Merkel rekrutiert den ägyptischen Diktator, um Geflüchtete aufzuhalten

06.03.2017, Lesezeit 5 Min.
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Die Bundeskanzlerin verhandelt neue Maßnahmen mit Ägypten und Tunesien. Als Gegenleistung für wirtschaftliche Unterstützungen will sie damit Geflüchtete stoppen.

Bundeskanzlerin Merkel besuchte Ägypten am 2. März zum ersten Mal seit zehn Jahren, um die diplomatischen Beziehungen zu der Al-Sisi-Regierung zu verbessern. Gleichzeitig sprach das Berufungsgericht Hosni Mubarak aller Schuld frei. Angeklagt war er wegen der Ermordung Hunderter Demonstrant*innen während des Arabischen Frühlings. Ein Bild, das mehr als Tausend Worte sagt.

Die Regierung Al-Sisi wiederum gelangte durch einen Staatsstreich im Juli 2013 an die Macht. Merkel unterließ beim Treffen jegliche Kritik an der systematischen Repression, den Festnahmen und Folterungen, die seitdem überall im Land stattfinden. Stattdessen versicherte sie dem ägyptischen Präsidenten und Militärdiktator: „Es geht darum, dass wir alles verhindern, damit die Schlepper und Schmuggler keine Möglichkeit bekommen, eine weitere Fluchtroute nach Europa zu etablieren.“

Ägypten reiht sich damit neben der Türkei in den „Club“ repressiver Regimes ein, die durch die Europäische Union rekrutiert wurden, um als Grenzschützer*innen die europäischen Außengrenzen vor der Einreise von Geflüchteten zu sichern.

Tags darauf ging es für die Kanzlerin weiter nach Tunesien. Dort unterzeichnete sie ein Abkommen zur „beschleunigten Rückführung“ abgelehnter Asylbewerber*innen nach Tunesien. Im Gegenzug erhöht sich die „Entwicklungshilfe“ auf 250 Millionen Euro – wieder ein schmutziger Deal.

Repression in Ägypten

Zwischen Juli und August 2013, kurz nach dem von Al-Sisi angeführten Staatsstreich, wurden bei Protesten mehr als 1.000 Demonstrant*innen durch die Repression von Militärs und Polizei umgebracht. Seitdem sind Massenfestnahmen, Verschwindungen, Folterungen und Ermordungen durch den Staat Alltag.

Jaled al Balshi, ein Vertreter der Journalist*innengewerkschaft Ägyptens, wurde kürzlich zu zwei Jahren Gefängnisstrafe verurteilt. Jeden Tag gibt es neue Berichte von festgenommenen Journalist*innen, viele haben das Land verlassen.

Am 25. Januar 2016, zum fünften Jahrestag der Erhebungen auf dem Tahrir-Platz, verschwand der italienische Student Giulio Regeni in Kairo. Einige Tage später wurde er leblos und voller Folterwunden gefunden. Giulio arbeitete an seiner Doktorarbeit an der Cambridge University und untersuchte in Ägypten die unabhängige Gewerkschaftsbewegung während des Arabischen Frühlings. Gemeinsam mit seinen Freund*innen startete seine Familie vor einem Jahr den Kampf für die Verurteilung der Schuldigen, doch der Staat weigert sich, die Spuren zu veröffentlichen und verdeckt die Straftat. Polizei und Geheimdienste waren an der Entführung und Ermordung des italienischen Studenten beteiligt. Berichten zufolge wurde selbst Al-Sisi über die Folter von Giulio und später über seine Ermordung informiert.

Frankreich, Großbritannien, die USA und andere imperialistische Länder haben enge diplomatische Beziehungen mit dem Al-Sisi-Regime aufgebaut. Zahlreiche Delegationen mit Unternehmer*innen bereisten in den vergangenen Jahren das Land aus Interesse an Geschäften in Ägypten.

2016 erlaubte die Bundesregierung den Export von Militärgütern im Wert von mehr als 400 Millionen Euro nach Ägypten, das zudem Maschinen, Autos und Medikamente importiert. Am ersten Tag des Besuchs weihten Merkel und Al-Sisi eine neue Elektronikfabrik ein, die von Siemens und dem ägyptischen Orascom-Konzern zu gleichen Teilen betrieben wird. Damit setzten sie ein Zeichen für die Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Die ägyptische Regierung erhielt vor wenigen Wochen einen Kredit über elf Milliarden Euro vom Internationalen Währungsfonds (IWF) im Austausch für einen umfassenden Sparplan, der die Entwertung des Pfundes beinhaltete und damit zum Lohnabfall und der Senkung der Lohnkosten führte.

Migrationskrise und Bundestagswahlen

Merkel befindet sich wenige Monate vor den Bundestagswahlen im September, wo sie einer komplizierten Situation gegenübersteht. Diese ist geprägt vom Erstarken der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) auf der einen Seite, auf der anderen vom dem Aufstieg des sozialdemokratischen Koalitionspartners SPD in den Umfragen.

Teile der CDU wollen das christdemokratische Programm weiter nach rechts rücken, um die AfD-Sympathisant*innen für sich zu gewinnen. Zu diesem Plan gehören die Abkommen mit Ägypten und anderen Ländern, die auf den EU-Türkei-Deal folgten. Ziel ist die Absicherung der europäischen Grenzen. Diese rechten CDU-Teile fordern auch die Einstufung Tunesiens, Algeriens und Marokkos als sichere Herkunftsstaaten, wie schon gegenüber zahlreichen Balkanstaaten geschehen. Die Asylanträge können dann schneller abgelehnt und die Geflüchteten aus diesen Ländern abgeschobe werden.

Vor einer Woche beschloss Merkels Kabinett eine weitere Verschärfung der Asylgesetze, um die Rechte der Geflüchteten zusätzlich einzuschränken und unter anderem ihre Handys durchsuchen zu können sowie Abschiebungen zu vereinfachen.

Merkel und die Chefs der EU geben vor, sich angesichts der fremdenfeindlichen und aggressiven Forderungen von Donald Trump im „demokratischen“ Lager zu befinden, doch sie teilen seine migrant*innenfeindliche und rassistische Politik, was sich besonders in den Deals mit repressiven Regimes wie Ägypten und der Türkei zeigt.

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