Mit dem Knüppel erzwungen: Argentiniens Regierung setzt Gesetzespaket durch

14.06.2024, Lesezeit 6 Min.
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Die Polizei geht in Buenos Aires gegen Proteste vor. Foto: Fabricio Nicolas Fischer / Shutterstock.com

Das umstrittene Grundlagengesetz wurde mithilfe schwerer Verletzungen der Versammlungsfreiheit und einer knappen Mehrheit im Senat verabschiedet.

Mit einer Stimme Mehrheit im Senat wurde am frühen Donnerstagmorgen das Grundlagengesetz (Ley Bases) verabschiedet, das dem extrem rechten Präsidenten Javier Milei weitreichende Machtbefugnisse einräumt. Verbunden damit war ein Steuerpaket, das starke Kürzungsmaßnahmen und Privatisierungen vorsieht.

Gesetzespaket mit Polizeigewalt durchgesetzt

Schon vor Wochen ließ die rechtskonservative Ministerin für innere Sicherheit, Patricia Bullrich, verkünden, sie werde nicht zulassen, dass während der Abstimmung „die Straßen besetzt“ seien. Bereits hier zeigte sie ihre Bereitschaft, den Protest niederzuschlagen. Gegen Mittwochnachmittag ließ sie dann tatsächlich tausende Sicherheitskräfte aufmarschieren. Das Zentrum von Buenos Aires sollte geräumt werden, damit bei der Abstimmung über das Grundlagengesetz niemand stört.

Die Drohung zeigte Wirkung: Die meisten Gewerkschaftsverbände zogen sich im Laufe des Nachmittags von den Straßen zurück. Ihre Entscheidung, die Kundgebung vorzeitig zu verlassen, ermutigte die Regierung. Nachdem sich die Blöcke der Gewerkschaften auflösten, wurde die Atmosphäre angespannter. Videos zeigen den Einsatz von mutmaßlich polizeilichen Provokateuren, die Autos anzündeten, um einen Vorwand zu schaffen, gegen die Proteste vorzugehen.

Es folgte eine mehrstündige Repression mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen gegen die verschiedenen Gruppen von Demonstrant:innen, die sich noch am Kundgebungsort aufhielten, einschließlich einer regelrechten Hetzjagd durch die Straßen der Innenstadt von Buenos Aires. An deren Ende wurden mehrere Dutzend Personen verhaftet, von denen einige nicht einmal an der Mobilisierung beteiligt waren.

Am Abend sprach Bullrich im Fernsehen. Sie lobte die Gewerkschaftsführung für ihren Rückzug. Gleichzeitig diffamierte sie Linke als Terrorist:innen, die versucht hätten, einen Staatsstreich durchzuführen. Mit dieser durchschaubaren Methode versuchte sie, die Militarisierung der Hauptstadt zu legitimieren. 

Korruption und Stimmenkauf

Im Senat kam es dann bei der Abstimmung zunächst zu einem Unentschieden. 36 Abgeordnete waren dafür, 36 dagegen. Daher konnte gemäß Verfassung die Vizepräsidentin Victoria Villarruel – die gerne die Diktatur verharmlost – über das Gesetz entscheiden. Obwohl ihre Aufgabe in der Debattenführung liegt, versuchte sie, vor der Abstimmung eine Rede zu halten, wurde jedoch durch Rufe der Abgeordneten daran gehindert. Schließlich entschied ihre Stimme aber erwartungsgemäß die Annahme des Gesetzes.

Seit Monaten fordert der Internationale Währungsfonds (IWF) Milei dazu auf, eine Zustimmung seiner Politik zu belegen. Dabei wird ihm dieses knappe Ergebnis nicht nützen, da in Frage steht, wie es überhaupt zu einer Mehrheit kam – es steht der Verdacht des Stimmkaufs und der Korruption im Raum. So war die Stimme der konservativen Senatorin Lucila Crexell mit dem Posten der Botschafterin bei der UNESCO in Paris verbunden. Ein weiterer Fall ist der des Linkspopulisten Edgardo Kueider. Noch während der Sitzung wurde ein Präsidialdekret erlassen, das ihm zwei Sitze im Vorstand der Technischen Kommission für den Salto Grande-Staudamm zusprach. Dies sind nur zwei der Beispiele, wie die Regierung Milei für „Zustimmung“ gesorgt hat. 

