Meine Uni zeigt mich an wegen Palästinasolidarität
Warum das Unipräsidium der verlängerte Arm der Staatsraison ist und wie es anders sein könnte. Begleitet mich zum Prozess am 12. Dezember in Berlin!
Auf ihrer Website schmückt sich die FU Berlin gerne mit dem Erbe der 68er Studierendenbewegung. Der marxistische Student und Aktivist Rudi Dutschke wird als „Ikone“ gekürt, der eine „herausragende Rolle bei der Planung und Umsetzung von Protestaktionen und der Implementierung von Diskursen“ spielte. Das ist die gleiche Universität, die heute ihre eigenen Studierenden vor Gericht zerrt, weil sie demokratisch gegen den anhaltenden Genozid am palästinensischen Volk protestiert haben – ein Genozid, der von der deutschen Regierung vehement unterstützt wird und der auch von unserer Universität mitgetragen wird. Für die FU ist Protest auf dem Campus also durchaus legitim – so lange er schön weit weg in der Vergangenheit liegt.
Pfefferspray, Gehirnerschütterungen und Anzeigen statt Dialog
Im Mai diesen Jahres versuchten Studierende, inspiriert von der Studierendenbewegung in den USA, ein Protestcamp an der FU Berlin zu errichten. Ich erinnere mich, wie ich an dem Tag das Geschehen gespannt auf der Arbeit über Social Media verfolgte. Ein halbes Jahr lang waren unsere Feeds überflutet gewesen mit den unerträglichen Bildern aus Gaza, während der moralische Bankrott der deutschen Regierung und Medien sich im Kontrast glasklar zu erkennen gab. Und der Universitätsbetrieb? Lief weiter, als ob nichts wäre. Nun bewegte sich endlich was. Über 500 Studierende hatten sich spontan dem Protest angeschlossen und auch ich entschloss mich, abends zum Camp zu fahren, um es zu unterstützen. So weit kam es jedoch erst gar nicht, da die Universitätsleitung direkt die Polizei rief und die brutalste Räumung in der Geschichte der FU durchsetzte. Die Polizei pfefferte Kommiliton:innen in den Gängen ihrer eigenen Universität direkt ins Gesicht, viele trugen Gehirnerschütterungen, Prellungen und Stauchungen davon. Und als ob das nicht genug wäre, wurden mindestens 80 Studierende von der Universitätsleitung angezeigt – alles, weil sie versucht hatten, eine demokratische Versammlung an ihrer eigenen Universität abzuhalten.
Nach diesem prägenden Ereignis begann ich, mich regelmäßig am FU Palästinakomitee zu beteiligen. Im Juli wagten wir mit dem Komitee ein zweites Protestcamp, dieses Mal mit Anmeldung auf dem öffentlichen Grund vor dem Henry-Ford-Bau der FU Berlin (ein Bau, der übrigens den gleichen Namen trägt wie der bekannte Antisemit und Großkapitalist Henry Ford und dessen Umbenennung die Universität konsequent verweigert, um der Ford Foundation nicht auf die Füße zu treten). Wir beteiligten uns auch mit Waffen der Kritik am Protestcamp, das demokratisch einen Forderungskatalog aufstellte und an die Universitätsleitung richtete. Nachdem diese uns drei Wochen lang konsequent ignoriert hatte, beschlossen wir, mit einer Hörsaalbesetzung auf uns aufmerksam zu machen. Alsbald kreuzte dann auch die Universitätsleitung auf und bemühte sich, dialogbereit zu erscheinen. Auch sie hatte ihre Lehren aus der Theaterhofbesetzung im Mai gezogen: Zahlreiche Universitätsangestellte aus ganz Deutschland hatten die Einschränkung des demokratischen Rechts auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie die brutale Räumung in einem offenen Brief scharf kritisiert.
