“Messer-Intifada“ gegen den Apartheidsstaat Israel
Zwölf tote Israelis und 76 tote Palästinenser*innen, über 2200 Verletzte: Das ist der bisherige Soll der seit nun knapp sechs Wochen anhaltenden Auseinandersetzungen in Israel und Palästina. Mehr als 1500 Palästinenser*innen wurden seitdem verhaftet, mehr als 400 in Schnellverfahren verurteilt.
Auslöser für die von einigen Kommentator*innen als „Messer-Intifada“ benannte Rebellion war die Einschränkung des Zutritts für Muslim*innen unter 40 Jahre zur Al-Aqsa-Moschee – dem dritten Heiligtum des Islams – in Jerusalem durch die israelischen Sicherheitskräfte. Diese Repression ließ das Fass überlaufen und entlud sich in täglichen Straßenschlachten mit den israelischen Sicherheitskräften und in Amokläufen unabhängiger Einzeltäter*innen, die mit Messern bewaffnet vor allem die brutalsten Elemente der israelischen Besatzungsmacht angriffen: Soldat*innen, Polizist*innen und zionistische Siedler*innen.
Die zwölf getöteten Israelis zogen eine große mediale und gesellschaftliche Empörung nach sich. An den getöteten Israelis entfachte sich schnell der Ruf nach einem gnadenlosen Vorgehen gegen die „lynchenden, terroristischen“ Palästinenser*innen.
Es wurden Reservist*innen mobilisiert und Einheiten der israelischen Armee IDF in die Westbank verlegt, um gegen revoltierende Jugendliche militärisch vorzugehen. Untermauert wurde diese Militäroffensive mit einer Serie von neuen Gesetzen und Verordnungen: „Steineschmeißer*innen“ sollen ab sofort mindestens vier Jahre hinter Gitter, Polizei und Militär darf Feuerwaffen gegen aufständische Jugendliche einsetzen. Vor dem israelischen Parlament, der Knesset, verkündete Ministerpräsidenten Netanyahu in Richtung der Opposition: „Die Leute fragen mich: Ob wir immer mit dem Schwert leben müssen? Ja.“
Doch weder die eindeutige militärische Übermacht des israelischen Staats noch die Anordnung des israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu, ab sofort die Häuser von straftätigen Palästinenser*innen und deren Familien zu zerstören, konnten die Jugendlichen daran hindern, zu Tausenden auf die Straße zu gehen.
Dritte Intifada
Die Proteste der Schüler*innen, Arbeitslosen, Landarbeiter*innen und Flüchtlingslager-Bewohner*innen richteten sich auch vor allem gegen die Vorposten der israelischen Besatzungsmacht: die hunderten quer durch Palästina verteilten Checkpoints. Fast täglich errichten Jugendliche auf den israelischen Straßen, die das Gebiet der Palästinenser*innen in der Westbank in hunderte kleine Inseln zerschneidet, Straßenblockaden und greifen die Checkpoints – Orte von rassistischen Kontrollen und Erschießungen – mit Steinen und Molotow-Cocktails an. Vor allem in Gaza beteiligten sich auch viele junge Frauen an den Protesten.
Im Gegensatz zu den letzten zwei Erhebungen der Palästinenser*innen (Intifada) ist diesmal ein Großteil der Protestierenden nicht organisiert. Die großen Palästinenser*innen-Organisationen scheinen den Erhebungen eher hinterher zu laufen als sie anzuführen. Fast keine*r der Amokläufer*innen hatte Verbindungen zur Hamas. Und die Fatah glänzt nicht nur durch Abwesenheit, sondern die Proteste richten sich teilweise auch gegen die von der Fatah angeführte Palästinensische Autonomiebehörde (PA). Präsident Mahmoud Abbas setzte zwar zu Beginn der Aufstände den Osloer Friedensvertrag aus, seine Sicherheitskräfte sind jedoch auch daran beteiligt, Proteste gegen die israelische Zivilverwaltung („die wirkliche Regierung“, wie sie viele Palästinenser*innen nennen) zu verhindern. Die Fatah verurteilt zwar nicht die Aufstände gegen die Besatzungsmacht, unterstützt sie jedoch auch nicht. Anfang Oktober noch, als die Aufstände zum ersten Mal aufflammten, beschäftigte sich Abbas lieber mit den Bauplänen des neuen Luxus-Hauptquartiers der Autonomiebehörde.
