Merkels Pakt mit dem Teufel: Krise überwunden?
Seit Sonntag ist der Deal zwischen der Europäischen Union und der Türkei über die erneute Abschottung Europas in Kraft. Trotz des humanitären Deckmantels ist "Merkels Lösung" ein Pakt mit dem Teufel. Hat sie sich damit den Ausweg aus der Regierungskrise erkauft?
„Sie hat das unmöglich Scheinende möglich gemacht“: So tönte die FAZ über Angela Merkel, nachdem der Abschluss des Deals der EU mit dem Erdogan-Regime bekannt wurde. Unmöglich, so schien monatelang eine einheitliche Position der EU-Mitgliedsstaaten – unmöglich, eine Übereinkunft mit der Türkei. Unmöglich vor allem, dass das verhandelte Abkommen tatsächlich eine Lösung der Geflüchtetenkrise bringen würde.
Eine vorläufige Lösung ist nun – trotz weiterhin existenter kritischer Stimmen – allem Anschein nach erst einmal gefunden. Nur: Es ist eine Lösung im Interesse des Kapitals, im Interesse der Grenzen, im Interesse vor allem auch des Mörders Erdogan. Eine Lösung für die mehr als eine Million Geflüchteten, die weiterhin in der Türkei an der Grenze zu Europa oder in griechischen Lagern ausharren, oder gar eine Lösung für das von einem reaktionären Stellvertreter*innenkrieg zerrissene Syrien – das stand und steht weiterhin überhaupt nicht zur Debatte.
Menschenverachtende Vereinbarung
Die Ergebnisse des Paktes sind ein zynischer Schlag ins Gesicht für hunderttausende Menschen, die an den europäischen Grenzen scheitern: Alle Geflüchteten, die seit Sonntag neu in Griechenland ankommen, werden ab Anfang April zurück in die Türkei geschickt – es sei denn, sie gelten offiziell als in der Türkei verfolgt. Diesen Status werden aber die allermeisten Geflüchteten nicht bekommen, außer sie sind Kurd*innen, was für die wenigsten von ihnen gilt.
Legal dürfen von nun an nur noch 72.000 syrische Geflüchtete die europäischen Außengrenzen passieren. Diese sollen dann innerhalb der EU verteilt werden. Nur 16.000 von ihnen sollen nach dem EU-Asylabkommen nach Deutschland gebracht werden. Geflüchtete anderer Nationen wie Afghanistan oder Irak sind aus dem Abkommen explizit ausgenommen. Sie werden dazu verdammt, in der Türkei zu bleiben. Wenn Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) nun verkündet, dass die Debatte über „Obergrenzen“ nun beendet sei, dann hat er Recht: Die Obergrenze ist mit dem Abkommen längst eingeführt.
Das wird als humanitäre Lösung verkauft, doch selbst deutsche Leitmedien sehen durch den Schleier: „Damit das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei funktioniert, muss auf den griechischen Inseln ein Bollwerk gegen illegale Migration entstehen“, schreibt die FAZ. Die Repression wird noch weiter steigen: Geflüchtete, die unerlaubt von der Türkei zu den griechischen Inseln übersetzen, werden wieder in die Türkei verbannt.
Vorrang bei der „offiziellen Umsiedlung“ (das Kontingent der 72.000 Syrer*innen) sollen diejenigen haben, die vorher nicht versucht haben, unerlaubt einzureisen. Zynischer geht es kaum: Wer nicht ertrinkt, wird sofort wieder zurückgeschickt! NATO, Frontex und griechische Grenzpolizei werden noch weiter aufrüsten.
Parallel dazu werden die türkischen Repressivkräfte noch stärker Geflüchtete an der Überfahrt hindern. So sind seit Freitag schon mehr als 3000 Geflüchtete an der Überfahrt nach Griechenland gehindert worden. Alleine im türkischen Bezirk Dikili in der Provinz Izmir seien am Samstag fast 2000 Migrant*innen in Gewahrsam genommen worden, berichtete der Sender CNN Türk am Sonntag.
