Minderheitserklärung: Für einen revolutionären Bruch der Lohnabhängigen mit dem Reformismus!
Bis 150 Menschen diskutierten auf der Konferenz „15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?“ über die Notwendigkeit eines revolutionären Bruchs mit der Linkspartei und dem Reformismus. Die folgende Minderheitserklärung war von zwei unabhängigen Genoss:innen gemeinsam mit der Jugendorganisation Revolution und der Gruppe Arbeiter:innenmacht eingebracht worden.
Für einen revolutionären Bruch der Lohnabhängigen mit dem Reformismus!
1. Seit 15 Jahren vertieft die Partei DIE LINKE stetig ihre Perspektive der Mitverwaltung des kapitalistischen Elends. In 13 Regierungsbeteiligungen haben sie Abschiebungen, Zwangsräumungen, Privatisierungen, Polizeigewalt und vieles mehr mitverantwortet. Alle Versuche, die Partei in die Richtung einer Fundamentalopposition zu lenken, sind gescheitert. Die Partei und ihre Jugendorganisationen, die Linksjugend [’solid] sowie Die Linke.SDS sind durch diese Entwicklung in eine Krise geraten. Auf der Konferenz für einen revolutionären Bruch mit der Linkspartei und Solid haben sich Mitglieder von [‘solid!] und DIE LINKE, kürzlich ausgetretene Genoss:innen, sowie Gruppen und Einzelpersonen aus der kommunistischen Bewegung versammelt. Wir nehmen das Zusammenfallen der Krise der Linkspartei und der gesamten gesellschaftlichen Opposition mit einer verschärften ökonomischen, politischen und sozialen Krise auf nationaler und globaler Ebene als Anlass, um die praktische Vorbereitung sowie die Debatte über den Aufbau einer Partei der arbeitenden Klasse mit einem fundamentaloppositionellen, revolutionären Programm in Deutschland wieder ins Rollen zu bringen.
Zur Ausgangslage in Deutschland und der LINKEN
2. Wir stellen uns gegen den deutschen Imperialismus und gegen die Ampelregierung, die die größte militärische Aufrüstung seit Jahrzehnten vorantreibt, und für die internationale Solidarität der Arbeiter:innen aller Länder untereinander. Mit Einmalzahlungen im Gießkannenprinzip versucht diese dem Widerstand gegen Inflation und Krieg den Wind aus den Segeln zu nehmen. Auch in der Krise erkauft sich der imperialistische deutsche Staat die politische Loyalität von wirtschaftlich zentralen Teilen der Arbeiter:innenklasse mithilfe der Gewerkschaftsbürokratie, um einen übergreifenden Kampf aller Lohnabhängigen in Deutschland und auf globalem Maßstab auf Basis gemeinsamer Klasseninteressen vorzubeugen. So können die Kosten der Militarisierung auf die Lohnabhängigen in Deutschland und anderswo abgewälzt werden — wodurch Kriege finanziert werden, unter denen wiederum vor allem die Lohnabhängigen anderer Länder tagtäglich leiden müssen. Die Militarisierung nach außen geht auch einher mit einer Stärkung des Repressionsapparats und der rechtsterroristischen Verankerung innerhalb derselben. Der rechte Terror im Innern ist ein Widerhall des erstarkenden Imperialismus nach außen. Daher kann der Aufstieg der Rechten nicht mit einer Logik des „geringeren Übels“, der prinzipienlosen Unterstützung von „linken“ oder „fortschrittlichen“ Regierungen bekämpft werden.
3. Die Kapitalist:innen und ihre Regierungen haben der Jugend nur eine Perspektive des Verzichts, des Militarismus und der Klimakatastrophe anzubieten. Wir schulden ihnen nichts! Anstelle der Logik des geringeren Übels oder der politischen Resignation wollen wir eine Jugendorganisation aufbauen, die für eine ganz andere Zukunft kämpft: Eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, die die Ressourcen dieses Planeten nachhaltig nutzt und statt absurder und gesundheitsschädigender Lohnarbeit die freie Entfaltung all unserer schöpferischen und kreativen Potenziale ermöglicht. Wenn deshalb die Regierenden von einer „Zeitenwende“ sprechen und uns auf künftige Kriege im Dienste des Kapitals vorbereiten wollen, sagen wir: Kein Cent, kein Mensch dem Militarismus! Gerade im imperialistischen Deutschland ist es unsere Aufgabe, eine revolutionäre, antiimperialistische Jugendorganisation an der Seite der Arbeiter:innen und aller Unterdrückten aufzubauen, die sich weder dem imperialistischen Kriegsgetrommel der „Heimatfront“ und der NATO anpasst noch reaktionäre Führungen wie Putin unterstützt und entschuldigt.