Im Gespräch mit Vertreter:innen der Studierenden zeigte sich die Universitätsleitung jedoch nicht mal zu minimalen Zugeständnissen bereit. Weder wollte sie die Anzeigen gegen Studierende aus früheren Protesten fallenlassen, noch die Hörsaalbesetzung über Nacht dulden – beides Entscheidungen, die sie unmittelbar auf der Stelle hätte treffen können. Stattdessen entschied sie sich, abermals die Polizei auf die Studierenden zu rufen und diese aus ihrer eigenen Universität abführen zu lassen. So kommt es, dass ich nun mit unzähligen Kommiliton:innen vor Gericht stehe. Vorwurf: Hausfriedensbruch. Andere trifft es noch härter: Manchen wird schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen, anderen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, weil sie zum Beispiel instinktiv die Hand gehoben haben aus Schutz gegen einen auf sie einprügelnden Polizeibeamten. Solche Anzeigen können zu einem Eintrag ins Führungszeugnis führen, der verheerende Folgen für die Berufslaufbahn haben kann. Für Studierende ohne gesicherten Aufenthaltsstatus kann eine Anzeige auch den Verlust von Visa oder die Abschiebung bedeuten. All das nimmt die Unileitung in Kauf.
Aufruf zur Prozessbegleitung
Achtung! Ort geändert!
Donnerstag, 12. Dezember 2024, 8:30 Uhr | Vor dem Amtsgericht Tiergarten, Turmstraße 91, 10559 Berlin
Begleitet mich zu meinem Gerichtsprozess, bei dem ich von meiner eigenen Universität wegen Palästinasolidarität angeklagt werde. Zeigen wir dem Staat und der Uni: Wir lassen uns nicht einschüchtern, wir lassen uns nicht spalten! Unsere Solidarität ist stärker als ihre Repression!
Die Komplizenschaft der Universitätsleitung
Die Universitätsleitung argumentiert gerne damit, dass man sich nun mal an die Spielregeln halten müsse. Wenn sie uns einen Hörsaal überlässt, dann müsste sie das ja auch für eine Gruppe AfD-Studis tun, wenn sie das verlangten. Mit dieser Logik zieht sich das Präsidium komplett aus jeder politischen Verantwortung und tut so, als hätte es selbst keinen Handlungsspielraum. Als Studierende im Rahmen einer Vollversammlung zur Klimakrise 2019 den gleichen Hörsaal besetzten, wurde dies eine Woche lang geduldet. Die Universitätsleitung ist also durchaus imstande, ihren Spielraum im Hausrecht auszuschöpfen. Ob sie das bei einem Protest gegen den Genozid oder auch bei einer AfD-Versammlung tut, ist also eine aktive politische Entscheidung.
Dass das Präsidium im Umgang mit der studentischen Palästinabewegung mit einer Mischung aus Repression, Beschwichtigung und Rückgratlosigkeit aufgefallen ist, liegt jedoch nicht nur an persönlichen moralischen Defiziten der einzelnen Amtsträger:innen. Anders gesagt: Andere Köpfe im Präsidium hätten nicht zu einem grundsätzlich anderen Umgang mit der Palästinabewegung geführt. Denn die Leitung der Freien Universität wird weder vom Großteil der Universitätsangehörigen gewählt, noch vertritt sie ihre Interessen. Nur der akademische Senat kann Kandidat:innen für das Präsidium vorschlagen, die dann vom erweiterten akademischen Senat gewählt werden. In beiden Gremien besitzen Professor:innen die absolute Mehrheit. Die große Mehrheit der Universitätsangehörigen – Studierende, akademische und nicht-akademische Angestellte sowie outgesourcete Reinigungs- und Unterhaltskräfte – haben also faktisch kein Mitspracherecht dabei, wie ihre Universität geführt wird.
Ein solch undemokratisches Präsidium – das hat sich in den letzten vierzehn Monaten immer wieder gezeigt – ist in erster Linie darum bemüht, die Beziehungen zur Regierung, die eisern an der Staatsraison festhält, nicht zu gefährden. Diese Unterordnung ist notwendig, um auch unsere Forschung in den Dienst der profitorientierten deutschen Wirtschaft zu stellen. So hat das Präsidium auch wiederholt zugelassen, dass die Polizei auf Anweisung des Berliner Senats eigenmächtig auf Universitätsgelände eingedrungen ist (beispielsweise bei der kürzlich erfolgten offenen Versammlung an der FU oder auch bei der Besetzung der HU im Mai) und dass regelmäßig Zivilpolizist:innen auf dem Campus herumziehen. So lange die Bundesregierung an ihrer Staatsraison festhält und entgegen dem Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung weiter Waffen an Israel liefert, so lange ist auch der Spielraum einer solch undemokratischen Universitätsleitung im Umgang mit der Palästinabewegung stark begrenzt.
