Modis Hindunation am Scheideweg?
Letzte Woche wurde das neue Gesetz zur Staatsbürgerschaft in Indien verabschiedet und hat seitdem für massenhafte Proteste und Gewaltsame Ausschreitungen gesorgt. Diese richten sich gegen den rassistischen Charakter des Gesetzes, welcher insbesondere Muslim*innen ausschließt. Werden die Massen auf den Straßen das hindunationalistische Projekt der Regierung zurückschlagen können?
Beitragsbild: @Kakikasi + @EqualityLabs via Creatives against CCA
Am 12. Dezember wurde in Indien ein umstrittenes Gesetz von der regierenden hindunationalistischen BJP-Partei verabschiedet, und vom Präsidenten Ram Nath Kovind ratifiziert. Dieses Gesetzt, welches eine Novelle des Gesetzes zur Staatsangehörigkeit von 1955 ist, gewährt allen verfolgten religiösen Minderheiten wie Hindus, Sikhs, Christen, Buddhisten, Parisis und Jains aus den Nachbarstaaten Afghanistan, Pakistan und Bangladesch Staatsbürger*innenschaft. Dieses Gesetz ist diskriminierend, da unter anderem Muslim*innen offiziell von dem Gesetz ausgeschlossen werden, die in dem säkularen Staat 15 Prozent der 1,35 Milliarden Menschen ausmachen. Dieses Gesetz entspringt der Vision und politischen Agenda einer Hindu-Nation, vertreten von Präsident Modi und seiner regierenden Bharatiya Janata Party (BJP). Zahlreiche Petitionen wurden nun gegen dieses Gesetz einberufen.
Es kam in den letzten Tagen seit Verabschiedung des Gesetzes in der Haupstadt Delhi und im ganzen Land zu zahlreichen Protesten und gewaltvollen Kollisionen zwischen Demonstrierenden und der Polizei, welche massiv Tränengas und physische Gewalt einsetzte. Die Polizei hat die Universität Jamia Millia Islamia (JMI) in Neu Delhi und die Aligarh Muslim University (AMU) in Uttar Pradesh gestürmt und dabei mehr als 100 Studierende verletzt, die gegen dieses Gesetz protestierten. Ein Video geht durch das Netz, das mutige Student*innen der JMI zeigt, die ihre Freunde vor der Polizei beschützen. Die Delhi Metro Rail Corporation (DMRC) war aufgrund der Proteste für ein paar Stunden nicht mehr im Betrieb. Es kam in Delhi, Mumbai und Kolkata zu Demonstrationen in Solidarität mit den verletzten Student*innen von JMI und Amu.
Die erste Veränderung des Gesetzes von 1955 wurde im Juli 2016 vorgestellt. Diese Veränderung sah die Religionszugehörigkeit nicht rechtmäßige Basis an, um die Staatsbürger*innenschaft zu erhalten. Doch scheiterte im Jahr 2019 die Verabschiedung dieses Gesetzes am Widerstand der Opposition und an Protesten der nordöstlichen Bundesstaaten Indiens. Das nun verabschiedete Gesetz hat einige Ausnahmen für die nordöstlichen Bundesstaaten vorgesehen, die dagegen protestierten, da ein Teil der Bevölkerung dort befürchtet, dass hunderttausende Hindus aus Bangladesch nach Indien einwandern würden und das demographische Gleichgewicht so durcheinander bringen würden. Nach dem Gesetz können undokumentierte Bürger*innen, die das gesamte letzte Jahr und 6 Jahre insgesamt in Indien lebten, sich für die Staatsangehörigkeit qualifizieren. Das alte Gesetz von 1955 hatte 12 Jahre Wohnsitz in Indien als Bedingung für die Erlangung der Staatsangehörigkeit vorgesehen.
Das Gesetz würde Artikel 14 der indischen Verfassung verletzen, das das Recht auf Gleichheit garantiert. Da das Erlangen der Staatsangehörigkeit nun an die Religion gebunden ist, wird der per Gesetz festgeschriebene säkulare Charakter der indischen Verfassung verletzt. Dieses reaktionäre Gesetz ähnelt Donald Trumps antimuslimisch rassistischem Verbot von 2017, Muslim*innen aus einigen eher willkürlich ausgewählten, überwiegend muslimischen Ländern (Iran, Irak, Syrien, Yemen, Somalia, Sudan und Libyen) kein Asyl zu gewähren und für eine bestimmte Anzahl von Tagen nicht in die USA einreisen zu lassen. Die antimuslimische Rhetorik verstärkte sich weltweit seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA. In zahlreichen Nationen sind besonders Muslim*innen starken Repressalien und Gefahren ausgesetzt: unter dem indischen Premierminister Modi, unter dem sri lankischen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa, unter Donald Trump und unter vielen Staaten der EU wie auch in Deutschland.
