Milliardär:innen besteuern oder enteignen?

22.02.2025, Lesezeit 15 Min.
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Foto: AchimWagner//shutterstock.com

LINKE-Chef Jan van Aken will die Milliardär:innen abschaffen. Dafür schlägt er eine hohe Vermögenssteuer vor, enteignen will er sie nicht. Schon Marx wusste: das führt nirgendwo hin.

In „hart aber fair“ am Montagabend fragt der Moderator Louis Klamroth den LINKE Vorsitzenden Jan van Aken, wie er denn die Milliardär:innen abschaffen wolle. „Wollen Sie die enteignen?“ Die Antwort: 

Ne, sondern es gibt eine Vermögenssteuer, das ist was relativ einfaches, das gabs schon mal unter Helmut Kohl.

Gestaffelt sollen nach dem Willen der LINKEN die Vermögen besteuert werden. Die erste Million ist noch frei, danach möchte man mit einem Prozent starten und die ganz Reichen, die Milliardär:innen, sollen den Spitzensteuersatz von 12 Prozent zahlen. Das Ziel: die Abschaffung der Superreichen. Das wäre:

[…] nur gerecht, denn das Geld, was die Milliardäre auf dem Konto haben, das haben nicht sie erarbeitet, sondern das haben tausende und abertausende Menschen, die sich jahrelang krumm gelegt haben, erarbeitet.

Warum nur das Vermögen der weniger erfolgreichen “mittelständischen” Reichen kein Problem sein sollen, das lässt Jan van Aken offen. An anderer Stelle betonte er noch einmal, was sich bereits aus diesen Aussagen ergibt: der Umstand, dass einige Menschen in Deutschland fast alles besitzen und die meisten nichts, stört ihn wenig, nur die „unanständig Reichen“ wären das Problem. Dagegen müsse der Fiskus vorgehen. 

Schaut man ins LINKE-Wahlprogramm erhärtet sich dieser Eindruck. Da liest man von großen Umverteilungsmaßnahmen, die der Staat mittels einer arbeiter:innenfreundlichen Steuerpolitik erwirken soll. Die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, ein Umlageverbot der Grundsteuer auf Mieter:innen, die Erhöhung der Erbschafts- und Schenkungssteuer, die drastische Erhöhung der Kapitalertragsteuer, etc. wären in ihrer Gesamtheit geeignet, am Ende deutlich mehr für die Armen und deutlich weniger für die Reichen rauszubekommen. Das wäre tatsächlich eine große Erleichterung für Millionen von Menschen und ist damit auch aus der Perspektive revolutionärer Sozialist:innen ausdrücklich zu unterstützen. Doch einige kleine (große) Details erscheinen in all diesen Forderungen überhaupt nicht: die Frage, woher diese Milliardär:innen denn überhaupt kommen, weswegen es aus der Sicht der LINKEN nötig wird, so tief in die Verteilungsmechanismen der Wirtschaft einzugreifen und mit welchen Mitteln und für welche Ziele diese Eingriffe vonstattengehen soll. 

Woher kommen die Reichen?

Das LINKE-Wahlprogramm begnügt sich mit einer geradezu billigen Antwort auf diese Frage. Die vergangenen Regierungen aus CDU, SPD, FDP und Grünen hätten die Steuersätze für die Reichsten kontinuierlich gesenkt, während gleichzeitig die Steuersätze der großen Mehrheit der „mittleren und unteren Einkommensschichten“ immer weiter gesteigert wurden. In dieser Logik erscheint der immer schneller wachsende Graben, der sich zwischen Alles-Besitzer:innen und Nichts-Besitzer:innen in Deutschland aufgetan hat, einfach als eine Folge unverantwortlicher Staatslenkung. Die LINKE wird das schon richten, wenn sie dann einmal an der Regierung sein wird. 

