Leistungsdruck, Abschiebung, Suizid: Einblick in Integrationskurse

30.11.2022, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Anonyme Einsendung

Unterbesetzung und Überforderung von Personal, psychische Probleme, Suizid, Abschiebung und etliche weitere Probleme. All das sind aktuelle Zustände in den Integrationskursen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Gleichzeitig füllen sich die Taschen der privatisierten Sprachschulen. Ein Mitarbeiter berichtet.

Die Teilnahme an einem Integrationskurs ist für Geflüchtete und Zugewanderte ausschlaggebend für ihre Aufenthaltsrechte in Deutschland. Was als hilfreiche Deutschsprachkurse in der Öffentlichkeit präsentiert wird, ist in Wirklichkeit eine psychologische und politische Maßnahme, zu denen Geflüchtete gezwungen sind, um in Deutschland bleiben zu dürfen. Auch Ärzt:innen, Ingenieur:innen, Professor:innen aus verschiedenen Ländern sitzen hier in Integrations- und Berufssprachkursen, um ihre Titel, Berufsausbildungen und Diplome anerkennen zu lassen. Und selbst wenn sie problemlos ein C2-Niveau erreichen, was teilweise nicht mal Muttersprachler:innen schaffen, ist es eine Sache des Glücks und der Laune der Behörden, ob sie es nun anerkennen oder nicht.

Unterbesetzung, Überforderung und unzureichende Ausstattung

Die Zustände in Integrationskursen verschlechtern sich von Woche zu Woche. Bildungszentren sind unterbesetzt und es fällt zu viel Arbeit auf zu wenige Personen. Die Teilnehmer:innen haben keine pädagogische Hilfe, die sensibel mit ihren Traumata umgehen und den Unterricht entsprechend gestalten können. Der Staat, der mehr Steine in den Weg legt als Hilfe zu leisten, macht die Arbeit und die Teilnahme an Integrationskursen zu einer puren Qual. Angefangen mit der Bürokratie der deutschen Regierung, die am liebsten jeden Millimeter Bewegung von Geflüchteten kontrollieren will, zieht sich die rassistische und kapitalistische Agenda des Staates durch jeden einzelnen Integrationskurs.

Was in den Kursen und um sie herum passiert, ist eine reine Katastrophe. Die Klassen sind mit bis zu 25 Teilnehmer:innen verschiedenen Alters gefüllt und Kursleiter:innen sind meistens für mindestens zwei Kurse eingeteilt. Für die Lehrkräfte heißt das nicht selten maßlose Überarbeitung, was oft zu Krankenständen und Kündigungen von Seiten des Personals führt, ob Honorarkräfte oder Festangestellte. Die Unterrichtsräume sind teilweise so unzureichend ausgestattet, dass jahrelang dasselbe abgenutzte, verfärbte Whiteboard benutzt wird und die Stühle und Tische gerade noch so mit Holzleim und Industriekleber festhalten. Die Teppichböden sind alt und verschmutzt, die Fenster teilweise undicht und die Heizungen wegen der aktuellen Energiekrise auf Sparmodus – die Teilnehmer:innen und Lehrkräfte sitzen vor allem in den Abendkursen mit Mützen und Schals im Unterricht.

Privatisierung der Schulen

Dadurch, dass Integrationskurse fast nur an privaten Schulen stattfinden und die Bildungszentren nur Kursträger vom BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) sind, sind die Arbeits- und Schulplätze abhängig von den Führungsetagen, was auch die Ausstattung und Personalplanung betrifft. Trotz staatlicher Trägerschaft sind die Volkshochschulen VHS zwar fortgeschrittener als die meisten anderen Bildungszentren  was die Ausstattung angeht, doch der Personalmangel wegen Unterbezahlung bleibt auch bei diesen Unternehmen erhalten. Die Bosse der etlichen Sprachschulen verdienen sich Villen und Luxusautos, während die Arbeiter:innen teilweise noch um Betriebsräte und angemessene Unterrichtsausstattung wie Tablets und neue Schulbücher ringen.

