Lutte Ouvrière und die NPA im letzten Zyklus des Klassenkampfes

21.11.2022, Lesezeit 40 Min.
1
Foto: Alexandros Michailidis / Shutterstock.com

Seit 2016 hat eine neue Welle des Klassenkampfes in Frankreich begonnen. Diese ist geprägt von einer Folge großer Kämpfe und macht die politische Ausrichtung sowie die Grenzen der Organisationen der extremen Linken Frankreichs sichtbar. Zu einer Zeit, in der wir dazu aufrufen, eine neue Organisation zu gründen, die den kommenden Herausforderungen gewachsen ist, ziehen wir Bilanz.

Seit 2016 ist Frankreich in eine neue Phase des Klassenkampfes eingetreten. Sie folgt auf die sich vertiefende Neoliberalisierung des Landes, die zwischen 1995 und 2010 stattfand, welche auch die Grundlage der Krise von 2008 bildete. In Frankreich führte dies zu einer Serie von intensiven Klassenkämpfen, die verschiedene Sektoren der Arbeiter:innenklasse und der Jugend mobilisierten: 2016 gegen das „Arbeitsgesetz“ mit der Mobilisierung in wichtigen Teilen der Wirtschaft, Anfang 2018 gegen die Bahnreform und die Unireform, im Jahre 2018/19 gegen die Treibstoffsteuer und gegen die Folgen des Neoliberalismus mit den Gelbwesten und im Jahre 2019/20 gegen die Rentenreform.1

Das waren große, aufeinanderfolgende Kämpfe, die nur durch die Pandemie unterbrochen wurden. Diese französische Dynamik spiegelt Tendenzen wider, die auf internationaler Ebene auftreten. So konnten wir seit 2018 ähnliche Szenarien in zahlreichen Ländern beobachten: Angriffe, die zunächst nur gegen Teile der breiten Massen gerichtet waren, haben schnell zu großen Mobilisierungen geführt, die teilweise auch das gesamte politische Regime in Frage gestellt haben. Angefangen von der Treibstoffsteuer in Frankreich über die Erhöhung der U-Bahn-Fahrpreise in Chile bis hin zur „WhatsApp-Steuer“ im Libanon und es gibt noch viele weitere Beispiele, die in den letzten Jahren zu großen Bewegungen geführt haben.

Diese Periode der Krise ist charakterisiert durch einen Bruch der Massen mit ihren traditionellen Strukturen und dem Aufkommen neuer Phänomene rechts wie links. In Frankreich hat sich dies dadurch ausgedrückt, dass der Kampf gegen das „Arbeitsgesetz“ dazu geführt hat, dass die „peuple de gauche” (auf deutsch: das linke Volk) sich endgültig von der Sozialistischen Partei entfremdeten. Dennoch konnten viele der mit Gewalt unterdrückten Kämpfe aufgrund des Fehlens von hinreichend verankerten revolutionären Organisationen, die eine klassenkämpferische Perspektive anbieten konnten, entweder in einen institutionellen Rahmen geleitet werden oder sie liefen von selbst aus.

Während in den letzten Wochen der Streik der Raffineriearbeiter:innen von ExxonMobil und Total2 die Möglichkeiten der Ausweitung von Streiks der Beschäftigten unterstrichen hat und dieser Streik wahrscheinlich eine neue Phase des Klassenkampfes nach der durch die Pandemie verursachten Unterbrechung eröffnet hat, werden neue Kämpfe nicht lange auf sich warten lassen, in dieser von wirtschaftlicher Instabilität geprägten Situation. In diesem Rahmen erscheint uns der Aufbau einer solchen Organisation als grundlegend.

Eine solche Arbeit bedeutet auch, Bilanz zu ziehen über die Maßnahmen der zwei größten Organisationen der extremen Linken der letzten Jahre, Lutte Ouvrière (LO)3 und die NPA4. In einer solchen Bilanz geht es nicht darum, einzelne Dinge aufzuzählen, die gut oder schlecht gelaufen sind, sondern darum, eine strategische Debatte zu eröffnen, die viel zu häufig unter den Teppich gekehrt wird und das in einem Land, in dem die Traditionen der extremen Linken tief verwurzelt sind.In diesem Sinne werden wir hier auf die von LO und der NPA vertretene Politik zurückkommen und uns im Falle der NPA auf jene Politik konzentrieren, die von der Mehrheitsführung umgesetzt wurde

Eine indirekte und nur punktuelle Analyse: die Schwäche der extremen Linken

Um auf diese Politik einzugehen, muss sie paradoxerweise „indirekt“ und „punktuell“ analysiert werden. Gewiss hat LO genauso wie die NPA an den meisten Mobilisierungen der letzten Jahre teilgenommen. Gleichwohl kann man sich kaum an prägende Interventionen, der von diesen Organisationen angeführten Streiks und Demonstrationen, oder an kühne politische Maßnahmen erinnern, die in den Bewegungen seit 2016 durchgeführt wurden.

Das war nicht immer so, in den 1970er-Jahren haben sowohl LO als auch die Ligue communiste révolutionnaire (auf deutsch: „Kommunistisch revolutionäre Liga“), die Vorgängerorganisation der NPA, an bedeutenden Streiks teilgenommen und diese auch angeführt, wie zum Beispiel bei Renault, bei der PTT (in etwa das Äquivalent der damaligen Bundespost der BRD in Frankreich, Anm. d. Übers.), der Pariser Nahverkehrsgesellschaft (RATP) und der Nationalen Eisenbahngesellschaft (SNCF). Sie haben auch, was vor allem auf Seiten der Liga ausgeprägt war, offensive Politiken zur Unterstützung von Streiks geführt, wie vor allem der Streik bei SFAC-Batignolles (1971)5 und der LIP (ab 1973)6. Trotz des Rückgangs an Klassenkämpfen in Frankreich in der Zeit nach 1968 und der Regierung unter Mitterand und dem Linksbündnis haben diese beiden Organisationen eine aktive Rolle in der Politik der Arbeiter:innenkoordinierung in den Jahren zwischen 1986 und 1995 gespielt – Lutte ouvrière hat sogar eine Koordinierung zwischen verschiedenen Servicebereichen anlässlich des Streiks der Eisenbahner:innen von 1986 etabliert und beide Organisationen haben in der Studierendenbewegung interveniert („mouvement Devaquet“ im Jahr 19867 und die Bewegung gegen den CIP im Jahr 19948). Im Laufe der großen Streiks im November und Dezember 1995 und in der Bewegung gegen den CPE im Jahre 20069 haben LO und NPA – jede auf ihre Weise – dynamische Interventionen entwickelt im Vergleich zu dem, wozu sie in den letzten Jahren fähig waren.

