Milliardenkonzern Dr. Oetker entlässt Tausende bei Durstexpress

05.02.2021, Lesezeit 5 Min.
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Kundgebung von Durstexpress-Beschäftigten / Foto: Nathaniel Flakin

Der Getränkelieferdienst Durstexpress hat in der Zeit der Corona-Einschränkungen einen enormen Geschäftszuwachs erlebt. Trotzdem will das Unternehmen Tausende von Mitarbeiter:innen entlassen. Dagegen demonstrierten am Donnerstag 150 Beschäftigte vor dem Firmensitz in Berlin.

Im vergangenen Jahr, der Zeit des Social Distancing, haben alle die Lieferdienste lieben gelernt. Wer sich Kisten mit Bier oder Mineralwasser direkt an die Haustür bringen lassen will, für den sind zwei der Top-Anbieter Durstexpress und Flaschenpost. Für den:die Verbraucher:in erscheinen diese beiden Unternehmen mehr oder weniger identisch. Doch hinter den Kulissen setzen sie auf zwei sehr unterschiedliche Geschäftsmodelle mit sehr unterschiedlichen Arbeitsbedingungen.

Am 20. Januar wurde in einer Pressemitteilung bekannt gegeben, dass Flaschenpost Durstexpress übernehmen wird. Ein Startup schluckt das andere – nichts Ungewöhnliches in der extrem ausbeuterischen New Economy. Der Haken: Flaschenpost übernimmt zwar alle Kund:innen von Durstexpress, aber nicht alle Mitarbeiter:innen. Hunderte von Mitarbeiter:innen – nach Gewerkschaftsangaben bis zu 2.400 – haben Kündigungen erhalten.

Am Donnerstagnachmittag versammelten sich bis zu 200 Menschen vor der Durstexpress-Zentrale in einem der schicken ehemaligen Lagerhäuser am Spreeufer in Friedrichshain. René Rix, Fahrer bei Durstexpress, sprach von einer Bühne, die mit den rot-weißen Fahnen der Gewerkschaft NGG geschmückt war, zu den Menschen. Ob sie schon einmal in der Höhle der Bosse waren? „Das ist wie im Hotel Adlon“, sagte Rix – während sein Arbeitsplatz in der Teilestraße in Tempelhof „nicht mal ordentliche Toiletten hat.“

Die Lieferdienste boomen. Ein Fahrer schätzte, dass das Geschäft seit dem ersten Lockdown im März um 300 Prozent gestiegen sei. Kürzlich lobte das Durstexpress-Management seine Mitarbeiter:innen als „Held:innen“. Doch jetzt haben Rix und 450 andere Arbeiter:innen in Berlin die Mitteilung erhalten, dass ihr Arbeitsverhältnis am 28. Februar endet. Im Zuge der Fusion werden mehrere Durstexpress-Lager geschlossen. Deshalb waren mehrere Dutzend Arbeiter:innen aus Leipzig und Dresden zu der Kundgebung nach Berlin gekommen. An einer Kundgebung am vergangenen Donnerstag in Leipzig nahmen sogar 200 Personen teil.

Mindestens vier Bundestagsabgeordnete waren gekommen, um ihre Unterstützung anzubieten – schließlich sind die Wahlen nicht mehr weit.

Zwei unterschiedliche Geschäftsmodelle

Durstexpress mag wie ein junges Startup aussehen, wurde aber tatsächlich von Dr. Oetker gegründet. Und dabei handelt es sich um mehr als ein traditionelles Familienunternehmen, das Pudding verkauft: Die Dr. August Oetker KG ist ein globaler Mischkonzern mit 400 Unternehmen und 7,4 Milliarden Euro Umsatz. Sie kontrolliert unter anderem die Radeberger Brauereien – aber gilt technisch immer noch als Familienbetrieb, da sie sich in privater Hand befindet.

Flaschenpost hingegen ist ein echtes Startup, gegründet 2016 in Münster. Es sieht so aus, als hätte das Oetker-Konsortium Durstexpress gebaut, um Flaschenpost Konkurrenz zu machen – und dann irgendwann aufgegeben. Ende letzten Jahres kaufte Oetker für fast eine Milliarde Euro die Konkurrenz. Jetzt verschmilzt Oetker sein eigenes Unternehmen mit dem ehemaligen Konkurrenten.

Aber warum dann nicht alle Mitarbeiter:innen von Durstexpress behalten? Eine schnelle Suche zeigt, dass Flaschenpost in Berlin derzeit einstellt. Aber Durstexpress bot den Mitarbeiter:innen traditionelle Arbeitsbedingungen – während Flaschenpost auf einen Startup-Ethos setzt.

So erklärten Durstexpress-Mitarbeiter:innen auf der Kundgebung, dass sie Verträge mit einer festen Stundenzahl pro Woche haben – während der Konkurrent nur eine minimale und maximale Stundenzahl garantiert. Das ist die Art von „Flexibilität“, die die New Economy liebt. Und Flaschenpost scheint das Panoptikum von Amazon zu kopieren: Ein Computer überwacht die Mitarbeiter:innen im Sekundentakt und zeichnet auf, wann sie auf die Toilette gehen.

Kein Wunder, dass sich Flaschenpost gegen die Konkurrenz durchsetzt – das klingt sehr „effizient“, nach einer Mischung aus Taylorismus und Big Brother. So ist es nicht verwunderlich, dass das Unternehmen die alten Durstexpress-Arbeitsverträge loswerden will. Sie behalten sich die Möglichkeit vor, die gleichen Arbeiter:innen mit viel schlechteren Bedingungen wieder einzustellen.

Auch Flaschenpost-Arbeiter:innen waren gestern auf der Kundgebung und bekundeten ihre Solidarität. In der kommenden Woche wollen die Arbeiter:innen in Berlin den ersten Betriebsrat in der Geschichte des Unternehmens gründen und so ein Stück weit Kontrolle über ihren Arbeitsplatz bekommen.

Erbarmungslos

Christoph Geznel, ein Arbeiter, der aus Leipzig gekommen war, rief seine Kolleg:innen dazu auf, „die Verzweiflung in Kampfeswillen zu verwandeln.“ Seit eineinhalb Jahren arbeitet er für Durstexpress, trägt Getränkekisten vier Stockwerke hoch, dutzende Male am Tag. Man hatte ihm immer gesagt, dass sein Job sicher sei, und so kam die Kündigung wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er war immer bei einer Oetker-Firma angestellt, es ist also nicht so, dass die Besitzer:innen gewechselt hätten. Und wenn diese Eigentümer:innen nicht fair spielen wollen, versprach Christoph, dass er und seine Kolleg:innen „erbarmungslos“ und „bis zum letzten Tag“ kämpfen würden.

Ein riesiger Konzern, der während der Pandemie enorme Gewinne gemacht hat, wirft Tausende von Arbeiter:innen auf die Straße, damit sie schlechtere Arbeitsbedingungen durchsetzen können. Das ist kein gutes Bild für ein „Familienunternehmen“. Daraus könnte der erste große Arbeitskampf der Pandemie in Deutschland werden.

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