Mit dem Blankoscheck zur Kriegsregierung

Der Bundestag hat entschieden: Die Mittel für die „Kriegstüchtigkeit“ sollen unbegrenzt fließen. Die linken Organisationen und Gewerkschaften müssen umso mehr den Widerstand gegen die Pläne von Merz. und Co. aufbauen.
Es ist ein historischer Schritt, der das Bundeswehr-Sondervermögen der Ampel-Regierung von 2022 in den Schatten stellt: Union, SPD und Grüne haben in einem undemokratischen Manöver die Zwei-Drittel-Mehrheit des alten Bundestags genutzt: Sie stimmten für die Grundgesetzänderung, die der kommenden Regierung de facto unbegrenzten Spielraum zur Aufrüstung gibt.
Wie 1914 zum Ersten Weltkrieg stimmte die Sozialdemokratie wieder für die Kriegskredite. Sie gibt dem deutschen Militarismus einen „Blankoscheck“. Beim Spiegel wehrt man sich gegen den Vergleich mit 1914:
Die von Union und SPD geplante Aufrüstung heute ist die Lehre aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Sie dient nicht dem Kriegführen, sondern der Abschreckung. Sie soll Krieg verhindern.
Die Weltlage ist zwar anders. Wir stehen nicht am Beginn eines Weltkrieges. Aber hier handelt es sich nicht um Gelder zum Bau einer Friedensordnung, sondern um ein Sprungbrett in das Wettrüsten für die kommenden Kriege. Trump wendet sich von Europa ab und nun sehen sich die Herrschenden in Berlin, Brüssel und Paris dazu veranlasst, eine gigantische Aufrüstungsmaschine zu starten.
Der Spiegel und andere bürgerliche Medien warnen auf allen Kanälen: Wer jetzt nicht aufrüste, lade Putin ein, sich ganz Osteuropa einzuverleiben. Es würde jetzt um unsere Freiheit und Demokratie gehen. Entsprechend sieht die Stimmungslage aus. Laut ZDF befürworten 76 Prozent in einer Befragung mehr finanzielle Mittel für die Bundeswehr, auch wenn dadurch zusätzliche Schulden gemacht werden müssen.
Der baldige Kanzler Friedrich Merz (CDU) rührte vor der Abstimmung noch einmal kräftig mit den Kriegstrommeln. Mit Blick auf Russland sagte er: „Es ist ein Krieg auch gegen unser Land, der täglich stattfindet, mit Angriffen auf unsere Datennetze, mit der Zerstörung von Versorgungsleitungen, mit Brandanschlägen, mit Auftragsmorden mitten in unserem Land“.
Weitgehend unausgesprochen bleibt in der Debatte aber, dass die Aufrüstung darauf abzielt, die militärischen Interessen des deutschen Imperialismus offensiv vertreten zu können. Noch hat Schwarz-Rot keine genauen Angaben gemacht, wofür sie das Geld ausgeben will. Markus Söder (CSU) erstellte aber schon einen Wunschzettel, der erahnen lässt, wohin die Reise gehen könnte: Sein „Masterplan“ fordert eine Truppenstärke von 500.000 Soldat:innen und eine Armee von 100.000 Drohnen. Angesichts einer Welt im Umbruch will Deutschland wieder Großmacht werden, die aktiv um ihre Einflusssphären in Osteuropa kämpfen kann und ihr militärisches Gewicht in die „Verhandlungen“ mit Trump, Putin oder auch gegenüber mehr oder weniger befreundeten EU-Staaten legen kann.
Schwarz-Rot gründet sich auf autoritärem Akt
Die Kredite stellen in finanzpolitischer Sicht eine Umkehr der deutschen Politik dar. Die Ampel-Regierung war letztlich an dem Haushalts-Streit zerbrochen. Friedrich Merz hatte während seiner gesamten Wahlkampagne als CDU-Kanzlerkandidat hervorgehoben, auf die Einhaltung der Schuldenbremse zu pochen.
Doch noch vor der Bildung der Regierung macht er nun eine 180-Grad-Wende, zumindest im Vergleich zu seinen früheren Aussagen. Offensichtlich hatte er nie vor, sich an die Schuldenbremse zu halten. Sein Beharren auf ihr hatte vor allem den Zweck, die Ampel-Regierung in die Knie zu zwingen.
Dass Trump die internationale Ordnung durcheinander bringen würde, war schließlich nicht erst nach seinem Zerwürfnis mit dem ukrainischen Präsidenten Selensky abzusehen. Als schlechter Lügner spielte Merz danach den Überraschten: „Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: Whatever it takes.“
Mit den Kriegskrediten hat sich die kommende Bundesregierung nun also einen finanzpolitischen Spielraum verschafft, den ihre Vorgängerin nie hatte. Das kann ihr aber nur eine trügerische Stabilität verschaffen. Die Umbrüche in der Außenpolitik sind zu gewaltig, als dass der deutsche Imperialismus ein Zentrum der Ruhe im Sturm wie in den frühen 2010ern sein könnte.
