Massaker an Alawiten: eines der schlimmsten Blutbäder seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien

14.03.2025, Lesezeit 9 Min.
Übersetzung: ,
1
Foto: Mohammad Bash / shutterstock.com

Am vergangenen Wochenende wurden im Rahmen der Gegenoffensive der Regierung gegen die letzten Bastionen des Assad-Regimes Hunderte von alawitischen Syrern massakriert, größtenteils von den Kräften des neuen Regimes und den mit ihm verbündeten Milizen.

Am 6. März wurden die Streitkräfte des neuen Regimes in der Region Latakia an der syrischen Küste von Pro-Assad-Loyalisten angegriffen. Die Übergangsregierung unter der Führung von Ahmed al-Charaa (auch bekannt als al-Julani), einem ehemaligen Mitglied des Islamischen Staates und von Jabat al-Nusra, reagierte sofort mit der Entsendung von Tausenden Soldaten, um die Rebellion niederzuschlagen. Auch Milizen, die der neuen Regierung treu ergeben sind und im Osten des Landes operieren, wurden in das Gebiet entsandt.

Eines der blutigsten Tötungsdelikte im Syrien-Konflikt

Die Operationen arteten schnell in ein Gemetzel aus, bei dem Soldaten und Milizen ganze Familien von Zivilist:innen – Männer, Frauen und Kinder – massakrierten, die mehrheitlich der alawitischen Gemeinschaft angehörten. Die Alawiten, die in den Küstenregionen von Latakia und Tartus, wo die Übergriffe stattfanden, die Mehrheit bilden, sind eine ethnisch-religiöse Minderheit, aus der die seit 1971 regierende Assad-Dynastie hervorgegangen ist. Diese Verbindung mit dem alten Regime erklärt, warum am Wochenende Hunderte von Alawiten von den hauptsächlich aus Sunniten bestehenden Kräften des Regimes massakriert wurden.

Die Täter haben ihre Gräueltaten gefilmt. Die Bilder sind unerträglich: Leichen, die aufgestapelt und in den Straßen verstreut liegen, Männer, die gezwungen werden, auf allen Vieren zu kriechen und zu bellen, bevor sie erschossen werden. Diese Bilder stehen in krassem Gegensatz zur Propaganda der syrischen Regierung, die sich in ihren Reden damit brüstet, die ethnischen Minderheiten des Landes schützen zu wollen und mit den blutigen Methoden des Assad-Regimes zu brechen, dessen Opfer, die in riesigen Massengräbern zusammengepfercht wurden, bis heute nicht alle gefunden wurden. In einer Fernsehansprache spielte al-Charaa die Ereignisse herunter und erklärte seine Absicht, „alle, die an dem Blutbad an der Zivilbevölkerung beteiligt waren, entschlossen und ohne Nachsicht zu verfolgen“, während er gleichzeitig andeutete, dass die Pro-Assad-Milizen oder ausländische Elemente – implizit Iraner – für die Massaker verantwortlich seien. Die Massaker richteten sich zwar überwiegend gegen alawitische Syrer:innen, lassen aber befürchten, dass die Repressionen auf alle religiösen Minderheiten wie Drusen, Christen, gemäßigte Sunniten und Schiiten ausgeweitet werden.

Seit der Machtübernahme durch die HTS (Hayat Tahrir al-Sham) sind die Alawiten Ziel zahlreicher Angriffe geworden. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (OSDH) wurden in den ersten beiden Monaten des Jahres 240 von ihnen getötet. Ebenfalls nach Angaben der OSDH wurden im Rahmen der Gegenoffensive gegen die Pro-Assad-Kräfte fast 1400 Zivilisten, mehrheitlich Alawiten, getötet. Al-Charaa verurteilte die Angriffe zwar halbherzig, ergriff jedoch keine Maßnahmen, um sie zu verhindern oder einzudämmen.

„Das Ende des Bürgerkriegs“ – wirklich?

