Melilla, Griechenland und Europas Krieg gegen Geflüchtete
Wieder häufen sich Nachrichten von brutalen Push-Backs an den europäischen Außengrenzen. Zeitgleich wird eine stärkere Militarisierung der „Festung Europas“ durch die NATO vorbereitet. Der Imperialismus führt einen Krieg gegen Geflüchtete, die er selbst verursacht hat.
Die Abschottung Europas fordert wieder das Leben von Menschen, die auf der Suche nach einem besseren Leben und auf der Flucht vor Armut und Verfolgung sind. Beim Versuch von etwa 2.000 Menschen, in europäisches Gebiet zu fliehen, sind am vergangenen Freitag mindestens 37 Geflüchtete in der nordafrikanischen Stadt Melilla ums Leben gekommen, die zum spanischen Staatsgebiet zählt. Sie wurden im Gedränge zerdrückt und sind beim Sturz vom Grenzzaun zwischen Marokko und dem Spanischen Staat gestorben. Statt Hilfe zu leisten, misshandelten marokkanische Sicherheitskräfte – finanziert durch die EU – die Körper der Toten, schlugen verletzte Menschen und ließen diese stundenlang auf der Erde liegen. In Griechenland wurden derweil Fälle bekannt, bei denen Geflüchtete dazu gezwungen wurden, andere Migrant:innen an der Grenze zurückzudrängen. Als Druckmittel fungierte dabei die Drohung mit Abschiebungen oder das Versprechen von Aufenthaltspapieren.
Alle wissen um die tausenden ertrunkenen Geflüchteten in Mittelmeer und Atlantik und niemand ist mehr überrascht über die Brutalität der Push-Backs und die humanitäre Notlage in den Geflüchtetenlagern an den europäischen Außengrenzen. Und auch in Melilla wurden bereits in der Vergangenheit Fälle bekannt, in denen Geflüchteten gewaltvoll abgewehrt worden waren. Doch obwohl die Abgründe der EU-Grenzpolitik bekannt sind und schon lange bestehen, erreicht der blutrünstige und erbarmungslose Abschottungsmechanismus – angesichts einer politischen Zeitenwende, die sich durch eine massive Aufrüstung und militärische Konfrontation auszeichnet – einen neuen Charakter.
Denn fast zeitgleich zu den Geschehnissen in Melilla werden reaktionäre strategische Konzepte wie die Aufrüstung der NATO-Eingreiftruppe auf 300.000 Soldat:innen vorbereitet, die auf dem NATO-Gipfel am 29. und 30. Juni in Madrid beschlossen und in Osteuropa fest an der Grenze zu Russland stationiert werden soll. Neben der Ukraine setzt die NATO einen weiteren Schwerpunkt auf südeuropäische Grenzregionen. Als Begründung dieser militärischen Intervention an den europäischen Außengrenzen wird, wie La Izquierda Diario berichtete, auf den zunehmenden Einfluss Russlands und Chinas im Maghreb und in der Sahel-Zone sowie auf die Gefahr des dschihadistischen Terrorismus und andere hybride Bedrohungen wie die Cyber-Kriegsführung verwiesen. Doch vor allem soll die Militarisierung der Grenzen, die nebenbei erwähnt auch ein lukratives Geschäft für einige Konzerne bedeutet, dafür sorgen, dass die geopolitischen Interessen der imperialistischen Länder gewahrt und die Einwanderung von unerwünschten, illegalisierten Migrant:innen bekämpft wird.
Die Ereignisse von Melilla stehen also für die Verschmelzung des europäischen Migrationsregimes und einer imperialistischen Außenpolitik. Die imperialistische und ausplündernde Politik der G7- und NATO-Staaten wird noch viel mehr Menschen die Lebensgrundlage nehmen. Viele Menschen aus Vorderasien und afrikanischen Ländern werden aufgrund von Kriegen, künstlich herbeigeführten Hungersnöten und der von Großkonzernen verursachten Klimakrise ihre Heimat verlassen müssen. Um die Außengrenzen gegenüber diesem steigenden Druck noch wehrhafter zu machen und Geflüchtete zuverlässig abzufangen, werden neben den militärischen Vorkehrungen durch die NATO weitere Verschärfungen bei der Grenzsicherung durch eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vorbereitet. Diese beinhaltet unter anderem die Einführung spezieller Screening-Verfahren, die de facto eine systematische Haft an den EU-Außengrenzen bedeuten können.
Eine große Rolle im strategischen Bündnis gegen die Migration spielt der Spanische Staat, der ein besonderes Interesse an der Verhinderung illegalisierter Migration hat und hierfür auch politischen Druck auf seine Bündnispartner ausübt. Als Ausgleich für den Aufbau von NATO-Stützpunkten im Spanischen Staat und den intensivierten Einsatz spanischer Soldat:innen in den baltischen Staaten, fordert die Regierung aus PSOE (Sozialdemokratische Partei) und Unidas Podemos (Linksbündnis) die Unterstützung bei der Abwehr von Geflüchteten. Deutlich wird dies auch an der Reaktion von Pedro Sánchez (PSOE), Ministerpräsident des Spanischen Staates, auf das Massaker in Melilla. Sánchez, der die Bekämpfung illegaler Migration noch stärker ins Zentrum des NATO-Strategieplans rücken will, lobte die gute Zusammenarbeit mit den marokkanischen Sicherheitskräften und konstatiert eine gelungene Abwehr eines Angriffs „auf die territoriale Integrität des Landes“.
Angesichts der Verstrickung von imperialistischen Interessen und der militärischen Abwehr von Migration reicht es nicht aus, die Morde der Festung Europas als humanitäre Katastrophen oder Fehler zu begreifen. Die Abwehr von ungewollten Migrant:innen an den Außengrenzen ist rassistisch, gleichzeitig aber auch eng an das Regime des europäischen Arbeitsmarktes und außenpolitische Interessen gekoppelt. Das zeigt auch die Ungleichbehandlung ukrainischer Geflüchteter in Deutschland. Sanktionen gegen die Gewalt bei den Push-Backs, wie sie FDP und Grüne nun vorschlagen, oder Ermittlungen im Fall Melilla durch die spanische Justiz reichen nicht aus, um solche Geschehnisse zukünftig zu verhindern.
Auch DIE LINKE unternimmt keine ernsthaften Versuche, ihre auf dem Papier festgeschriebenen Ziele gegen Abschiebungen und Frontex und für sichere und legale Einreisemöglichkeiten umzusetzen. Die Botschaft ihres Parteitags, der während der schärfsten Krise der Partei am vergangenen Wochenende stattfand, war hinsichtlich der Militarisierung nichts anderes als ein „Weiter so“ des Kurses der Ampelregierung. Sie entzieht sich der Aufgabe, gegen die Aufrüstung und Militarisierung des Grenzregimes zu mobilisieren. Doch nur durch groß angelegte Proteste und internationale Streiks gegen Inflation, Aufrüstung und Militarisierung und durch die Herausforderung der Gewerkschaftsführungen, sich für die Vertretung von Geflüchteten als Teil der Arbeiter:innenklasse einzusetzen, kann die Abschaffung der Grenzregime letztlich erkämpft werden.