Marx Is‘ Muss: Revolutionärer Marxismus oder Reformismus?

07.06.2023, Lesezeit 7 Min.
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Foto: Simon Zinnstein

An Pfingsten fand in Berlin der von Marx21 organisierte Marx Is' Muss-Kongress statt. Ein Rückblick auf offene strategische Fragen.

Über 700 Teilnehmende trafen sich in über 100 Veranstaltungen, um die zentralen Fragen der revolutionären Linken zu diskutieren: von Debatten über die aktuellen Streikbewegungen und den Krieg über die Perspektiven der LINKEN bis zu ökosozialistischen Themen und Theorieseminaren sowie internationalen Kämpfen. Offensichtlich ist, dass die Linke (sowohl die Partei DIE LINKE als auch die gesellschaftliche Linke) sich in einer Krise befindet. Seit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine vor über einem Jahr ist es nicht gelungen, eine große Bewegung auf die Straße zu bringen, die sich gegen die Aufrüstung, gegen Waffenlieferungen und gegen die Abwälzung der Krise auf die Arbeiter:innen stellt. Aber im letzten Jahr haben wir auch die massivsten Streikbewegungen seit Jahren gesehen: Hunderttausende streikten an Seehäfen, in der Metallindustrie, im Öffentlichen Dienst, bei der Post und im Verkehrssektor und in den Schulen. Die Aufgabe der Revolutionär:innen ist es, diese Bewegungen zusammenzuführen und sich mit den fortschrittlichsten Teilen zu verbinden. Ein Anspruch, den sich auch Marx21 stellt – aber gelingt es ihnen?

Marx Is‘ Muss bildet einen wichtigen Ankerpunkt in der radikalen Linken. Denn bei diesem Kongress wird offen über die Notwendigkeit von Sozialismus und Revolution gesprochen, Theorie mit Praxis verbunden und Pläne für kommende Kämpfe geschmiedet. So stand das Auftaktpodium am Freitag unter dem Titel „Sozialismus. Trotz Alledem“. Politikwissenschaftlerin Birgit Mahnkopf rief allen Anwesenden noch einmal die Dringlichkeit der Überwindung des Kapitalismus angesichts der Klimakatastrophe ins Bewusstsein.

Doch darüber, wie wir zu der notwendigen Revolution kommen, gibt es unter den Teilnehmenden beim Kongress Uneinigkeit. Das Netzwerk Marx21 arbeitet in der Linkspartei und lehnt ihre Regierungsbeteiligungen formell ab. Die Mehrheit der LINKEN steht den Regierungsbeteiligungen jedoch sehr positiv gegenüber. So treibt Marx21 seit Jahren den Aufbau einer Partei mit voran, die eben nicht gegen, sondern für Regierungsbeteiligungen steht. Es ist nicht zu leugnen, dass DIE LINKE keineswegs eine revolutionäre Partei ist, sondern – wo immer sie kann – den Kapitalismus mitverwaltet. Dementsprechend groß war das Interesse an der Veranstaltung zu „Was tun? Die Krise der Linkspartei“. Die Antworten vom Podium blieben jedoch schwach: Es wurde versucht, die Krise aus methodischen Hürden zu erklären. Bestimmt spielen diese eine Rolle dabei, wie leicht Neumitgliedern der Einstieg in DIE LINKE fällt. Aber die große Krise der LINKEN ist die Frage ihrer Ausrichtung und der Politik, die sie mitträgt. Hervorgehoben wurde der Leuchtturm der LINKEN in Berlin-Neukölln, die in einzelnen Wahlkreisen im Bezirk über 30 Prozent der Stimmen erreichten. Jedoch habe auch das nicht verhindert, dass DIE LINKE in eine Koalition mit Franziska Giffey (SPD) gegangen ist und den Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co. Enteignen begraben hat, wie es ein Marx21-Unterstützer in der Diskussion hervorhob.

Die Frage, die sich Revolutionär:innen zwangsläufig stellen müssen, wenn sie in einer reformistischen Partei arbeiten, ist: Mit welchem Ziel und auch wie lange machen wir das noch? Insbesondere, wenn der Klassenkampf von der Straße in ein solches Wahlprojekt umgeleitet wird, wie wir es seit Beginn des Jahrhunderts bei vielen (neo)reformistischen Phänomenen sehen konnten. Diese Frage wurde jedoch nur aus dem Publikum und auch dort nur sehr vereinzelt von Marx21-Unterstützer:innen aufgeworfen. Spürbar war, dass die auf den Podien vorgegaukelte Einigkeit so weder in Marx21 noch unter den anderen Kongress-Teilnehmenden herrschte. Verschiedene Flügel in Marx21 versuchen das Netzwerk in bestimmte Richtungen zu beeinflussen. Auch wenn diese Debatten nicht öffentlich ausgetragen werden, sieht man einen Flügel, der rund um Organizing eine neue „revolutionäre Realpolitik“ aufbauen will, der sich vom klassischen Reformismus nur schwer unterscheiden lässt. Andere wollen eine stärkeren Kampf um die Positionen zum Krieg innerhalb der LINKEN. Wieder andere wollen die Tradition, aus der Marx21 mal entstanden ist, wiederbeleben und stärker klassisch revolutionär-sozialistische Arbeit machen – eine klare Absage an die Linkspartei formulieren jedoch auch sie meist nicht.

