Mehr als 50 Menschen bei der zweiten Lesung: „Vom Widerstand zur Emanzipation“
Am 13. Januar beteiligten sich mehr als 50 Personen an der zweiten Lesung „Vom Widerstand zur Emanzipation“, die von Frauenkreise Berlin organisiert wurde. Die Aktivistin und KGK-Autorin Inés In hat ihre Abschlussarbeit „Potentiale der Theorie der Permanenten Revolution für Antikapitalistischen Antirassismus heute“ präsentiert.
Die zweite Lesung folgte der Ersten, bei der über die Geschichte und Aktualität von Rassismus und Antirassismus diskutiert und die spaltende Funktion von Unterdrückung analysiert wurde. Der Aufhänger war die weltweite Dynamik der BLM-Proteste, die sich gegen die Polizeigewalt und den strukturellen Rassismus richteten. Allerdings sind diese in den USA von der Kooptierung durch die Demokratische Partei gebrandmarkt. Diese Proteste konnten bzw. können der Autorin zufolge nur gewonnen werden, wenn sie durch die in der Theorie der Permanenten Revolution vorgeschlagene Strategie ergänzt werden. Es geht in der Theorie nicht um eine künstliche Konstruktion der Geschehnisse, sondern um die Erfassung ihrer Dynamik, ihrer emanzipatorischen Möglichkeiten sowie ihrer Grenzen.
Die Lehren des Arabischen Frühlings
In der zweiten Sitzung ging es um den Verlauf und die Lehren des Arabischen Frühlings. Unter die Lupe wurde die ägyptische Revolution genommen. Es herrschte eine revolutionäre Situation, in der es den Massen gelang, Plätze und Betriebe zu besetzen, Massenstreiks zu organisieren und letztlich die Mubarak-Diktatur zu stürzen. Allerdings konnte die Arbeiter:innenklasse weder eine revolutionäre Partei noch sowjetische Strukturen aufbauen, die essenziell wären, um den bürgerlichen Staat zu zerstören. Die demokratischen Forderungen konnten ohne das Auftreten von Selbstorganisierungsinstanzen der lohnabhängigen Massen durch bürgerliche, kleinbürgerliche oder klassenübergreifende Parteien kooptiert und letzten Endes untergraben werden. Das Resultat davon war, dass Abdelfatah El-Sisi mittels eines Putsches eine Militärregierung bildete. Diese Praxis war geprägt von zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, der Kollaboration mit imperialistischen Staaten wie den USA und Deutschland und der Eindämmung linker Opposition im Lande.
Wie die Autorin sagte, geht es bei der Bilanz nicht um eine Frage der Meinung, sondern um die Frage der Strategie zur Erreichung der Emanzipation. In ihrer Bachelor-Arbeit definierte sie die Bedeutung dieser Frage folgendermaßen:
Wenn schon im Vorhinein klar ist, dass man sich in eine Sackgasse begeben würde – weil zuvor jemand anders die Straße erkundet und es einem mitgeteilt hat – kann man sich logischerweise die für das Hinein- und wieder Hinausgehen notwendige Zeit und den Aufwand sparen.
In diesem Sinne erklärte Inés, dass die Selbstorganisierungsinstanzen, die im Arabischen Frühling nötig gewesen wären und die man heute zum Beispiel bei den Protesten in Chile oder den USA nur in geringen Mengen sieht, ihr revolutionäres Potenzial nur dann erreichen können, wenn es eine revolutionäre Partei gibt, die eine korrekte Strategie aufzeigt und umsetzt. Obwohl es eine solche Partei heutzutage nicht gibt und genau der Aufbau einer solchen politischen Kraft unsere Aufgabe ist, wies sie auf die Fortschritte hin, die in Argentinien stattfinden. Die Autorin, die sich aktuell in diesem Land befindet, sieht in der Front der Linken und der Arbeiter:innen (FIT-U) eine solche Kraft im Aufbau. Sie betonte allerdings zum Ende der Lesung die Wichtigkeit des Internationalismus als Notwendigkeit für eine erfolgreiche Strategie.
Antirassismus in imperialistischen Ländern
Der Vortrag wurde fortgesetzt mit der Analyse des Kampfes gegen den Rassismus in den imperialistischen Ländern. Die Revolte in den USA kam nicht allein wegen rassistischer Polizeigewalt zustande. Die Ermordung von George Floyd war der Auslöser, allerdings waren Covid-19, Kündigungen, Suspendierungen, Lohnkürzungen, Prekarisierung und Arbeitslosigkeit die sozialen Ursachen, von denen Schwarze, Latinos etc. überproportional betroffen waren und noch sind.
Noch nie in der Geschichte war die Arbeiter:innenklasse so global verbreitet wie heute. Sie war allerdings auch noch nie so fragmentiert wie heute. Arbeiter*innen haben also nicht zwingend das revolutionärste Bewusstsein, sondern teilweise u. a. rassistische Vorurteile, die Gründe für eine Achse ihrer Gespaltenheit ausmachen, verinnerlicht. Auf eben diese stützt sich aktuell die Bourgeoisie. Zu ihr gesellen sich Bürokratien. Die Menschen an der Spitze von Parteien und Gewerkschaften fingen schon vor über 100 Jahren an, mit Kapitalist*innen und liberal-bürgerlichen Oppositionen zu verhandeln, um sich so bestimmte Privilegien zu sichern. Im Laufe der Zeit verfestigten sich diese Positionen, sodass heute größtenteils widerstandslos das Entstehen stärkerer Bewegungen durch sie verunmöglicht wird.
Nach ihrem Vortrag diskutierten die Teilnehmer:innen über die unterschiedlichen Ideen, die von der Autorin präsentiert wurden. Zudem kamen Beiträge, zum Beispiel wurde die Illusion einer friedlichen Emanzipation durch den technologischen Fortschritt – wie es von manchen Linken heutzutage aufgeworfen wird – kritisierten. Bemerkenswert war auch die Diskussion zum bedingungslosen Grundeinkommen, welches auch im Hinblick auf eine Strategie der Emanzipation diskutiert wurde. Somit endete die zweite Lesung als ein großer Erfolg für eine tiefergehende Diskussion über die Strategie der Emanzipation, die in der deutschen Linken oftmals vermieden wird.