Massive Brände in Chile: eine kapitalistische Katastrophe
Derzeit toben riesige Bränden in Valparaíso, Chile. Ein Blick auf die Ursachen zeigt, welche zentrale Rolle kapitalistische Interessen spielen. Der Sozialismus ist notwendig, um in Einklang mit der Natur zu kommen.
Die „Erzählungen“, die verbreitet werden, um den Ursprung von Katastrophen wie dem Feuer zu „erklären“, verbergen im Allgemeinen die mächtigen Interessen, die im Hintergrund wirken. Die Brände wüten in mehreren Städten der Region Valparaíso (Quilpué, Viña del Mar) und kosteten bereits mehr als 90 Menschen das Leben. Mehr als 300 Menschen werden vermisst. Die Berücksichtigung der Interessen ist bei der Erklärung der Geschehnisse nicht nur notwendig, um diese „besser zu verstehen“. Wir sind der Ansicht, dass es notwendig ist, die Stadt und das städtische Leben vernünftig zu organisieren. Wir glauben, dass das Risiko von Katastrophen wie Bränden minimiert werden muss. Hierzu müssen wir das derzeitige kapitalistische Marktregime infrage stellen. Das aktuelle System regelt die Wohnungsversorgung, den Bau von Städten und die Landnutzung. Stattdessen sollten wir Platz machen für eine demokratische Verwaltung. Diese demokratische Verwaltung sollte auf der Grundlage von Selbstorganisationsgremien erfolgen. Dies kann nur von den Arbeiter:innen und den öffentlichen Sektoren mit einem Übergangsprogramm in einer antikapitalistischen und sozialistischen Perspektive durchgeführt werden.
Das Szenario
[Seit den 1990er Jahren hat sich der Forstsektor in der Region Valparaíso] infolge der Dynamik der regionalen Entwicklung stark verändert, was zu einem starken Nutzungsdruck auf die waldfähigen Böden geführt hat, der aufgrund der Konkurrenz mit anderen produktiven Alternativen Veränderungen in der Nutzung zur Folge hatte.
Bestimmung der Prioritäten für den Schutz vor Waldbränden in der Region Valparaíso, Chile
Die Region, in der sich die Brände ereignen, hat ein enormes wirtschaftliches, soziales und politisches Gewicht: Hier befinden sich nicht nur die beiden wichtigsten Häfen Chiles, Valparaíso und San Antonio, sondern auch der Umschlagplatz von Los Andes: Die Region als solche ist ein Knotenpunkt für den Handel über den Pazifischen Ozean, auch wenn die unmittelbare Umgebung dieser Häfen nicht direkt von den Bränden betroffen ist. Einige Statistiken verdeutlichen das Gewicht der Region: Die regionale Bevölkerung ist die drittgrößte des Landes und macht mehr als 10 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Sie trägt mehr als 9 Prozent zur regionalen Wirtschaftsleistung bei.
Darüber hinaus „befinden sich diese Waldböden zumeist in privatem, mittlerem und kleinem Besitz, wobei etwa 50 Prozent davon dem bäuerlichen Sektor gehören, entweder in mittlerem Gemeinschaftsbesitz oder in kleinem Einzelbesitz“. Die einheimische Vegetation ist zurückgedrängt. In dem von uns zitierten Artikel, der vor zwölf Jahren geschrieben wurde, heißt es:
…der vorhandene einheimische Wald, der 5,94 Prozent der regionalen Fläche ausmacht, weist einen hohen Grad an Degradation auf, da er einer intensiven Beweidung und der Gewinnung von Brennholz ausgesetzt ist, wodurch die natürlichen Formationen immer mehr zurückgehen, was besonders in den Gemeinden der Zwischensenke und des Vorgebirges der Region auffällt.
Auf der Grundlage einer Reihe von Überlegungen, die sie auf der Grundlage ihres Fachwissens angestellt haben, haben Ingenieure und ein Geograf eine Karte erstellt, in der die brandgefährdeten Gebiete rot eingezeichnet sind. Diese Karte wurde vor 12 Jahren erstellt, und es genügt, sie zu betrachten, um festzustellen, dass sie mit vielen der von Bränden betroffenen Gebiete übereinstimmt.
Karte des Brandrisikos in der Region Valparaíso, 2012. Quelle: Bestimmung der Prioritäten für den Waldbrandschutz in der Region Valparaíso, Chile. Die Karte deckt sich mit mehreren Brandherden, die derzeit sowie im Jahr 2014 in Valparaíso, betroffen waren (Quilpué, Viña).