Für eine freie Universität und ein freies Palästina
Auf kurze Sicht ist es richtig, weiterhin Druck auf das Präsidium auszuüben in der Hoffnung, ihm zumindest minimale Zugeständnisse abzuringen wie das Fallenlassen aller Anzeigen. Der Kampf gegen Repression ist ein wichtiger Teil des gesamten Kampfes für ein freies Palästina. Denn die Repression wird vom Staat (und von der Universitätsleitung, die vor ihm einknickt) gezielt eingesetzt, um die Bewegung zu spalten und zu zermürben. Dieser Sabotage müssen wir uns mit all unserer Solidarität und Fürsorge entgegenstellen.
Gerade für neu politisierte Genoss:innen kann der Kampf gegen die Repression einen niederschwelligen Einstieg in die Bewegung ermöglichen, mit dem sie gleichzeitig einen unschätzbaren Beitrag zur Erhaltung und Stärkung ihrer Kampfkraft leisten. In diesem Sinne sollte auch das Bündnis Hands Off Student Rights von einem reinen Überbaubündnis zu einem Komitee umgebaut werden, in dem sich nebst Vertreter:innen von Gruppen auch einzelne Studierende und Beschäftigte organisieren können.
Lasst uns unsere Genoss:innen vor Gericht begleiten, aber auch den Kampf gegen die Repression in die breite Studierendenschaft tragen. Es ist klar, dass die Repression gerade die palästinasolidarische Bewegung am stärksten trifft, da sie sich ganz direkt gegen die mörderische Außenpolitik des deutschen Staates und seiner Machtinteressen stellt. Doch die Maßnahmen, die heute an der palästinasolidarischen Bewegung erprobt werden, können und werden morgen gegen AfD-kritische Studis eingesetzt werden. Der Kampf gegen Rechts kann nicht getrennt werden vom Kampf für ein freies Palästina.
Auf längere Sicht müssen wir jedoch auch einsehen, dass diese Unileitung unsere weitergehenden Forderungen im Kampf für ein freies Palästina niemals erfüllen wird, solange sie als Zahnrädchen im System des deutschen Staates funktioniert. Weitergehende Forderungen, wie die Einführung einer demokratisch kontrollierten Zivilklausel oder den Abbruch der Beziehungen mit Universitäten auf völkerrechtswidrig besetztem Gebiet, können nur von einer Universität unter demokratischer Kontrolle der Studierenden und Beschäftigten umgesetzt werden.
Heute sehen viele Studierende die Universität nicht als einen Ort an, den sie aktiv mitgestalten können, oder wenn, dann im sehr begrenzten Rahmen von vereinzelten Freiräumen. Um die Komplizenschaft der Universität mit dem Genozid in Gaza und mit Imperialismus und Kriegstreiberei weltweit zu beenden, müssen wir jedoch der Universitätsleitung ihre Führung streitig machen.
Das passiert nicht von heute auf morgen, aber Vollversammlungen der Studierenden und Beschäftigten sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Wir müssen an unseren Unis darauf hinarbeiten, Organe der demokratischen Selbstorganisierung aufzubauen, damit niemand mehr unsere Forschungsarbeit missbrauchen kann, um Zivilist:innen zu bombardieren; damit wir selber bestimmen können, was wir lernen und lehren wollen; damit niemand mehr um deren Job oder Studienplatz bangen muss, weil sie:er sich kritisch gegenüber der Regierung geäußert hat. Erst dann wird die „Freie Universität“ tatsächlich ihren Namen verdient haben.
Zum Weiterhören:
Podcast über Selbstorganisierung und revolutionäre Strategie