Macron verliert absolute Mehrheit – Frankreich auf dem Weg in die Instabilität

20.06.2022, Lesezeit 4 Min.
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Foto: Victor Joly / Shutterstock

Eine Niederlage für Macron in der Parlamentswahl hatte sich bereits angekündigt, doch das Ergebnis übertrifft die schlimmsten Prognosen. Die Regierung verliert nicht nur ihre absolute Mehrheit - angesichts von 46 Prozent Wahlbeteiligung hat sie damit kaum noch Rückhalt in der Bevölkerung. Damit beginnt eine große politische Krise und eine explosive zweite Amtszeit für Macron.

Mit den Parlamentswahlen am Wochenende verpasste die französische Regierung die absolute Mehrheit um Längen, mit 245 statt der notwendigen 289 Sitze. Ein Ergebnis, das Macron dazu verurteilt, aus einer schwachen Position zu Regieren und sich auf die Rechte als Bündnispartnerin zu stützen. Damit wird eine Periode tiefer politischer Instabilität eingeleitet.

Ihm gegenüber wurde das links-grüne Wahlbündnis NUPES mit 131 Sitzen zur stärksten Oppositionskraft, doch dessen Ergebnis ist weit entfernt von den Verlautbarungen des Bündnisführers Mélenchon, der noch am Freitag behauptet hatte, er könne aus der Wahl als neuer Premierminister hervorgehen. Die massive Wahlenthaltung von 54 Prozent der Wahlberechtigten ist auch Ausdruck davon, dass nicht nur Macron, sondern auch Mélonchon und sein Bündnis große Probleme haben, arme Bevölkerungsschichten und die Jugend zu überzeugen. Unter Jugendlichen bis 24 Jahren lag die Wahlbeteiligung am Wochenende sogar nur bei 29 Prozent. Dass auch Mélenchon sie nicht mobilisieren konnte hat nicht zuletzt damit zu tun, dass er für die Wahl mit bürgerlichen Parteien wie der sozialdemokratischen PS und der öko-kapitalistischen EELV paktierte.

Gleichzeitig gelang der radikalen Rechten unter Le Pen ein Durchbruch. Die Rassemblement National (RN) ist nun zweitstärkste Oppositionsfraktion mit 89 Sitzen (und sogar stärkste Einzelpartei in der Opposition). Sie konnte ihre Abgeordnetenzahl um das Zehnfache erhöhen und damit an ein historisches Ergebnis erzielen. Le Pens Partei profitiert damit vom tiefen Hass auf den Macronismus, aber auch von der Unfähigkeit der NUPES, große Teile der Arbeiter:innenklasse zu überzeugen, die sich von der RN verführen lässt.

Diese Ergebnisse versprechen eine Legislaturperiode, in der die Regierungsfähigkeit von Macron auf eine harte Probe gestellt werden wird. Inmitten eines reaktionären Krieges in der Ukraine und während sich die französische Präsenz in Afrika in einer Krise befindet, wird dies die Position des französischen Imperialismus – immerhin eine tragende Säule der Europäischen Union – auf der internationalen Bühne weiter schwächen.

In einer Krisenrede rief die von Macron im Mai ernannte Permierministerin Élisabeth Borne zum Aufbau einer „Aktionsmehrheit“ auf und setzte dabei vor allem Hoffnung auf Vereinbarungen mit der Rechten. Diese könnten jedoch schwieriger zu schließen sein als erhofft und Macron im Zweifelsfall dazu zwingen, weiter rechts zu regieren, als er es selbst will. Die konservativen Republikaner:innen mit 61 Sitzen, die ihm theoretisch zu einer Mehrheit verhelfen könnten, haben bereits angekündigt, dass sie keine Koalition mit Macron eingehen wollen.

Die Coronakrise hat den Aufwärtstrend des zwischen 2016 und 2020 ununterbrochenen Klassenkampfs vorübergehend eingefroren. Doch die neue politische Instabilität könnte im internationalen Kontext von zunehmenden geopolitischen Spannungen, einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise und Rezessionstendenzen schnell zu großen sozialen Explosionen führen. Eine Situation, in der die parlamentarische Strategie von NUPES kaum Einfluss haben würde. Zumal die Haltbarkeit des Bündnis schon bald auf die Probe gestellt werden könnte, da Fabien Roussel von der beteiligten kommunistischen Partei (PCF) bereits am Sonntagabend damit begann, sich davon zu distanzieren.

Im Gegensatz zur parlamentarischen Perspektive, die weiterhin im Mittelpunkt des Diskurses des Großteils der französischen Linken steht, ist es dringend notwendig, sich auf Kämpfe in den Betrieben und soziale Bewegungen auf der Straße vorzubereiten. Dazu braucht es eine revolutionäre Linke in der Offensive, die in der Lage ist, in die kommenden Kämpfe einzugreifen und eine Front des Widerstands gegen Macron und die radikale Rechte aufzubauen.

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