Minimale Hilfslieferungen statt Ende des Genozids in Gaza: Wie der Westen von seiner Verantwortung ablenken will

16.03.2024, Lesezeit 7 Min.
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Foto: Mit internationaler Hilfe beladene Lastwagen fahren über den Grenzübergang Kerem Shalom nach Gaza ein. Die Zahl der mit humanitärer Hilfe beladenen Lastwagen sinkt ebenfalls aufgrund von Protesten gegen Siedler am 18. Februar 2024, Anas-Mohammed / shutterstock.com

Gazas gemarterte Bevölkerung blickt in den Abgrund einer Hungersnot, während Israel ungehemmt weiter wütet. Nun lassen sich einige westliche Staaten zu Hilfslieferungen durch den Seeweg herab. Nur ein zynischer Tropfen auf heißem Stein.

Die USA und europäische Staaten decken Israels Genozid seit Monaten den Rücken, ohne Wenn und Aber. Über 31.000 Palästinenser:innen wurden bereits ermordet und die humanitäre Lage fällt ins Bodenlose. Den westlichen Regierungen ist bewusst, dass Israel nicht einfach mit seinem Genozid aufhören wird. Aber sowohl aufgrund des wachsenden Unverständnis der eigenen Wähler:innenschaft als auch des steigenden Widerstands gegen den Zionismus lassen sie jetzt einen heuchlerischen „Humanitarismus“ verlauten

So ist derzeit eine Hilfslieferung von Zypern zur Küste Gazas unterwegs, mitgetragen von den USA, der EU und Großbritannien, an Bord nur 200 Tonnen an Grundnahrungsmitteln – für eine hungernde Bevölkerung von circa 2,2 Millionen. 

In den letzten Wochen haben bereits mehrere Staaten Hilfsgüter per Fallschirm über Gaza abgeworfen. Bei diesem demütigenden und zutiefst ineffektiven Prozess kommt es regelmäßig zu katastrophalen Anstürmen und fünf Menschen sind offenbar bereits durch fehlerhafte Abwürfe erschlagen worden. In diesem Kontext hat Israel auch über 100 Menschen bei einer Verteilung im berüchtigten „Mehl-Massaker“ ermordet. Und keine westliche Regierung hat es gejuckt.


Neusten Meldungen zufolge hat Israel die Lieferung von sechs (!) Lkws durch die Kerem-Schalom-Grenzkontrolle erlaubt, als „Pilotprojekt“. Diese kruden Methoden und winzigen Lieferungen sind lächerlich in Anbetracht des humanitären Bedarfs. Zum Vergleich: Vor dem 7. Oktober 2023 war Gazas Bevölkerung von den Lieferungen von 500 Trucks täglich abhängig

Angesichts dieses Chaos und den israelischen Einfuhrbeschränkungen für Lkws, hofft die UN nun, eine Seebrücke nach Gaza aufzubauen, unterstützt von den USA, der EU, und Großbritannien. Die Kosten werden, wohlgemerkt, maßgeblich von den Vereinigten Arabischen Emiraten getragen, das NGO-Schiff Open Arms segelt unter spanischer Flagge. 

Gaza hat keinen eigenen funktionierenden Hafen für größere Lieferungen – solch eine Infrastruktur hatte die Besatzung den Palästinenser:innen nie zugestanden – und deswegen soll nun eine US-amerikanische NGO eine provisorische schwimmende Plattform errichten. 

Auch diese Seelieferungen werden also wirkungslos bleiben, sind teuer und umständlich. Nur Hilfslieferungen über Land per LKW könnten dem Bedarf ansatzweise gerecht werden, aber dem stehen der israelische Staat und Tausende Siedler:innen fest entgegen. Der Genozid und die ethnische Säuberung Gazas wird so mit der Waffe des Hungers vorangetrieben. 

Haben westliche Staaten ihr Gewissen entdeckt? Nein.  

Man muss sich doch wundern, dass die USA und die EU erst Israels Genozid monatelang den Boden vor den Füßen kehren und erst jetzt anfangen, die Auswirkungen dieser Politik als bedenkenswert zu erkennen und zu mitigieren. Aber die Regierungschef:innen haben keineswegs vergessene Skrupel wieder ausgegraben, sondern nur ihre innenpolitischen und außenwirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnungen überprüft. 

In den USA läuft der Wahlkampf um die Präsidentschaft warm und US-Präsident Biden fürchtet um die Stimmen jener, die sich nicht länger mit der bedingungslosen Unterstützung Israels abfinden können. Die Größe der Protestbewegung in den USA ist beachtlich und wird auch maßgeblich von jüdischen Stimmen mitgetragen, wie der Jewish Voice for Peace. Und so ließ Biden am Montag partielle und oberflächliche Kritik an dem israelischen Premierminister Netanjahu verlauten – er schade Israels Interessen mehr als er ihnen beihilfe und er solle sich bitte mehr um unschuldige Leben kümmern. Bidens Parteikollege und demokratische Fraktionsführer Schumer forderte zuletzt sogar israelische Neuwahlen. 

