Mein Name ist Ausländer. Mein Name ist Semra Ertan.
Am 24. Mai 1982 verbrannte sich die Lyrikerin Semra Ertan aus Protest gegen die rassistischen Verhältnisse.
Semra Ertan kam 1972 aus Mersin in die Bundesrepublik Deutschland, wo ihre Eltern als Arbeitsmigrant:innen lebten. Sie wollte eine Ausbildung zur technischen Zeichnerin absolvieren. Doch der rassistische Normalzustand in der BRD machte ihre Pläne zunichte. Der Alltag war geprägt von Erniedrigungen, Rassismus und Ausbeutung. In ihrer Hoffnungslosigkeit unternahm Semra Ertan mehrere Selbstmordversuche. Doch sie wollte den Normalzustand nicht akzeptieren. Sie kämpfte gegen Rassismus, Stigmatisierung und für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Sie demonstrierte in Hamburg und Kiel gegen Nazis auf der Straße und im Parlament.
Semra Ertan begann schon früh ihre Wut und Verzweiflung in Gedichten nieder zu schreiben. In über 350 Texten schilderte sie ihr Leben und ihre Erfahrungen als migrantische Arbeiterin in Deutschland. Es geht um Leid, Wut, Liebe, Hoffnung, Freundschaft, Gleichberechtigung und Widerstand. Sie wollte die Öffentlichkeit aufrütteln, mit allen Mitteln.
Kurz vor ihrer Selbstverbrennung begann Semra Ertan einen Hungerstreik. Am 24. Mai 1982 verbrannte sich die Aktivistin an einer Straßenkreuzung in St. Pauli, aus Protest gegen den unerträglichen Rassismus in Deutschland. Zwei Tage später starb sie mit 25 Jahren an den Folgen der Verbrennungen. In einer Erklärung an die Öffentlichkeit kündigte Semra Ertan die Aktion zuvor dem NDR und ZDF an.
Bis zu ihrem Tod fand sie als Migrantin keinen Verlag, der ihre Werke veröffentlichen wollte. Im Dezember 2020 wurde posthum ein Teil ihrer Gedichte als Buch veröffentlicht. Es trägt den Titel „Semra Ertan: Mein Name ist Ausländer, Benim Adım Yabancı“. Wir veröffentlichen das zentrale Gedicht “Mein Name ist Ausländer” über Arbeit, Rassismus und das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei sowie das Gedicht “Genug” über den vereinten Widerstand.
Semra Ertan konnte in Worte fassen, was nur schwer in Worte zu fassen ist. Ihre Gedichte sind wichtige Zeugnisse des rassistischen Alltags in Deutschland.
Mein Name ist Ausländer
7. November 1981
Mein Name ist Ausländer,
Ich arbeite hier,
Ich weiß, wie ich arbeite,
Ob die Deutschen es auch wissen?
Meine Arbeit ist schwer,
Meine Arbeit ist schmutzig.
Das gefällt mir nicht, sage ich.
„Wenn dir die Arbeit nicht gefällt,
geh in deine Heimat“, sagen sie.
Meine Arbeit ist schwer,
Meine Arbeit ist schmutzig,
Mein Lohn ist niedrig.
Auch ich zahle Steuern, sage ich.
Ich werde es immer wieder sagen,
Wenn ich immer wieder hören muss:
„Suche dir eine andere Arbeit.“
Aber die Schuld liegt nicht bei den Deutschen,
liegt nicht bei den Türken.
Die Türkei braucht Devisen,
Deutschland braucht Arbeitskräfte.
Mein Land hat uns nach Deutschland verkauft,
Wie Stiefkinder,
Wie unbrauchbare Menschen.
Aber dennoch braucht sie Devisen,
Braucht sie Ruhe.
Mein Land hat mich nach Deutschland verkauft.
Mein Name ist Ausländer.
Genug
18. Februar 1977
Hey Bauern,
Hey Angestellte,
Hey Studienfreunde.
Was wollen wir,
Worauf warten wir,
Unser aller Wunsch ist der gleiche.
Wir alle wissen es.
Genug,
Unserer ermordeten Geschwister.
Genug,
Unserer weinenden Mütter.
Genug,
Unserer in der Fremde vegetierenden Landsleute.
Lasst uns dem endlich ein Ende setzen.
Mit jenen, die den Staat wie Puppen tanzen lassen,
Die faschistischen Machthaber,
Wer von uns isst Nahrung, wer von uns trinkt Wasser,
Steine essen wir, Blut trinken wir,
Machen wir Schluss
Mit diesem Drama.