Die Akteure, die um Land konkurrieren
In wirtschaftlicher Hinsicht steht der Forstsektor im Fokus. Kleine und mittlere Landwirte spielen in dieser Branche eine bedeutende Rolle. In den 1990er Jahren gewann sie stark an Bedeutung. Dies führte zu Veränderungen in der lokalen Ökologie. Der beschleunigte Rückgang der einheimischen Fauna ist eine direkte Folge dieser Veränderungen. Die Forstwirtschaft ist aber nicht der einzige Akteur, er steht zu anderen Branchen im Wettbewerb. Dazu heißt es in dem oben zitierten Artikel:
Was den wirtschaftlichen Wert von Waldflächen betrifft, so wird dieser stark von fünf Aktivitäten beeinflusst und steht mit diesen in Konkurrenz: Tourismus, Industrie, Bergbau, Wohnungsbau, insbesondere das Zweitwohnungswesen, und die technisierte Landwirtschaft.
Wie wir sehen, hängt unter dem derzeitigen Regime die Frage, wem das Land in einem bestimmten Gebiet gehört (Eigentum) und was auf diesem Land geschieht (Nutzung), von der Macht des Geldes und des Wettbewerbs ab. Die einfache Bevölkerung – die Arbeiter:innenklasse und die unterdrückten Schichten – kann höchstens davon träumen, ein Haus und ein Stück Land zu besitzen. Ein Traum, der immer unmöglicher wird. Oft reicht das Geld gerade noch zur Miete.
Aber das ist nicht der Fall für diejenigen, die in der Nutzung von Land und dem Bau von Häusern und allen Arten von Infrastrukturen ein großes Geschäft sehen. Wie bei einer Partie „Die Siedler von Catan“ kämpfen die Spieler:innen – also die größten Forstunternehmen, die Tourismusunternehmen, die Immobilienbesitzenden, die Bergbauunternehmen – auf dem räumlichen Schachbrett der Region Valparaíso um das größte Stück Land. Aber dieses Land ist der tägliche Lebensraum von Hunderttausenden von Arbeiter:innen, für die ihre Träume von einem besseren Leben sowie ihr Bedürfnis nach Schutz mit ihrer Wohnung und ihrem Wohnumfeld verflochten sind.
Doch für einige der „Akteur:innen“ im Streit um den regionalen Raum kann ein Brand auch eine Chance sein. In Chile ist es Immobilienunternehmen nicht einmal verboten, auf Grundstücken zu bauen, auf denen es zu Bränden gekommen ist. Die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes ist seit drei Jahren ins Stocken geraten. Es gibt also einen fruchtbaren Boden dafür, die Landnutzung zu ändern (zum Beispiel von Forstwirtschaft zu Immobilien nach einem Brand). In der Region Valparaíso gibt es laut den Daten der hier zitierten Studie eine Schicht von kleinen Waldbesitzer:innen. Es ist nicht unrealistisch, anzunehmen, dass andere, konkurrierende Gruppen versuchen könnten, Fuß zu fassen, um „das Land zu kontrollieren“. Es könnten sich auch Möglichkeiten für zwielichtige Verkäufe und ähnliche Praktiken eröffnen.
Es wurde auch vielfach untersucht, dass nach einer Katastrophe wie einem Großbrand eine Reihe von Mechanismen in Gang gesetzt werden, die dem Privatkapital zugutekommen und zu einer Synchronisierung der Interessen zwischen diesem und dem Staat führen. Dies ist unter anderem das Argument von Campos-Medina, Suazo-Pereda und Cárdenas:
Im Fall des Wohnungsmarktes […] ist der Staat für die Gestaltung der Nachfrage zuständig. Doch der private Sektor hat seinerseits einen starken Einfluss auf die vom Staat konzipierten und umgesetzten Maßnahmen. Diese Situation verschärft sich im Kontext des Wiederaufbaus nach einer Katastrophe, wo der Staat durch Instrumente wie Subventionen die Nachfrage schafft und durch weniger typische Verfahren – wie Druck von Beamt:innen auf die Betroffenen – dazu beiträgt, sie mit dem privaten Angebot zu verbinden.
Die Autor:innen des Artikels weisen darauf hin, dass „die durch die Katastrophe ausgelöste Krise eine ideale Situation für ein beschleunigtes und synchronisiertes Vorgehen von Staat und Markt darstellt und im Rahmen des Wiederaufbauprozesses zu urbanen Transformationen führt, die in einem normalen Kontext langsamer und komplexer verlaufen wären“. Sie beziehen sich dabei auf „urbane Transformationen, die konfliktbeladene Situationen wie die Vertreibung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen beinhalten“.
Die Folgen für die Bewohner:innen der Brandgebiete
In ihrem Artikel erläutern die Autor:innen die psychologischen Auswirkungen dieser Umsiedlungen auf die betroffenen Bewohner:innen:
Die symbolischen und psychologischen Aspekte sind eine unausweichliche Folge der kapitalistischen und neoliberalen Form der Vertreibung, da diese, wie wir weiter unten sehen werden, die Form eines Abstiegs und nicht einer einfachen Bewegung im städtischen Raum annimmt.