Trotz der Dynamik des Klassenkampfes, der einen Aufschwung unter Hollande nach der Präsidentschaft Sarkozys erfuhr, ist es seit 2016 schwierig, gleichartige Interventionen oder auch Teilanführungen von Kämpfen durch die extreme Linke zu finden. Diese Feststellung bedeutet nicht, dass diese Organisationen aufgehört haben, in den Klassenkampf einzugreifen, aber wir wollen hier aufzeigen, dass sie einen großen Teil ihrer Aufgaben vernachlässigt haben, die sich revolutionären Organisationen in diesen Kämpfen üblicherweise gestellt haben, was verschiedene Gründe hat.

Man kann schnell einige dieser Aufgaben anführen, anhand derer wir die Bilanz der beiden Organisationen messen: zunächst der Kampf um die Selbstorganisierung, damit die Arbeiter:innen ihre Bewegung in die eigenen Hände nehmen können; der Kampf um die Ausweitung der Bewegung und die Einheit der Arbeiter:innenklasse ebenso wie die Bündnisarbeit mit den anderen unterdrückten Sektoren und schließlich, dass die Grundlage einer Revolution herbeigeführt wird, indem man sich auf die Erfahrungen des Klassenkampfes stützt, um die Sektoren der Avantgarde davon zu überzeugen, sich über den eigenen Kampf hinaus für den Aufbau einer revolutionären Organisation einzusetzen. Hat sich die extreme Linke in Frankreich seit 2016 wirklich diesen Herausforderungen gestellt?

LO und NPA: Minimale Selbstorganisierung und Ablehnung von Koordinierungen?

Das erste prägende Element einer Bilanz von NPA und LO in der letzten Welle des Klassenkampfes besteht in dem Minimalcharakter der Forderungen, die im Rahmen der Streiks aufgestellt wurden. Die Aktivist:innen beider Organisationen nehmen zwar auf lokaler Ebene an den seit 1995 in Frankreich wiederkehrenden branchenübergreifenden Streikversammlungen und an den Generalversammlungen teil, die in den Betrieben oder Arbeitsstätten im Rahmen der Streiks abgehalten werden, und können diese auch anstoßen, aber es gibt nur wenige herausragende politische Maßnahmen, die auf dieser Grundlage durchgeführt wurden.

Vom Kampf gegen das „Arbeitsgesetz“ bis hin zum Kampf gegen die Rentenreform, haben die NPA und LO systematisch die Frage der Selbstorganisierung der Bewegung den Strukturen, wie sie von vornherein vorhanden waren, untergeordnet. Infolgedessen haben die Elemente der Selbstorganisierung lediglich eine begleitende Rolle gespielt, ohne dass versucht wurde, hieran die Leitlinien, den Rhythmus oder den Inhalt zu ändern. Diese Logik ist teilweise von lokalen Tendenzen begleitet, die davon ausgehen, dass die Rolle von Aktivist:innen aus den jeweiligen Sektoren an den Toren ihrer Betriebe für die Dauer eines nationalen Streiks aufhört.

Das zeigt sich deutlich in der Beziehung zu den Koordinationsrahmen, die seit 2016 entstanden sind. Diese sind tatsächlich sehr weitgehend von der Mehrheit der Leitung der NPA und von Lutte ouvrière ignoriert worden, was sich auch klar in ihren Bilanzen der Kämpfe abzeichnet, in denen die Erfahrungen häufig auf die Ebene von reiner Folklore herabgesetzt werden oder teils ganz geleugnet werden. Das war vor allem der Fall bei dem wichtigsten Streik der letzten fünf Jahre, nämlich der gegen die Rentenreform im Winter 2019/20.

Ausgehend von diesem Kampf, bei dem die Streikenden der Pariser Nahverkehrsgesellschaft gegenüber ihren Gewerkschaftsführungen einen „verlängerbaren Streik“10 ab dem 5. Dezember durchgesetzt haben, der sich teilweise ausgeweitet hat, haben die Arbeiter:innenaktivist:innen von Révolution Permanente gemeinsame Treffen der Arbeiter:innen der Pariser Nahverkehrsgesellschaft (RATP) und der Nationalen Eisenbahngesellschaft (SNCF) angestoßen. Im Laufe des Streiks haben sich diese Treffen zu Koordinierungen „RATP-SNCF“ entwickelt. Im Dezember und Januar haben sich in diesem Rahmen regelmäßig an die hundert Arbeiter:innenanführer:innen der Busbetriebshöfe der Region Paris, von mehreren U-Bahn-Linien und verschiedener Bahnhöfe und Betriebe der SNCF versammelt. Auch wenn diese Koordinierung nur auf die Region Île-de-France (die Region um Paris, Anm. d. Übers.) beschränkt war, hat sie eine zentrale Rolle für die Konsolidierung, die Führung und die Aufrechterhaltung des Streiks gespielt, indem sie Beziehungen zwischen den Sektoren der Avantgarde im Dienste der Ausweitung des Streiks aufgebaut hat, aber auch indem sie die Bewegung durch eigene Demonstrationen und Aktionen motiviert hat und indem sie eine von der Politik der Gewerkschaftsführung abweichende Politik verteidigt hat, was sich insbesondere im Moment des „Weihnachtsfriedens“11 gezeigt hat.

Dieser Rahmen ist offen durch die Leitung der NPA und LO boykottiert worden, trotz ihrer Arbeit und ihrer Verankerung bei den Eisenbahner:innen und bei der RATP. Die damals durch beide Organisationen geäußerten Vorbehalte drücken ganz klar die bei ihnen verankerte Logik aus. Für die NPA war die Koordinierung RATP-SNCF nur eine künstliche Initiative, die keine Rolle spielte, in einem als ungenügend beurteilten Streik. In einem Artikel aus dem Januar 202012 über die Bewegung, ignorierten die Mitglieder der Leitung ganz einfach diesen Rahmen, welcher jedoch von anderen Strömungen der extremen Linken in Europa, die die Bewegung gegen die Rentenreform verfolgt haben, besonders betont wurde. Die Leitung der NPA erklärte:

„In diesem Stadium der Abwesenheit von tatsächlichen Mobilisierungen in der Mehrzahl der Sektoren, seien die Gewerkschaften an vielen Orten noch der Haupthebel, um dieses Ziel (der Ausweitung des Streiks, Anm. d. Übers.) zu erreichen. Das Ausmaß der ‚berufsübergreifenden Treffen‘, so wie sie heute existieren, ist sehr beschränkt, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Sie sind selten der Ausgangspunkt der Koordinierung von sich im Kampf befindenden Sektoren, weil es noch zu wenige kämpfende Sektoren gibt.”

