Macron wählen, um Le Pen zu verhindern?

02.05.2017, Lesezeit 6 Min.
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Die meisten bürgerlichen Medien in Frankreich und Deutschland und auch einige Linke geben für die französische Präsidentschaftswahl eine Wahlempfehlung für Emmanuel Macron. Das Kalkül ist es, so die rechtsradikale Marine Le Pen zu verhindern. Kann das gut gehen?

Ein Aufatmen geht durch Europa: Der Kandidat der „Vernunft“, Emmanuel Macron hat die erste Runde der Präsidentschaftswahlen gewonnen. Nun schickt er sich an, mit der gesammelten Unterstützung von marktradikalen, konservativen, sozialdemokratischen und teils sogar linksradikalen Kräfte gegen Marine Le Pen in den Élysée-Palast einzuziehen. Die Börsen in Paris und Frankfurt jubeln schon und auch die Kommunistische Partei Frankreichs sowie die taz, die „den Albtraum verhindern“ will, rufen dazu auf, sich hinter dem aalglatten Kandidaten der Eliten einzureihen.

Nur die Wahl zwischen Le Pen und Macron?

Macron oder Le Pen wird Präsident*in ­­­ – so viel steht fest. Das ist auch für manche Linke die Begründung, das „kleinere Übel“ zu wählen. Es stehen eben nur diese beiden Kandidat*innen zur Auswahl und eine Enthaltung würde schließlich nur Le Pen stärken. Die Wahl besteht anscheinend darin, sich von einem neoliberalen Banker oder einer Rassistin neue Angriffe gefallen zu lassen. Diese Argumentation bleibt auf der Ebene der Wahlen, ohne weitere Faktoren zu betrachten. Sie ignoriert die Möglichkeit der Arbeiter*innen und Unterdrückten, die eigene Stimme zu erheben. Gewiss wird auch im Fall einer sozialen Bewegung eine*r der beiden Präsident*in, aber eben unter ganz anderen Voraussetzungen.

Die Logik des „kleineren Übels“ argumentiert, dass es unter Macron weniger schlimm sein werde. Angesichts der Pläne von Macron sind das für Linke schon sehr bescheidene Ziele. Weniger schlimm heißt bei ihm zu Beispiel die Streichung von 120.000 Stellen im öffentlichen Dienst, die Aufrechterhaltung des Notstandes samt Repression gegen Migrant*innen und Abschiebungen sowie die Aufweichung der 35-Stunden-Woche. Gegen diese Vorhaben gilt es schon jetzt Widerstand zu organisieren. Denn weniger schlimm wird es nicht, wenn wir darauf hoffen, dass der Shootingstar der französischen Bourgeoisie schon nicht so brutal sein wird wie Le Pen. Weniger schlimm wird es nur dann, wenn es Mobilisierungen gegen die Politik der Herrschenden gibt.

Kann man denn nicht trotzdem für Macron wählen?

Nun werden manche einwenden, dass man ja trotz Widerstand gegen reaktionäre Gesetze erst einmal für Macron stimmen müsse. Aber wie soll effektiver Widerstand organisiert werden? Sollen Kundgebungen zur Stimmabgabe für Macron, aber gegen sein Programm stattfinden? Der Aufstieg des Front National kommt auch dadurch, dass sich die Arbeiter*innen, die jahrelang von den etablierten Parteien betrogen wurden, enttäuscht der Rechten zugewandt haben. Ihnen zu sagen, dass sie doch ein weiteres Mal für jemanden stimmen sollten, der sie an die Banken und Konzerne verkauft, wird sie nur weiter von der Linken distanzieren und sie dem Front National in die Hände treiben.

Der Widerstand muss sich gleichermaßen gegen die rassistische Politik Le Pens wenden, als auch gegen die neoliberalen Drohungen Macrons. Nur mit einem sozialen Programm, das die Arbeiter*innen und Unterdrückten vereint, können Angriffe der Bourgeoisie zurückgeschlagen werden. Hier liegt die Macht der Arbeiter*innen – nicht darin, den*die Bourgeois zu wählen, der*die sie am wenigsten verprügelt.

Wäre das Leben unter einer Präsidentin Le Pen für die Unterdrückten noch schlimmer? Wahrscheinlich – aber wir können sie nicht bekämpfen, indem wir Macron einen Vertrauensvorschuss geben. Eine hohe Zahl von Stimmen für Macron, bei einem Fehlen einer außerparlamentarischen Gegenbewegung, wird ihm den Rückhalt geben, seine neoliberalen Angriffe durchzudrücken. Das wird die Rassist*innen stärken, die im weiter wachsenden Verteilungskampf Migrant*innen diskriminieren wollen. Für Macron zu stimmen bedeutet, den Rechten den Boden zu bereiten. Schon in seiner Zeit als Wirtschaftsminister in der Regierung von Präsident Hollande war Macron daran beteiligt, den Notstand durchzudrücken oder die Geflüchteten in Calais brutal zu vertreiben. Je stärker Macron ist, umso stärker wird auch Le Pens Agenda durchgesetzt – ganz ohne, dass sie dafür Präsidentin werden müsste.

Wie den Widerstand organisieren?

Der linke Kandidat Jean-Luc Mélenchon von „La France Insoumise“, der in der ersten Runde der Wahlen auf 19,6 Prozent kam, schweigt sich zu einer Wahlempfehlung für die Stichwahl bisher aus. Sein Sprecher erklärte: „Keine Stimme darf an den Front National gehen.“ Mit einer Wahlempfehlung für eine*n der beiden Kandidat*innen, würde er sein Programm auch diskreditieren. Aber bisher unterlässt er es auch, zu Mobilisierung aufzurufen.

Noch am Abend des ersten Wahldurchganges hatten wütende Jugendliche ihren Protest mit der Parole „Weder Macron noch Le Pen“ kundgetan. Und auch der Präsidentschaftskandidat der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA), Philippe Poutou, hat für den 1. Mai aufgerufen, ein Zeichen gegen die neoliberalen und rassistischen Kandidat*innen zu setzen und am Tag der Wahl zu protestieren. Hier zeigt sich die Perspektive eines unabhängigen Kandidaten der Arbeiter*innenklasse, der auf Mobilisierungen setzt, anstatt auf eine institutionelle Ausrichtung.

Dies ist der Weg, den die Linken und Gewerkschaften gehen müssen, um sowohl Macron als auch Le Pen etwas entgegenzusetzen. Eine starke linke Bewegung, unabhängig von Macron, die Wahlkampfauftritte von Le Pen stört und mit sozialen und antirassistischen Forderungen auftritt, ist für den Front National ein viel größerer Schaden als eine Stimme für Macron.

Die Logik des „kleineren Übels“ hat schon in den USA bewiesen, dass sie in die Sackgasse führt. Donald Trump konnte so nicht verhindert werden. Und Hillary Clinton und Barack Obama haben beide den Wahlsieg Trumps akzeptiert. Mit dem Verweis, dass er nun mal demokratisch gewählt sei, müsse man ihn jetzt unterstützen. Im Zweifelsfall wird auch Macron weniger Probleme haben, sich hinter Le Pen einzureihen, als seine Stimme für den Schutz der Rechte von Unterdrückten zu erheben.

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