4. Die einzige Kraft, die nicht nur einen Kampf gegen die imperialistische Politik der Regierung führen, sondern tatsächlich ein Ende von Ausbeutung und Unterdrückung erkämpfen kann, ist die Arbeiter:innenklasse. Aber nicht als gesichtslose Masse ohne Ansehen von Sexismus-, Queer- und Transfeindlichkeit sowie Rassismuserfahrung(en), sondern im Gegenteil als Klasse, die insbesondere in einem Land wie Deutschland auch sehr migrantisch ist und immer weiblicher und immer mehr offen queer wird. Sie kann aufgrund ihrer Stellung im kapitalistischen Produktionsprozess nicht nur die zentralen Hebel der Wirtschaft lahmlegen. Sondern sie kann die Gesamtheit aller unterdrückten Teile der Bevölkerung im Kampf gegen Staat und Kapital anführen. Dafür muss sie sich deren Forderung zu eigen machen und sich selbst an die Spitze der Kämpfe gegen Sexismus, Rassismus und jeglicher Form von Unterdrückung stellen, anstatt nur eine von vielen gleichrangig getrennt voneinander agierenden Bewegungen zu bilden, wie es beispielsweise die Bewegungslinke propagiert. Das wird ihr nur gelingen, wenn sie die Selbstorganisierung der auf unterschiedliche Weise unterdrückten Teile der Arbeiter:innenklasse nicht als Konkurrenz sieht, sondern begrüßt und aktiv zu einem großen Ganzen zusammenfügt.
5. Die Trennung von Fragen der Unterdrückung (Sexismus, Rassismus, LGBTQIA+-Feindlichkeit, Behindertenfeindlichkeit usw.) vom Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung zementiert die Spaltung der Arbeiter:innenklasse. Diese ist für das Kapital funktional und wird vom Staat und den Bürokratien in der Arbeiter:innenbewegung aufrechterhalten. Sie steht auch der Perspektive des Kampfes für eine Gesellschaft, die frei von jeglicher Ausbeutung und Unterdrückung ist, unmittelbar entgegen. Deshalb haben wir nichts gemeinsam mit der populistischen Perspektive von Sahra Wagenknecht, die unter dem Vorwand einer Rückkehr zu mehr „Klassenpolitik“ bestimmte Unterdrückungs- und Ausbeutungsformen herunterspielt. Die Strategie von Wagenknecht ebenso wie die ihres französischen Pendants Jean-Luc Mélenchon und La France Insoumise ist darauf ausgelegt, die Interessen der „weißen Arbeiterklasse“ mit den Interessen der imperialistischen Bourgeoisie zu vereinen. Ihre links klingenden Phrasen sind in Wahrheit nichts anderes als die Verteidigung des Standortnationalismus der Konzerne. Anstatt den Rechten das Wasser abzugraben, überlässt sie ihnen mit dieser Strategie das Feld.
6. Ihre Perspektive teilt die Linkspartei auch mit reformistischen oder linkspopulistischen Projekten der vergangenen Jahre wie Syriza in Griechenland, Podemos im Spanischen Staat oder La France Insoumise in Frankreich, welche den Klassenkampf in ihren jeweiligen Ländern in staatstragende Bahnen umgelenkt haben. Das linkspopulistische Podemos hat ihre Opposition zur Monarchie abgelegt und setzt als Teil der spanischen Regierung derzeit die Aufrüstung und die Abschottungspolitik gegen Migrant:innen und die Zusammenarbeit mit Marokko zur kolonialen Unterdrückung der Westsahara fort. Die linksreformistische Wahlfront Syriza setzte 2015 an der griechischen Regierung die Spardiktate von IWF, EZB und EU um, obwohl sie sich vorher ausdrücklich dagegen positioniert hatte. In Griechenland zeigt sich auch, dass die EU ein imperialistischer Block ist, der den Interessen vor allem des deutschen Kapitals dient. Sozialist:innen müssen die EU als imperialistisches Projekt ablehnen, aber ohne die Perspektive der Rückkehr zum Nationalstaat — wie es beispielsweise Sahra Wagenknecht oder Jean-Luc Mélenchon vorschlagen —, sondern in der Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.
7. Wir lehnen den zögerlichen Umgang der Linkspartei mit ihrem stalinistischen Erbe deutlich ab. Die stalinistische Konterrevolution in der Sowjetunion und ihr Abdruck in der DDR und anderswo, die Unterdrückung von nationalen und religiösen Minderheiten, Frauen und Homosexuellen, die Sabotage der Kämpfe der Arbeiter:innen und strategische Orientierung auf bürgerliche und reaktionäre Kräfte unter dem Vorwand der Verteidigung des sozialistischen Aufbaus, der Verteidigung gegen den Faschismus, der nationalen Befreiung usw. — auf diesem Erbe kann keine revolutionäre Politik fußen. Ein revolutionärer Bruch mit der reformistischen Linkspartei schließt einen Bruch mit der Toleranz gegenüber allen Erscheinungsformen des Stalinismus als linker Spielart des Reformismus mit ein.