Eine charakteristische Skepsis, die ein sehr düsteres Bild zu einem Schlüsselmoment des Streiks zeichnet und jegliche Avantgardearbeit zugunsten eines sehr verschwommenen Aufrufs für eine „manchmal undankbare Mobilisierungsarbeit an der Basis“, aufgibt.

Die Aktivist:innen von Lutte Ouvrière haben dort, wo sie waren, ganz einfach gegen den Aufbau der Koordinierung gekämpft. Sie wollten lieber warten, bis die Streikbewegung größer wird, bevor sie eine solche Initiative ergreifen würden. In den örtlichen Generalversammlungen wie am Betriebshof in Châtillon haben die Aktivist:innen von LO so die lokale Ausweitung der Streiks innerhalb der einzelnen Betriebe als Priorität in künstlicher Opposition zu einer Koordinierung zwischen den Betrieben verteidigt. Dies ist eine konservative Logik, die die anstoßende Rolle und somit die Avantgarderolle der mobilisierten Sektoren und ihrer Fähigkeit, die Streiks auszuweiten, auch auf lokaler Ebene, unterschätzt, wenn nicht gar leugnet.

Diese Logik ist nicht neu bei LO, sie herrschte bereits während der Entlassungswelle bei PSA Aulnay vor, bei welcher Aktivist:innen von LO den zu der Zeit wichtigsten Streik anführten.13 Damals lehnte es die Leitung von LO ab, eine Koordinierung einzuleiten, mit der Begründung, dass die meisten anderen für einen Zusammenschluss in Betracht kommenden Betriebe noch nicht in einen verlängerbaren Streik getreten seien. Diese Logik verneinte wiederum ihre Fähigkeit, andere Sektoren der PSA Aulnay mit in den Kampf zu reißen, deren Aufgabe es hätte sein sollen, „nicht nur ihr eigenes Milieu zu mobilisieren, sondern die Weichen für eine Ausweitung der Mobilisierung zu stellen und auch die zögerlichsten Sektoren mitzureißen.“

Die NPA und LO haben im letzten Zyklus des Klassenkampfes definitiv eine konservative Rolle gespielt. Sie haben ihre lokalen Aufgaben der Selbstorganisation von dem Ziel losgelöst, eine breitere Politik aufzubauen, die darauf abzielt, die gesamte Bewegung zu beeinflussen, indem sie ihre Avantgarde konsolidiert und koordiniert – eine Logik, die sich aus der Art und Weise heraus erklärt, wie beide Organisationen die programmatische Frage verstehen.

LO, die NPA und die politische Arbeit in der Bewegung: Was zählt schon das Programm, solange man im Rausch ist?

LO und NPA ordnen die Selbstorganisierung nicht nur der Form der Bewegung unter, sondern sie neigen auch dazu, sich systematisch ihrem Inhalt unterzuordnen. Man hatte somit in den letzten Phasen des aufkommenden Klassenkampfes Schwierigkeiten, die Programme von LO und NPA auszumachen, weil beide, zumindest seit 1995, dazu neigen, die Minimalforderungen und die rein defensiven Forderungen der Gewerkschaftsführungen anlässlich von nationalen Bewegungen zu übernehmen.

Dieses Konzept neigt dazu sich anzupassen, einerseits der Arbeitsteilung zwischen den Gewerkschaftsführungen – „wir legen den Inhalt und den Rhythmus der Bewegung fest, eure Aufgabe ist es, daran teilzunehmen“ – und andererseits dem von den Bürokratien aufgemachten Gegensatz von „Politik“ und „Wirtschaft“. Diese Logik führt letztlich auch dazu, die Arbeit der Ausweitung der Bewegung zu depolitisieren und zwar in der Hinsicht, dass sie nur noch eine aktivistische Aufgabe wird, die von der durch die Streikenden aufgebrachten „Energie“ bestimmt wird. So findet man die „undankbare Arbeit“ wieder, die von der NPA im Jahr 2020 erwähnt wurde, die dazu neigt, die einzige vorgeschlagene Perspektive für die Streikenden zu sein, und die in einem Gesamtkonzept als „kämpferisch“ bezeichnet werden könnte: in den Bewegungen liegt der Schlüssel darin, noch mehr zu kämpfen.

Indem sie die Form des Kampfes von seinem Inhalt trennen und indem sie leugnen wie eng die Entschlossenheit der Streikenden und das Programm, für das sie kämpfen, miteinander verwoben sind, depolitisieren NPA und LO so die Rolle von Revolutionär:innen im Klassenkampf. In einer Polemik aus dem Mai 2019 zur NPA in Lutte de classe14 , in der es um die Kämpfe gegen die Entlassungen bei Ford Blanquefort ging, zeigte LO auf sehr transparente Weise diese Logik. In diesem Artikel beabsichtigte LO zu beschreiben, was eine Politik der „Klasse“ gegen die Entlassungen ist und erklärte, dass

„es darum ginge, auf dem Feld des Klassenkampfes zu bleiben, das bedeutet eine schonungslose Bestandsaufnahme zu machen, den unstillbaren Durst auf Profite der großen kapitalistischen Gruppen bloßzustellen, ebenso wie die Komplizenschaft des Staates. Und seinen Arbeitskollegen zu sagen, dass die einzige Sache, die zähle, ist, zu kämpfen, um am besten unsere Haut zu retten und dass wir nur das haben, was wir erkämpft haben. Aber wir werden das gemeinsam tun, indem wir im Kampf bis zum Ende geeint bleiben, auch wenn das bedeutet, dass wir uns von einer politisch-gewerkschaftlichen Welt isolieren, zu der aber auch nicht unsere Freunde zählen. Unsere Verbündeten müssen die anderen Arbeiter sein.“

Der Artikel breitet sehr allgemeine Prinzipien aus, die durchgehend mit der Vorstellung einhergehen, dass in diesem sehr breiten Rahmen alle Programme gleichwertig sind, ob es sich nun um den Kampf für den Erhalt von Arbeitsplätzen und der Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch die Forderung nach Enteignung und Arbeiter:innenkontrolle geht oder ob es einfach nur um das „Ehrengefecht“ geht, das darin besteht, seine „Haut so teuer wie möglich zu verkaufen“, das heißt die Schließung eines Standorts zu akzeptieren, wenn man dafür einen Scheck bekommt. LO erklärt dies damit, dass es keine „magische Parole oder Forderung“ gibt. Der „Inhalt“ des Kampfes sei daher nicht wichtig, und was eine „Klassenpolitik“ ausmache, sei, dass die Arbeiter:innen kämpfen und ihren Streik selbst in die Hand nehmen, unabhängig von den Forderungen. Eine Logik, die im Streik bei PSA Aulnay und zuvor bei Continental vorherrschte, wo die Forderungen zunächst zwischen der Ablehnung der Werksschließung und der Aushandlung besserer Entlassungsbedingungen schwankten, bis die erste Forderung fallen gelassen wurde.