Innenpolitisch hat es Schwarz-Rot zur schwächsten „Großen“ Koalition aller Zeiten geschafft. Ihr Manöver, nochmals den alten Bundestag anzurufen, um ein letztes Mal eine Zwei-Drittel Mehrheit mit den Grünen zustande zu bekommen, hat ihr vorerst ein finanzielles Fundament gegeben. Aber es zeigt, auf welche Methoden sie sich einlassen muss, um ihre Ziele durchzusetzen. Sie gründet sich mit ihrem Manöver vorbei an den neuen Mehrheiten – ein autoritärer Akt, der nach dem finanzpolitischen Putsch der FDP gegen die Ampel einen nächsten Tiefpunkt des deutschen Parlamentarismus darstellt.
Es ist nicht der „Staatsstreich“, zu dem ihn Alice Weidel (AfD) in ihrer Rede deklariert. Es ist auch kein Dekret eines Präsidenten mit zu viel Macht wie in Frankreich oder den USA. Sondern es ist das Manöver eines alten bundesrepublikanischen Parteienregimes, das nach Jahren des Verfalls eine gewaltige Kraftanstrengung unternommen hat, um weiter regieren zu können.
Das hat ein gewisses bonapartistisches Element: eine nicht länger legitimierte Konstellation baut sich mit parlamentarischen Tricksereien und mit Deckung des Bundesverfassungsgerichts seine Macht. Eine Macht, die sich nicht länger auf einen institutionellen Aushandlungsprozess allein verlassen kann, sondern die nun zwei Akteure von der Leine lässt: die Kreditwirtschaft und die Kriegswirtschaft. Der Blackrock-Lobbyist Merz lädt sie zusammen mit der jämmerlichen Sozialdemokratie und den käuflichen Grünen ein, sich unermesslich zu bereichern.
Diese Branchen sollen auch der desaströsen Entwicklung der deutschen Wirtschaft eine Kehrtwende geben. Schon kündigt Rheinmetall an, das gefährdete VW Werk Osnabrück übernehmen zu wollen, um dort Panzer zu bauen. Einmal angefacht, wird sich die schuldenfinanzierte Kriegswirtschaft nicht mit einzelnen neuen Fabriken sättigen lassen. Panzer sind Material, die in Kriegen verbraucht werden muss.
Die Beerdigung der Schuldengrenze
Die Schuldenbremse ist mit der Grundgesetzänderung formell nicht abgeschafft. Sie bleibt vor allem ein Instrument zur Kürzung bei Sozialausgaben. Als politisches Instrument zur Begrenzung des Staatshaushaltes ist sie aber de facto beerdigt. In Friedenszeiten, in denen sich der deutsche Imperialismus im Fahrwasser der USA bewegen konnte, war die Schuldenbremse ein geeignetes Mittel, um die Zinsen niedrig zu halten und die Finanzpolitik der Euro-Staaten zu dominieren.
Schwer abzusehen bleiben derweil die finanzpolitischen Dimensionen einer solch umfangreichen Schuldenaufnahme. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm äußerte gegenüber dem Handelsblatt: „Die Zinssteigerungen, die wir schon nach Ankündigung des Pakets beobachtet haben, werden die hoch verschuldeten Staaten der Eurozone in die Bredouille bringen.“
Die Militärausgaben hingegen werden zu einem Prozent des BIP mit der Schuldengrenze verrechnet. Nach der Wirtschaftsleistung von 2024 entspricht das 43 Milliarden Euro. Zusammengenommen mit dem Infrastrukturpaket könnten die Kreditaufnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe liegen. Das Handelsblatt rechnet vor:
Geht man von einem nominalen Wachstum des BIP von 2,5 Prozent und Verteidigungsausgaben in Höhe von drei Prozent des BIP aus, so dürften sich die Verteidigungsausgaben in einem Zeitraum von zehn Jahren auf 950 Milliarden Euro oder 85 bis 110 Milliarden Euro pro Jahr belaufen.
In der Summe könnte das über zehn Jahre 1,8 Billionen Euro an Schulden bedeuten, die laut Handelsblatt wiederum Zinsen von 250 bis 400 Milliarden Euro nach sich zögen (je nach Zinssatz zwischen 2,5 und 4 Prozent). Die Kosten dafür wird die Merz-Regierung den Arbeiter:innen in Rechnung stellen. Die größten Angriffe, die sich nach den bisherigen Gesprächen von Schwarz-Rot abzeichnen, sind die Ersetzung der täglichen durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit und die Abschaffung des Bürgergeldes, wodurch Arbeitslose in die prekärsten Jobs gezwungen werden sollen.
