Mehrdimensionale Klassenkämpfe und der US-Bürgerkrieg
In den Amerikas wurde der Kapitalismus auf der Grundlage der Sklaverei errichtet. Der Kampf gegen die Sklaverei war ein Teil des Klassenkampfes. Ein Gastbeitrag von Joseph „Lil Joe“ Johnson.
Bild: Toussaint Louverture, Anführer der haitianischen Revolution
Die Geschichte der Politik ist eine Geschichte der Klassenkämpfe. Die Schlacht Klasse gegen Klasse ist ein Kampf um politische Herrschaft und die Konfrontation zwischen den Klassen spielt sich als offene, politische Kriegsführung ab, die umgangssprachlich „Politik“ genannt wird. Revolutionäre Klassenpolitik findet statt, wenn eine aufsteigende Klasse ihre herrschende Klasse zu stürzen versucht – das heißt, wenn die aufsteigende Klasse die herrschende Klasse zu ersetzen und ihre eigene Klassenherrschaft zu errichten versucht. Dieser Sturz der herrschenden Klasse durch die aufsteigende Klasse – in anderen Worten der revolutionäre Konflikt in der politischen Arena einer Gesellschaft – spielt sich gewaltsam ab, denn, wie es Frederick Douglass formuliert hat, „Macht gesteht nichts ohne Forderung zu.“
Ein historisches Beispiel für einen revolutionären Klassenkampf in den Amerikas ist das der französischen Kolonie Haiti, eine Revolution, die mit der Französischen Revolution in Europa zusammenfiel. Die kapitalistische Warenproduktion durch Sklavenarbeit fand auf der karibischen Kolonie Frankreichs im Kontext des französischen Kolonialreichs und der radikalen bürgerlich-republikanischen Revolution statt, die durch Frankreich fegte. Ihre Ideologie: die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Das französische Kolonialreich war tief erschüttert. Die Pariser Sansculotten (das Proletariat und das Kleinbürger*innentum der Stadt) schlossen sich in der Pariser Kommune zusammen und bildeten die soziale Macht hinter der radikalen jakobinischen Fraktion im Nationalkonvent – die Linke – und dem Wohlfahrtsausschuss.
Der mit Toussaint Louverture verbundene Sklavenaufstand auf Haiti stürzte die auf Besitzsklaverei basierenden Produktionsbeziehungen. Dies fiel mit dem von den Bauern*Bäuerinnen unterstützten bürgerlichen Sturz der feudalen Sozialbeziehungen in Frankreich zusammen, die vom französischen Landadel und dem hohen Klerus dominiert gewesen waren. Auch wenn die haitianische Revolution in der Karibik ebenso wie die Französische Revolution das feudale Europa erschütterte, sie beide republikanische politische Ziele verfolgten und die radikalen französischen Jakobiner*innen Ersterer wohlwollend gegenüberstanden, hatten die haitianischen Sklav*innen und die französische Bourgeoisie ökonomisch betrachtet nichts gemein.
Die Selbstemanzipation auf Haiti erforderte einen Krieg der nationalen Befreiung und Unabhängigkeit. Was den revolutionären Charakter des haitianischen Unabhängigkeitskriegs bestimmte, war also der Klassencharakter der Sklav*innen, die das Produktionsverhältnis der Besitzsklaverei durch die Zerschlagung der Sklavenhalterklasse beseitigte. Gleichzeitig stürzte die französische Bourgeoisie den durch die Monarchie repräsentierten französischen Landadel und zerstörte das französische Feudalregime.
Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse im Süden der USA besaßen den Anschein von „Rassenverhältnissen“. Dies war der Fall, weil der transatlantische Sklavenhandel von der britischen industriellen Kapitalist*innenklasse dominiert wurde und er in deren Interesse stattfand; das britische Empire rivalisierte mit dem französischen Kolonialreich. Gefangene afrikanische Sklav*innen waren fester Bestandteil des transatlantischen Dreieckshandels menschlicher Waren. Sie wurden von afrikanischen Händlern als Handelsgut für industriell und in Lohnarbeit hergestellte Waren aus Großbritannien verwendet. Diese afrikanischen Sklav*innen, die hauptsächlich von afrikanischen Sklavenhandelsstaaten gefangen genommen wurden, wurden als zu handelnde Waren im Dreieckshandel betrachtet. Deshalb wurden diese gefangengenommenen afrikanischen Sklav*innen gehandelt und dann aus Westafrika importiert, um in den Amerikas gegen Geld verkauft zu werden. Wie Marx notierte:
Während sie die Kindersklaverei in England einführte, gab die Baumwollindustrie zugleich den Anstoß zur Verwandlung der früher mehr oder minder patriarchalischen Sklavenwirtschaft der Vereinigten Staaten in ein kommerzielles Exploitationssystem. Überhaupt bedurfte die verhüllte Sklaverei der Lohnarbeiter in Europa zum Piedestal [Sockel] die Sklaverei sans phrase [ohne Hülle] in der neuen Welt.