Die Reichen sind aber natürlich nicht in erster Linie einer Folge schlechter Steuerpolitik. Denn Reichtum bedeutet im Kapitalismus nicht einfach, einen Palast und 90 Rolls Royce zu besitzen, Reichtum, im kapitalistischen Sinne des Wortes bedeutet in erster Linie Verfügungsgewalt über Kapital und folglich Verfügungsgewalt über die Arbeit. Der Kapitalist ist nicht einfach „unanständig“ reich, wie ein fauler Feudalherr, der sich zehn protzige Jagdschlösser in die Landschaft bauen lässt. Der Kapitalist wird durch die Konkurrenz, in der er sich befindet, dazu getrieben, seine Waren immer möglichst günstiger als seine Mitbewerber:innen zu verkaufen. Dafür muss er billiger produzieren als die Konkurrenz, und dafür muss er die Produktivkraft der Arbeit, über die er in seinen Fabriken gebietet, stetig steigern. Und zwar durch die größere Teilung der Arbeit und die Mechanisierung der Produktion. Eine Arbeitsstunde schafft am Fließband drei, zehn, hundertmal so viel Produkt wie zuvor, doch der Lohn bleibt der gleiche. Diese Differenz landet als gesteigerter Profit in der Tasche des Kapitalisten. Tausende Arbeiter:innen, die zuvor noch ein ganzes Auto allein zusammengebaut haben, sind durch die Einführung des Fabrikbandes und dann des Schweißroboters überflüssig geworden, sie werden rücksichtslos entlassen. Weil der Kapitalist nun billiger und mehr produzieren kann als zuvor, wachsen seine Profite ins Unermessliche, während er sich gleichzeitig unter den vielen Schlange stehenden Bewerber:innen diejenigen aussuchen kann, die auch bereit wären, zu einem niedrigeren Lohn oder längere Stunden zu arbeiten. Während in solchen Perioden also die Arbeitslosenzahlen in die Höhe gehen, sinken gleichzeitig die Löhne, verlängert sich der Arbeitstag und erhöht sich die Arbeitsgeschwindigkeit. Die freien Arbeitskräfte werden sodann wieder zu Billiglöhnen  in die Produktion gezerrt, fieberhaft erweitern die Kapitalist:innen mit der neuen Technologie bewaffnet ihre Werke und für eine Zeit kann es sogar so aussehen, als bekämen auch die Arbeiter:innen Brotkrumen vom geschaffenen Reichtum ab, doch hat sich der Markt einmal mit all den billigen Produkten übersättigt, dann werden ganze Belegschaften, eben noch eingestellt, sofort wieder auf die Straße geworfen. Kosteneinsparung. Die großen Fische raffen derweil ihre insolvente Kleinkonkurrenz zusammen und konzentrieren mehr und mehr Kapital in immer weniger Händen. Verlieren tun dabei immer die Arbeiter. Marx beschrieb diesen Prozess im „Kapital“ so: 

Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol.

Der Kapitalismus schafft sich also aus seiner eigenen Logik heraus seine Millionär:innen und Milliardär:innen und spiegelbildlich dazu auch sein periodisch an- und abschwellendes Heer an Arbeitslosen. Der Staat kann natürlich von diesen Profiten einiges für sich abschöpfen, ohne dabei die Produktionsweise an sich in Frage zu stellen. Das hat er historisch auch immer wieder gemacht. Die LINKE fokussiert sich bei ihren steuerpolitischen Umverteilungen also auf ein Symptom und nicht auf die Grundlage des Kapitalismus. Dabei ist das eigentlich Wichtigste nicht die Höhe des Vermögens, d.h. die Höhe des zur Verfügung stehenden Geldes, um sich „unanständige“ Dinge wie eine Villa, eine Yacht oder eine Insel zu leisten, sondern der Grad der Kontrolle über die Produktion, der mit der immer größeren Anhäufung von Kapital einhergeht.

Sozialismus gleich gerechte Umverteilung?

Die LINKE möchte mit ihren steuerlichen Maßnahmen eine „gerechte Umverteilung“ erreichen. Dabei soll es aber weiterhin grundsätzlich das Privateigentum an den Produktionsmitteln geben, wenn auch mit gewissen Einschränkungen z.B. beim Wohnen. Es soll weiterhin Kapitalist:innen geben, die ihre Arbeiter:innen auch weiterhin ausbeuten sollen dürfen, nur eben nicht mehr so „unanständig“. Dafür soll der Staat mit Steuern mehr von der herrschenden und weniger von der unterdrückten Klasse nehmen. Dass dieser ausschließliche Fokus auf einen „Verteilungssozialismus“ aber keinesfalls auf eine Überwindung der Tendenzen zur immer stärkeren Konzentration des Kapitals in immer weniger Händen und damit auch nicht auf eine Überwindung der Tendenzen zum wachsenden Elend in der Masse der Arbeiter:innen hinauslaufen kann, zeigte Karl Marx bereits 1875 in seiner „Kritik des Gothaer Programms“:

[Es ist] überhaupt fehlerhaft, von der sog. Verteilung Wesens zu machen und den Hauptakzent auf sie zu legen. Die jedesmalige Verteilung der Konsumtionsmittel ist nur Folge der Verteilung der Produktionsbedingungen selbst. Die kapitalistische Produktionsweise z.B. beruht darauf, daß die sachlichen Produktionsbedingungen Nichtarbeitern zugeteilt sind unter der Form von Kapitaleigentum und Grundeigentum, während die Masse nur Eigentümer der persönlichen Produktionsbedingung, der Arbeitskraft, ist. Sind die Elemente der Produktion derart verteilt, so ergibt sich von selbst die heutige Verteilung der Konsumtionsmittel. Sind die sachlichen Produktionsbedingungen genossenschaftliches Eigentum der Arbeiter selbst, so ergibt sich ebenso eine von der heutigen verschiedne Verteilung der Konsumtionsmittel. Der Vulgärsozialismus (und von ihm wieder ein Teil der Demokratie) hat es von den bürgerlichen Ökonomen übernommen, die Distribution als von der Produktionsweise unabhängig zu betrachten und zu behandeln, daher den Sozialismus hauptsächlich als um die Distribution sich drehend darzustellen. Nachdem das wirkliche Verhältnis längst klargelegt, warum wieder rückwärtsgehn?

Das Programm der LINKEN schafft es nicht, von der Forderung nach Besteuerung der Reichen überzugehen, zur Herausforderung des Privateigentums an den gesellschaftlichen Produktionsmitteln. Aus der eigentlich progressiven Forderung nach der Abschaffung der Milliardär:innen, auch mittels Steuern, kann nichts Fortschrittliches erwachsen, solange die LINKE nicht gewillt ist, die Frage der Verteilung mit der Frage nach der Kontrolle über die Produktion zu verbinden. Denn der von der LINKEN steuerpolitisch „gebändigte“ Kapitalismus müsste weiterhin auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sein, um genügend Steuereinnahmen generieren zu können, um die sekundäre Umverteilungsmaschine aufrechtzuerhalten. Dieser ökonomische Druck von außen, wäre aber bereits genug, um die von der LINKEN geplanten hohen Steuern auf Kapitalerträge in Frage zu stellen. Ob deutsche Konzerne unter einem solchen Steuerdruck noch international konkurrenzfähig wären, ist sehr zu bezweifeln. Gerade jetzt, da sich die Zugpferde der deutschen Wirtschaft, Volkswagen und Co. in einer tiefen Krise befinden. Aber die Konzerne müssten profitabel sein, damit der Plan des LINKEN „Verteilungssozialismus“ funktionieren kann. Irgendwo müssen die Steuereinnahmen ja herkommen. Also wäre Deutschland ganz wie immer dazu gezwungen, möglichst billig die Rohstoffe und Arbeitskräfte anderer Länder auszubeuten, und möglichst viele Güter zu hohen Preisen in alle Welt zu exportieren, um die Wohltaten einer „gerechten Umverteilung“ unter kapitalistischen Vorzeichen zu Hause aufrechterhalten zu können. Das Ergebnis sähe nicht anders aus, als die heutige imperialistische Politik der Bundesregierung, nur mit sozialem Anstrich.

Letztlich hilft nur Enteignung!

Die einzige Möglichkeit, dem kapitalistischen Teufelskreis der Anhäufung von Reichtum in immer weniger Händen zu entfliehen, ist letztlich eine Revolutionierung der Eigentumsverhältnisse. Um diese jedoch zu erreichen, müssen Arbeiter:innenorganisationen über die Forderungen nach der einfachen Besteuerung der Millardär:innen hinausdenken. Gewiss sind Forderungen nach einer Vermögenssteuer sehr populär und an sie müssen auch Sozialist:innen, die für die Enteignung der Konzerne agitieren, anknüpfen. Dabei hilft es allerdings nicht, wie die LINKE, einfach einen höheren Spitzensteuersatz zu fordern, als die SPD. Viel zentraler ist die Frage, was mit diesem durch eine Vermögenssteuer erhaltenen Geld geschehen soll. Unter „normalen“ kapitalistischen Bedingungen könnte der Staat sehr wohl die Millardär:innen  besteuern und das auch in ihrem eigenen Interesse. Etwa wenn es um die Finanzierung der Aufrüstung und die Vorbereitungen auf den nächsten deutschen Raubkrieg geht. Daran wäre in der Tat rein gar nichts progressiv und man fände sich so in guter Gesellschaft mit liberalen wie der österreichischen Millionenerbin Marlene Engelhorn, die mit der Besteuerung ihres eigenen Vermögens dem Wohle des kapitalistischen Gemeinwesens einen patriotischen Dienst erweisen möchte. Auch Figuren wie die Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) mit ihrem #taxtherich möchte schlicht dem amerikanischen Imperialismus eine weitere Finanzspritze von oben geben. Und wie Jan van Aken selbst bemerkte: eine Vermögenssteuer gab es auch schon mal unter den meisten deutschen Bundeskanzlern, bis sie in den 90er Jahren ausgesetzt wurde. Diese Kanzler waren nicht für ihren Antikapitalismus bekannt.