Wir denken, dass es einen Bruch mit der Linkspartei braucht. Bereits in den vergangenen 15 Jahren war sie nicht fähig, den Arbeiter:innen eine unabhängige, oppositionelle, linke Antwort zu geben. Stattdessen verfolgte sie die Strategie, einfach nur noch mitzuregieren – koste, was es wolle. So verriet sie unter RRG nicht nur den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“, sondern sprach sich auch für den weiteren Ausbau des Abschiebezentrums am Berliner Flughafen aus.

Für Marx21 bleibt nun offen, wie es weitergeht.

In den Workshops zu Arbeitskämpfen wurde stets betont, dass zu radikale Forderungen Beschäftigte verschrecken würden, wir aber Mehrheiten bräuchten. Diese Trennung zwischen politischen Workshops zum Krieg, zu Theorie etc. und der Praxis, den ökonomischen Kämpfen, ist eine gefährliche Trennung. So wurde beispielsweise im Vortrag zu „Partei und Klasse: Wie entsteht Klassenbewusstsein?“ richtigerweise diskutiert, dass es das Ziel von Revolutionär:innen ist, ein politisches Klassenbewusstsein aufzubauen, und nicht nur ein gewerkschaftliches. Über die hinderliche Rolle der Gewerkschaftsbürokratie, die ebendiese Trennung immer wieder durchsetzt, wurde sich aber ausgeschwiegen.

Und wenn in der Veranstaltung zu „Weder Putin noch NATO! Warum die LINKE eine konsequente Antikriegspartei sein muss“ vom Podium aus nicht über Streiks gesprochen wird und erst aus der Diskussion wirklich deutlich wird, dass Revolutionär:innen ihre Anti-Kriegsposition nicht über Appelle an den Staat denken, findet sich hier genau diese Trennung zwischen Politik und Ökonomie wieder. Die fehlende Fokussierung auf Streiks und die hegemoniale Rolle der Arbeiter:innenklasse zeigt, dass es in Marx21 zumindest Zweifel daran gibt, dass es möglich ist, eine proletarisch-internationalistische Antwort auf die Reaktualisierung der Widersprüche der imperialistischen Epoche zu geben. Auch in die andere Richtung war die Tendenz bemerkbar, so war in Veranstaltungen zur Krankenhausbewegung und den Streiks im öffentlichen Dienst der Krieg nahezu kein Thema.

Scheinbar gibt es offene Debatten innerhalb von Marx21, auch über das Verhältnis von Bewegung und Klasse. In den gut besuchten Veranstaltungen zu Palästina gab es einen geringen Fokus auf die Arbeiter:innenklasse als Akteurin im antiimperialistischen Kampf. Häufig stand eher die allgemeine Linke oder die Bevölkerung als solches im Vordergrund.

Um die Krise der Linken zu überwinden, müssen wir klar sagen, was ist, denn das bleibt die revolutionärste Tat. Wir müssen für eine Hegemonie der Arbeiter:innenklasse kämpfen. Wir werden die Revolution nicht gewinnen, indem wir uns damit begnügen kleinteilige Forderungen aufzustellen, um in den Betriebe kleine, „gewinnbare“ Kämpfe zu führen. n. Denn um das Bewusstsein der Arbeiter:innenklasse wieder aufzubauen, ist nicht nur wichtig, Tagesforderungen irgendwie zu gewinnen, sondern in diesen Kämpfen die Selbstorganisation der Arbeiter:innen voranzutreiben und ein Programm und eine Strategie zu verankern, die auf den Bruch mit den Bossen, ihrem Staat und den reformistischen Bürokratien abzielt. Ansonsten würden wir die Arbeiter:innenklasse in die bürokratisch geführten und reformistischen Bahnen der kapitalistischen Demokratie lenken, statt sie in einer revolutionären Bewegung gegen sie zu vereinen. Heute bedeutet das, mit der Partei DIE LINKE endgültig abzurechnen und zugleich in den Gewerkschaften eine antibürokratische Strömung aufzubauen, anstatt auf die ein oder andere Weise im Windschatten der Bürokratien überwintern zu wollen.

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