Von einem politischen Standpunkt aus und von einem Klassenstandpunkt aus betrachtet fällt es schwer, nicht zwischen Forderungen zu unterscheiden, die bessere Entlassungsbedingungen, also höhere Abfindungen, erreichen wollen, und einem Kampf für den Erhalt der Arbeitsplätze und der Arbeitsmittel. Im ersteren Fall führt die Forderung zur Individualisierung des Kampfes. Letztere eröffnet die Möglichkeit einer hegemonialen Politik, die sich an die Gesamtheit der Arbeiter:innen und die Unterdrückten richtet. Bei Total haben die Streikenden in Grandpuits so im Jahr 2020 einen verlängerbaren Streik von 45 Tagen gegen einen Sozialplan, der ihre Raffinerie betraf, geführt. Der Kampf, der um den Erhalt des Arbeitsplatzes geführt wurde und nicht nur dafür, in den Verhandlungen mehr Geld herauszuholen, war ein zentrales Element nicht nur gegen die Vereinzelung des Kampfes, sondern auch um die Jugend und die Bevölkerung zu erreichen. Ein Kampf, der als grundlegend angesehen wurde und der die Wahrnehmung des Streiks von außen veränderte.

In ähnlicher Weise hat die RATP-SNCF-Koordination in der Bewegung gegen die Rentenreform zunächst versucht, ihre Kritik an der Politik der Gewerkschaftsführungen, die vor den Verhandlungen Bummelstreiks durchführten, mit einem radikalen programmatischen Diskurs zu verbinden. Bei den Neujahrsgrüßen der Streikenden am 31. Dezember 2019 schrieben diese:

„Gegen die Idee einer Reform nach Art von Delevoye und Black Rock rufen wir zur Umsetzung einer von den Arbeitgeber:innen finanzierten Reform auf, die es Millionen von Arbeitnehmer:innen ermöglicht, früher in Rente zu gehen, die mindestens auf Grundlage der letzten sechs Monatsgehälter berechnet wird.“

Das Ziel war damals klar: Um die prekärsten Teile unserer Klasse zu überzeugen, musste man offen ein Programm vertreten, das über die Verteidigung des Status quo und der Sonderregelungen hinausgeht, was die Gewerkschaftsführungen aber ablehnten.

Aus der Sicht von Revolutionär:innen ist die Bedeutung des programmatischen Kampfes zudem untrennbar mit dem Willen verbunden, eine Brücke zwischen den einzelnen Episoden des Klassenkampfes und der allgemeineren Perspektive der Revolution zu schlagen. Unter diesem Gesichtspunkt sind natürlich nicht alle Forderungen gleich. Und im Fall der Fabrikschließungen bedeutet eine Politik, die nicht nur „klassenbezogen“, sondern auch revolutionär sein will, über die Logik des „Möglichen“ hinauszugehen. Das haben historisch gesehen Revolutionär:innen getan, indem sie zum Beispiel die arbeiter:innenkontrollierte Vergesellschaftung von Standorten, die von Schließung bedroht sind, forderten. LO und NPA, die an einer Reihe von Kämpfen gegen Entlassungen oder Standortschließungen teilgenommen haben, scheinen dies vergessen zu haben.

Der Kampf gegen die Gewerkschaftsführungen auf dem Prüfstand

All diese Elemente spiegeln ein und dasselbe Problem wider: die Aufgabe einer Politik der Avantgarde, die im offenen Kampf gegen die Führungen der Arbeiter:innenbewegung steht. Umgekehrt führt die Aufgabe dieser Ziele zwangsläufig dazu, sich den bestehenden Führungen unterzuordnen. Diese Tendenz findet man sowohl bei der NPA als auch bei LO, die sich beide weigern, die Politik der Gewerkschaftsführungen zu kritisieren, und zwar mit unterschiedlichen Argumenten.

Auf Seiten der NPA wurzelt die Weigerung, die Führungen der Arbeiter:innenbewegung zu kritisieren, seit den 1980er-Jahren in einer Logik der „Loyalität“ gegenüber den Gewerkschaftsführungen, indem sie sich kämpferischer als die reformistischsten oder versöhnlerischsten zeigten und in denen die LCR dazu neigte, Positionen zu erobern. Im Jahr 1985 wurde diese manchmal selbstgefällige Haltung übrigens von Lutte Ouvrière angeprangert. Mit der neoliberalen Offensive findet diese Haltung allmählich eine Rechtfertigung in der Priorität, die dem „Wiederaufbau auf allen Ebenen“15 , einschließlich der Gewerkschaften, eingeräumt wird. Diese Organisationen seien so schlecht aufgestellt, dass man sich um jeden Preis davor hüten müsse, die bestehenden Führungen zu kritisieren. Ein Pazifismus, der die Gründe für diese Situation und die Verantwortung dieser Führungen selbst außer Acht lässt.

In der Praxis führt diese Logik zu einem Diskurs, der die Politik der Gewerkschaftsführungen begleitet. Ebenfalls im Januar 2020, zur Zeit des Streiks gegen die Rentenreform, erklärten Mitglieder der NPA-Führung zwei Wochen nach der von den Gewerkschaftsführungen de facto verhängten Weihnachtspause, dass „die Politik der Führungen von CGT16 und Solidaires17 derzeit nicht wirklich kritisierbar ist. Martinez verbringt seine Zeit damit, zu erklären, dass alle Arbeitnehmer:innen in allen Sektoren in einen verlängerbaren Streik treten müssen.“ Diese Tendenz geht mit einem Missverständnis der Einheitsfronttaktik einher, die durch eine Politik der „Einheit um jeden Preis“ ersetzt wird, die verheerende Folgen für soziale Bewegungen haben kann. In Toulouse haben sich 2018 Eisenbahner:innen der NPA dafür entschieden, sich an die von der CGT geführte Strategie des „Perlenstreiks“ anzupassen – ein Streik auf Sparflamme, der darin besteht, zwei Tage zu streiken, um drei Tage wieder zur Arbeit zu gehen, und der die Streikenden de facto zutiefst entwaffnet hat – da sie sich weigerten, die Einheit der Gewerkschaften zu brechen. Sie ergaben sich also der Notwendigkeit, der de facto von der Bürokratie aufgezwungenen Strategie zu folgen.

