Minneapolis will die Polizei „abschaffen“ – was heißt das?

11.06.2020, Lesezeit 4 Min.
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Der Stadtrat von Minneapolis hat angekündigt, die Polizei „abschaffen“ zu wollen. Das Wort wird zwar immer wieder verwendet, doch was es bedeutet, bleibt unklar. Was steckt hinter dem Vorschlag?

Nach zwei Wochen weltweiter Proteste wegen des Mordes an George Floyd, erklärte am vergangenen Sonntag eine Mehrheit des Stadtrats von Minneapolis ihre Absicht, die Polizeibehörde der Stadt „abzuschaffen“ (abolish) und „aufzulösen“ (dismantle). Einige Aktivist*innen betrachteten diese Entwicklung in Anbetracht der ursprünglichen Weigerung, Derek Chauvin auch nur zu verhaften, als einen Sieg, während andere sich weigerten, sich von den Zugeständnissen der Stadt besänftigen zu lassen.

In den vergangenen Tagen haben Bewohner*innen und Journalist*innen beim Stadtrat auf weitere Details gedrängt. Wie genau soll eine solche „Auflösung“ aussehen? Die Details sind bislang vage, doch was bisher bekannt wurde, klingt kaum nach einer Abschaffung. Die Vorsitzende des Stadtrats Lisa Bender erklärte ausdrücklich: „Die Idee, keine Polizeibörde zu haben, funktioniert sicherlich nicht auf kurze Sicht.“

Der Stadtrat will damit beginnen, einen Teil der Gelder von der Polizei hin zu anderen sozialen Diensten umzuleiten – eine geläufige Reform, die aktuell von einer Vielzahl von Kommunen in den Vereinigten Staaten in Betracht gezogen wird. Da in Minneapolis die Mehrheit der Notrufe körperliche oder psychische Notfälle betrifft, soll außerdem die Polizei nicht mehr auf Notrufe reagieren, wenn ein anderer sozialer Dienst angemessener wäre. Es ist unklar, warum die Polizei überhaupt genutzt wurde, um auf solche Fälle zu reagieren, wenn es eine der Reformen ist, die unmittelbar umgesetzt werden kann.

Vor der Ankündigung des Stadtrats hatte der Bürgermeister von Minneapolis, Jacob Grey, am vergangenen Freitag bereits eine einstweilige Verfügung unterzeichnet, die der Polizei verbietet, Würgegriffe einzusetzen, und Polizist*innen verpflichtet einzugreifen und zu berichten, wenn ein*e andere*r Beamt*in „übermäßige Gewalt“ anwendet. Das Beispiel der Polizei von Seattle ist jedoch das beste Beispiel, warum Gesetze, um die Polizei zu kontrollieren, letztlich stets ineffektiv bleiben werden. Dort hatte die Polizei nur drei Tage nach dem Beginn eines 30-tägigen Tränengasverbots massiv Tränengas eingesetzt. Die Polizei handelt stets über dem Gesetz.

Stadtratsmitglied Philippe Cunningham sagte, dass es, bevor die Vision der „Abschaffung“ verwirklicht sei, künftig sorgfältige und bedachte Arbeit, ein Nachfragen, ein Lernen geben werde, was mit der Zeit in einem Übergang geschehe. Das sind zwar hübsche Worte, doch sie enthalten keinen Zeitplan oder irgendeine echte Verpflichtung über das reine Nachdenken über diese Probleme hinaus. Derzeit besteht die meiste Medienberichterstattung der Ankündigung des Stadtrats lediglich in Spekulationen über die verschiedenen Formen einer „Auflösung“ und die Auflistung von konkreten Forderungen von verschiedenen aktivistischen Gruppen. Oft wird das Beipsiel von Camden in New Jersey angeführt, wo eine Polizeibehörde „aufgelöst“ wurde, nur um in den folgenden Jahren wiederaufgebaut zu werden. Dabei wurden neue Richtlinien eingeführt, aber auch rund einhundert ehemalige Polizeibeamt*innen wiedereingestellt. Es zählt nicht als „Abschaffung“ der Polizei, wenn an ihrer Stelle eine brandneue Polizeibehörde hochgezogen wird.

Der Stadtrat von Minneapolis beugt sich dem Druck der Aktivist*innen. Er demonstriert damit, dass der einzige Weg, um irgendeine Art von tatsächlichem Wandel zu erreichen, in Massenmobilisierungen und dem Vertrauen in unsere Kolleg*innen besteht. Doch auch wenn manche kleineren Reformen zustande kommen, kann es keinen „Kompromiss“ geben, wenn es um Polizeigewalt geht. Weniger Finanzierung, um Schwarze auf den Straßen zu ermorden oder sie ins Gefängnis zu stecken, ist immer noch zu viel Finanzierung für rassistische Unterdrückung. Um diese rassistische Unterdrückung zu beenden, muss die Abschaffung der Polizei vollständig und dauerhaft sein.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch bei Left Voice

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