Merkels letztes Aufgebot: Mit Macron zur europäischen Armee?
Am Dienstag forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Rede vor dem Europaparlament eine europäische Armee. Heiße Luft oder das letzte Aufbäumen des Merkelismus für mehr Unabhängigkeit von den USA?
Am Samstag feierten Angela Merkel und Emmanuel Macron im französischen Compiègne gemeinsam die Unterzeichnung des Waffenstillstands zum Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Nur drei Tage später hielt Merkel heute vor dem Europaparlament ein Plädoyer für eine europäische Armee. Es ist schon bemerkenswert, wie das Ende eines blutigen imperialistischen Kriegs als Argument für die Schaffung einer neuen Kriegsmaschinerie herhalten darf: „Eine gemeinsame europäische Armee würde zeigen, dass es zwischen den europäischen Ländern nie wieder Krieg gibt“, erklärte Merkel in Straßburg.
Vergangene Woche schon hatte Emmanuel Macron eine „echte europäische Armee“ gefordert, um mehr Unabhängigkeit von den USA zu erlangen. Auch wenn abzuwarten bleibt, ob die Vorstellungen des französischen Staatsoberhauptes völlig kompatibel sind mit Merkels Vision einer solchen Armee, könnte sich eine Veränderung der deutsch-französischen außenpolitischen Beziehungen anbahnen. Denn in den vergangenen Monaten hatte die deutsche Bundesregierung konsequent alle Vorstöße aus Frankreich über die Zukunft der europäischen Beziehungen ignoriert.
Merkel betonte zwar in Straßburg, eine solche Armee sei kein Ersatz für die NATO. Doch es ist klar, dass es sich mit einer eigenen Armee um die Schaffung einer größeren militärischen Unabhängigkeit von den USA handelt. Wie wir in der Vergangenheit schon des öfteren analysiert haben, ist gerade die militärische Schwäche des deutschen Imperialismus im Vergleich zu anderen Großmächten eine der größten Hürden dafür, dass Deutschland eine noch stärker hegemoniale imperialistische Politik anstreben kann, und damit den USA oder China gewachsen wäre. Denn das deutsche „Exportwunder“ ist langfristig nur mit einer auch militärisch aggressiveren Außenpolitik aufrechtzuerhalten. So schlug Merkel auch einen europäischen Sicherheitsrat mit etwa zehn wechselnden Mitgliedern vor und forderte eine stärkere Zusammenarbeit der europäischen Rüstungsindustrie und eine „gemeinsame Rüstungsexportpolitik“. Mehr noch als um Waffen geht es aber um geostrategische Interessen: Ein Deutschland, das keinerlei eigene militärische Stärke zeigt, wird auf einem chaotischen internationalen Parkett wie dem heutigen auf Dauer nicht ernst genommen.
Teile des deutschen Kapitals applaudierten ihr prompt. Das Handelsblatt nannte Merkels Ansprache eine „große Rede“ und lobte: „Was die Kanzlerin zur künftigen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik sagte, war so noch von keinem deutschen Regierungschef vor ihr zu hören.“
Der neue Schulterschluss zwischen Merkel und Macron kommt zu einer Zeit, in der die Kanzlerin am politisch schwächsten Punkt ihrer Karriere steht, und kann somit als ein letztes Aufbäumen des Merkelismus gesehen werden – ein europäistisches Projekt gegen den erstarkenden Protektionismus auch in den Reihen der Unionsparteien, aber ebenso eine stärkere Abgrenzung gegen die USA. Ein Versuch, das eigene Vermächtnis zu stabilisieren, gegen diejenigen, die es – innerhalb und außerhalb der Partei – von rechts torpedieren.
Gerade im Hinblick auf die Merkel-Nachfolge ist diese Frage spannend: Während Annegret Kramp-Karrenbauer in letzter Zeit ebenfalls in dieselbe Kerbe geschlagen hatte wie Merkel heute, ist Friedrich Merz‘ Position nicht ganz eindeutig: Auch wenn er ebenfalls eine stärkere europäische Verteidigungspolitik gefordert hat, wirbt Merz für eine Rückkehr zu einer stärkeren Anbindung an die USA. Nicht umsonst ist er Teil des Netzwerks „Atlantik-Brücke“. Gleichwohl ist damit nicht unbedingt eine Anbiederung an Donald Trump zu verstehen – Merz wird in den Medien ja eher als diejenige Person gehandelt, die Trump am ehesten die Stirn bieten könnte –, sondern im Sinne eines stärkeren Alleingangs Deutschlands auf europäischer Ebene und einer Rettung der deutsch-amerikanischen Handelsbeziehungen für spätere Zeiten, spätestens wenn die Demokratische Partei irgendwann wieder das Ruder in der Hand hat.