8. Die Krise der Linkspartei ist kein Zufall oder Produkt widriger Umstände, sondern eine Konsequenz ihrer gesamten Strategie. Als „demokratisch sozialistische“ bürgerliche Arbeiter:innenpartei ist sie strategisch auf Wahlen und Parlamentssitze ausgerichtet, um auf diesem Weg an die Regierung des bürgerlichen Staates zu gelangen. Daran ändert auch nichts, dass eine kleine Minderheit der Partei Regierungsbeteiligungen „kritisch“ sieht, ebenso wenig einzelne „linkere“ Ortsgruppen ihres Jugendverbandes. „Rebellisch regieren“, wie es die Bewegungslinke immer wieder vorschlägt, ist nur eine linkere Rhetorik für denselben Vorschlag. Die Mobilisierung und Organisierung auf der Straße oder in den Betrieben, Schulen und Universitäten ist in dieser Sichtweise nur ein Druckmittel, um parlamentarische Mehrheiten zu erlangen. Obwohl sie sich also sozial auf die Lohnabhängigen stützt, macht sie ihre Strategie letztlich zu einer Stütze der kapitalistischen Ordnung. Gegen diese Strategie, die letztendlich zur Unterordnung unter die Interessen des Kapitals führt, setzen wir die Notwendigkeit der politischen Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse vom Kapital, von der Regierung und von den Bürokratien der Gewerkschaften, die sie stützen. Für uns bedeutet diese Unabhängigkeit keine Summe an Allgemeinplätzen, sondern muss auf dem Ziel der gemeinsamen Entwicklung eines revolutionären Programms fußen. Ein Prozess in den die verschiedenen Differenzen, die uns trennen diskutiert werden müssen.
Das Aktionsprogramm mit dem wir gegen die unterschiedlichsten aktuellen Krisen kämpfen wollen
9. Angesichts der Verschärfung der Klimakatastrophe, angesichts von Krieg und Aufrüstung, angesichts von fortgesetzter Inflation und Wirtschaftskrise braucht es eine konsequente Opposition in den Betrieben, Schulen und Universitäten und auf der Straße. Sie muss für ein soziales Notfallprogramm kämpfen, das die kapitalistischen Profitinteressen angreift und angesichts von Krise, Krieg und Klimakatastrophe eine sozialistische Perspektive aufwirft. Für sofortige Preisstopps, für die automatische Angleichung von Löhnen, Renten, Sozialleistungen, BAföG, etc. an die Inflation für hohe Gewinn- und Vermögenssteuern, für die Enteignung von Immobilien- und Energiekonzernen in der Perspektive der entschädigungslosen Enteignung aller Großunternehmen unter Kontrolle der Arbeiter:innen, für einen sozialen und ökologischen Umbau des Energiesystems und der gesamten Wirtschaft, gegen den Krieg, Sanktionen und Waffenlieferungen, gegen die 100-Milliarden-Aufrüstung. Weder Putin noch die NATO und gegen den Militarismus des deutschen Imperialismus.