Bei Lutte Ouvrière ist der Diskurs über die Gewerkschaftsführungen zweigeteilt. Während sie deren verräterische Rolle grundsätzlich anerkennen, sind die LO-Aktivist:innen der Ansicht, dass eine Kritik an ihnen zu zwei Hürden führen würde: einerseits „Illusionen“ über ihre (letztlich reduzierte) Macht aufrechtzuerhalten, andererseits zu glauben, dass diese Kritik auch nur die geringste Wirkung haben könnte. In beiden Fällen leugnen diese Argumente die objektive Rolle, die die Gewerkschaftsführungen spielen, um besser rechtfertigen zu können, warum der Kampf um die Durchsetzung einer alternativen Orientierung umgangen wird.

Dies gilt umso mehr, da diese Argumente in der Praxis mit Elementen einer tiefgreifenden Anpassung an die Gewerkschaftsbürokratie einhergehen. Im Juli/ August 2016 zog Lutte Ouvrière eine Bilanz der Bewegung gegen das Arbeitsgesetz, bei dem die CGT nie versucht hatte, die Isolation der Avantgarde-Sektoren, insbesondere der Petrochemie, zu durchbrechen oder über einzelne Streiktage hinauszugehen, und erklärte also:

„Die CGT konnte die Führung der Bewegung bis zum Ende der Kraftprobe mit der Regierung sicherstellen, in erster Linie, weil sie nicht befürchten musste, von der Basis überrollt zu werden. Tatsächlich entsprach die Politik, die sie vorschlug, der Bewegung selbst, auf der Ebene der Mobilisierung“

und fügte hinzu, dass es „unbestreitbar ist, dass die Wahl der CGT[die der CGT] und ihr Festhalten während der drei Monate langend Konfrontation, den Interessen der Arbeiter und der Protestbewegung entsprach“. Eine völlig selbstgefällige Rede, die dazu tendiert, die Gewerkschaftsführungen offen zu legitimieren, und die die Doppelzüngigkeit des LO-Diskurses auf diesem Gebiet beweist, ohne dass dies etwas neues sei.18

Diese Weigerung der NPA und von LO, die Rolle der Gewerkschaftsführungen als Bremse und Kanalisierung zu betrachten, ist nicht unbedeutend, sie ist prägend für die Schlüsse, die aus den verschiedenen Episoden des Klassenkampfes gezogen werden können. Indem sie die Frage der Politik der Gewerkschaftsführungen, des von ihnen vertretenen Programms und ihrer Strategie ausklammern, können die beiden Organisationen letztlich die gesamte Verantwortung für die Niederlagen nur auf die Arbeiter:innen an der Basis abwälzen. Mit einer solchen Auffassung, die wir vorhin als „kämpferisch“ beschrieben haben, schließt sich der Kreis: Wenn das Arbeitsgesetz durchgesetzt wurde, wenn der Streik gegen die Rentenreform sich nicht verallgemeinert hat, wenn die Bahnreform durchgesetzt wurde, dann haben die Arbeiter:innen nicht hart genug gekämpft, denn in letzter Konsequenz haben die Gewerkschaftsführungen, was auch immer man darüber denken mag, „den Job gemacht“. Ein Diskurs, der völlig falsch ist und im Übrigen nur Skepsis und Demoralisierung schüren kann.

Zwei Formen des Abstentionismus gegenüber nicht-rein-proletarischen Bewegungen

Neben den großen nationalen Streikbewegungen war die 2016 eröffnete Welle von Kämpfen auch von wichtigen Mobilisierungen außerhalb der Arbeiter:innenbewegung geprägt, nicht nur von Kämpfen der Studierenden, von antirassistischen, Klima-, feministischen oder LGBT-Kämpfen, sondern auch von einer Mobilisierung an den äußeren Rändern der Arbeiter:innenklasse wie der Gelbwestenbewegung. Diese Kämpfe spielen eine wichtige Rolle im Klassenkampf, insbesondere in der Konfrontation mit den Regierungen. Man denke zum Beispiel an das Erdbeben, das die Black Lives Matter Bewegung in den USA ausgelöst hat. Meistens wirken sich diese Bewegungen auf die Arbeiter:innenklasse aus, da sie natürlich von diesen Kämpfen betroffen ist, manchmal an ihnen teilnimmt und mit denen sie auf jeden Fall ein Interesse daran hat, sich zu verbünden.

Es zeigen sich zwei Formen des Abstentionismus, die die Haltung von LO und NPA gegenüber diesen Bewegungen, die bedeutende Teile der Jugend politisieren, charakterisieren. Die von Lutte Ouvrière ist die offensichtlichste und beruht auf einem jahrhundertealten Sektierertum gegenüber Kämpfen, die als „nicht (streng) proletarisch“ abgestempelt werden. Diese Haltung kann sich auf verschiedene Arten äußern, von Ignoranz über Herablassung bis hin zu Verachtung.

In allen Fällen ruft LO diese Bewegungen dazu auf, sich brav hinter den einzigen wahren Kampf zu stellen, nämlich dem Kampf der Arbeiter:innenklasse, während sich LO gleichzeitig weigert, von der Position in der Arbeiter:innenbewegung heraus eine Politik in diesen Bewegungen oder in Richtung dieser Bewegungen zu betreiben. Dies gilt beispielsweise für den antirassistischen Kampf, der von Lutte Ouvrière im Namen einer Logik völlig ignoriert wird, die ihn den Kämpfen der Arbeiter:innenklasse unterordnet, die in erster Linie auf wirtschaftlichem Gebiet geführt werden müssen.