Und an anderer Stelle:
In dem Grade aber, wie der Baumwollexport zum Lebensinteresse jener Staaten, ward die Überarbeitung des Negers, hier und da die Konsumtion seines Lebens in sieben Arbeitsjahren, Faktor eines berechneten und berechnenden Systems.
Die politische Struktur der USA war eine Einheitsfront 1. der landwirtschaftlichen Kapitalist*innen, die eine auf Besitzsklaverei und Außenhandel basierende Produktionsweise vertraten, 2. industriellen Kapitalist*innen des Nordens, die eine auf Lohnsklaverei fußende Produktionsweise repräsentierten, und 3. den Handelskapitalist*innen. Politische Interessen repräsentieren Klasseninteressen, die sich im ideologischen Kampf von Klasse gegen Klasse ausdrücken. Jene Klasseninteressen werden sowohl in Presse und Medien, wie auch im Parlament verfochten. Insofern die kapitalistische Warenproduktion via Besitzsklaverei in der Verfassung der USA festgeschrieben worden war, fand sich die Verfassung selbst Angriffen der politischen und ideologischen Vertreter*innen des auf der Ausbeutung von Lohnarbeit basierenden nördlichen Industriekapitals ausgesetzt.
Die haitianischen Revolutionär*innen profitierten von der Französischen Revolution und den nachfolgenden revolutionären Kriegen in Europa (in denen sich die französische Republik in den sogenannten Napoleonischen Kriegen gegen die allgemeine europäische feudale Reaktion verteidigte). Die haitianischen Sklav*innen stürzten die Produktionsverhältnisse der Sklaverei und zerstörten das Sklavenhaltersystem. Gleichzeitig kämpften sie als kolonisierte Haitianer*innen und errangen Haitis Unabhängigkeit von Frankreich. Dies ermöglichte der sklavenhaltenden Fraktion in der Regierung der kürzlich unabhängig gewordenen Vereinigten Staaten aus der internationalen Situation Gewinn zu schlagen und französisches Territorium in Nordamerika zu erwerben. Dies war der Louisiana Purchase.
Von ihrer Entstehung an waren die Vereinigten Staaten eine föderale Republik vereint unter einer bürokratisch-militärischen Zentralregierung. Die britischen kolonialen herrschenden Klassen waren die Handelskapitalist*innen überall in den 13 Kolonien; sie entwickelten sich in die industriellen Kapitalist*innen, die die nördlichen Kolonien dominierten, und die landwirtschaftliche herrschende Sklavenhalterklasse, die die südlichen Kolonien beherrschten. Diese Struktur kolonialer herrschender Klassen war vor und nach dem erfolgreichen Unabhängigkeitskrieg dieselbe. Mitte des 19. Jahrhunderts jedoch war die Klasse der Plantagenbesitzer*innen des Süden gezwungen, sich abzuspalten und eine neue Regierung zu formieren, die als die Konföderierten Staaten von Amerika bekannt wurden.
Der US-amerikanische Bürgerkrieg war ein Krieg zwischen Staaten, der aus dem Konflikt zwischen zwei Arten der Warenproduktion resultierte: Produktion durch Lohnarbeit im Norden (vertreten durch die neu geschaffene Republikanische Partei) und Produktion durch Besitzsklaverei in den Südstaaten.
In der Französischen Revolution waren die industrielle Bourgeoisie gemeinsam mit dem Proletariat und der Bauernschaft gegen die französische Monarchie und den Adel vereint. Was den US-amerikanischen Bürgerkrieg betrifft, so war es nicht die europäische Bourgeoisie, sondern das europäische Proletariat, das sich mit den Interessen der Sklav*innen in den Amerikas gemeinmachte. Die Internationale Arbeiterassoziation befürwortete eine Einheitsfront der US-amerikanischen Lohnsklav*innen mit den Besitzsklav*innen, um für die Abschaffung der Lohnarbeit gemeinsam mit der Besitzsklaverei zu kämpfen. Im ersten Band des Kapitals argumentierte Marx gegenüber weißen Lohnarbeiter*innen: „Die Arbeit in weißer Haut kann sich nicht dort emanzipieren, wo sie in schwarzer Haut gebrandmarkt wird.“ Die US-amerikanische Sektion der Internationalen Arbeiterassoziation meldete sich freiwillig für die Unionsarmee und nahm am Bürgerkrieg teil.