Perspektivisch macht der israelische Vernichtungsfeldzug ein US-gesteuertes Management des Konflikts, wie die ohnehin aussichtslose Zwei-Staaten-Lösung, unmöglich. Der Krieg gegen Gaza destabilisiert die gesamte Region: Von der israelischen Bombardierung des Libanons und Eskalation des Konflikts mit der Hisbollah, über eine Verunsicherung des langjährigen US-Lakaien El-Sisi in Ägypten, bis zu den Operationen der Ansar Allah (Huthis) im strategisch wichtigen Roten Meer. Somit fängt Biden langsam an, sich vor den Geistern zu fürchten, die er rief. Der wildgewordene Wachhund Israel beißt härter als gewollt. 

Auch EU-Chefdiplomat Borrell hat sich ein Stückchen aus der Deckung getraut und die Hungersnot als „menschengemacht“ benannt, allerdings ohne Israel beim Namen zu nennen: „Der Hunger wird als Kriegswaffe eingesetzt, und wenn wir diese Vorkommnisse in der Ukraine verurteilen, müssen wir dieselben Worte für das, was im Gazastreifen passiert, verwenden.“ 

Denn auch in Europa füllen sich die Straßen mit Protesten und Unmut. Selbst in Deutschland, wo die Israelsolidarität Staatsraison darstellt, können Umfragen zufolge die meisten Menschen nicht mehr die Unterstützung Israels gutheißen. Die Kluft zwischen öffentlicher Meinung und den Phrasen der Politiker:innen öffnet sich immer weiter. Auch der Gesichtsverlust vor der internationalen Staatengemeinde und durch die südafrikanische Klage vor dem Internationalen Gerichtshof ist immens. 

Zudem treffen die geopolitischen und wirtschaftlichen Konsequenzen, die die Destabilisierung der Region mit sich bringen, auch das europäische Kapital empfindlich. Nur ein Beispiel: Die deutsche Containerschifffahrtsindustrie bereedert die weltweit größte Flotte ihrer Art und die Engpässe im Roten Meer sind ihr ein besonderer Dorn im Auge. Durch die Angriffe aus Jemen, die Schiffe von Unterstützerstaaten Israels attackieren, müssen Frachter teure Umwege fahren und große Mehrkosten pro Lieferung stemmen. Das deutsche Handelsvolumen wurde dadurch bereits geschädigt und die deutsche Marine nimmt die Gefahr so ernst, dass die eigene Fregatte ‘Hessen’ ins Rote Meer zur Patrouille entsandt wurde. 

Wir müssen also klarstellen: Die mangelhafte Hilfe, die die imperialistischen Staaten jetzt aufbringen, tut ihrer unfassbaren Heuchelei keinen Abbruch. Plötzlich sorgen sie sich um Palästinenser:innen – aber Deutschland hat seine Waffenlieferungen nach Israel seit letztem Herbst verzehnfacht, gleichzeitig humanitäre Hilfen an die UNRWA ausgesetzt, und so die Hungerkrise mitgeschaffen. Wie immer: Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt. Und niemand hat dem israelischen Staat und seinen Kriegstreiber:innen mehr Waffen, mehr diplomatische Absicherung, in den Rachen gestopft als die USA. Jetzt auf diese Krokodilstränen hereinzufallen und zu hoffen, dass Israel durch seine engsten Verbündeten gebändigt wird, ist naiv. 

Stattdessen müssen wir den Widerstand gegen den Zionismus und Imperialismus aufbauen. Wie wir das tun können, zeigen beispielsweise Hunderte Hafenarbeiter:innen in Indien, in Genoa und in Großbritannien – sie weigern sich, Waffen an Israel zu verschicken und blockieren die Schiffe. Oder wie die Gesundheitsarbeiter:innen in Berlin, die sich aufgrund der humanitären Katastrophe vernetzt haben und sich gemeinsam organisieren und für die Menschen in Gaza einsetzen. Auch Studierende an Universitäten weltweit bilden Komitees und kämpfen für die Rechte und Freiheiten palästinensischer Menschen in Gaza und an den eigenen Unis. Wir müssen alle zusammen für die Befreiung Palästinas kämpfen – vor allem entgegen unseren eigenen Regierungen. Nur ein sofortiges Ende der Besatzung und ein freies, laizistisches und sozialistisches Palästina, kann das Leiden der Zivilbevölkerung langfristig stoppen.

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