Lehrer*innen fordern: Kürzere Arbeitstage für weniger Stress und bessere Lernqualität

01.02.2018, Lesezeit 5 Min.
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Laut dem Klischee über Lehrkräfte müssen diese nur einige Stunden am Tag was erzählen und bekommen dafür zwölf Wochen Urlaub. Eine Studie widerlegt dieses Vorurteil nun. Neben kürzeren Arbeitstagen kann auch eine Verringerung der Klassengröße die Arbeitsbelastung der Lehrer*innen senken und den Lernerfolg der Schüler*innen erhöhen.

Lehrer*in sein – ein entspannter Job? Bekommt man nicht als solche*r schließlich im Gegenzug zu wenigen Arbeitsstunden am Tag ein Dutzend Urlaubswochen?

Verringerung der Pflichtstunden…

Eine Studie, die im Auftrag der Gewerkschaft Wissenschaft und Erziehung (GEW) die Arbeitszeit von Lehrkräften dokumentiert, widerlegt dieses Vorurteil. Laut dieser Studie arbeiten Lehrer*innen nämlich durchschnittlich 48 Stunden und 18 Minuten. Damit arbeiten sie 1,8 Stunden länger als andere Kolleg*innen im öffentlichen Dienst.

In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Arbeitsbelastung von Lehrkräften stark angestiegen. Inklusion, die individuelle Förderung der Schüler*innen und neue Technologien haben den Alltag von Lehrer*inne vielfältiger gemacht, aber erfordern eben auch mehr Zeit.

Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagt die Bundesvorsitzende der GEW Marlis Tepe am Dienstag, dass die Pflichtstunden reduziert werden müssten, um die Arbeitsbelastung für Lehrkräfte zu senken. Denn diese machen zwar nur einen kleinen Teil des gesamten Arbeitstages von Lehrer*innen aus, jedoch braucht jede Unterrichtsstunde deutlich mehr Zeit an Vor- und Nachbereitung.

…und kleinere Klassen

Eine weitere Möglichkeit wäre es, die Anzahl der Schüler*innen in den Klassen zu verringern. Besonders in Zeiten, in denen eine intensivere Betreuung von Schüler*innen als notwendig erkannt wird, sind kleinere Klassen ein gutes Mittel, um sowohl die Betreuungsqualität zu steigern, aber auch die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte zu senken.

Von kleineren Klassen würden nicht nur Lehrer*innen profitieren, auch die Lernbedingungen der Schüler*innen würde sich sofort verbessern. Das Verhältnis zwischen Lehrkräften und Schüler*innen würde sich insgesamt entspannen, da Lehrer*innen viel individueller auf die (Lern-)bedürfnisse der einzelnen Schüler*innen eingehen können.

Doch nicht nur Lehrer*innen sind von hoher Arbeitsbelastung betroffen, auch bei Erzieher*innen wird die Zeit, die sie mit der Vor- und Nachbereitung verbringen oder mit Eltern über die Entwickelung ihrer Kinder reden, nicht ausreichend berücksichtigt.

Wer zahlt für die Inklusion

Dabei geht es um die Inklusion, die in schön klingenden Worten so beschrieben wird, dass die besonderen Bedürfnisse aller Schüler*innen berücksichtigt werden. Derzeit werden die Kinder vorwiegend getrennt voneinander betreut. Kinder mit mehr Förderungsbedarf werden in anderen Einrichtungen betreut als Kinder mit weniger Förderungsbedarf. Zukünftig sollen beide Gruppen gemeinsam unterrichtet werden. Doch welcher Standard soll angeglichen werden und wer wird die Kosten dafür übernehmen?

In Schulen für Schwerbehinderte gibt es kleine Klassen und diese werden nicht nur von einer Lehrkraft betreut, sondern zusätzlich befinden sich noch mehrere Erzieher*innen im Raum. In diesem Klima fällt es besonders leicht, den notwendigen Stoff aufzunehmen.
Im Idealfall sollte jedes Kind eine solche Betreuung erhalten, ohne dass die Eltern dafür eine teure Privatschule bezahlen müssten. Unter dem Slogan „Inklusion“ kann aber auch knallharte Sparpolitik durchgesetzt werden, die Kindern mit besonderem Förderungsbedarf diese Möglichkeit entzieht oder Eltern dazu verpflichtet, sich für solche Leistungen bei Privatschulen zu verschulden.

Kürzungen durch die Hintertür?

Denn eine intensivere Betreuung kostet mehr Geld und alle Politiker*innen bürgerlicher Parteien versuchen die Staatsausgaben so gering wie möglich zu halten. Das CDU und SPD während der Koalitionsverhandlungen nun versprechen, dass Eltern ein Recht auf eine Ganztagsbetreuung ihrer Kinder in der Grundschule haben werden, kann nur auf dem Rücken der Beschäftigten eingehalten werden. Wenn die neue Bundesregierung nicht Unternehmen steuerlich stärker belastet, ist dieses Versprechen nicht anders einzuhalten sein oder es wird eine Farce werden.

Die neue Große Koalition wird jedoch sehr darauf bedacht sein, ihren Vorsprung im internationalen Wettbewerb, aufgrund steigender Steuerbelastung für Unternehmen, nicht zu gefährden. Stattdessen wird sie versuchen, weitere Einsparungen bei der Bildung vorzunehmen, wie sie es schon in den letzten Jahren getan hat. Unter Umständen wird sie versuchen, diese Einsparungen unter dem Namen „Inklusion“ durchzubringen und so die Sparpolitik in der Bildung weiter vorantreiben.

In vielen Bundesländern führte die enorme Sparpolitik zu bedenklichen Abbruchsquoten bei Lehramtsstudierenden. In Mecklenburg-Vorpommern soll die Hälfte der angehenden Lehrkräfte das Studium vorzeitig abbrechen. Zeitgleich herrscht auch in Mecklenburg-Vorpommern ein großer Lehrer*innenmangel. Allein in den Grundschulen fehlen laut einer Studie der Bertelsmannstiftung in Mecklenburg-Vorpommern 900 Fachkräfte bis 2025. Laut dem Norddeutschen Rundfunk ist im nordöstlichen Bundesland jede zehnte Unterrichtsstunde vom ersatzlosen Ausfall bedroht. Zusätzlich gehen viele Studierende nach ihrem Lehramtsstudium in ein anderes Bundesland, um dort als Lehrer*in verbeamtet zu werden. Die Vorsitzende der GEW MV, Anette Lindner, macht dafür die langjährige Sparpolitik der Landesregierung verantwortlich.

Durch den Lehrer*innenmangel nimmt die Klassengröße und die Arbeitsbelastung der vorhandenen Lehrkräfte immer mehr zu. Laut der Bertelsmannstiftung müssten bis 2015 bundesweit 105.000 neue Lehrer*innen eingestellt werden, jedoch könnten bis dahin an den Universitäten lediglich 70.000 Lehrkäfte ausgebildet werden. Als Antwort brauchen wir eine groß angelegte Kampagne für neue Lehrer*innenstellen, bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte, mehr Studienplätze und ein Ende der Sparpolitik.

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