Gleichzeitig sei aber auch kein Geld für Investitionen da, heißt es in den meisten Schulen. Eine Schule in Sachsen hat eine Klasse von 17 Teilnehmer:innen zeitweise in einen gerade einmal abstellkammergroßen Raum gezwängt, weil sie zu viele Kurse gleichzeitig überplant haben und nicht genug Lehrkräfte angestellt waren, sodass eine Lehrkraft vier Kurse in einer einzigen Arbeitswoche unterrichten musste. Dazu kommt, dass in den meisten Schulen Überstunden – die unausweichlich sind, gerade in der Verwaltung – nicht ausbezahlt werden, sondern mit Freizeit ausgeglichen werden müssen. Aber wann soll diese Freizeit ausgeglichen werden, wenn Mitarbeiterinnen morgens um 8 Uhr anfangen und abends um 20 Uhr immer noch einen Haufen Aufgaben erstmal zur Seite legen müssen, um es endlich mal nach Hause zu schaffen.

Suizid und Abschiebung

Auch ignoriert wird der mentale Zustand der Teilnehmer:innen und Mitarbeiter:innen. Erst vor wenigen Wochen stand eine Mutter von zwei Kindern auf dem Dach einer Berliner Schule und konnte gerade noch so von Mitschüler:innen vom Suizid abgehalten werden. Ein ähnlicher Fall ereignete sich vor ein paar Jahren an derselben Schule, nachdem einer Teilnehmerin die Erlaubnis verwehrt wurde, den Tod ihres Mannes in aller Ruhe zu verarbeiten und stattdessen aufgrund der Sanktionsdrohungen des Jobcenters dazu gezwungen war, weiter am Unterricht teilzunehmen. Sie wurde im Unterricht von den Teilnehmer:innen beruhigt und nach Hause begleitet. Die Woche darauf musste sie weiter am Kurs teilnehmen. Das sind Geschehnisse, die nicht an die Öffentlichkeit kommen. Das sind Geschehnisse, die nicht in Statistiken aufgenommen werden. Das sind Geschehnisse, die von den Geschäftsführungen verheimlicht werden, um dem eigenen Image nicht zu schaden. Psychologische Hilfe gibt es kaum, da auch hierfür geschultes Personal eingestellt werden müsste, das den Bossen aber wiederum zu viel Geld kostet.

Abschiebungen, die teilweise sogar in Zusammenarbeit mit den Geschäftsleitungen mitten im Kurs stattfinden, sind auch keine Einzelfälle. Die Rede ist von Polizei in Vollmontur, die mitten im Unterricht den Raum betreten, die Teilnehmerlisten nach den gesuchten Namen durchblättern und die Betroffenen mitnehmen, ohne sich dabei auszuweisen oder gar in der Verwaltung voranmelden zu müssen, da ja dadurch das Risiko bestehe, dass Verwaltungskräfte die Teilnehmer:innen vorwarnen  könnten. Vorgehensweisen, von denen man meinen könnte, sie seien seit etlichen Jahrzehnten abgeschafft und verboten. Doch Abschiebungen sind weder in Schulen, noch auf der Arbeit oder daheim verboten, sondern Alltag der Behörden. Betroffene sitzen somit tagtäglich im Unterricht, um in Deutschland bleiben zu dürfen, während sie gleichzeitig Angst haben, aus dem Unterricht mitgenommen und abgeschoben zu werden. Einen bekannten und ähnlichen Vorfall gab es zuletzt 2020 in Frankfurt, als ein Jugendlicher aus Guinea an seiner Schule festgenommen und in Abschiebehaft gebracht wurde. Solche polizeilichen Methoden sollten im Koalitionsvertrag der CDU und der Grünen bereits 2018 als “zu vermeiden” gelten. Das Gesetz wurde zu dem Zeitpunkt mit der Behauptung umgangen, dass der junge Mann sich ja nicht mehr im Schulgebäude, sondern auf der Treppe außerhalb des Gebäudes aufgehalten habe. Auf bundesweiter Ebene sind solche Abschiebungen jedoch nicht verboten und private Schulen fallen auch aus dem hessischen Gesetz raus.

