Moonlight: Ein außergewöhnlicher Gangsterfilm

29.09.2017, Lesezeit 5 Min.
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Gangsterfilme sind leider oft nach dem selben Konzept aufgebaut: Eine Crew bekämpft die andere und am Ende gewinnen diejenigen, die moralisch irgendwie besser sind. Doch der Regisseur Barry Jenkins zeigt in „Moonlight“, dass das Thema viel mehr zu bieten hat. [Spoilerwarnung]

„Moonlight“ grenzt sich von anderen Gangsterfilmen ab, indem er den Fokus auf das Innenleben der homosexuellen Hauptfigur Chiron in drei Teilen (Kindheit/Jugend/Erwachsenen) legt. Es wird auf Gewalt verzichtet, die nur die vermeintliche Härte oder das Gangstersein darstellen soll. Der kleinbürgerliche Habitus des Gangstertums und die Psyche Chirons stehen dagegen im Mittelpunkt. So wird im ersten Kapitel gezeigt wie Chiron als Kind von seiner cracksüchtigen Mutter verstört ist und sich in sich zurückzieht. Gleichzeitig baut er aber eine Kind-Vater-Beziehung mit dem Dealer seiner Mutter auf.

Er zeigt auch Szenen, die in Mainstreamfilmen sofort rausgeschnitten worden wären: So entzaubert der Film im dritten Kapitel das Gangstertum Chirons, als er vor dem Essen seine goldenen Grillz aus dem Mund nehmen muss. Sein alter Schulfreund Kevin fragt ihn, was das mit den goldenen Zähnen und dem ganzen Schmuck überhaupt soll. Chiron antwortet nicht und wirkt dabei mehr wie ein Jugendlicher, der seine Zahnspange herausnimmt.

Im selben Kapitel wird auch erstaunlich viel Arbeit gezeigt. Die beiden sehen sich nach Jahren das erste Mal in einem Restaurant wieder, aber Kevin erkennt Chiron nicht wieder. Kevin räumt unzählige Tische ab, bevor sie ins Gespräch kommen. Dann besteht Kevin darauf, für Chiron zu kochen, was auch in voller Länge gezeigt wird. Der Höhepunkt kommt, als Kevin in den spannendsten Momenten des Gespräches aufsteht und die Tische der Gäste weiter abräumt. Die Lohnarbeit steht hier vor jedem emotionalen Bedürfnis. Dieser ehrliche Blick ist eine wirkliche Seltenheit in Filmen.

Kleinbürgerliche Träume

In diesem Genre geht es oft nur darum, das Leben auf der Straße zu verherrlichen. Doch hinter dieser Kultur stehen auf der einen Seite ein Überlebenskampf und auf der anderen Seite kleinbürgerliche Wohlstandsträume. Das wird im ersten Kapitel von „Moonlight“ auch sehr gut entlarvt: Chiron, als Kind, wird von einem auf den ersten Blick sehr netten Mann vor den anderen Kindern, die ihn mobben, gerettet. Juan gibt ihm Essen und Obdach. Das Zuhause des Mannes erfüllt das Klischee eines kleinbürgerlichen Vorstadtlebens: Ein kleines Haus, eine hübsche und einfühlsame Frau, die der Hausarbeit nachkommt, ein schickes Auto und ein bisschen Grün als Garten. Erst später wird klar, dass der Mann jener Drogendealer ist, der seiner Mutter Crack verkauft. So wird das ganze Gangsterleben schon im ersten Kapitel zerlegt. Die Träume, die teilweise umgesetzt wurden, werden von der Realität überschattet. Das schöne Leben der erfolgreichen Gangster wird anders als in fast allen anderen Filmen sehr zwiespältig dargestellt.

Unterdrückungsformen aller Art

In dem ganzen Film werden viele Unterdrückungsformen der bürgerlichen Gesellschaft gezeigt. Doch der Film beginnt nicht mit den oft behandelten Unterdrückungen wie Rassismus oder Sexismus. Im ersten Kapitel wird gezeigt, wie Chiron als Kind nicht auf die bürgerliche Realität klarkommt und Außenseiter wird. Vor allem seine Homosexualität spielt im Laufe des Films eine zentrale Rolle.

Auch Widersprüche werden in dem Film immer weiter zugespitzt. Im ersten Kapitel wird Chrion als „Schwuchtel“ bezeichnet und man sieht wie es ihn belastet. Dagegen wird er im zweiten Kapitel dafür schon geschlagen. In der darauffolgenden Szene sieht man auch wie die Wut aus ihm heraus bricht und er auf seine Peiniger brutal losgeht. Gewalt wird nicht verherrlicht oder als notwendig dargestellt, sondern als ein Akt der Verzweiflung und der angestauten Wut. So kann man die Gewalt zwar sehr gut nachvollziehen, aber gleichzeitig nicht verherrlichen.

Auch von der Musik würde man bei einem Gangsterfilm erwarten, dass sämtliche Hip-Hop-Hymnen ausgepackt werden. Der Film wird aber von angespannter, aufwühlender Klassik unterstützt, die das Innenleben des Protagonisten darstellt. Nur in einer Szene, in der Chiron mit Grillz, einem teuren Auto und Goldketten rumprollt, läuft über sein Autoradio Gangsterrap.

Keine Lösung 

Auch wenn der Film die Schattenseiten des kleinbürgerlichen Gangstertums gut aufzeigt, schafft er es nicht über eine oberflächliche Kritik hinauszugehen. Die Eintönigkeit und Frustration im Kapitalismus bringt Menschen dazu, Drogen zu nehmen und auch zu verkaufen, aber das wird nur am Rande dargestellt. „Moonlight“ kritisiert nur die Auswüchse der Produktionsweise, aber nicht das System an sich. Linke, die Gangsterrap zu ernst nehmen, tun trotzdem sicher gut daran, sich den Film anzusehen und sich Gedanken darüber zu machen, ob das dort propagierte Leben wirklich so cool ist. Oder ob der Klassenkampf eine bessere Perspektive bietet.

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