Trotz dieser schmutzigen Mittel musste die Regierung das Gesetz anpassen, um zum jetzigen Ergebnis zu kommen. So gab es sechs Änderungen am Gesetzentwurf. Dies ist ein weiteres Zeichen für das Schwächeln der Milei-Regierung. Außerdem müssen der Entwurf sowie die Änderungen nun nochmals im Parlament bestätigt werden. Erst dann kann Milei nach über sechs Monaten seine ersten Gesetze erlassen. Für die Linken und die Arbeiter:innenbewegung besteht also weiterhin die Möglichkeit, die Gesetze zurückzuschlagen und eine Niederlage für Milei im Abgeordnetenhaus zu erzwingen.

Regierung muss Abstriche am Gesetz hinnehmen

Die erste Änderung betraf die Privatisierung bestimmter Unternehmen. So mussten Aerolineas Argentinas, die größte Fluggesellschaft Argentiniens, Correo Argentino, die Post, und der staatliche Rundfunk Radio y Televisión Argentina von der Liste der zu privatisierenden Unternehmen gestrichen werden. Folgende Unternehmen sollen aber privatisiert werden: das Atomenergieunternehmen Nucleoeléctrica Argentina, der Bergbaukonzern Yacimientos Carboníferos Rio Turbio, der Gas-, Öl- und Stromproduzent Energía Argentina, die Handelsfirmen Intercargo und Belgrano Cargas sowie die Bahnbetriebe Sociedad Operadora Ferroviaria und Corredores Viales. Von elf zu privatisierenden Konzernen bleiben acht übrig.

Eine weitere wichtige Änderung bestand darin, dass der Abschnitt über die Renten gestrichen werden musste, der die Anhebung des Rentenalters für die Mehrheit der Frauen vorsah. lm Abschnitt über die in Frage gestellte Regelung zum Anreiz für große Investitionen gab es nur eine geringfügige Änderung: Eine flexiblere Frist für die Genehmigung von Projekten, die die enormen Steuervorteile für 30 Jahre in Anspruch nehmen wollen.

Sowohl die Frage der Renten als auch die Privatisierung staatlicher Unternehmen waren ein großer Antrieb für die Mobilisierung gegen das Gesetz. Während Linke also für ihre Kritik an der Regierung massive Gewalt erfuhren, musste diese kleinlaut Änderungen zustimmen, um überhaupt eine knappe Mehrheit zu bekommen. 

Polizeigewalt: Eine Demonstration der Schwäche

Währenddessen leben fast 60 Prozent der Bevölkerung in Armut. Laut UNICEF nehmen mittlerweile eine Million Kinder in Argentinien eine Mahlzeit weniger pro Tag zu sich, während Banken und Energieunternehmen weiterhin enorme Profite machen. Die Verabschiedung der Gesetze bedeutet nicht zwingend, dass die Regierung über viel politisches Gewicht verfügt. Vielmehr zeigen die schwierige soziale Lage, der Konflikt und die Mühsal der Abstimmung sowie die wachsende Unzufriedenheit, wie schwierig es für Mileis Regierung sein wird.

Die extremen Repressionsmaßnahmen am Mittwoch waren keine Demonstration politischer Stärke, sondern im Gegenteil ein Eingeständnis der Angst der Regierung vor der Entfesselung der Kräfte der Straße. Gleichzeitig zeigt sich die wichtigste Herausforderung: Sich unabhängig von den verräterischen Gewerkschaftsspitzen und der korrupten Opposition weiter selbst zu organisieren und die Kämpfe zu vereinen. Nur mit einer großen sozialen Kraft können Mileis Pläne zum Scheitern gebracht werden.

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Wo? Rosa und Karl, Sonnenallee 152, Berlin-Neukölln oder auf zoom

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