Mehr als eine halbe Million füllen die Straßen gegen AfD und CDU
Allein in Berlin protestierten am Sonntag 250.000 Menschen. Einige skandierten es richtig: Kein Mensch ist illegal, Bleiberecht überall!
Abgesperrte Bahnhöfe, Menschenmassen ohne Ende und eine ziemlich wacklige Gustav-Heinemann-Brücke: Vom Hauptbahnhof Berlin und der U-Bahnhaltestelle Unter den Linden wanderten Hunderttausende Menschen in Richtung Reichstagswiese, zur großen Demo gegen die CDU und ihren Zusammenschluss mit der AfD in den vergangenen Tagen. 20.000 wurden erwartet – 250.000 tauchten auf.
Über mehrere Stunden hinweg protestierten sie gegen den „Skandal“ der CDU im Bundestag, die ihren Antrag für ihren Fünf-Punkte-Plan nur mit den Stimmen der FDP und der AfD durchbringen konnte. Die Protestierenden machten klar: Keiner hat Bock auf Nazis und keiner hat Bock darauf, dass die Christdemokraten mit ihnen paktieren. Kämpferische Chöre wie „Kein Mensch ist illegal, Bleiberecht überall“ und der Klassiker „Siamo Tutti Antifascisti“ wurden von Tausenden mitgerufen.
Wie die taz zusammengerechnet hat, drückten bei dieser und weiteren Demos in ganz Deutschland seit Freitag zwischen 550.000 und 700.000 Menschen ihre Ablehnung gegen den Pakt zwischen AfD und CDU aus, darunter 65.000 in Hamburg, 44.000 in Stuttgart und 40.000 in Köln. Insgesamt waren seit Anfang Januar bis zu 1,1 Millionen Menschen auf der Straße.
Ist „Rückführungsverbesserungsgesetz“ besser als „Remigration“?
Dabei war es die letzten Wochen, Monate (und Jahre) nicht nur auf den Straßen Berlins so eiskalt, sondern auch das politische Klima ätzt sich seither mit beißender Kälte in Geist und Körper. Der Pakt der CDU und FDP mit der AfD hat eine Welle der Empörung ausgelöst und die riesigen Anti-AfD-Proteste des Vorjahres wieder ins Leben gerufen. Nicht nur in Berlin, sondern deutschlandweit und tagelang trieb es Hunderttausende auf die Straßen, um ihren Unmut gegen die Entwicklung, die von Friedrich Merz federführend angetrieben wurde, kundzutun.
Die bürgerliche Presse skandiert einen Tabubruch. Doch das Tabu, das gebrochen wurde, war laut ihnen nicht etwa ein zutiefst rassistischer Antrag im Parlament, der das Recht auf Asyl quasi aushebeln wollte, sondern dass die CDU und FDP mit der AfD paktierten – und nicht mit der SPD, Grünen und BSW. Bis heute gab es keine skandalisierende Schlagzeile über die rassistische GEAS-Reform, mit der die ehemalige Ampelkoalition auf EU-Ebene eine massive Verschärfung des Asylrechts durchgesetzt hat. Es wurde sich auch nie über die zehntausenden Abschiebungen jedes Jahr echauffiert, die von den Ampelparteien durchgeführt wurden – stattdessen konnten wir Artikel über Artikel lesen, wie rassistische Forderungen nach noch mehr Abschiebungen von offen rechten Chefredakteur:innen wie Ulf Poschardt, zionistischen Journalist:innen wie Nicholas Potter und „Expert:innen“ wie Ahmad Mansour publiziert und im Live-TV auf die Bühne gestellt wurden.
Mit dem Antrag der CDU wäre die praktisch vollständige Abschaffung des Asylrechts einhergegangen. Dieser Antrag verdeutlicht, wie tief der Rechtsruck bereits im Bundestag sitzt. Denn dieser Antrag hätte genauso gut von SPD-Spitzen wie Olaf Scholz kommen können, der noch letztes Jahr „Wir müssen im großen Stil abschieben“ propagierte oder von Annalena Baerbock, die laut ihren Worten nur mit „Bauchschmerzen“ abschieben kann – aber immer noch Zehntausende abgeschoben hat. Wenn dann auch noch eine Person wie Luisa Neubauer, Klimaaktivistin und Grünen-Mitglied, auf der Demo davon redet, dass man jetzt nicht auf „Links und Rechts“ schauen soll, sondern dass es um die Verteidigung der Demokratie ginge, muss man sich fragen: Ist eine Demokratie, in der die SPD, Grünen, BSW, FDP und sogar die Linkspartei massenhaft abschieben und das Asylrecht aushebeln, eine bessere Demokratie als die, in der die CDU und AfD das tun? Sind es nicht dieselben rassistischen Gesetze, egal ob man sie „Remigration“ oder „Rückführungsverbesserungsgesetz“ nennt?