Amit Shah, Parteipräsident der BJP Partei und Verbündeter Modis, hat letzten Monat angekündigt eine Volkszählung in Indien durchzuführen, um undokumentierte Menschen der Nachbarländer aus Indien zu verweisen. Es gab eine ähnliche Aktion, das Nationale Bürgerregister (National Register of Citizens, NRC), die im Nordosten des Staates Assam durchgeführt wurde, wo im August fast zwei Millionen Menschen aus dem Register gestrichen wurden.
Das neue indische Staatsbürgerschaftsgesetz ist nicht nur diskriminierend, sondern durch und durch heuchlerisch, denn es geht nicht wirklich darum, religiösen Minderheiten eine indische Staatsangehörigkeit zu gewähren. Ausgeschlossen sind dabei wie schon gesagt Muslim*innen, aber auch Tamil*innen aus Sri Lanka, (die nun unter Gotabaya Rajapaksa Repressalien erleiden), Ahmadiyyas und Schia aus Pakistan und Bangladesch sowie Hazaras aus Afghanistan und Rohingyas aus Myanmar.
Der Sprecher der BJP, Nalin Kohli, verteidigte das Gesetz gegenüber dem Sender Al Jazeera: “Das Argument, dass dieser Gesetzentwurf diskriminierend ist, kann nicht gelten, da es sich nicht um die indischen Bürger handelt [….]. Der Gesetzentwurf gilt für hinduistische, sikhistische, buddhistische, jainische, parsische und christliche Minderheitengemeinschaften, die wegen der Teilung nicht nach Indien kommen konnten und in ihren eigenen Ländern unter Verfolgung litten [….] Was Muslime betrifft, so gibt es Länder, die exklusiv für sie gebildet wurden [….] Indien will nicht von denen überflutet werden, die bereits Bürger der Nachbarländer sind.“
Kritiker*innen sind der Meinung, das Gesetz diene dazu die indische Gesellschaft zu polarisieren, was die BJP Regierung begrüße, um mit antimuslimischer Rhetorik und Feindbildern von Minderheiten Wahlerfolge erzielen. Auch verfolgt die BJP Regierung eine strikte hindunationalistische Agenda gegen Muslim*innen, was ebenso klar an der verfassungswidrigen Aufhebung der Autonomierechte für Muslime (Artikel 370 und 35A) des indischen Bundesstaates Jammu und Kaschmir im Juli 2019 zu sehen ist.
Soumi Sarkar analysiert bei LeftVoice angesichts der außergewöhnlich starken Protestdynamik welche Gelegenheit nun die Demonstrierenden der armen Massen und der Arbeiter*innenklasse haben, die Kräfteverhältnisse zu ändern und gegen das rechte Regime anzugehen. Die Opposition sei zwar gegen dieses Gesetz, doch sei sie opportunistisch und stünde weiterhin für eine neoliberale Politik ein, die verantwortlich für das Erstarken der BJP ist. So sei es wichtig, sich von dieser Opposition und der politischen Klasse zu befreien. Die Arbeiter*innenklasse sollte jetzt die Möglichkeit nutzen, sich politisch unabhängig gegen die Bourgeoisie und alle in ihren Interessen handelnden Kräfte zu mobilisieren und organisieren. Es reicht nicht aus, nur gegen gegen die CAB und die NRC zu kämpfen, sondern es muss ebenfalls für die vollen Rechte, Freiheiten und die Staatsbürger*innenschaft aller undokumentierten Einwanderer eingetreten werde.
In Berlin wird es am morgigen 21. Dezember einen Protestmarsch in Solidarität mit Student*innen in Indien und gegen die Citizenship Amendment Bill (CAP), sowie das National Register of Citizens (NRC) geben, der um 11h morgens am Brandenburger Tor anfangen und um 17h vor der Indischen Botschaft aufhören wird.