Eine linke Antwort darauf muss also sein, die durch eine Vermögenssteuer eingenommenen Gelder an bestimmte Zwecke zu binden, die nur der Arbeiter:innenklasse nutzen würden. Gegenwärtig plant die Regierung massive Kürzungen im Gesundheits- und Sozialwesen und setzt dabei sogar regelmäßig auf Steuererhöhungen für die Arbeiter:innen, etwa bei der Wiederanhebung der Mehrwertsteuer nach Corona. Indem man die Forderung nach Vermögensabgabe der Reichen aufgreift und sie verbindet mit der Forderung nach Steuersenkung für die Arbeiter:innen und Masseninvestitionen für Bildung und Soziales, erhält eine liberale Forderung plötzlich proletarischen Charakter. In einem Übergangsstadium gesteigerter Klassenkämpfe, könnte der Widerspruch zwischen der Forderung, die Hauptlast der Steuern auf das Bürgertum abzuwälzen und diese Mittel anschließend für die Sanierung der öffentlichen Daseinsvorsorge zu verwenden und die gleichzeitige Weigerung selbst der fortschrittlichsten Regierungen (auch mit van Aken als Finanzminister), diese Forderungen durchzusetzen, den Charakter des Staats, als eines Ausschusses der gemeinsamen Angelegenheiten des nationalen Bürgertums vor den Massen offenbaren. Dies könnte bei vielen Menschen zur Vertiefung eines Bewusstseins beitragen, dass dieser Staat der Staat der Reichen ist.

Immer müssen Sozialist:innen diese Forderungen jedoch begleiten mit weitergehenden Programmpunkten, die letztlich das Kommando der Kapitalist:innen in ihren eigenen Betrieben herausfordern: Die Öffnung der Geschäftsbücher, die Besetzung schließender Betriebe und ihre Wiedereröffnung unter Arbeiter:innenkontrolle mit der Perspektive der Verstaatlichung. Am Ende muss die Kombination aus all diesen Forderungen über die Grenzen des Privateigentums hinausweisen und die Vision einer Wirtschaft lebendig werden lassen, in der die Arbeiter:innen selbst die gesamte Produktion kontrollieren und die Wirtschaft mit dem Ziel der Bedürfnisbefriedigung statt des Profits demokratisch planen. In einer solchen Gesellschaft bräuchte es dann  auch keine großen Steuerprogramme zur Umverteilung mehr. Die gleichmäßige und gerechte Verteilung der Konsumtionsmittel auf alle Mitglieder der Gesellschaft ergäbe sich im Sozialismus direkt aus der vergesellschafteten Produktion. 

Für eine solche grundlegende Umwälzung ist die Teilnahme an einer bürgerlichen Regierung und selbst die Kontrolle über das Finanz- und Wirtschaftsministerium allerdings völlig unzureichend. Dieser Staat ist allein dafür da, die kapitalistischen Verhältnisse möglichst günstig einzurichten, damit die Ausbeutung möglichst störungsfrei vor sich gehen kann. Der kapitalistische Staat, der „ideelle Gesamtkapitalist“ (Engels), kann nicht für seine Selbstaufhebung in Bewegung gesetzt werden. Deshalb wird auch nur eine Arbeiter:innenregierung, gestützt auf Organe der Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse den finalen Bruch mit dem Kapitalismus herbeiführen können. Aber die LINKE, so beweist ihr Wahlprogramm, plant diese große Umwälzung überhaupt nicht. Sie möchte das Privateigentum an den Produktionsmitteln nicht grundsätzlich überwinden, sie möchte keine Arbeiter:innendemokratie, keine Planwirtschaft errichten. Also hängen auch ihre progressiven Vorschläge von der Besteuerung der Milliardär:innen gewissermaßen in der Luft und führen nirgendwo hin. Damit basiert ihr ganzes Programm auf sozialimperialistischen Experimenten, welche zum Ziel haben, auf Kosten anderer Länder den Arbeiter:innen in Deutschland etwas mehr vom Kuchen ihres selbst produzierten Reichtums abzugeben.

Menschen, die sich also nicht nur eine zahnlose Besteuerung der Reichen, sondern ihre letztendliche Enteignung wünschen, sollten bei den Bundestagswahlen stattdessen Kandidat:innen wählen, die wie Inés Heider, Franziska Thomas und Leonie Lieb sagen, was sich Jan van Aken nicht traut: „Milliardär:innen enteignen! Hunderte Milliarden für Soziales, Löhne und Renten“ und „Für eine Regierung der Arbeiter:innen! Demokratische Planwirtschaft statt Kapitalismus.“

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