Diese Logik verlässt das leninistische Konzept der Hegemonie, das davon ausgeht, dass die Arbeiter:innenklasse nur in dem Maße vereinigt werden und die Führung der Gesellschaft beanspruchen kann, wie sie ihre Fähigkeit unter Beweis stellt, die Gesamtheit der Kämpfe gegen die Unterdrückung politisch zu übernehmen. Außerdem öffnet sie den Weg für eine Anpassung an reaktionäre Auffassungen, die in der Gesellschaft herrschen, indem sie ein erschreckendes politisches Vakuum auf diesem Gebiet zulässt. So attackierte Lutte Ouvrière 2017 die Anprangerung der Islamophobie heftig. Dies stand in der Kontinuität von Positionen, die dazu führten, dass sich diese Organisation den rassistischen Offensiven der frühen 2000er-Jahre anpasste und sogar (wie ein ganzer Teil der LCR) das rassistische Gesetz von 2004 über das Kopftuchtragen in der Schule unterstützte.19

Und selbst wenn sich diese Positionen von Lutte Ouvrière ein wenig verändert haben, dann auf der Grundlage einer unveränderten Praxis. Ebenso hat Lutte Ouvrière die Gelbwesten-Bewegung weitestgehend ignoriert und sich geweigert, dort mehr zu tun als die Kreisverkehre zu besuchen, um zu diskutieren, und nicht gezögert, im Dezember 2018 auf dem Höhepunkt der Bewegung zu erklären, dass es „natürlich nicht wir (LO) sind, die diese Bewegung politisch ausrichten können. Und, noch einmal, das ist überhaupt nicht unser Ziel. Unser Ziel ist es, uns politisch an die Arbeitswelt in diesen mittelgroßen Städten zu wenden und zu versuchen, ihr politisches Bewusstsein zu verbessern.“20

Auch wenn sich die NPA bei ihrer Gründung als „Partei der Kämpfe“ verstanden hat, bietet sie eine subtilere Variante des Abstentionismus: den „Mouvementismus“ (in etwa: Bewegungslinke, Anm. d. Übers.). Diese Haltung besteht darin, sich strategisch in den Bewegungen zu verwässern, indem man sich damit begnügt, sie aufzubauen und/ oder an ihnen teilzunehmen, ohne zu versuchen, dort eine bestimmte Perspektive zu verteidigen. Auf dem Gebiet der Kämpfe gegen Unterdrückung begnügen sich die Aktivist:innen der NPA, die die Zentralität der Arbeiter:innenklasse für sich beanspruchen können, damit, die Notwendigkeit zu verteidigen, „starke feministische, antirassistische und LGBTI-Bewegungen aufzubauen, indem sie diese mit einer klassenkämpferischen Politik verbinden“. In der Praxis wird mit diesem Ansatz die Frage des politischen Kampfes, der in diesen Bewegungen geführt werden muss, um dort eine klassenkämpferische und revolutionäre Orientierung zu verteidigen, unter den Teppich gekehrt. Eine strategische Verwässerung, die logischerweise mit einer Tendenz einhergeht, sich den Richtungen der verschiedenen Kämpfe anzupassen, ohne den Kampf um eine Änderung ihrer Ausrichtung zu führen. Während die NPA im Kampf gegen das Gesetz für umfassende Sicherheit die zentrale Initiative ergriff, im Dezember eine der wenigen Demonstrationen zu organisieren, die den Kampf gegen das Separatismusgesetz und das Gesetz für umfassende Sicherheit im Dezember 2020 miteinander zu verbinden versuchten, weigerte sie sich, ernsthaft und öffentlich gegen den Korporatismus der Führung der Koordination gegen das Gesetz für umfassende Sicherheit zu kämpfen, die offen dazu stand, eine solche Orientierung umzusetzen.

In der Gelbwestenbewegung hatte diese Verwässerung zur Folge, dass die NPA zwar an den Versammlungen an den Kreisverkehren und Demonstrationen teilnahm, die Gewerkschaftsführungen aber völlig verschont blieben. Diese spielten ihrerseits eine kritische Rolle, indem sie die Gelbwestenbewegung isolierten und allein ließen gegen die heftige Repression Macrons an den Samstagen. In einer Bilanz der Gelbwestenbewegung stellte ein Mitglied der Leitung der NPA fest:

„Eine der Schlüsselfragen dieser Periode bleibt die Notwendigkeit, die Trennung zu durchbrechen, zwischen einer, in den großen Strukturen verankerten, Arbeiterbewegung auf der einen Seite (…) und prekarisierten Sektoren auf der anderen Seite, die ein Potenzial für Radikalität in sich tragen, aber ein viel niedrigeres Politisierungs- und Organisationsniveau haben. Die Gelbwestenbewegung ermöglicht es uns, über dieses Problem nachzudenken, aber sie hat es nicht gelöst.“

Eine oberflächliche Bilanz, die die Verantwortung der Gewerkschaftsführungen unter den Teppich kehrt, die auf dem Höhepunkt der Bewegung nicht nur nicht dazu aufgerufen haben, sich den Mobilisierungen anzuschließen, sondern sie in einer, am 6. Dezember 2018 veröffentlichten, schändlichen Pressemitteilung sogar verurteilten.

Welche Organisation brauchen wir?

Angesichts dieser Bilanzen ist es möglich, kurz die Umrisse der Organisation zu formulieren, die wir brauchen.

Eine Organisation mit strategischer Klarheit, die sich auf den revolutionären Marxismus und die Zentralität der Arbeiter:innenklasse beruft, aber eine hegemoniale Politik entfaltet, die die Notwendigkeit in den Mittelpunkt stellt, nicht nur den Kampf der Arbeiter:innenklasse mit allen Kämpfen gegen Unterdrückung zu vereinen, sondern auch in den feministischen, LGBT-, antirassistischen und ökologischen Bewegungen für eine revolutionäre Orientierung zu kämpfen. Gegen ihre doppelte Liquidierung als Arbeiter:innen- und Bewegungspartei durch LO oder die NPA ist die Zentralität der Arbeiter:innenklasse ein wesentlicher Pfeiler jeder Strategie, die auf den Sturz des Kapitalismus abzielt.

