Linkspartei: Ein Programm für die Schublade

13.02.2021, Lesezeit 8 Min.
1
"Bundesparteitag DIE LINKE / Rede Bernd Riexinger" by DIE LINKE is licensed under CC BY-NC-SA 2.0

Am Montag stellten die bisherigen Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger den Entwurf für das Wahlprogramm zur Bundestagswahl im Herbst vor. Die führenden Köpfe der Partei lassen dabei keine Zweifel aufkommen, dass sie damit in die Regierung wollen. Das Wahlprogramm wird in diesem Fall nichts mehr wert sein.

Die aktuellen Umfragen können der Linkspartei wohl kaum große Hoffnung machen. Je nach Institut liegt sie aktuell zwischen sechs und neun Prozent. Klar sind Umfragen Momentaufnahmen, doch zeigen sie in diesem Fall eins recht deutlich: Die Linkspartei schafft es überhaupt nicht in der aktuellen Krise ein Programm für Arbeiter:innen und Jugendliche zu präsentieren, das eine Alternative zur Politik der Regierung darstellt. Obwohl die Erwerbslosigkeit drastisch zunimmt und sich das Armutsrisiko besonders für Frauen, Migrant:innen, Alleinerziehende und Jugendliche erhöht.

Im Entwurf für das Wahlprogramm für den Herbst stechen vor allem die Forderungen nach einer Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche und eine Erhöhung des Mindestlohns auf 13 Euro heraus. Außerdem fordert die Partei die Abschaffung von Hartz IV und eine Ersetzung durch ein Mindesteinkommen in Höhe von 1200 Euro.

In Bezug auf die Pflege fordert die Linkspartei „einen Fonds des Bundes zur Rekommunalisierung, um eine weitere Privatisierung zu verhindern und Entprivatisierungsbestrebungen zu unterstützen“, sowie eine Abschaffung der DRG-Fallpauschalen. Auch zum Thema Outsourcing in Krankenhäusern äußert sich der Entwurf: „Wir unterstützen die Kämpfe der Beschäftigten für die Rücknahme von Ausgliederungen und Privatisierungen (etwa der Küchen- und Reinigungsdienstleistungen oder der Logistik). Es muss gelten: Ein Haus, ein Tarif!“. Des Weiteren fordert die Partei eine gesetzliche Personalbemessung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtung.

Finanziert werden sollen diese und ähnliche Maßnahmen u. a. durch eine Reichensteuer und eine einmalige Vermögensabgabe „für Nettovermögen über 2 Mio. Euro (für Betriebsvermögen sind 5 Mio. Euro Freibetrag) erhoben werden.“ Die Vermögensabgabe solle progressiv von zehn bis 30 Prozent gestaffelt und über 20 Jahre in Raten gezahlt werden können. Die jährliche Belastung des Nettovermögens betrage demnach zwischen 0,1 und 1,5 Prozent, was angesichts der aktuellen Krise allerdings doch sehr zurückhaltend wirkt. Besonders wenn man bedenkt, dass Reiche selbst in der Corona-Krise ihr Vermögen weiter vergrößern konnten und die Situation für viele Arbeiter:innen und Jugendliche deutlich schwieriger geworden ist.

Doch unabhängig davon, wie der Entwurf noch verändert wird oder ob einige Stellen vielleicht noch geschärft werden: Sollte die Linkspartei tatsächlich Teil einer rot-rot-grünen Regierung werden, wird dieses Programm am ersten Tag in der Schublade verschwinden.

Die Linkspartei bietet keine Alternative

Das ist ein wichtiger Grund, warum die Linkspartei von Arbeiter:innen und Jugendlichen nicht als echte Alternative angesehen wird. Besonders zu Beginn der Corona-Krise haben wir deutlich gesehen, dass die Linke einen Burgfrieden mit der Regierung geschlossen hat. Obwohl es bereits im Frühjahr zu einer drastischen Ausweitung von Kurzarbeit kam, was besonders kleine Einkommen hart getroffen hat, hat die Linkspartei weitgehend auf Kritik an der Bundesregierung verzichtet. Sie forderte lediglich eine Erhöhung des Kurzarbeitergeldes auf mindestens 90 Prozent des Nettoeinkommens, was allerdings schnell im Raum verhallt ist. Ein großer Teil der Beschäftigten musste dennoch mit 60 Prozent leben und war direkt vom Jobverlust betroffen. Anstatt also beispielsweise als Sofortmaßnahme eine Vermögensabgabe zu fordern, um volle Lohnfortzahlung bei kürzeren Arbeitszeiten zu finanzieren oder ein sofortiges Entlassungsverbot zu fordern, blieb die Linkspartei weitgehend blass.

Die Forderungen zur Verbesserung der Situation in der Pflege und in den Krankenhäusern sind einigermaßen zynisch, wenn man bedenkt, dass die Linkspartei in Landesregierungen Teile dieser Forderungen längst hätte umsetzen können – es aber nicht getan hat oder sogar genau das Gegenteil macht. Allen voran das Outsourcing. Hier verspricht auch der Rot-Rot-Grüne Senat in Berlin seit Jahren, dass ausgegliederte Tochterunternehmen der kommunalen Krankenhäuser Charité und Vivantes wieder zurückgeführt werden. In der Realität bleiben diese Versprechungen allerdings nichts als hohle Phrasen. Nur ein Bruchteil der Beschäftigten wurde bisher zurückgeführt. Und das auch nur nach harten Kämpfen gegen die Geschäftsführung und den Senat. Die Beschäftigten der Charité Facility Management GmbH (CFM) kriegen seit zehn Jahre nur faule Kompromisse angeboten. Ähnlich geht es auch anderen Töchterunternehmen.

