„Los, Lösung“ oder Loslösung – eure „Lösungen“, nicht unsere!

25.02.2017, Lesezeit 5 Min.
Gastbeitrag

Während des Besuchs des israelischen Premiers Netanjahu brach US-Präsident Trump mit einem traditionsreichen Tabuthema der politischen Hegemonie. Er brachte die Einstaatenlösung als diskutable Alternative zur Zweistaatenlösung ins Rennen. Doch was verstehen die verschiedenen Entscheidungsträger*innen unter der sogenannten Einstaatenlösung? Von Karym el-Hurriyah, ein in Deutschland lebender Student und Aktivist, dessen Familie ursprünglich aus dem Gazastreifen kommt.

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1 oder 2 – Trump ist dabei

Betrachtet man aktuelle Debatten zu Palästina, so könnte das Bild kaum widersprüchlicher ausfallen. Während die einen den Beginn einer neuen Ära vermuten, winken andere gähnend ab. Grund dafür ist die Pressekonferenz des US-amerikanischen Staatspräsidenten Trump und seines israelischen Gegenparts Netanjahu. Während dieser öffnete sich der US-Präsident gegenüber einer Einstaatenlösung. Die Reaktion des israelischen Regierungschefs selbst war derweil nicht leicht zu deuten. War er immer noch derart begeistert von diesem „großartigen Freund des jüdischen Volkes“? Nicht erst seit der Obama-Administration sollte aber feststehen, dass es für die Analyse materialistischer Interessenlage irrelevant ist, ob die persönliche Beziehung zwischen Präsidenten positiv ist oder nicht. Auch ob Trump wirklich weiß, welches Fass er da aufbricht, wovon er da überhaupt spricht, bleibt Spekulation. Wichtig ist der hegemoniale Bezug zur Zwei- beziehungsweise Einstaatenlösung und dessen Konsequenzen.

Zweistaatenlösung dient der „gemäßigten“ herrschende Klasse

Dabei kann leicht der Überblick darüber verloren werden, welche realpolitische Implementierung der Einstaatenlösung von jeweiligen Vertreter*innen erwünscht wird und aus welche Gründen Gegner*innen eine Zweistaatenlösung vorziehen.

Grundsätzlich ist es wichtig zu erkennen, dass die palästinensische und israelische herrschende Klasse die Zweistaatenlösung aus unterschiedlichem Interesse verfolgen. Der palästinensischen herrschenden Klasse – und diese umfasst nicht bloß die PA unter Abbas, sondern seit ihrem Werdegang zum bürgerlichen Herrschaftsorgan auch die Hamas – geht es bei der Anbiederung an die Zweistaatenlösung vor allem um eines: die Wahrung von Klasseninteressen. Der eigene Machterhalt und die Unterdrückung palästinensischer Arbeiter*innen, Bäuer*innen und Menschen in Flüchtlingslagern soll für palästinensische Eliten auch in einem autonomen Mikrostaat erhalten bleiben. In diesem soll der Ertrag der Ausbeutung dann jedoch konzentriert in die eigene Tasche fließen statt zu großen Teilen in die der herrschenden Klasse der besetzenden Kolonialmacht. Dennoch gehen viele von dieser herrschenden Klasse unterdrückte Palästinenser*innen aufgrund des Wunsches nach Selbstbestimmung und dem Ende der Kriegszustände konform mit diesem gegen sie gerichteten Vorhaben.

Liberal-zionistisches Festklammern an der Zweistaatenlösung ist hingegen hauptsächlich rassistisch motiviert. Die staatliche Segregation von Palästinenser*innen und Israelis dient dem Erhalt der im politischen Zionismus vorausgesetzten jüdischen Mehrheit. Das sogenannte „Rückkehrgesetz“ für Jüd*innen und die Ablehnung des Rückkehrrechts der vertriebenen Palästinenser*innen gehen ebenfalls damit einher. Diesbezüglich ist jedoch anzumerken, dass sich die „oppositionellen“ liberal-zionistischen Parteien in Israel mittlerweile größtenteils von der Zweistaatenlösung verabschiedet haben. Beispielsweise ist Jitzchak Herzog, der Spitzenkandidat der Zionistischen Union, laut eigener Aussage ebenfalls an Netanjahus Taktik gelegen, den Status Quo so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, auch wenn er sich nominell zur Zweistaatenlösung bekennt.

Einstaatenlösung ist nicht gleich Einstaatenlösung

Doch in Israel gibt es auch Vertreter*innen der Einstaatenlösung – einige von ihnen sitzen sogar in der Knesset. Allerdings ist Einstaatenlösung eben nicht gleich Einstaatenlösung. Gemein ist vielen Visionen lediglich, dass auf dem Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan ein Staat intendiert wird, in dem Jüd*innen und Araber*innen zusammen leben. Wie die Art dieses Zusammenlebens nach verschiedenen Vertreter*innen der Einstaatenlösung aber dann auszusehen hat, ist unterschiedlich. Radikal-zionistischen Siedler*innen, die in dem Gebiet – oder darüber hinaus – ein Großisrael fordern, schwebt eine Entität vor, die die arabische Bevölkerung entweder rassistisch unterdrückt oder bereits im Vorfeld ethnisch säubert. In einem modellhaften Plan skizziert der israelische Bildungsminister Bennett beispielsweise, wie möglichst viel Land mit so wenigen Palästinenser*innen wie möglich annektiert werden könnte. Ist folglich im Sinne rechter Zionist*innen die Rede von einer Einstaatenlösung, handelt es sich um eine Ausweitung der israelischen Ethnokratie.

Das ist aber nicht, was progressiven Palästinenser*innen, antizionistischen Jüd*innen und der internationalen Linken vorschweben kann, wenn sie einen gemeinsamen Staat für Jüd*innen und Palästinenser*innen fordern. Jüngst formuliert worden ist eine Alternative zu der Einstaatenlösung à la Trump, Netanjahu oder anderer Siedlungsbefürworter*innen in einem Interview mit Ali Abunimah: „Es sollte keine territoriale Trennung und erzwungene Segregation zwischen Israelis und Palästinenser*innen existieren. Und es sollte ein einziger demokratischer Staat sein, der die Gleichberechtigung aller schützt.“

Momentan ist es mit 36 Prozent der Palästinenser*innen ohne sowie 56 Prozent der Palästinenser*innen mit israelischer Staatsbürger*innenschaft gegenüber 19 Prozent der jüdischen Israelis, die einem solchen Staat zustimmen, lediglich die große Minderheit. Das neuerliche Öffnen der Hegemonie gegenüber der Einstaatenlösung hämmert jedoch nicht bloß die letzten Sargnägel in die realpolitisch längst zu Grabe getragene Zweistaatenlösung. Es rückt die Einstaatenlösung gesellschaftlich umgehend in die Reihe zustimmungsfähiger Ideen. Diese können nach Gramsci in bürgerlich-kapitalistischen Herrschaftssystemen maßgeblich von der Hegemonie bestimmt werden. Den ersten Schritt hat Trump – wenn auch sicherlich nicht zur Unterstützung progressiver Gesellschaftsmodelle – nun gemacht.

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