10. Um ein solches Notfallprogramm umzusetzen, müssen wir eine Einheitsfront für den Kampf gegen die Regierung und das Kapital mit allen grundsätzlich bereitwilligen Kräften aufbauen, wobei wir uns ausdrücklich an alle Genoss:innen an der Basis sowie in führenden Positionen der Linkspartei richten, die alle oder einige der Forderungen teilen und zu einer transparenten und diskussionsoffenen Zusammenarbeit bereit sind. Da ein Großteil der Lohnabhängigen in Deutschland reformistische Illusionen hegen, wird ein Aktionsbündnis kleiner linksradikaler Gruppierungen nicht reichen, um die notwendige Massenkraft rund um unsere Forderungen zu mobilisieren. Für den Erfolg einer Einheitsfront wird es aber notwendig sein, die bremsende Rolle der SPD, der Gewerkschaften zu überwinden und ihr eine Perspektive der Selbstorganisation und der Koordinierung der Kämpfe gegenüberzustellen — für klassenkämpferische Gewerkschaften und für die Selbstorganisation der Arbeiter:innen. Nicht nur in vereinzelten Kämpfen, sondern auch als Perspektive einer politischen Alternative jenseits kapitalistischer Regierungen. Denn die Führungen unserer Gewerkschaften zeigen aktuell wieder mit der konzertierten Aktion (regelmäßige Treffen, bei denen sie sich mit Politik, Unternehmensverbänden und der Deutschen Bank abstimmen), dass sie lieber mit der Regierung und den Kapitalist:innen schlechte Kompromisse aushandeln. Den Preis dafür zahlen wir heute als Arbeiter:innen und als Jugendliche. Aber auch die Ausweitung befristeter Verträge wurde von unseren Gewerkschaftsführungen mitunterschrieben. Gegen die sozialpartnerschaftliche Politik versuchen wir in Streiks, Kämpfe und Bewegungen durch (Streik-)Versammlungen, imperative Mandate und die jederzeitige Abwählbarkeit von Vertreter:innen das Bewusstsein der Lohnabhängigen für ihre eigene Macht als Klasse zu erwecken. Um erfolgreich eine revolutionäre Perspektive in die Einheitsfront hineinzutragen, müssen wir zugleich den Aufbau einer vom Kapital unabhängigen Massenpartei der Lohnabhängigen mit einem marxistischen, revolutionären Programm anvisieren, die die fortschrittlichsten Teile der Arbeiter:innenklasse, wie in der Jugend, der Frauen und LGBTQIA+, der Migrant:innen und anderer besonders unterdrückter Teile der arbeitenden Klasse im Kampf für den Sturz des Kapitalismus und für die sozialistische Revolution anführen kann.
11. Die Konferenz sieht sich also einer doppelten Aufgabe gegenüber: Einerseits die Dominanz bürgerlicher Ideologien in der Arbeiter:innenklasse (v.a. den Reformismus) herauszufordern und andererseits eine revolutionäre Kraft aufzubauen. Zu diesem Zweck schlagen wir vor:
a. Die baldige Vorbereitung einer wirklich breiten Konferenz, auf der gemeinsam mit allen interessierten Kräften — inklusive mit denjenigen, die bisher nicht mit der Linkspartei gebrochen haben — über den aktuellen Zustand des globalen Kapitalismus und über die Ursachen und Erscheinungsformen des Reformismus diskutiert werden soll. Darüber hinaus wollen wir über die historischen und aktuellen Bedingungen, Probleme und Chancen eines radikalen Bruchs mit dem Reformismus auf nationaler und globaler Ebene reden, welche materielle Basis er in der Arbeiter:innenbewegung hat. Sowohl die Bedingungen eines Zusammenschlusses der kommunistischen Bewegung wie auch die Beziehung von Revolutionär:innen zu reformistischen Kräften sollen ausführlich diskutiert werden.
b. Die Anwesenden sind sich einig, dass eine gemeinsame Intervention auf der Grundlage der in dieser Erklärung vorgelegten Eckpunkte nötig ist, um eine revolutionäre Opposition ins Leben zu rufen zu können, die in den Kämpfen außerhalb und innerhalb des Parlaments eine tatsächliche Alternative zum Reformismus darstellen kann. Um heute schon das Fundament zu legen für einen radikalen Bruch der Lohnabhängigen mit dem Reformismus, wollen wir: im Rahmen der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) in die kommende Tarifrunde des öffentlichen Dienstes (TVöD) mit einem Programm intervenieren, das die Forderung nach einem realen Inflationsausgleich erhebt und mit einem weitergehenden Programm gegen Krise, Krieg und Klimakatastrophe verbindet; Angesichts des Verrats der Linkspartei am Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co. enteignen einerseits die politische Selbstorganisierung und Aktion der Mieter:innen als Lohnabhängige auf allen Ebenen vorantreiben, andererseits mit einer Kritik an der Taktik der Regierungsbeteiligung der Berliner Linkspartei bzw. an ihrem Umgang mit dem Volksentscheid in die kommende Abgeordnetenhauswahl treten. Dort, wo es möglich ist: Aufruf zur Wahl von Kandidat:innen der Linkspartei, die sich auf glaubwürdige Weise gegen die Regierungsbeteiligung ihrer Partei in Land und Bund stellen, wie der Genosse Ferat Koçak in Neukölln. Solche Unterstützungen müssen jedoch mit der Forderung des Aufbaus einer Strömung in der Partei verbunden werden, die den Kampf um Mehrheiten im Parlament nur als Mittel zum Zweck der Enteignung großer Immobilienkonzerne nutzt und nicht die Interessen ihrer Wähler:innen für die Regierungsbeteiligung aufopfert. Solidarität und kritische Unterstützung des parteiinternen Flügels in ihrem Kampf gegen die Regierungsbeteiligung, nicht zuletzt mit Marx21 in Berlin — für einen breiten Zusammenschluss innerhalb und außerhalb der Linkspartei für eine Fundamentalopposition!