Der Pakt mit der Türkei ist somit ein neuer Stein in der rassistischen Agenda des Europa des Kapitals, der noch mehr Wasser auf die Mühlen der rechtspopulistischen und faschistischen Tendenzen in verschiedenen europäischen Ländern gibt, allen voran Deutschland selbst.
Pakt mit dem Schlächter Erdogan
Schon bisher hat das unterdrückerische türkische Regime eine Schlüsselrolle dabei gespielt, den Strom von Geflüchteten aus Syrien und anderen Ländern vor den Toren Europas aufzuhalten. Das weiß die türkische Regierung, und das wissen die europäischen Machthaber*innen. Dementsprechend hatte die deutsche Regierung, unter anderem Innenminister Thomas de Maizière, auch die Devise ausgegeben, dass man Verständnis dafür haben sollte, wie die Türkei ihre „inneren Angelegenheiten“ regelt, statt sich als „Schiedsrichter“ aufzuspielen. Im Klartext: Solange die Türkei dabei hilft, Geflüchtete vom Weg nach Europa abzuhalten, ist der blutige Krieg der Türkei gegen die kurdische Bevölkerung kein Problem.
Doch damit nicht genug: Im Gegenzug für die Unterstützung bei der rassistischen und fremdenfeindlichen Abschottung der europäischen Außengrenzen wurden weitere Geldsendungen an das Erdogan-Regime vereinbart, außerdem Visa-Erleichterungen und eine Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen. Mit diesem Deal wird Erdogan innen- und außenpolitisch gestärkt. Und kann sich nun in Ruhe für eine neue Offensive gegen das kurdische Volk rüsten.
Merkel-Krise überwunden?
Die Abstimmung in Brüssel fiel einstimmig aus. Ist Merkel also doch nicht so isoliert in Europa, wie monatelang behauptet wurde? So einfach ist die Antwort nicht. Denn es gibt zwei große Haken: Zum Einen wird die Obergrenze von 72.000 Geflüchteten, die von nun an legal nach Europa einreisen dürfen, zu weiteren humanitären Katastrophen an den europäischen Grenzen führen. Zum Anderen sollen die 72.000 Menschen „freiwillig“ innerhalb der europäischen Staaten verteilt werden. Die meisten EU-Mitglieder haben aber schon längst Aufnahmestopps verhängt und es ist völlig unklar, ob die vereinbarte Verteilung zustande kommen wird. Die „europäische Lösung“ bleibt also rein kosmetisch.
Innenpolitisch ist Merkel dennoch vorübergehend gestärkt. Trotz des Fiaskos bei den kürzlichen Landtagswahlen hat sich Merkel vorübergehend durchgesetzt. Selbst einige innerparteiliche Kritiker*innen von Merkels Kurs schwenken nun auf die offizielle Regierungslinie ein.
Gleichwohl bleibt Merkel weiterhin durch CSU-Chef Horst Seehofer und vor allem durch die Alternative für Deutschland (AfD) unter Beschuss. Aber Merkel scheint eine vorübergehende Synthese gefunden haben: Hinter ihrer „europäischen Lösung“ versteckt sich wie oben schon erwähnt nichts anderes die Einführung einer Obergrenze für Geflüchtete, wie es von rechts immer gefordert wurde.
Trotzdem kann nicht die Rede davon sein, dass die Regierungskrise nun vorbei ist. Die AfD ist bundesweit bei 13 Prozent konsolidiert und befindet sich nach den Landtagswahlen im Aufwind. Ein Großteil ihres rassistischen Programms zur Geflüchtetenkrise hat die Bundesregierung inzwischen umgesetzt. Die Rechte kann sich nun darin bestärkt sehen, die Regierung weiterhin vor sich herzutreiben – während die nächste humanitäre Katastrophe an den europäischen Außengrenzen nur eine Frage der Zeit ist. Das Pulverfass bleibt scharf.