Sie zitieren Blanco, Bosoer und Apaolaza, die erklären, dass die Bewohner:innen von Katastrophengebieten „tendenziell gezwungen [sind], sich an Orte zu begeben, die weniger gut erreichbar sind, die weiter entfernt sind von den Jobs, die sie bereits haben, oder von den Gebieten, in denen sie Arbeit finden könnten, wahrscheinlich mit weniger Zugangsmöglichkeiten zu Dienstleistungszentren und mit einem Abbau der sozialen Netze, die in ihrer bisherigen Wohngegend bereits geknüpft sind.“
Auf diese Weise entstehen „Räume der Frustration, der Stigmatisierung und der subjektiven Erfahrung von Schaden, mit anderen Worten, Territorien des Abstiegs“.
Die Autor:innen untermauern diese Thesen, indem sie „zwischen 2015 und 2017 in den vom Großbrand 2014 betroffenen Hügeln der Stadt Valparaíso und in der Wohnanlage Villa El Quillay in der Stadt Villa Alemana recherchierten, wo die vom Brand betroffene Bevölkerung vertrieben wurde“. In mehreren Interviews werden diese Gefühle als Folge der Umsiedlung von Valparaíso nach Villa Alemana genannt. Wenn es so gekommen ist, dann nicht aufgrund der freien Entscheidung der Bewohner:innen der betroffenen Gebiete, sondern vor allem aufgrund des konkreten Drucks der Immobiliengesellschaften und der für die Lösung des Wiederaufbauproblems verantwortlichen Politiker:innen. Es ist nicht profitabel, in die Katastrophengebiete zurückzukehren, um diesmal die Stadt und den Wiederaufbau der Häuser nach ökologischen und katastrophenpräventiven Kriterien zu planen. Es ist lukrativer, die Armen auf „billiges Land“ umzusiedeln, auch wenn sie weit weg von allem sind.
Ein Ausweg gegen kapitalistische Koordinaten
Die Grundlagen für die Bodennutzung und Baukriterien für Städte und Wohnungen hängen von Themen wie Geldmacht, Eigentumskonzentration und Wettbewerb ab. Es überrascht daher nicht, dass die Region Valparaíso und andere Regionen des Landes trotz ihrer Geschichte und ständiger Warnungen von Fachleuten ein wahres Pulverfass darstellen. Den Kapitalist:innen des Landes ist das aber gleich. Die Leidtragenden sind die Arbeiter:innen, die Armen, Kinder und Tiere. So ist es quasi schon Tradition, dass nach einem Großbrand die Immobilienunternehmen kommen, um Geschäfte zu machen. Die vom Staat nach einer Katastrophe gewährten Subventionen fließen in ihre Taschen zurück, und die Armen werden in die Ferne geschickt.
Um dieser Situation ein Ende zu setzen, müssen die kapitalistischen, auf Privateigentum basierenden Kriterien der Landnutzung, die den Bau von Städten und Häusern sowie die Nutzung von Land bestimmen, durchbrochen werden. Es ist notwendig, angesichts des Brandes in der Region Valparaiso, Land und Ressourcen von Spekulant:innen sowie Immobilien- und Baufirmen in der Region zu beschlagnahmen. Ein Plan für den Wiederaufbau von Wohnraum und Stadtplanung sollte von Beschäftigten nach rationalen und ökologischen Kriterien erstellt werden. Dieser Plan könnte durch Notsteuern finanziert werden, die von den großen Hafen-, Tourismus- und Bergbaukonzernen, die in der Region tätig sind, gezahlt werden. Denn es sind diese Konzerne, die mit der Zerstörung der Umwelt und des menschlichen Lebensraums Millionen verdienen, die für diese Krise zahlen können und müssen.
Die Ausgangssperre und der Einsatz von Soldat:innen –Maßnahmen, die von der Regierung beschlossen wurden – nützen nichts: Es sind Maßnahmen, die nur dazu beitragen, den Umgang des Staates mit den Brandopfern zu verhärten. Sie zielen einzig und allein darauf ab, das Entstehen von Selbstorganisation zu verhindern. Deshalb sind die Beispiele der Hilfe, die von Arbeiter:innen für Arbeiter:innen entstehen können, von entscheidender Bedeutung. Ebenso sind die Ausdrucksformen der Unterstützung, die unabhängig von der Regierung und den heuchlerischen Unternehmer:innen sind, von großer Wichtigkeit. Initiativen wie das Karl-Marx-Haus in Valparaíso oder Santiago zeigen, wie wichtig unabhängige Hilfeleistungen sind. Die Bedeutung von Initiativen, von Gewerkschaften und Nachbarschaftsräten als Ausdrucksformen der Unterstützung ist an dieser Stelle besonders hervorzuheben. Sie wollen ein Bild des Chaos und der Plünderung schaffen, um zu verhindern, dass sich die Beschäftigten und die Bevölkerung organisieren, um diese Krise zu überwinden. Dabei sind es die Arbeiter:innen und das Volk, die gemeinsam in der Lage sind, echte Hilfe zu garantieren und die Häuser und die verbrannten Gebiete nach neuen Kriterien wiederaufzubauen.
Dieser Artikel erschien zuerst auf La Izquierda Diario Chile.