Inés Heider, unsere Bundestagswahlkandidatin für den Wahlbezirk Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost, sagte auf der Demo dazu:
Viele tun gerade im Bundestag so entrüstet, aber sie waren bis eben selbst an der Regierung. Was haben sie dort gemacht? Genauso für eine massive Verschärfung des Migrationsregimes gesorgt! Und damit die „politische Mitte“ immer weiter nach rechts verschoben. Jetzt können Union und AfD noch offener rechts sein.
Rassistische Politik bleibt die Gleiche, egal von wem
Die Bewegung auf der Straße ist ein klarer Fingerzeig, dass es durchaus Widerstand gegen die rechte Politik von Merz und Co. gibt, aber auch gegen die Abschiebepolitik von SPD und Grünen. Der öffentliche Druck auf der Straße hat maßgeblich dazu beigetragen, dass der Merz-Antrag schlussendlich abgeschmettert wurde. Nun geht es darum, diese Bewegung auszuweiten und alle Abschiebungen zu stoppen, die rassistischen Asylgesetze wieder umzukehren und volle Bleibe- und Staatsbürger:innenrechte für alle zu erkämpfen!
Der Druck von Hunderttausenden auf der Straße zeigt klar, wo die Kraft liegt, die die Politik verändern kann: in uns und unseren Protesten. Diese Bewegung wird für jede kommende Regierung eine Hürde sein, ihre Angriffe durchzusetzen, wenn sie sich weiter mobilisiert und organisiert.
Serpil Temiz Unvar, die Mutter von Ferhat Unvar, einem von neun Getöteten des faschistischen Anschlags in Hanau, hat gestern auf der Bühne in Berlin richtigerweise gesagt:
Die Politik und die Parteien haben uns im Stich gelassen. Ich glaube nicht mehr daran, dass sie uns helfen werden. Aber wir können uns selbst helfen! Wir brauchen nur uns selbst und nur wir alleine können den Rassismus in dieser Welt wirklich beenden. Wir müssen hier bleiben, auf den Straßen und zusammenstehen, gegen Rassismus und gegen Faschismus!
Sie hat als Mutter hat am eigenen Leib erfahren, dass auf den Staat kein Verlass ist: Sie mussten eine eigene Untersuchungskommission gründen, weil die Landesregierung und die zuständige Polizei nicht zufriedenstellend aufklären konnten, wie die Polizei an diesem Abend versagte und wie der Staat sie und alle anderen Hinterblieben der neun Anschlagsopfer im Stich ließ. CDU, SPD, Grünen, Linkspartei: Sie alle ließen Serpil alleine mit ihrem Frust, ihrer Trauer und ihrer Wut.
Die Bewegung muss sich organisieren
In den letzten Jahren voller rassistischer, queer- und frauenfeindlicher Politik wurde deutlich: Die Parteien im Parlament treten nicht dafür ein, unsere Leben zum Guten zu verändern. Das Parlament ist nicht der Ort, auf den wir im Kampf gegen Rechts vertrauen können. Ganz im Gegenteil, heute ist das Parlament genau der Ort, an dem die rechten Positionen der AfD, der CDU und anderen etablierten Parteien immer mehr an Land und Zuwachs gewinnen. Sie alle bekommen unsere Stimmen, aber entscheiden über unsere Köpfe hinweg. Bestes Beispiel: Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist gegen die Lieferung von Waffen an Israel. Die Mehrheit der deutschen Parteien ist jedoch bedingungslos dafür und setzt auch ihre eigenen Interessen dabei um.
Wir hingegen haben keinen direkten Weg, uns im Parlament einzumischen, sondern müssen auf Vertreter:innen hoffen, wie uns die SPD, Grüne, FDP, BSW und Linkspartei auch auf den Demonstrationen in den letzten Monaten weismachen wollten. Doch eben genau auf die ist kein Verlass: Mit der einen Hand halten sie uns hin und mit der Anderen winken sie den rassistischen Diskurs der AfD und Co. schon seit Ewigkeiten quer durch das Parlament. Ja, auch die Linkspartei, die in der Berliner Landesregierung an der Seite von SPD und Grüne die Landeshauptstadt zur „Abschiebe-Hauptstadt“ gemacht hat.
Doch während ihre Führungen im Parlament sitzen, den Rechten die Bühne überlassen oder gar mit ihnen paktieren, haben wir in den vergangenen Tagen viele Zehntausende ihrer Basis gesehen, die gegen genau diese Politik auf die Straßen gegangen sind.