Während die imperialistischen Mächte sehr schnell begannen, ihre Beziehungen zum neuen Regime wieder aufzunehmen und einen Teil der Sanktionen aufhoben, offenbart die HTS angesichts der Investitionsmöglichkeiten, die ein Land bietet, das 14 Jahre lang von einem reaktionären Bürgerkrieg verwüstet wurde, sein wahres Gesicht. Dies ist angesichts der ideologischen und politischen Herkunft der neuen Herren des Landes, die in irakischen Gefängnissen und in den Reihen von Daesh und Jabat al-Nusra ausgebildet wurden, keine Überraschung. Wenige Tage nach den Massakern traf Kanada am Donnerstag, den 13. März, die Entscheidung, die Sanktionen gegen Syrien zu lockern. Die Fragilität der neuen Macht ist jedoch deutlich spürbar.

Im Norden ist die Integration der halbautonomen kurdischen Institutionen in den Staat ungewiss, auch wenn die Unterzeichnung eines entsprechenden Abkommens mit den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) tendenziell auf eine Annäherung hindeutet. Diese schnelle Einigung ist das Ergebnis des enormen Drucks der Türkei, die damit drohte, eine brutale Offensive zu starten, wenn es zu keiner Einigung kommt. Abdullah Öcalans Aufruf an die PKK, die Waffen niederzulegen, hat möglicherweise ebenfalls dazu beigetragen, die Position der SDF zu schwächen und den Prozess zu beschleunigen.

Im Rest des Landes operieren weiterhin zahlreiche Milizen, die nicht mit dem neuen Regime auf einer Linie liegen. Pro-Assad-Fraktionen bleiben präsent und erhalten weiterhin Unterstützung aus dem Ausland, während der Islamische Staat im Laufe des letzten Jahres ebenso wie mehrere mit Al-Qaida verbundene Milizen an Stärke gewonnen haben. An der Grenze zum Libanon kam es im Februar zu heftigen Zusammenstößen zwischen der Regierungsarmee und der libanesischen Hisbollah. Im Süden hat Israel eine Pufferzone errichtet und führt regelmäßig Vorstöße durch, während von Israel unterstützte Drusen-Fraktionen der Unabhängigkeitsbewegung sich weiterhin gegen die Autorität der Übergangsregierung stellen.

Am Montag verkündete der Verteidigungsminister das Ende der Operation im Westen des Landes und erklärte, dass die Pro-Assad-Truppen niedergeschlagen wurden. Im Anschluss daran kündigte Ahmed al-Charaa die Einrichtung eines „unabhängigen“ Komitees zur Untersuchung der Massaker an, dem auch Vertreter:innen der Alawiten angehören und dessen Ergebnisse veröffentlicht werden sollen. Diese Initiative scheint jedoch in erster Linie darauf abzuzielen, die „internationale Gemeinschaft“ zu beruhigen und dem neuen Regime eine Fassade der Respektabilität zu verleihen, obwohl der Ausgang der Untersuchung kaum in Zweifel gezogen werden kann. US-Außenminister Marco Rubio verurteilte in einer kurzen Stellungnahme „islamistische Extremisten, einschließlich ausländischer Dschihadisten, die unschuldige Menschen in Syrien getötet haben“ ohne jedoch auf die Verantwortung der Armee oder der Regierung einzugehen.

Auf dem Weg zu einer Annäherung an die USA?

Die HTS-Gruppe wird von Washington vorerst noch als Terrororganisation eingestuft. Dies ist jedoch kein Hindernis für den Aufbau von Beziehungen zu den USA, die seit Jahren mit der SDF zusammenarbeiten, trotz ihrer losen Verbindungen zu der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die wiederum auf der US-amerikanischen Terrorliste steht.

Die USA haben ein großes Interesse daran, sich mit dem neuen islamistischen Regime zu arrangieren. Assads Syrien, das ein strategischer Verbündeter Russlands war, stellte ein großes Hindernis für die Wahrung der amerikanischen Interessen dar. Derzeit sind über 2.000 US-Soldaten in Syrien stationiert, insbesondere in Rojava und auf dem Stützpunkt Al-Tanf im Südosten des Landes, in einem von der Freien Syrischen Armee kontrollierten Gebiet.

