Mietenpolitik = Terrorismus? Warum bezahlbarer Wohnraum auf der Straße erkämpft werden muss

26.08.2019, Lesezeit 8 Min.
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"Die Linken zünden Berlin an" – keine Schlagzeile über brennende Autos, den "Schwarzen Block" oder das Gespenst der RAF, das die Berliner Morgenpost gestern an die Wand malte. Nein, Chefredakteurin Christine Richter betitelte so ihren Kommentar über die neusten Details zum Berliner Mietendeckel, der in der Senatsverwaltung von Katrin Lompscher (Linkspartei) aktuell ausgearbeitet wird.

Foto von Steffen Zahl (wikimedia commons)

Eine Reaktion mit mehr Schaum vor dem Mund hätte man sich kaum vorstellen können: „Die Linken zünden Berlin an“, meinte Morgenpost-Chefredakteurin Chrstine Richter gestern in ihrem ersten Kommentar zu den kurz zuvor bekannt gewordenen neusten Details des geplanten Mietendeckels in Berlin. Dass neoliberale und den Immobilienkonzernen hörige Kreise über „Sozialismusfantasien“ schwadronieren oder plumpe DDR-Vergleiche anstellen, wenn es um die Wohnungspolitik in Berlin geht, ist inzwischen eine alte Leier. Aber die Morgenpost ging den nächsten Schritt: Eine soziale Mietenpolitik scheint für sie gleichbedeutend mit Brandstiftung und Terrorismus zu sein.

Das ist nicht einfach nur überzogenes Getöse einer verängstigten Spekulanten-Freundin. Es ist eine konkrete Kampfansage. In den Kommentaren konservativer Berliner Zeitungen und in den Presseerklärungen der Wohnungskonzerne ist überall derselbe Tenor zu hören: Wenn ihr wirklich ernst machen wollt mit einer Wohnungspolitik, die effektiv den steigenden Mieten den Riegel vorschieben kann, gehen wir auf die Barrikaden und schießen aus allen Rohren. Wer uns an die Rendite will, den*die brandmarken wir als Terrorist*in.

Doch es schwingt bei ihnen auch ein Fünkchen Hoffnung mit: Es ist ja nur ein Referent*innenentwurf, der noch nicht einmal intern abgestimmt ist. Wahrscheinlich scheitert er eh an den Koalitionspartnern SPD und Grüne.

Und sie haben sie auch nicht ganz Unrecht: Der Entwurf ist wahrscheinlich tatsächlich zu radikal, um widerstandslos von SPD und Grünen geschluckt zu werden. Doch das zeigt nur einmal mehr, dass selbst die besten Vorstöße linker Politik – und das Papier aus dem Hause von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) gehört zweifellos zu den besseren – nicht ohne eine massive Bewegung auf der Straße, in den Kiezen und in den Betrieben, Schulen und Unis durchzusetzen sein wird.

Doch der Reihe nach: Was steht im Entwurf aus Lompschers Senatsverwaltung überhaupt drin? Der Berliner Senat hatte ja schon Eckpunkte für den sogenannten Mietendeckel beschlossen; das in die Öffentlichkeit gelangte Papier ist ein erster Vorschlag, der tatsächlich einige scharfe Einschnitte vorsieht:

Die Mieten sollen in Berlin ab 2020 für fünf Jahre eingefroren und Mieterhöhungen über festgelegte Obergrenzen verboten werden. Die Obergrenzen sollen sich nach Alter und Modernisierungsstand der Wohnung richten, jedoch soll die Lage keinerlei Rolle spielen. Je nach Alter und Ausstattung sollen dann maximal 3,42 bis 7,97 Euro pro Quadratmeter Nettokaltmiete fällig werden; lediglich geringe Modernisierungszuschläge sollen möglich sein (je nach Maßnahme, aber maximal 20% der Mietobergrenze). Sind die Mieten höher, sollen betroffene Mieter*innen bei den Bezirksämtern Anträge auf Senkung der Miete stellen können. Lompscher schätzte, dass bis zu 50 Prozent der Mieter*innen in Berlin von der Regelung betroffen sein könnten und entsprechend Anspruch auf Mietsenkungen haben. Und auch zwei weitere Maßnahmen beinhaltet der Entwurf: Vermieter*innen müssen über die Höhe vorangegangener Mieten Auskunft erteilen, und Eigenbedarfskündigungen sollen nur noch mit Genehmigung des Bezirksamts möglich sein.

Falls der Entwurf in dieser Form durchkäme, wäre das ein riesiger Schlag für die Immobilienkonzerne, Hedgefonds und sonstigen Spekulant*innen, die sich in den vergangenen Jahren auf dem Berliner Wohnungsmarkt breit gemacht haben. Und es wäre ein Signal an andere Städte in Deutschland und europaweit, in denen ähnliche Probleme herrschen. Entsprechend brechen seit Monaten bei jeder neuen Nachricht zur Mietenpolitik in Berlin die Aktien der Immobilienriesen wie Deutsche Wohnen, Vonovia und Co. verlässlich ein. Das häufigste Argument der Immobilienlobby ist dabei: Ein solcher Mietendeckel würde Investor*innen verschrecken.