Nun gilt es, die Bewegung auszuweiten, um nicht nur die rassistischen Vorstöße von AfD, Union und FDP zu stoppen, sondern auch die rassistischen Gesetze der Ampelregierung rückgängig zu machen und offene Grenzen und Bleibe- und Staatsbürger:innenrechte für alle zu erkämpfen. Dafür muss die Bewegung sich organisieren. Wir brauchen die Einheit der Arbeiter:innen, Jugendlichen, Migrant:innen, Frauen und Queers gegen Rechts und gegen die rassistische Spaltung. Wir brauchen Streiks, Blockaden und Besetzungen, um die Rechten zurückzuschlagen. Wir brauchen Betriebsversammlungen und Vollversammlungen an den Unis, um darüber zu diskutieren, wie wir Massenabschiebungen und die Normalisierung der rechten Forderungen stoppen können, und müssen diese Fragen auch mit den Streiks im öffentlichen Dienst verbinden.
Für eine unabhängige Alternative
Im Wahlkampf stellt sich die Linkspartei als einzige Alternative zum Rechtsruck dar. Um ihren Worten Taten folgen zu lassen, muss die Linkspartei alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel für die Mobilisierung zu Protesten und Blockaden sowie deren Verteidigung gegen Polizeirepression nutzen. In der Gewerkschaft ver.di muss sie für eine Politisierung der aktuell laufenden Tarifrunden eintreten. Wir kämpfen an einer Seite mit den Linkspartei-Mitgliedern, die den Rechtsruck tatsächlich stoppen wollen, aber vertrauen nicht darauf, dass eine Stimme für die Linkspartei bei der kommenden Wahl diese Perspektive verwirklichen kann. Wir kämpfen auch mit denjenigen Mitgliedern der SPD, die für die Rücknahme der von der Ampel beschlossenen Asylrechtsverschärfungen eintreten.
Aber wir sagen ganz klar: Um unsere Forderungen wirklich zu erkämpfen, müssen wir uns unabhängig organisieren. Deshalb wollen wir eine Kraft aufbauen, die sich gegen jede Abschiebung stellt, für offene Grenzen steht und ein Bleiberecht für alle Menschen erkämpfen will. Eine Partei, die den sexistischen Forderungen der CDU Paroli bietet, die ihnen keine weiteren Angriffe auf unsere Körper erlaubt. Eine Partei, die Reichtum enteignen will, um Obdachlosigkeit und Armut abzuschaffen – weil jeder Mensch ein Leben in Würde, Sicherheit und guter Gesundheit verdient hat.
Eine Partei, die nicht im Parlament ist, weil sie mitregieren, das Elend mitverwalten oder kleine, wenige Verbesserungen in diesem System erreichen will. Sondern eine, die das Parlament als Bühne ausnutzt, um diejenigen zu erreichen, die wirklich unser Leben verändern können: Die Beschäftigten in den Krankenhäusern, den Industrien, den Bahngesellschaften, den Schulen und den Universitäten. Um ihnen an Beispielen wie heute zu zeigen: Wir sind mehr als ein paar Hundert Bonzen, die im Bundestag fast 12.000 Euro im Monat aus unseren Steuergeldern verdienen. Wir sind mehr als ein paar Hundert Nazis, die sich immer öfter und immer weiter in die Öffentlichkeit trauen und unsere Kieze mit ihrer Anwesenheit beschmutzen. Und weil wir mehr sind, können wir auch viel mehr erreichen. Stellt euch vor, das Land steht still, nur noch das Nötigste wird am Laufen gehalten: Jede:r Kapitalist:in in diesem Land würde zittern und um den eigenen Reichtum bangen. Zurecht.
Wir wollen diese Alternative nicht einfach ausrufen. Wir wollen sie aufbauen, mit jedem Beschäftigten, Erwerbslosen, Ausgebeuteten und Unterdrückten in diesem Land. Mit dieser Perspektive kandidieren wir auch mit drei Direktkandidaturen für den Bundestag. Wir wollen nicht in die Regierung, sondern wir wollen im Parlament zu allen Menschen in diesem Land sprechen können, damit sie uns hören. Damit wir ihnen eine Stimme geben können, die den Willen zum Kämpfen in ihnen erweckt. Wir wollen den Bundestag ausnutzen, um all diejenigen zu erreichen, die mit Streiks, Protesten und Blockaden dafür sorgen können, dass die rassistische Politik sofort beendet wird. Wenn kein:e Pilot:in mehr Abschiebe-Charter fliegen will, wenn kein:e Kolleg:innen mehr ihre Schüler:innen, Student:innen, Jugendlichen in Heimen und Jugendzentren abschieben lassen und Nachbarschaften sich solidarisch vor Wohnungen und Häuser stellen, die von Nazis angegriffen werden: Erst dann wird der Kampf gegen Rechts ein Ende finden können.