Spaltung der Geflüchteten

Das BAMF, die Ausländerbehörden und die Träger zur Grundsicherung, also die Jobcenter, sind die Institutionen, die die Geflüchteten zu Integrationskursen verpflichten. Wenn sie einen Tag fehlen, muss das dem BAMF, der Ausländerbehörde und dem Jobcenter gemeldet werden, je nach verpflichtender Stelle. Ironischerweise ist die Ausländerbehörde die einzige Stelle, die auch wirklich Verpflichtungen so benennt, denn das BAMF und das Jobcenter umgehen das und nennen ihre Verpflichtungen “Berechtigungen”. Dabei sind die Teilnehmer:innen gesetzlich dazu verpflichtet, an den Kursen teilzunehmen, andernfalls werden ihre Asylanträge gar nicht erst weiter bearbeitet. Die Asylanträge laufen auch nur solange weiter, wie die Teilnehmer:innen im Kurs sind. Fehlen sie zu oft, drohen ihnen Sanktionen oder eben Abschiebungen aufgrund der abgelehnten Asylanträge. Dabei spielt es nur minimal eine Rolle, ob die Teilnehmer:innen entschuldigt oder unentschuldigt sind. Denn sie dürfen auch nur maximal 1 oder 5 Tage pro Kursabschnitt entschuldigt fehlen, je nach verpflichtender Behörde – alles andere gilt als automatisch unentschuldigt. Gleichzeitig wird etlichen Geflüchteten eine Teilnahme an Integrationskursen verwehrt aufgrund ihrer Aufenthaltsbestimmungen, wenn sie noch keine Aufenthaltsduldung haben oder nur eine Fiktionsbescheinigung besitzen. Diese wird im Falle von ukrainischer Staatsangehörigkeit zwar akzeptiert, aber bspw. im Falle der mehreren gambischen Geflüchteten mit Fiktionsbescheinigungen wiederum nicht.

Als 2015 tausende Geflüchtete nach Deutschland kamen, wurden sie verhasst, rassistisch beleidigt, angegriffen, rücksichtslos wieder abgeschoben. Bis heute sterben abertausend Menschen an den EU-Grenzen, weil sie von Frontex, den griechischen und libyschen Küstenwachen und den europäischen Häfen daran gehindert werden, die Grenzen zu überqueren. Die Ampelkoalition ist maßgeblich an den Asylgesetzen in Deutschland und den außenpolitischen Gesetzen der EU beteiligt. Auch die Türkei ist ein wichtiger Verhandlungspartner in der Migrationspolitik Europas, der mit Milliarden Euros jährlich gefüttert wird, um die Geflüchteten fern von den europäischen Grenzen zu halten. Es gibt hunderte afghanische Teilnehmer:innen, die in Verwaltungsbüros zusammenbrechen, weil ihre Familienangehörigen bei der Talibanübernahme gestorben sind, obwohl Deutschland versprach, sie zu evakuieren; oder kurdische Frauen und Männer, die Einreiseverbote in die Türkei haben und von ihren Familien getrennt leben müssen, während Faeser, Baerbock und auch damals schon Merkel weiterhin die Hände des faschistischen Präsidenten in der Türkei schütteln. Seit 2015 werden diese Menschen behandelt wie wertlose Gegenstände, von denen man ja ein paar nehmen könnte, der Rest aber getrost vor unseren Haustüren sterben kann.

