Marokko rebelliert – Hintergrund der achtmonatigen Protestwelle (Teil II)

23.06.2017, Lesezeit 4 Min.
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Seit fast acht Monaten erschüttern massive Proteste Marokko. Im ersten Teil des Artikels haben wir uns mit der aktuellen Bewegung beschäftigt. In diesem zweiten Teil geht es um die Ursachen der aktuellen Proteste und der Geschichte des Widerstands in Rif.

Der Auslöser des Protestes, der Tod eines Straßenhändlers, erinnert an die Selbstverbrennung des tunesischen Händlers, welche die Massenbewegung des Arabischen Frühlings zur Folge hatte. Tatsächlich hat sich in Marokko, wo im Gegensatz zu Tunesien und Ägypten der diktatorische König Mohammed VI. nicht sein Amt verlor, seit den Protesten des Arabischen Frühlings nichts an den strukturellen Ursachen der damaligen Bewegung geändert.

Hintergrund: Soziale Anspannung und ungelöste Probleme

So fand auch 2014 eine Reihe von Kämpfen statt und im vergangenen Jahr gab es Demonstrationen von Studierenden, die gegen Kürzungen im Bildungsetat protestierten. Auch die Selbstverbrennungen, zu denen seit 2011 mehr als ein Dutzend meist als Straßenhändler*innen beschäftigte Arbeiter*innen griffen, sind ein schrecklicher Ausdruck der Verzweiflung und der Wut auf das Regime.

Zu den sozialen Problemen gehören die schlechten Löhne und der Verlust der Kaufkraft bedingt durch Preiserhöhungen von Lebensmitteln, Benzin und den Wassertarifen. Das Gesundheitssystem ist marode und die Schulen sind unterfinanziert und bieten Kindern aus den ärmeren Schichten keine Chance. Jede Form der Organisierung der Ausgebeuteten wird mit Repression bestraft, zudem ist Korruption und Willkür im gesamten Staatsapparat weit verbreitet. Zuletzt hatte die Bourgeoisie offen gefordert, demokratische Errungenschaften wie die kostenlose Bildung und das Streikrecht abzuschaffen.

Zudem macht Marokko die Nähe zu den europäischen Imperialismen zu schaffen. Noch heute haben die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Spanien durch ihre Konzerne einen großen Einfluss in der marokkanischen Wirtschaft. Zudem hat die EU zahlreiche Fischfang-Abkommen mit Marokko geschlossen, durch die europäische Fischunternehmen neue Märkte erschließen, während die Lebensgrundlage der marokkanischen Fischer*innen schwindet. Die Regierung von Marokko stellt sich in den Dienst der imperialistischen Konzerne, die mit Großprojekten wie dem Bau von Solaranlagen, der von Deutschland durchgeführt wird, Profite machen. Dafür werden die Ländereien und Häuser vieler Einheimischer problemlos enteignet. Dazu kommt, dass viele marokkanische Arbeiter*innen, die in Europa leben und ihren Familien in der Heimat Geld schicken, besonders hart von der Wirtschaftskrise getroffen wurden.

Rückblick: Eine Geschichte des Widerstands

All diese sozialen Probleme, die Armut und die Auswirkungen der Krise verstärken sich in Rif aufgrund des ländlichen Charakters der Region. Doch nicht nur das führt dazu, dass Rif, wie auch schon bei der letzten großen Protestwelle in Marokko 2011, Zentrum der aktuellen Bewegung ist.

1920 formierte sich in Rif unter Führung von Mohammed ben Abdelkrim el Khattabi der Widerstand gegen die spanischen Kolonisator*innen in dessen Folge die unabhängige Rif-Republik entstand, die bis 1926 erfolgreich gegen den spanischen Kolonialismus kämpfte. Mit Hilfe der französischen Armee wurde diese Episode des antikolonialen Widerstands blutig beendet. Die dafür verwendeten Senfgasbomben kamen übrigens aus der Weimarer Republik.

Auch nach der formellen Unabhängigkeit 1956 fanden in Rif zwischen 1958-59 Proteste gegen die Politik des neuen Regimes statt, die durch Luftschläge der jungen marokkanischen Armee und französischen Offizieren mit Napalm- und Splitterbomben besiegt wurden. Auch heute noch hat Rif eine der höchsten Krebskonzentrationen im ganzen Land.

Die Geschichte spiegelt sich in der Gegenwart wider: brutale Repression, imperialistische Unterdrückung und Unterwerfung durch die Regierung, aber auch massenhafte Bewegungen prägen die aktuelle Situation in Rif. Die neue Episode des Widerstands, die es zu unterstützen gilt, wird neue Erfahrungen und Lehren für die Ausgebeuteten und Unterdrückten in ihrem Kampf gegen Imperialismus und Kapitalismus bringen.

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