Eine Organisation, die offen gegen die Gewerkschaftsbürokratien kämpft, indem sie nicht nur revolutionäre Fraktionen in den Gewerkschaften aufbaut, sondern auch eine kühne Politik der Selbstorganisation betreibt, die es ermöglicht, in den großen Kämpfen alternative Führungen zu verkörpern. Das bedeutet, jene Auffassungen abzulehnen, die die „Einheitsfront“ zu einer Einheit um jeden Preis machen und dabei die taktischen und strategischen Aspekte dieses Instruments verwechseln21. Aber es bedeutet auch, mit der Illusion der friedlichen Koexistenz Schluss zu machen, die in den letzten Jahrzehnten von LO getragen wurde. Aktuell erhält die LO-Politik einen heftigen Schlag. Die CGT versucht PSA Poissy (von der LO angeführt) aus der Gewerkschaft auszuschließen, nachdem die LO jahrelang loyal an der Seite einer post-stalinistischen Gewerkschaftsbürokratie die Metallarbeiter:innen organisiert hat.22

Letztendlich zeichnen diese Elemente eine Partei, die ihre Rolle als Avantgarde wahrnimmt, gegen die Auffassungen, die sie aus Anpassung oder Sektierertum in den Hintergrund oder außerhalb der Bewegungen des Klassenkampfes drängen. Diese Auffassung prägt unsere Interventionen als Révolution Permanente, indem wir versuchen, „in jeder Schlacht ein strategisches und programmatisches Arsenal zu entfalten, das es ermöglicht, diese Erfahrungen so weit wie möglich voranzutreiben und dabei den von der gewerkschaftlichen Routine auferlegten Rahmen zu verlassen.“

Dies scheint uns der Weg zum Aufbau einer neuen revolutionären Organisation zu sein, die unserer Klasse in ihren täglichen Kämpfen nützt, aber auch der Perspektive der Revolution in Frankreich und im weiteren Sinne auf europäischer und internationaler Ebene dient. Diese Logik basiert auf dem Aufruf zum Aufbau einer neuen revolutionären Organisation mit allen, die sich in diesem Kampf wiedererkennen, der im Juni formuliert wurde, sowie dem Gründungskongress einer neuen Organisation, der im Dezember stattfinden wird.

Fußnoten

(1) Gemeint ist mit dem Kampf gegen das Arbeitsgesetz (französisch: „Loi travail“, manchmal auch nach der damaligen Arbeitsministerin „Loi El Khomri“ genannt), welches eine Reform des französischen Arbeitsrechts beinhaltete, die u. a. betriebsbedingte Kündigungen erleichterte und betriebsverfassungsrechtliche Änderungen vorsah, bspw. der Erleichterung von Abkommen auf betrieblicher Ebene zur Arbeitszeit. Der Kampf konnte nicht gewonnen werden.
Die Bahnreform betrifft die Kapitalprivatisierung der Nationalen Eisenbahngesellschaft (SNCF), bisher ein französischer Staatsbetrieb. Ähnlich wie in Deutschland ist die SNCF nun ein Unternehmen in privater Rechtsform, wobei der französische Staat alle Anteile an der Kapitalgesellschaft hält. Das Schienennetz bleibt ebenso staatlich. Auch dieser Kampf ging verloren.
Bei der Rentenreform ging es einerseits darum, das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre zu erhöhen, wobei zugleich alle Sondersysteme für bestimmte Berufsgruppen abgeschafft werden sollten, für welche die Konsequenzen noch schlimmer gewesen wären. Bisher konnte die französische Regierung die Reformpläne aufgrund des heftigen Widerstands der Arbeiter:innen nicht durchsetzen. Es gab im Winter 2019/20 die längsten Streiks seit 1969, insbesondere bei den Eisenbahner:innen.
Im Herbst 1995 gab es große Streiks in Frankreich, nachdem im Frühjahr der Gaullist Jaques Chirac zum Präsidenten gewählt worden war und dessen Premierminister, Alain Juppé, verschiedene Verschlechterungen im Sozialsystem durchsetzen wollte. Es kam zu großen Streiks, vor allem bei der Bahn und im öffentlichen Dienst, die generalstreikartige Züge trugen. Schließlich nahm die Regierung Mitte Dezember 1995 das Projekt zurück.

(2) Gemeint sind die Streiks Ende September und Anfang Oktober 2022, siehe hier und hier.

(3) „Arbeiterkampf“ (Lutte ouvrière) ist die französische Sektion der Strömung „Internationalistischen Kommunistischen Vereinigung (trotzkistisch)“, in Deutschland gehört zu dieser der „Bund revolutionärer Arbeiter“. Die Organisation nimmt in Frankreich u. a. regelmäßig bei der Präsident:innenwahl teil und erreicht bspw. ihr bestes Ergebnis 2002 mit 5,72 Prozent der Stimmen mit der Kandidatin Arlette Laguiller.

(4) Die „Neue Antikapitalistische Partei“ („Nouveau parti anticapitaliste“) ging 2009 aus der „Ligue communiste révolutionnaire“ (LCR, Kommunistisch revolutionäre Liga) hervor, welche die französische Sektion des Vereinigten Sekretariats bildete sowie einiger weiterer trotzkistischer Organisationen. Die LCR konnte bei der Präsident:innenwahl mit dem Kandidaten Oliver Besancenot mit 4,02 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis erreichen.

(5) Die „Société des Forges et Ateliers du Creusot“ (Gesellschaft der Schmieden und Werkstätten von Creusot) war ein französisches Stahlunternehmen, das 1971 schloss.

(6) Gemeint sind die großen Streiks gegen die Entlassungen bei der Uhrenfabrik von „LIP“ in Doubs, wobei zehntausende gegen Entlassungen protestierten und wo es zu Betriebsbesetzungen mit Selbstverwaltung der Arbeiter:innen kam.

(7) Ein Gesetzesvorhaben aus dem Jahr 1986, das nach dem damaligen französischen Kulturminister, Alain Duvaquet, benannt ist und das strenge Auswahlkriterien zum Zugang zu den Universitäten festlegen sollte. Aufgrund des großen Widerstandes der Schüler:innen und Studierenden wurde das Vorhaben fallen gelassen. Die französische Polizei tötete einen Studenten bei den Protesten, der Minister trat daraufhin zurück.

(8) CIP bedeutet conrat d’interstion professionnelle, also „Vertrag zur Eingliederung in das Berufsleben“. Unter der Regierung Balladur wurde 1993/94 dieser Vertrag eingeführt. Zur Erleichterung der Eingliederung der Jugend in den Arbeitsmarkt schlug er befristete Verträge vor, bei denen das Gehalt nur 80 Prozent des Mindestlohnes betragen sollte.

(9) Das Vorhaben „Contrat première embauche“ (CPE, „Erstanstellungsvertrag“) ist vergleichbar mit dem Projekt CIP, Fußnote Nr. 8, welches vorsah, für Personen unter 26, die mindestens sechs Monate arbeitslos waren, den Abschluss von Arbeitsverträgen zu ermöglichen, die kaum Arbeitsschutz zu gewähren. So sollte bis zu drei Jahre lang das Arbeitsverhältnis grundlos gekündigt werden können und die Arbeitgeber:innen sollten von den Beiträgen zur Sozialversicherung befreit werden. Nach großen Protesten von Schüler:innen und Studierenden, die auf die Arbeitswelt übergriffen, nahm die französische Regierung das Vorhaben zurück.