Dabei wurde im Falle des Ukraine-Kriegs und ukrainischen Menschen deutlich, dass es auch anders und deutlich besser geht. Viel unbürokratischere, einfachere Aufnahmen von Geflüchteten, eine breite Solidarität der Bevölkerung, Hilfsgelder und Abschiebeverbot sind also möglich, wenn die Regierung es denn wollte. Doch stattdessen schürt sie weiter Hass und Probleme mit ihrer Spaltung in die, die “kultiviert und jene von uns sind” und die, die es eben nicht sind. Es wurden mehrere Fälle an den Bahnhöfen und Grenzen Deutschlands bekannt, als migrantische und Schwarze Menschen aus der Ukraine, die vor demselben Krieg flüchten, nicht in die Züge genommen oder gar gewalttätig am Zustieg gehindert wurden. Die rassistische Agenda der Bundesrepublik macht auch hier nur deutlich, dass sie kein Problem damit hat, ihren offenen Rassismus mit Gewalt zu verdeutlichen, welcher heute von Politiker:innen wie Faeser und Scholz auch noch in Schutz genommen wird.

Ampel und RRG setzen auf Abschiebung

Dass von der Ampelkoalition keine Verbesserungen der Integrationskurse zu erwarten ist, macht sich bereits jetzt schon deutlich. Die menschenfeindliche Migrationspolitik, die die Grünen-Partei unter Annalena Baerbock und die SPD unter Olaf Scholz führen, führt weiterhin zu tausenden Toten an den EU-Außengrenzen – von der FDP ganz zu schweigen. Doch auch die Linkspartei trägt ihren Teil zu dieser rassistischen Politik bei. Die entmenschlichenden Aussagen von Wagenknecht, islamfeindliche Strukturen innerhalb der Linkspartei und ihrer Jugendorganisationen und auch eine fragwürdige Solidarität mit faschistischen Regierungen und Apartheidsregimen, die Hauptursachen für Flucht und Menschenrechtsverletzungen sind, verdeutlichen nur, dass auch die Linkspartei kein Interesse an revolutionären Klassenkämpfen hat, sondern lediglich eine diversere Form der deutschen Bourgeoisie anstrebt und keinen Funken Antikapitalismus in sich trägt. Die Linkspartei ist Teil der rot-rot-grünen Regierung in Berlin, die erst kürzlich den Umbau des Terminal 5 im Flughafen Berlin-Schönefeld zu einem Abschiebezentrum beschlossen hat. Die rassistischen Razzien, die Teilnehmer:innen von Integrationskursen und vor allem ihre Arbeitsstellen betreffen, sind das Zeugnis der R2G-Koalition. Auch wenn die Linkspartei die am stärksten antirassistischen Ansätze innerhalb der Landesregierung verfolgt, sind sie dennoch weit davon entfernt, eine Partei für Geflüchtete und Migrant:innen zu sein, geschweige denn eine Partei der Arbeiter:innen.

Das Aufenthalts- und Bleiberecht von Geflüchteten – von allen Geflüchteten – muss bedingungslos und damit unabhängig von erfolgreichen Teilnahmen an Integrationskursen gewährleistet sein. Frontex und Küstenwachen müssen abgeschafft werden, die EU-Grenzen für alle Geflüchteten geöffnet werden. Auch die scheinheiligen Solidaritätsbekundungen mit dem Iran kann sich die Regierung sparen, denn all diese Jahre werden und wurden Iraner:innen in Deutschland genauso miserabel und unmenschlich behandelt wie andere Geflüchtete aus Asien, Afrika und Südamerika. Abschiebungen müssen sofort beendet werden und alle Geflüchteten müssen eine sofortige Arbeitserlaubnis bekommen. Gewerkschaften und Bündnisse müssen all ihre Forderungen antirasstisch ausrichten, wie zuletzt die IGMetall-Jugend in Hanau/Fulda, die das Bleibe- und Arbeitsrecht für alle Geflüchtete und Migrantinnen in ihre Streikforderungen aufgenommen hat. Solidarität muss antirassistisch sein und darf nicht unterscheiden zwischen “guten und schlechten” Geflüchteten. Nieder mit der Festung Europa und nieder mit den menschenfeindlichen Gesetzen der Bundesregierung.

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