Massenproteste im Iran: Justizministerium brennt, Regime erschüttert

31.12.2017, Lesezeit 4 Min.
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Seit mehreren Tagen gibt es Massenproteste im Iran. Sie haben dabei sowohl ökonomische als auch politische Forderungen. Nicht umsonst ist die Parole der Stunde „Brot, Arbeit und Freiheit". Was sind die Hintergründe?

Seit Tagen gehen landesweit tausende Menschen auf die Straße, um gegen die neoliberale Politik der iranischen Diktatur zu demonstrieren. Gestern fanden Versammlungen in 20 Städten statt. In der westiranischen Stadt Dorud wurden vier Menschen von Polizeikräften erschossen. Im kurdischen Kemanschah schossen Sicherheitskräfte in die Luft. Es kam zu massiven Festnahmen wegen des „Rufens radikaler Parolen“ und zu Verletzten als die Polizei mit Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken die Demonstrationen angriff. Auch das Militär, die Sepah (Iranische Revolutionsgarden) und Basitsch-Milizen wurden gegen die Demonstrationen mobilisiert.

In Teheran wurde gestern die Universität von Polizeikräften und Militär umstellt und viele Student*innen eingeschlossen, nachdem Studierende mit Parolen wie „Arbeiter, Lehrer, Studenten vereinigt euch“ und „Nieder mit den kapitalistischen Mullahs“ lautstark durch die Straßen zogen. In der zweitgrößten Stadt des Landes, Maschhad, wurde am Donnerstag eine Demonstration von Sicherheitskräften angegriffen, als sie „Tod dem Diktatur, Tod Rohani“ Rufend in Richtung der Häuser religiöser Führer zog. Die landesweiten Proteste richteten sich auch gegen die teuren Militärinterventionen in Syrien, Libanon oder Jemen, mit dem das iranische Regime versucht, seine Position als Regionalmacht auszuweiten. In Karadsch wurde das Justizministerium von Demonstrant*innen gestürmt und in Flammen gesetzt.

Die großen Proteste sind der einstweilige Höhepunkt einer Protest- und Streikwelle, die sich gegen Entlassungen, nicht gezahlte Löhne und Renten sowie Preissteigerungen richtet. Beginn der Protestwelle bildeten im Juni die Streiks der Arbeiter*innen der 2015 privatisierten Zuckerfabrik Haft Tappeh im Süden des Landes. Sie richteten sich gegen Lohnzahlungs-Rückstände und lösten trotz ihrer gewaltsamen Niederschlagung weitere Streiks in anderen Großbetrieben aus. Der letzte Tropfen, die die jetzigen landesweiten Proteste auslöste, bildete die Beschlagnahmung von Sparvermögen durch verschiedenen Banken. Von der wirtschaftlichen Entspannung durch die Aufhebung der Sanktionen nach dem Atomabkommen 2015, welches die Reformer-Regierung von Rohani als den Ausweg aus der Krise präsentierte, ist bei den Arbeiter*innen nicht viel angekommen: Im Gegenteil.

Um den iranischen Markt attraktiver für ausländische Investitionen zu machen, gab es nach dem Abschluss des Atomabkommens massive Angriffe auf das Arbeitsrecht. Zuletzt durch das sogenannte „Praktikumsgesetz“ welche jungen Arbeiter*innen auf unbestimmte Zeit von allen Arbeitsrechten ausschließt. Sehr attraktiv für Investor*innen ist auch das harte Vorgehen gegen Gewerkschafter*innen im Iran. Unabhängige Gewerkschaften werden hart verfolgt, die meisten Figuren der Gewerkschaftsbewegung sitzen in Haft wie der Busfahrer Reza Shahabi oder werden durch repressive Maßnahmen massive unterdrückt. Rasant steigende Lebenshaltungskosten und ausbleibende Lohnerhöhungen verschärfen die Situation.

Hintergründe

Im Gegensatz zu der Massenbewegung 2009, die mehr demokratische Freiheiten forderte, greift die aktuelle Bewegung das Regime vor allen über ökonomische Forderungen an. Das macht es viel schwieriger für oppositionelle Regime-Kräfte, die Bewegung zu kanalisieren oder gar zu kooptieren. Nicht verwunderlich, dass die Demonstrant*innen diese Kräfte teilweise mit puren Klassenhass konfrontieren. Doch dieser Klassenhass richtet sich jetzt auf den Straßen auch gegen die so eng mit dem Regime verbundene iranische Bourgeoisie und Kleinbourgeoisie.

Bemerkenswert ist, dass sich die Arbeiter*innenbewegung bislang auch von reformistischen Kräften distanziert. Diese Kräfte hatten vor allem darauf gesetzt, dass mit dem Atomabkommen und dem Ende der Wirtschaftssanktionen, sich die ökonomische Lage der Arbeiter*innenklasse verbessern würde. Es ging der Regierung jedoch nicht primär um die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter*innen, sondern um die der Bourgeoisie.

Die derzeitigen Proteste begannen mit ökonomischen Forderungen. Sie radikalisierten und politisierten sich aber auch im Zuge der geradezu mörderischen Repression des iranischen Regimes sehr schnell. Auch an Diffamierungen mangelte es nicht: Außenamtssprecher Bahram Ghassemi erklärte die Proteste für eine US-amerikanische Verschwörung, Innenminister Abdulrahman Rahmani Fasli nannte die Versammlungen schlicht „illegal“. Noch dazu wurden regierungstreue Demonstrierende auf die Straßen mobilisiert.

Doch all das linderte noch nicht den Mut der Protestierenden, die sich selbst schwerbewaffneten Polizeieinheiten in den Weg stellen. Es ist möglich, dass das iranische Regime eine weitere Eskalation eingeht, sollten sich die Proteste in der bisherigen Dynamik weiterentwickeln und nicht zurückweichen.

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