Die Mehrheit der aus dem Süden stammenden Demokraten traten aus dem Senat und dem Repräsentantenhaus aus, um die Regierung der Konföderierten zu bilden. Die Konföderation hatte ihre eigene Armee, die mit Offizieren besetzt war, die die US-Armee verlassen hatten. Die Republikanische Partei vertrat die Industriestaaten des Nordens, wurde zur alleinigen Macht im Kongress und der präsidentiellen Verwaltung und besaß ebenfalls eine eigene Armee – die Unionsarmee.
Der US-amerikanische Bürgerkrieg war ein Klassenkampf, der durch einen politischen Kampf zwischen Klassen repräsentiert wurde, die zwei objektiv gegensätzliche Formen der kapitalistischen Warenproduktion und der Aneignung von Arbeit vertraten. Der Krieg führte zu einer Invasion und Zerstörung der Konföderierten Staaten von Amerika und einem Eroberungszug der Unionsarmee. Wie Abraham Lincoln sagte: „Jedes Haus, das in sich uneins ist, wird nicht bestehen.“
Die ökonomischen Grundlagen und die zugehörigen politischen Interessen der Plantagenwirtschaft des Südens und diejenige der industriellen Wirtschaft des Nordens schlossen sich gegenseitig aus. Die Sezession des Südens oder dessen Unterwerfung durch die Unionsarmee waren die einzigen Alternativen.
Eines der politischen Ergebnisse des US-amerikanischen Bürgerkriegs war die Emanzipationsproklamation, die durch Zusätze zur Verfassung legalisiert wurde. Die Proklamation fand als politisches Dokument in seiner Erklärung zur Befreiung der Sklaven nur auf diejenigen Staaten Anwendung, die sich von den Vereinigten Staaten abgespalten hatten. In anderen Worten: es war eine Erklärung derjenigen Klasse, die den politischen (Klassen-)Kampf beherrschte.
Der US-amerikanische Bürgerkrieg führte zur Zerstörung der kapitalistischen Warenproduktion durch Besitzsklaverei als vorherrschende Modus der Aneignung in den Vereinigten Staaten. In Folge dessen wurden vormalige Sklav*innen zu Pachtfarmer*innen unter anderen Produktionsverhältnissen und einer anderen Form der Ausbeutung, auf demselben Land, das sie zuvor als Sklav*innen bewirtschaftet hatten. Die Landbesitzer*innen behielten ihr Land, auch wenn ihnen die Sklavenarbeiterschaft entzogen war. Pachtfarmer*innen pachteten die Ländereien von den ehemaligen Sklavenbesitzer*innen. Ihre ehemaligen Besitzer*innen banden die Pachtfarmer*innen durch Schulden an das Land, indem sie behaupteten, sie hätten Werkzeug und Zubehör „geliehen“, und zwangen sie so, weiterhin für sie zu arbeiten. Aus diesen einmal emanzipierten Sklaven*Sklavinnen, die zu Pachtfarmer*innen geworden waren, entwickelte sich sowohl im Süden als auch im Norden ein landwirtschaftliches sowie industrielles Proletariat.
Den Landbesitzer*innen des Südens war durch die Abschaffung der Besitzsklaverei ihre menschliche Produktivkraft entzogen. Nichtsdestoweniger behielt und monopolisierte diese Kapitalist*innenklasse weiterhin das Eigentum am produktiven Land. Auf dieser Grundlage veränderte sich im Süden der Modus der Aneignung der von der produzierenden Klasse geschaffenen Güter. Auch wenn die Arbeit, die Pachtfarmer*innen und Besitzsklav*innen leisteten, dem Anschein nach identisch waren, insofern sie mit denselben Werkzeugen dieselbe Arbeit taten, waren die zugehörigen Produktionsverhältnisse rechtlich und sozial verschieden. Nehmen wir das Beispiel einer Reihe von Baumwollpflücker*innen. Das Produkt der Arbeit der Besitzsklav*innen gehörte automatisch den Sklavenbesitzer*innen, die auch das Land besaßen. Die ehemaligen Besitzsklav*innen waren nun legal „frei“, also niemands Besitz mehr, und jede*r besaß sich selbst. Weil sie jedoch keine Produktionsmittel besaßen, blieben diese rechtlich freien Personen nichtsdestoweniger materiell bzw. ökonomisch durch die Kraft der Notwendigkeit gezwungen, das Land der ehemaligen Sklavenhalter*innen als pachtende Leibeigene zu bewirtschaften. Sie blieben Angehörige der produzierenden Klassen.
Dieser Gastbeitrag erschien erstmals am 24. Februar 2020 bei Left Voice.