Auch der Privatisierung der Autobahnen im Jahr 2017 haben alle Landesregierungen mit Beteiligung der Linkspartei zugestimmt – obwohl das Gesetz sogar ohne ihre Zustimmung verabschiedet worden wäre. Eine solche Maßnahme ist und war niemals Teil irgendeines Programms der Linkspartei. Ganz im Gegenteil fordern sie an zahlreichen Stellen die (Re-)Kommunalisierung wichtiger Infrastruktur. Doch in den Regierungssesseln scheint man solche Forderungen schnell zu vergessen. In den Landesregierungen nimmt die Linkspartei in erster Linie eine staatstragende Funktion ein. Ob in Berlin, ob Brandenburg oder eben Thüringen. Die Linkspartei konfrontiert private Unternehmen entgegen ihrer zahlreichen Ankündigungen (auch im diesjährigen Entwurf) kaum, sondern verwaltet den kapitalistischen Staat sogar oft noch im Sinne privatwirtschaftlicher Profite.

Der Mietendeckel in Berlin ist sicher eines der progressivsten Gesetze, das eine Regierung in den letzten Jahrzehnten verabschiedet hat. Doch selbst dieses Gesetz ist letztlich ein Kompromiss im Sinne privater Immobilienkonzerne und nur auf Druck der anhaltenden Proteste entstanden. Denn die Zehntausenden Menschen in Berlin, die auf den Straßen und in den Mieter:inneninitiativen aktiv sind, fordern weitaus drastischere Maßnahmen: Die Enteignung von großen Immobilienkonzernen. Die Linkspartei ist zwar ein wichtiger Teil der Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ und viele Mitglieder an der Basis spielen eine zentrale Rolle dort. Doch die Rolle der Linkspartei ist nicht die einer Speerspitze in diesem Kampf, sondern eher die einer sozialdemokratischen Mäßigung dieser Auseinandersetzung, die immer wieder in eine offen reaktionäre Rolle umspringen kann, wie bei der Räumung des Obdachlosencamps in der Rummelsburger Bucht, um den Bau eines Aquariums zu ermöglichen oder bei den zahlreichen Abschiebungen, die die Landesregierungen in den letzten Jahren zugelassen haben.

Das Dilemma an der Regierungsbeteiligung

Sowohl die bisherigen Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger, als auch die wahrscheinlich zukünftigen Vorsitzenden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow lassen keine Zweifel daran, dass ihr Ziel für den Herbst die Regierungsbeteiligung ist. Das Schicksal dieses Programmentwurfs, der viele wichtige und richtige Forderungen enthält, ist damit im Grunde schon vorgezeichnet. Die Linkspartei hat eindrücklich bewiesen, dass sie in Regierungsverantwortung große Teile ihres Programms fallen lassen, um ihre staatstragende Rolle auszufüllen. Zumal eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei bei den aktuellen Kräfteverhältnissen nur eine Unterordnung unter die Politik der Grünen bedeuten würde, die wie keine zweite Partei für eine grüne kapitalistische Erneuerung im Sinne großer Konzerne stehen.

In einem Interview vor gut einem Jahr sprach Bernd Riexinger davon, dass sich die Partei als Sprachrohr von Bewegung wie Fridays for Future verstehe und die Linke das Parlament nicht als Bühne, sondern als Politikfeld sieht. Doch damit hat er im Grunde das Dilemma der Linkspartei deutlich gemacht. Sie ordnen ihre politischen Ziele ihrer Rolle als Verwalter:innen des kapitalistischen Staates unter. Nicht die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen, beispielsweise in der Klimakrise, ist dabei das vorrangige Ziel, sondern die Aushandlung irgendwelcher lauen Kompromisse in der Hinterzimmern mit Kapitalist:innen, um am Ende sagen zu können, man hätte ja alles getan. Ganz im Gegensatz zu Riexinger sind wir der Meinung, dass die Parlamente als Bühne für die bestehenden Kämpfe genutzt werden müssen, um die kapitalistische Ausbeutung, den Rassismus und Sexismus und die Umweltzerstörung zu entlarven. Wir sind dagegen, dort Deals mit kapitalistischen Parteien auszuhandeln, die zu Lasten der Arbeiter:innen und der Jugend gehen. Wir wollen eine Partei aufbauen, die genau diese Rolle übernimmt und als Speerspitze in den demokratischen und sozialen Kämpfen auftritt.

Der Programmentwurf der Linkspartei enthält zwar viele richtige Forderungen. Doch die Forderungen sind in einer kapitalistischen Regierung rein gar nichts wert, sondern werden vom Linksparteiapparat so schnell es geht fallen gelassen. Stattdessen braucht es Massenmobilisierungen von Arbeiter:innen auf den Straßen, um die notwendigen Maßnahmen im Sinne unser Klasse durchzusetzen. Weit über das hinaus, was im Programm der Linkspartei am Ende steht. Denn schon Maßnahmen wie eine Vermögensabgabe oder eine Kommunalisierung von Krankenhäusern werden letztlich nur durch Zwangsmaßnahmen wie Beschlagnahmungen und Enteignungen gegen die privaten Unternehmen durchzusetzen sein und nur wenn die Beschäftigten die demokratische Kontrolle über die Betriebe übernehmen. Die Linkspartei ist weit entfernt davon, diese Perspektive aufzunehmen. Das Wort Sozialismus kommt im Programmentwurf nicht einmal mehr vor. Deshalb müssen wir heute schon eine Kraft aufbauen, die sich gegen die Beteiligung an bürgerlichen Regierung stellt und dagegen stellt, dass die Krise auf den Rücken der Arbeiter:innen und der Jugend abgeladen wird.

Mehr zum Thema