Das neue Regime scheint in der Tat ein Mittel Washingtons zu sein, um seine Interessen voranzutreiben. Nach der Niederlage der Hisbollah im Libanon, deren Oberkommando und politischer Apparat von Israel zerschlagen wurde, hat der Sturz von Baschar al-Assad die Islamische Republik noch weiter isoliert. Andererseits ist der Zugang zum syrischen Markt ein nicht zu unterschätzender Trumpf in den Verhandlungen zwischen Washington und Saudi-Arabien, das nach Absatzmärkten sucht, da die USA Riad einen erheblichen diplomatischen Einfluss auf die libanesischen Präsidentschaftswahlen angeboten haben. Die USA haben somit ein Interesse an der Entstehung eines konsolidierten und stabilen syrischen Staates, der ihren Interessen in der Region dienen kann. Ein zerrissenes Syrien ist ein fruchtbarer Boden für das Erstarken von Daesh sowie anderer Gruppen, die ihrem Verbündeten Israel feindlich gesinnt sind.

Bisher hatten die USA auf die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) gesetzt, die sie trotz der Feindseligkeit Ankaras jahrelang finanziell und militärisch unterstützt hatten. Doch mit der Machtübernahme durch die HTS plädieren viele Stimmen im US-Establishment dafür, die Kurden aufzugeben und sich dem neuen Regime in Damaskus anzuschließen. Robert S. Ford, ehemaliger Botschafter in Syrien, plädiert in der jüngsten Ausgabe von Foreign Affairs für einen Rückzug der SDF zugunsten der HTS, dessen Führer mit dem Islamischen Staat und Al-Qaida gebrochen hat, aber vor allem engere Verbindungen zur Türkei unterhält. 

Ähnlich äußert sich Charles Lister, Analyst am Middle East Institute, der in Foreign Policy eine ähnliche Linie vertritt. Die Ausschreitungen der letzten Tage haben in Washington zwar Unbehagen ausgelöst, stellen aber kein unüberwindbares Hindernis für eine Annäherung an das neue Regime dar, das spiegelt sich auch wieder in der bürgerliche Berichterstattung die die Handlungen der Übergangsregierung immer wieder heruntergespielt oder gerechtfertigt hat .

Der syrische Bürgerkrieg ist noch lange nicht vorbei und die HTS übernimmt nun die Rolle des Assad-Regimes und begeht neue Gräueltaten, sei es bei den Massakern nach der Machtübernahme durch die HTS oder in den letzten Tagen gegen die alawitische Bevölkerung. Die Idee eines vereinten Syriens, das von Islamisten regiert wird, und nun auch vom US-Imperialismus unterstützt wird, ist keineswegs eine fortschrittliche Alternative zur ultrareaktionären und mörderischen Diktatur der Assad-Dynastie. 

Die syrischen Arbeiter:innen können sich auf keine der vorhandenen Kräfte verlassen, weder auf die letzten Regimetreuen, die bereit sind, Selbstmordoperationen zu starten, noch auf die Kräfte der HTS und seinen Milizen von Fanatikern, die in der Schule der Daesh ausgebildet wurden. Nur ein Weg der Arbeiter:innenklasse, der unabhängig vom Imperialismus und von den Gruppen ist, die mit den Regionalmächten verbunden sind, die das Gebiet unter sich aufteilen wollen – von der Türkei im Norden über Israel im Westen und den Iran im Osten bis hin zu Saudi-Arabien im Süden -, kann einen fortschrittlichen Ausweg aus der Situation finden. Dieser Ausweg muss eine klare Antwort durch Volksmobilisierungen in Solidarität mit Palästina für die Befreiung der gesamten Region vom tödlichen Einfluss des Imperialismus beinhalten. Gleichzeitig muss er sich gegen die reaktionären Regime stellen, die mit Israel und den USA zusammenarbeiten oder nur versuchen, ihre eigenen Interessen durchzusetzen.

Mehr zum Thema