Einer der meist umkämpften Checkpoints der letzten Wochen ist der bei Ramallah gelegene Beit El: Hier dürfen nur israelische Siedler*innen und Angehörige der PA passieren. Die Jugendlichen machen die versöhnlerische Politik der Fatah mitverantwortlich für die sich immer weiter verschärfende Apartheid. Der 1993 unterschriebene Osloer Friedensvertrag sicherte den Palästinenser*innen die Gründung eines eigenen Staates in der Westbank und Gaza zu. Israel hielt sich aber zu keinem Moment an dieses Abkommen und trieb ihre brutale Besatzungspolitik ständig voran. 550.000 Siedler*innen wohnen mittlerweile in der Westbank: schwer bewaffnet und mit allen Privilegien auf ihrer Seite. Sie vertreiben Palästinenser*innen von den fruchtbaren Äckern, schneiden sie von der Wasserversorgung ab und zerteilen das Siedlungsgebiet der Palästinenser*innen in hunderte kleine Inseln. Im Vergleich zu der acht Meter hohen Mauer, die die Palästinenser*innen einkesselt, erscheint die Berliner Mauer ein Witz. Hauszerstörungen, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, rassistische Kontrollen, soziale Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit, Bombardements und Erschießungen gehören zum bitteren Alltag der Palästinenser*innen.
Die „Oslo-Jugend“ wirft der Fatah vor, sie hätten diese Zustände zementiert, indem sie sich selbst ein privilegiertes und bequemes Plätzchen im Apartheidsstaat geschaffen haben.
Deutschland unterstützt das Apartheidsregime
Die politische und militärische Unterstützung Deutschlands gegenüber Israel scheint unerschütterlich. In Mitten der schweren Auseinandersetzungen schickt die Bundeswehr 110 Soldat*innen nach Israel, um gemeinsam die Spezialität der IDF zu trainieren: Häuserkampf und Aufstandsniederschlagung. Nebenbei besuchten die Soldaten das Zentrum des aktuellen Konfliktes: die Stadt Jerusalem.
Die deutsche Regierung schenkt Israel aus Steuermitteln finanzierte U-Boote. Getreu der deutschen Staatsräson solidarisiert sich Merkel bedingungslos mit dem israelischen Staat, ohne das aktuelle Massaker an den Palästinenser*innen auch nur zu erwähnen. Währenddessen wurden israelische Juden*Jüdinnen in Berlin verhaftet, die gegen Netanyahu protestierten. Der hatte vor einigen Wochen auf dem Zionistischen Weltkongress dem palästinensischen Mufti von Jerusalem Haj Amin al-Husseini die Schuld für den Holocaust gegeben.
Mit Steinen gegen (deutsche) Panzer
Haben die Palästinenser*innen eine Chance, in den Aufständen ihre Freiheit zu erkämpfen? Militärisch dürfte es schwer sein, eine Atommacht, die von allen wichtigen imperialistischen Mächten unterstützt und bewaffnet wird, mit Steinen, Messern und Molotows zu besiegen. Die „realistische“ Perspektive der Imperialist*innen, eine Zwei-Staaten-Lösung zu finden, ist eine völlige Träumerei. Netanyahu verkündete offen, dass er keine Zwei-Staaten-Lösung möchte: „Wir müssen das gesamte Gebiet kontrollieren“.
Eine wichtige Gruppe beteiligt sich bisher noch nicht an den Protesten: die palästinensische und die israelische Arbeiter*innenklasse. Diese könnten durch massive Streiks das Land lahmlegen und die israelische Regierung viel mehr unter Druck setzten, als es vereinzelte Straßenschlachten von rebellierenden Jugendlichen machen können. Sie können die ökonomischen Grundpfeiler des Landes erschüttern und den Apartheidsstaat stürzen.
Für eine sozialistische Alternative!
Gegen 67 Jahre Besatzung und Apartheid ist es notwendig, eine Politik zu erheben, die für das uneingeschränkte Recht auf nationale Selbstbestimmung der Palästinenser*innen, inklusive des Rückkehrrechts der über sieben Millionen Menschen zählenden palästinensischen Diaspora eintritt. Eine solche Perspektive ist jedoch im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung vollkommen illusorisch, besonders, solange der israelische Staat als Brückenkopf des Imperialismus im Nahen Osten fungiert. Eine Perspektive des Rauswurfs des Imperialismus ist eine Voraussetzung für jede progressive Politik in der Region.
Der Kampf gegen den israelischen Apartheidsstaat kann aber in letzter Instanz nur gemeinsam mit der israelischen Arbeiter*innenklasse erfolgreich sein – die dafür mit eben diesem Regime brechen muss. An seine Stelle erheben wir die Perspektive eines demokratischen, einigen und laizistischen Palästina, das nur ein sozialistisches Palästina sein kann, wo Juden*Jüdinnen und Araber*innen in Frieden zusammen leben können. Für ein sozialistisches Palästina und Kurdistan als Teil einer sozialistischen Föderation des Nahen und Mittleren Ostens!