Linke, wo seid ihr im Internet?

23.05.2017, Lesezeit 4 Min.
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Im Internet gibt es ganze Webseiten, die von Rechten übernommen wurden. Wie sollten Linke darauf reagieren?

Das Internet, unerkannte Weiten und vor allem sehr viel… Neuland? Und wenn ja, für wen? Die Bundesregierung werden viele sagen, andere werden sagen für die älteren Generationen, doch ich sage es ist auch Neuland für die deutsche Linke.

Warum? Ich meine, wir können Emails schreiben, Facebook-Seiten einrichten und teilen eher selten peinliche Grußkarten, welche an Cringe-Faktor kaum zu überbieten sind. Wo versagen wir? Wir verlieren dort, wo wir nicht sind. Wir verlieren überall dort, wo sich rechte Echo-Chambers [1] auftun, und wir verlieren vor allem dort, wo die Rechte sich rekrutiert.

So gesehen ist die Situation nicht ungleich jener, die man vor einigen Jahren auf Schulhöfen beobachten konnte: Rechte schlagen auf und versuchen Kindern, also ungefestigten Personen, die Mär der einfachen Antwort, des festen Standes und der halt gebenden Richtung vorzugaukeln. Menschen, die grade dabei sind, sich zu profilieren wird… ein Teil dieses Profils angeboten. Natürlich nicht als Gewalt, Hass und Abscheu, sondern im Gewandt einer Gruppenzugehörigkeit, einer provokanten Subkultur und, ganz wichtig, Anerkennung.

Aufklärung und Bildung waren und sind immer noch die Mittel dagegen, doch wo sind die Kinder von früher heute? Im Internet. Sie sind nun Jugendliche, viele schon fast Erwachsen, aber die wenigsten stehen fest im Leben. Viele suchen immer noch, und dies ist keine Schande, eine starke Hand die sie greifen können, eine Gruppe von der sie Anerkennung bekommen und… und vor allem ein Feindbild.

Wenn man weiß, wer der Böse ist, hat der Tag Struktur. – Volker Pispers

Und auf einmal sind die einfachen Antworten auch wieder da, und bequemer als je zuvor. Doch die moralische Überlegenheit unseres Underdogs, für den die Frauen, schlimmer noch der Feminismus, an allem Schuld sind, hört hier nicht auf. Auch betet man kollektiv einen neuen Kreuzzug herbei, während man, im gleichen Atemzug, Religionen kritisiert, denn erlaubt ist, was provoziert, und solang es die Masse um einen vertritt, kann es nicht falsch sein, nicht?

Und da sollten von unserer Seite Fragen aufkommen. Sollten wir Zeit und Kraft investieren, um dem etwas entgegen zu setzen, und wenn ja: Wie?

Ich denke, die Frage, ob wir uns darauf konzentrieren sollten, jedenfalls bis zu einem bestimmten Grad, ist leicht beantwortet: Ja. Und zwar können wir uns es nicht leisten, Jugendliche, die zum großen Teil wissbegierig und orientierungslos sind, an die Rechten zu verlieren. Wir machen Arbeit in Randbezirken, wir machen Jugendarbeit, und auch „im echten Leben“ würden wir mit diesen Leuten arbeiten, also warum jetzt nicht? Sie sind da, sie wollen Politik und wir hocken auf Lehrs Wall und pöbeln mit dem JW und Trollen [2].

Natürlich sollte man nicht Zeit von „realen“ Projekten abzweigen, aber statt die Zeit zu nutzen, in der man sonst einen Kommentar in die zum hundertsten Mal geführten Facebook-Diskussion wirft, in der sich gefestigte Linke streiten, könnte man sie darauf verwenden, in einer Gruppe zu intervenieren, die erst noch an linke Perspektiven herangeführt werden müssten.

Dann wäre noch die Frage nach dem „Wie“ offen, und da sollten wir bei uns bekannten Mitteln bleiben: Bildung. Es reicht nicht, als Antwort auf den tausendsten geposteten „Flüchtlinge sind Kriminell“-Post mit einem „Aber Nazis auch“ zu kontern, aber, wenn man eine Weile am Ball bleibt, fällt einem auf, dass viele der Leute auf 4Chan, Pr0gramm [3] und so weiter gewillt sind, darüber zu diskutieren, und bei guten Argumenten auch einlenken. Wir haben dieses „Die anderen sind auch blöd“ nicht nötig, aber viele von uns sitzen auf Erfahrungen aus der Arbeit mit Jugendlichen, mit Streikenden, aber auch mit viel theoretischem Wissen, also warum es nicht genau hier anwenden?

[1] Ein Kommunikationsraum, in dem jeder mit der vorherrschenden, ständig wiederholten Meinung einverstanden ist und andere Meinungen unwillkommen sind.

[2] Eine Person, die nur darauf erpicht ist, durch möglichst provokantes Handeln Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

[3] Internetseiten, die sich in den letzten Jahren politisch gesehen drastisch nach rechts entwickelten.

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