Neben dem Aufrüstungspaket hat der Bundestag auch ein Sondervermögen für Infrastruktur über 500 Milliarden Euro aufgesetzt. Es ist nur in einigen wenigen Rahmenlinien definiert: Auf Bestreben der Grünen müssen 100 Milliarden Euro davon als „zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045“ verwendet werden. Man sollte nicht glauben, dass hier tatsächlich Klimaschutz betrieben wird. Es geht vor allem um Subventionen für Konzerne für die Erneuerung der Industrie. Ansonsten muss das Infrastrukturpaket aber auch in Kombination mit den Verteidigungsausgaben gesehen werden: Im Zentrum Europas könnte Deutschland militärisch eine entscheidende Rolle als logistische Drehscheibe und Truppenaufmarschplatz zukommen. Panzer brauchen Brücken und Schienen, um schnell an eine mögliche Ostfront verlegt zu werden.
Van Aken: „Bundeswehr-Milliarden reichen aus“
Kritik am den Grundgesetzänderungen kam von Rechts und Links, aus unterschiedlichen Motiven. Die AfD kritisierte neben der tatsächlich undemokratischen Einberufung des alten Bundestages vor allem die Ausheblung der Schuldengrenze, wie Tino Chrupalla in seiner Rede kundtat: „Hier soll planlos die Staatsverschuldung in den Himmel getrieben werden.“ Die AfD ist aber nicht gegen die Aufrüstung an sich. Sie will nur, dass noch mehr die Armen dafür zahlen sollen. In ihrer Vorstellung soll der Staat radikal bei Sozialausgaben zusammenkürzen.
Aus den Reihen des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gab es hingegen einen kleinen Eklat. Mit einer Plakatakion protestieren die BSW-Abgeordneten im Bundestag: „1914 wie 2025: Nein zu Kriegskrediten!“ Eine korrekte Aktion, die peinlicherweise von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau von der Linkspartei mit einem Ordnungsruf bedacht wurde. Früher flog Die Linke selbst aus dem Bundestag, als sie mit ähnlichen Aktionen gegen den Afghanistan-Krieg protestierte – nun das Gegenteil.
An Protesten gegen die Abstimmung beteiligten sich bisher nur einzelne Teile der Linkspartei oder ihrer Jugend. Die Parteiführung hatte darauf gesetzt, dass das Bundesverfassungsgericht die undemokratische Abstimmung verhindern würde, womit sie scheiterte.
Auch ein Interview von Parteiführer Jan van Aken zeigt, dass die Führung der Linkspartei keine ernsthafte Opposition gegen den Militarismus anführen will. Gegenüber dem ZDF sagte er: „Es gibt 52 Milliarden jedes Jahr im Haushalt [für die Bundeswehr].“ Das reiche aus. Eine klare Ablehnung würde die Parole in den Vordergrund stellen „Kein Cent, kein Mensch dem deutschen Militarismus.“
Ähnlich wie van Aken äußerte sich Frank Werneke, Vorsitzender der Gewerkschaft Ver.di. Er nannte die Diskussion um höhere Militärausgaben „verständlich“ angesichts der Weltlage uns sagte: „Der Vorschlag von Union und SPD, die Anrechnung der Verteidigungsaufwendungen im regulären Haushalt zu deckeln und Zusatzausgaben über Kredite zu finanzieren, also keine Steuereinnahmen dafür zu verwenden, geht deshalb in die richtige Richtung.“ Anstatt die aktuellen Streiks im öffentlichen Dienst in Richtung eines Kampfes gegen Krieg und Kürzungen auszuweiten, könnten diese nun mit einem Schlichtungsverfahren beendet werden.
Problematisch fällt auch die Position aus der Führung der IG Metall aus, die in der Kriegswirtschaft eine Chance zum Erhalt von Arbeitsplätzen sieht. Stefan Körzell aus dem DGB-Vorstand und Mitglied der IG Metall sagte im Februar, „dass Steuergeld, das in dem oben skizzierten Sinne für Verteidigungszwecke ausgegeben werden muss, auch die Arbeitsplätze der von uns vertretenen Kolleginnen und Kollegen in der wehr- und sicherheitstechnischen Industrie sichert und schützt.“ Wie 1914 geben damit auch die Gewerkschaftsführungen dem deutschen Imperialismus freie Bahn.
Es ist heute umso mehr notwendig, aus den widerständigen Teilen der Linken und radikalen Linken und den Gewerkschaften eine Perspektive gegen Merz und die Kriegspolitik zu formulieren. Am Dienstag mobilisierten bereits über 30 Organisationen zu einer Kundgebung vor dem Bundestag, während sich die Linkspartei nur minimal beteiligte. Es braucht jetzt umso mehr Versammlungen in den Betrieben und Unis, um über die Kriegspolitik zu diskutieren und einen Widerstand vorzubereiten. Die Streiks müssen ausgeweitet und werden und sich gegen die Aufrüstung insgesamt wenden.