Merkel: Mit warmen Worten in die kapitalistische Katastrophe
Von Dienstag auf Mittwoch sind die Zahlen der bestätigten COVID-19-Infektionsfälle in Deutschland um fast 30 Prozent auf circa 12000 angestiegen. Eine Entwicklung, die durchaus mit dem Verlauf der Epidemie in Italien vor etwas mehr als einer Woche vergleichbar ist. Doch in ihrer Ansprache am Mittwochabend kündigte Merkel keinen umfassenden Notfallplan an, sondern rief vor allem zum Stillhalten angesichts umfassender Einschränkung demokratischer Rechte auf.
Auch wenn Merkel selbst keine weiteren Maßnahmen verkündete: In Bayern ist heute in zwei weiteren Gemeinden eine Ausgangssperre verhängt worden und Ministerpräsident Söder droht mit einer Flächendeckenden Sperre für das ganze Bundesland.
Merkel verglich die aktuelle Krise mit der Nachkriegszeit, um sämtliche Maßnahmen zu rechtfertigen und die Bevölkerung hinter dem nationalen Interesse zu vereinen. (Mit der Zeit also, die es dem deutschen Kapital ermöglichte, trotz eines expansiven Raubzugs und Genozids wieder zu einer zentralen Macht in Europa aufzusteigen):
Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.
Sie spricht dabei von „solidarischem Handeln“, meint letztlich aber eine Ideologie des Friedens zwischen den Klassen im Kampf gegen einen äußeren Feind. In diesem Fall also gegen eine Epidemie, die das Wirtschaftswachstum – und nebenbei auch Menschenleben – gefährdet.
Drastische Vorkehrungen sind angesichts der exponentiellen Ausbreitung des COVID-19-Erregers durchaus notwendig – aber von den kapitalistischen Staaten werden aktuell Notfallpläne eingeleitet, die vor allem die Konzerne retten sollen. Und zwar aus einer wirtschaftlichen Krise, die sich auch ohne Coronavirus bereits seit Monaten abzeichnete. Während bereits in mehreren europäischen Ländern Ausgangssperren verhängt wurden, soll die Wertschöpfung in Fabriken und Büros möglichst um jeden Preis aufrechterhalten werden – egal, ob es sich dabei aktuell wirklich um notwendige Arbeit handelt. Schulen und Kindergärten schließen aber Eltern sollen dennoch weiterarbeiten. Dabei ist selbst Home Office unter solchen Umständen nur schwer möglich. Ganz zu schweigen von Arbeiter*innen, die trotz Seuchengefahr in großen Fabriken schuften sollen.
Beschäftigte in Krankenhäusern sind aktuell nicht nur besonderen gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt, sie stehen auch unter einem enormen moralischen Druck, ihre Arbeit zu machen und die bisherigen Verfehlungen der Regierung nicht zu kritisieren. Gleichzeitig wird in dieser Krise klar, wie notwendig ihre Arbeit für das tägliche Funktionieren der Gesellschaft ist. Doch statt Maßnahmen zur Verbesserung der Situation in den Krankenhäusern, hat Merkel ihnen vor allem warme Worte anzubieten:
Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit zu aller erst an alle wenden, die als Ärzte oder Ärztinnen, im Pflegedienst oder in einer sonstigen Funktion in unseren Krankenhäusern und überhaupt im Gesundheitswesen arbeiten. Sie stehen für uns in diesem Kampf in der vordersten Linie. Sie sehen als erste die Kranken und wie schwer manche Verläufe der Infektion sind. Und jeden Tag gehen Sie aufs Neue an Ihre Arbeit und sind für die Menschen da. Was Sie leisten, ist gewaltig, und ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das deutsche Gesundheitssystem auch unter Merkel immer weiter Sparzwängen und Profitlogik unterworfen wurde. Nicht umsonst gab es in den vergangenen zehn Jahren immer wieder Bewegung an Krankenhäusern gegen Personalmangel und Überlastung. Dazu kommt, dass viele Krankenhausbeschäftigte an Subfirmen ausgelagert werden, um Tarifverträge zu unterlaufen.
Während sogar der Spanische Staat zur temporären Verstaatlichung von Privatkliniken greift, wird in Deutschland der grenzwertige Normalzustand trotz Krise beibehalten: Die Krankenkassen erklären sich zwar bereit, die Kosten für die Corona-Behandlung zu übernehmen (Wie gütig von ihnen!) aber die Behandlungen in Deutschlands Krankenhäusern sollen weiter nach dem sogenannten DRG-System abgerechnet werden. Also mittels „Fallpauschalen“, die einen bestimmten Geldbetrag pro Diagnose vorsehen – und damit massiven Druck auf die Kliniken ausüben, Patient*innen nach einer festgelegten Anzahl von Tagen zu entlassen, unabhängig von ihrem tatsächlichen Gesundheitszustand.
Statt einem Burgfrieden im Interesse der Kapitalist*innen, der die Corona-Epidemie wie eine unvermeidliche Naturkatastrophe hinnimmt, brauchen wir jetzt einen Notfallplan im Interesse aller Patient*innen und Arbeiter*innen: Umstellung industrieller Produktion auf notwendige Produkte wie Beatmungsgeräte, Schutzkleidung, Desinfektionsmittel. Verstaatlichung der dafür notwendigen Fabriken und Forschungseinrichtungen, sowie aller privaten Kliniken und eine konsequente Bezahlung nach Tarifverträgen für alle Klinikbeschäftigten.