(10) Mit verlängerbaren Streiks (französisch: „grève reconductible“) ist gemeint, dass die Streikenden auf Streikversammlungen selbst tageweise darüber entscheiden, ob sie weiterstreiken oder den Streik beenden.

(11) Gemeint ist die Vereinbarung zwischen den Gewerkschaftsführungen und den Bossen, die Streiks gegen die Rentenreform von Weihnachten bis Neujahr auszusetzen, was größtenteils auch durchgesetzt wurde. Der französische Begriff „Trêve de Noël“ wird auch mit dem historischen Waffenstillstand im Ersten Weltkrieg im Jahr 1914 zwischen verschiedenen Kriegsparteien, darunter Frankreich, assoziiert.

(12)Siehe insbesondere diesen Artikel aus der theoretischen Zeitschrift der SWP, der jedoch eine Reihe von sehr wichtigen Fehlern begeht. So wurde die Politik des „schwarzen Tages“, von der die Rede ist, nie von der RATP-SNCF-Koordination getragen, sondern war eine Initiative der Gewerkschaftsführungen der RATP. Dieser Fehler ist kein Detail, denn er zeigt ein Unverständnis der (umgekehrten) Logik dieses Organs, das gerade zur gleichen Zeit versuchte, den Streik auszuweiten und Diskussionen mit anderen Sektoren zu organisieren, da es darin die einzige Möglichkeit sah, die Sackgasse der Isolation zu vermeiden.

(13) Gemeint ist ein fast fünfmonatiger Streik aus dem Jahr 2013 gegen die Schließung des Werkes des damaligen Automobilkonzerns PSA, welcher heute zu Stellantis gehört. Die Schließung konnte nicht verhindert werden.

(14) Lutte de classe („Klassenkampf“) ist der Name der Zeitung von LO.

(15) In Anlehnung an Daniel Bensaïd in „Neue Periode, neues Programm, neue Partei“ in Penser Agir, Nouvelles éditions Lignes, 2008.

(16) Die CGT ist die Confédération générale du travail (auf deutsch: Allgemeiner Gewerkschaftsbund)

(17) Solidaires bezeichnet die Union syndicale Solidaires, den Zusammenschluss „basisdemokratischer“ Gewerkschaften.

(18) Bereits 1995 hielt Lutte Ouvrière eine zweideutige Rede über die Gewerkschaftsführungen, indem sie allgemein auf deren objektive Rolle bei der Erhaltung der „bestehenden Gesellschaftsordnung“ hinwies und gleichzeitig betonte, wie sehr sie aufgrund ihrer Strategie, die Radikalität zu kanalisieren, letztlich teilweise fortschrittlich eingegriffen hätten. Im November 2010 erklärte Lutte Ouvrière allen Ernstes: „Abgesehen von denen in den Raffinerien wurde die Mehrheit der Beschäftigten in den großen Industriebetrieben nicht in den Streik hineingezogen. Die Arbeitsniederlegungen waren in den Privatunternehmen nur eine gewissermaßen technische Ergänzung, die die Teilnahme an den Demonstrationen ermöglichen sollte. Sie waren nicht die Initialzündung für eine Streikbewegung, geschweige denn für explosive Streiks, die auf einen Generalstreik hinausliefen. Es ist kindisch, dies auf das Fehlen entsprechender Aufrufe seitens der Gewerkschaftsbünde zu schieben. Die Gewerkschaftsbünde, in diesem Fall die CGT und die CFDT (…) hatten natürlich keine Lust, eine Politik zur Vorbereitung eines Generalstreiks zu betreiben. Aber sie haben auch nichts gebremst, weil sie in diesem Fall nichts zu bremsen hatten“.[Im Jahr 2010 gab es große Streiks in den französischen Raffinerien, die darin mündeten, dass die französische Regierung von der Möglichkeit Gebrauch machte, die Arbeiter:innen per Dekrete wieder zur Arbeit zu zwingen. Hintergrund war die kritische Versorgungslage mit Erdöl aufgrund der Streiks. Der Verfassungsgerichtshof erklärte im Nachgang die „Requisitionen“, wie diese Anweisungen heißen, für verfassungswidrig, Anm. d. Übers.]

(19) Zu dieser Frage siehe insbesondere unseren jüngsten Artikel „Lutte Ouvrière, Anasse Kazib et ‚Islam-Linke‘.“ Zur Notwendigkeit eines Marxismus, der die Idee der Arbeiter:innenhegemonie in den Mittelpunkt stellt, siehe: „Die Rückkehr des revolutionären Marxismus als Strategie der Emanzipation. Warum und wie?“ von Juan Dal Maso. Zur Rolle der extremen Linken in der zweiten Kopftuchaffäre siehe insbesondere „Die Linke, die Schwarzen und die Araber“ von Laurent Lévy.

(20) Zu diesem Thema siehe insbesondere die Debatte, die auf dem Fest von Lutte Ouvrière 2018 zwischen LO und Vertreter:innen der NPA organisiert wurde, darunter Daniela Cobet, Aktivistin bei Révolution Permanente, damals bei der Revolutionär Kommunistischen Strömung der NPA. [Die „Revolutionär Kommunistische Strömung“, courant communiste révolutionaire, ist die Strömung der NPA, aus der die in diesem Artikel bezeichnete zu gründende Organisation hervorgeht, Anm. d. Übers.]

(21) Ebenfalls im Zuge der Rentenreform nahm die NPA eine solche Konzeption klar an, indem sie feststellte: „Das ist die aktuelle Form der Einheitsfront: auf die Einheit der Klasse auf der Grundlage von Kampfparolen hinarbeiten und es ablehnen, zwischen antreibenden Gewerkschaften und Lohnabhängigen auf der einen Seite und weichen, verräterischen oder kriminellen Gewerkschaften und Lohnabhängigen auf der anderen Seite zu spalten.“ Zu den Gefahren einer solchen Logik siehe Emmanuel Barot: „Über die strategische Dimension der ‚Einheitsfront der Arbeiter‘“.

(22)Gegen den Ko-Vorsitzenden von Lutte Ouvrière, Jean-Pierre Mercier, läuft ein von der CGT angestoßenes Ausschlussverfahren aus der Gewerkschaft. Um dieses durchzusetzen, zog die CGT sogar vor Gericht, der Ausgang des Verfahrens ist noch offen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf französisch bei Révolution Permanente.

Mehr zum Thema