischen Streiks. Eine kleine Probe für einen politischen Streik findet am 21. März mit einer 15-minütigen Arbeitsniederlegung in Köln statt. Im Kampf gegen mögliche Regierungsbeteiligungen der AfD mit den „demokratischen Parteien“ müssen wir uns genau solche Methoden aneignen und sie ausweiten zu Betriebsversammlungen in der Perspektive, das Land lahmzulegen, um eine Beteiligung von Faschist:innen in Regierungen zu verhindern.
Für die gewerkschaftliche Mobilisierung gegen die AfD und Versammlungen in Betrieben ist es nötig, selbst Beispiele zu setzen und nicht auf die Trägheit der Apparate zu warten. Eine endlose Debatte über politischen Streik in Gremien trägt nicht zum Kampf gegen Nazis bei. Betriebsrät:innen und Gewerkschafter:innen sind jetzt überall gefragt, selbständige Aktionen gegen Rechtsruck, Kürzungen und Militarisierung zu erproben – mit einer Massenbewegung gegen Rechts im Rücken.