Doch das ist ja genau der Punkt. Die Forderungen von Kampagnen wie „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“, von Mieter*innen-Initiativen und Stadtteilprojekten laufen ja genau darauf hinaus, den Investor*innen den Markt zu vermiesen.

Doch gerade dieser Fakt muss uns auch zu denken geben: Wie können wir effektiv durchsetzen, dass die Kapitalinteressen beschnitten werden? Können wir einfach darauf hoffen, dass sich Lompscher schon durchsetzen wird? Die Senatorin, die kurz nach ihrem Amtsantritt den linken Soziologen Andrej Holm erst zum Staatssekretär machte und ihn dann nach Druck von Koalitionsparteien und Medien wie eine heiße Kartoffel fallen ließ? SPD und Grüne jedenfalls haben direkt nach Bekanntwerden des Entwurfs Kritik geübt. Am schärfsten äußerte sich Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne): „Wir wollen nicht, dass die Vermieter, Wohnungsunternehmen, Genossenschaften oder Bauträger unter Generalverdacht der Spekulation gestellt werden, die sich auch in den letzten Jahren fair und wirtschaftlich vernünftig verhalten haben.“ Wie auch immer mehr im Bund, bietet sich die Grüne den Kapitalfraktionen als wirksamere Vermittlungsinstanz an. Doch auch der Regierende Bürgermeister Müller und Innensenator Andreas Geisel (beide SPD) distanzierten sich von dem Vorschlag und meldeten Zweifel an der Rechtssicherheit an. Die Immobilienverbände lancierten sogar gleich Pläne für Verfassungsbeschwerden.

Zugleich darf nicht vergessen werden, dass der Mietendeckel überhaupt erst seit dem massiven Druck von zehntausenden Mieter*innen real in der Diskussion ist. Die Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ reichte vor wenigen Monaten 77.000 Unterschriften für die Enteignung großer Immobilienkonzerne ein, und im April gingen 40.000 Menschen gegen steigende Mieten auf die Straße. Es sind genau diese Zehntausenden – Hunderttausende, wenn man alle betroffenen Berliner Mieter*innen mitzählt –, die sich jetzt wieder mobilisieren müssen, um einerseits eine starke Antwort auf die rechte Hetze zu geben, und andererseits Druck auf den Senat und auch auf die Linkspartei auszuüben, damit der Entwurf nicht verwässert wird oder in den Mühlen der Senatsbürokratie stecken bleibt.

Dazu sind die bisherigen Signale – Petitionen, Großdemonstrationen und andere Protestformen – eine große Inspiration, doch für eine Durchsetzung einer tatsächlich im Interesse der Hunderttausenden Berliner Mieter*innen liegenden Wohnungspolitik brauchen wir noch mehr. Wir müssen alle Kampfmittel, die uns zur Verfügung stehen, in die Waagschale werfen. Wir müssen uns in allen Nachbarschaften, in allen Betrieben, Schulen und Unis organisieren, um Mieter*innenkomitees zu bilden und um die Mietenfrage mit anderen sozialen Fragen zu verbinden. Nicht zuletzt müssen die Gewerkschaften sich den Mietenkampf zu eigen machen und den Mietendeckel notfalls mit Streiks durchsetzen.

Dabei dürfen wir auch nicht vergessen, dass der Mietendeckel nur ein – zweifellos extrem wichtiger – Baustein der aktuell notwendigen Politik ist. Entschädigungslose Enteignung von spekulativem Leerstand und Bauland, entschädigungslose Enteigung der großen Immobilienkonzerne, ein massives Programm des sozialen Wohnungsbaus unter demokratischer Kontrolle und die Verwaltung des gesamten Wohnraums durch Komitees von Mieter*innen, Vertreter*innen von Gewerkschaften und Nachbarschaftsinitiativen sind weitere wichtigere Bestandteile eines wirklich radikalen Programs zur Lösung der Wohnungsnot.

Ein wichtiger Ankerpunkt dafür ist die Debatte um den Klimawandel und die Fridays for Future-Bewegung. Denn nicht nur ist auf den ersten Blick ersichtlich, dass zu einer sozialen Wohnungspolitik, bei der nicht die Rendite, sondern die Bedürfnisse der Mieter*innen im Mittelpunkt steht, auch die Frage energetischer und klimafreundlicher Modernisierungen gehört, die von den Konzernen und nicht von den Mieter*innen bezahlt werden müssen. Es gibt auch noch ein weiteres Element: Zum ersten Mal seit Langem wird durch die FFF-Bewegung (mit dem Frauenstreik als Vorläufer) wieder innerhalb der Gewerkschaften über die Notwendigkeit eines politischen Streiks diskutiert. Mieter*innen-Initiativen müssen in diese Diskussion intervenieren und aufzeigen, dass eine andere Wohnraumpolitik nur durchgesetzt werden kann, wenn wir all unsere Waffen schärfen.

Die verbale Eskalation von Morgenpost und Co. ist keine leere Drohung, sondern eine Vorankündigung schärferer Angriffe. Lasst uns jetzt darauf vorbereiten, lasst uns an allen Arbeits- und Lernorten organisieren. Wenn wir wirklich an die Felle der Immobilienmultis wollen, dann brauchen wir all unsere Kraft: Blockaden, Besetzungen, Streiks.

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