Lehrer:innenstreik in Berlin: Streikversammlung für Zuspitzung
Am dritten Tag des Streiks für den Tarifvertrag Gesundheitsschutz (TV G) kamen am 12. Oktober Hunderte Streikende Berliner Lehrkräfte im Mauerpark zu einer Streikversammlung zusammen. Die überwältigende Mehrheit zeigte sich für eine Ausweitung und Zusammenführung der Streiks.
Am Morgen versammelten sich Hunderte Lehrer:innen in ihren Bezirken und vor ihren Schulen, um in den dritten Streiktag in Folge zu starten. Bereits der siebzehnte Streiktag ist es, um für den Tarifvertrag Gesundheitsschutz (TV G) zu kämpfen. Den Streikenden geht es hierbei vor allem um eins: Kleinere Klassen. Denn der Personalmangel und die Unterfinanzierung haben eine Lage geschaffen, in der die Klassen vollständig überfüllt sind und Lehrkräfte permanent vor dem Burnout stehen.
Die Lehrer:innen zogen in Fahrradkorsos in den Mauerpark, um dort eine Streikversammlung abzuhalten. Auf der letzten Versammlung im Juni hatte sich die überwältigende Mehrheit dafür ausgesprochen, unmittelbar nach den Sommerferien in einen fünftägigen Warnstreik zu treten. Der Geschäftsführende Landesvorstand (GLV) der Berliner Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Tarifkommission berücksichtigten diese Abstimmung mit dem dreitägigen Streik kurz vor den Herbstferien jedoch nur halbherzig. Die Streikversammlung sei nicht souverän und Abstimmungen nicht bindend.
Nun kamen die Streikenden also in den Park und bekamen zwei Kampagnenpläne ausgehändigt. Einen des GLV, und einen der Initiativgruppe Perspektive TV G.
Ersterer sah eine Ermattungstaktik vor: Eine Streikpause im November und Dezember für den TV G, während der Tarifrunde des TV-L, und keine Zusammenführung der beiden Tarifkämpfe. Im Klartext bedeutet dies also, dass der GLV die Möglichkeit, den Druck deutlich zu erhöhen, einfach verstreichen lassen will. Dabei könnten Lehrer:innen und Erzieher:innen endlich gemeinsam für mehr Lohn und kleinere Klassen streiken. Stattdessen wird der Schulbetrieb weitestgehend unberührt fortgesetzt.
Die Perspektivengruppe und kämpferische Beschäftigte wollen einen anderen Weg gehen. Wie viele Lehrkräfte auf der Versammlung betonten, ginge es darum, das „Eskalationspotenzial“ zu erhöhen, da der Druck auf den Senat steigen müsse, um die Forderungen zu erkämpfen. Zurecht wurde in vielen Redebeiträgen darauf hingewiesen, dass der Kampf nur zu gewinnen sei, wenn der Senat mehr Geld für die Bildung locker mache. Der Kampf darum müsse zudem notwendigerweise jetzt geführt werden. Denn im Dezember wird der neue Haushalt des Senats abgestimmt werden. Wird dieser nicht massiv aufgestockt, können die Forderungen des TV G gar nicht erfüllt werden.
Um dafür genug Druck auszuüben, wurden unter anderem zwei zentrale Taktiken vorgeschlagen: Eine Zusammenführung der Streiks für den TV G sowie für mehr Lohn im Rahmen der kommenden TV-L-Runde und eine Vorbereitung des Erzwingungsstreiks ohne Streikpause.
Dafür sprach sich auch der als Gast redende Andrés Garcés aus, als Repräsentant des Aktionskomitees der Beschäftigten an der Freien Universität Berlin. Dieser betonte noch einmal, wie wichtig es sei, zusammen zu streiken aus der Perspektive eines studentischen Beschäftigten. Personalmangel sei auch an der Freien Universität eine Gefahr für die Gesundheit, an der es dadurch regelmäßig zu Unfällen in der Tierklinik komme. Außerdem betonte er die Notwendigkeit der Perspektive eines kämpferischen TV-L: Mit der aktuellen Erhöhung von nur 10,5 Prozent würde beispielsweise sein Stundenlohn nur um 1,96 Euro steigen – ein Witz angesichts der aktuellen Inflation. Dies sei auch entscheidend, um den Personalmangel unter Lehrkräften zu lösen, denn mit dem geringen Lohn für studentische Beschäftigte und der allgemeinen Verarmung von Student:innen, würde es deutlich unattraktiver, auf Lehramt zu studieren. Ein weiteres Argument dafür, dass TV G und TV-L zusammengehören.
In den bisherigen TV G-Streiks ist es nämlich so, dass nur Lehrkräfte aufgerufen werden. Die meisten anderen im Schulwesen Beschäftigten, wie zum Beispiel Erzieher:innen, konnten bisher nicht mitstreiken. Somit werde erstens der Streik schwächer und zweitens überließe man währenddessen den Kolleg:innen, die oftmals schlechter bezahlt werden als die Lehrkräfte, an Streiktagen die ganze Arbeit. Sie müssen also einbezogen werden in den Streik, betonten etliche Redebeiträge. Dies würde auch bedeuten, dass der Schulbetrieb vielerorts eingestellt werden muss, der Druck würde also massiv erhöht werden. Anlässlich der der geplanten Kürzungen des Senats, eine notwendige Maßnahme.
Eine erste Gelegenheit ist die Tarifrunde der Länder, in der auch viele Erzieher:innen streiken werden. Ein Sprecher der jungen GEW Berlin ließ ein Stimmungsbild abfragen: So gut wie alle waren dafür, nach den Herbstferien TV G und TV-L zusammenzuführen. Diese würde bedeuten, keine Streikpause einzulegen, sondern in den kommenden Monaten weiterzustreiken. Auch hier stimmten die meisten Anwesenden zu.
Dieses Beispiel zeigt umso mehr, dass es eine Demokratisierung der Gewerkschaft braucht: Denn offensichtlicherweise stimmten Tarifkommissionsmitglieder über den Sommer anders als zuvor die Basis ab. Die Satzung der GEW sehe nicht vor, dass auf Streikversammlungen Entscheidungen getroffen werden, hieß es. Entgegen der Dreistigkeit, sich einfach über den Willen von Hunderten hinwegzusetzen – zu meinen, es besser zu wissen – braucht es die freiwillige Verpflichtung zu imperativen Mandaten. Das heißt, dass alle Tarifkommissionsmitglieder nur so abstimmen dürfen, wofür sie in Versammlungen bevollmächtigt wurden. Ganz im Sinne einer „Mitmachgewerkschaft“ müssen sie deshalb auch immer wähl- und abwählbar sein. So können die Streikenden die Kontrolle über ihren Streik erlangen und auch für eine Zusammenführung der Streiks eintreten.
Wenn das nicht passiert, besteht die Gefahr, gegeneinander ausgespielt zu werden. Denn leider wird es auch nicht ausreichen, einfach mehr Investitionen zu fordern. Die Antwort des Senats darauf wird sein: “Es gibt kein Geld!”. Dabei stimmt das nicht. Das Geld ist vom Vermögen der Superreichen und Großaktionär:innen zu holen! Der Berliner Senat und die Bundesregierung könnten die Hauptlast der Finanzierung auf die Reichen legen und neue Einnahmen in Milliardenhöhe schaffen, um in die öffentliche Daseinsvorsorge zu investieren. Doch stattdessen schützen sie die Einkommen der Reichen und trauen sich nicht, diese anzutasten.