Lehren der Oktoberrevolution nach 95 Jahren
Am 15. November, am Tag nach dem 14N mit Generalstreiks in mehreren europäischen Ländern, versammelten sich rund 25 Personen im Café Commune in Kreuzberg, um über die Oktoberrevolution zu diskutieren. Die Überschrift des Flyers („#occupy petrograd“) machte schon deutlich, dass es zum 95. Jahrestag der Revolution nicht um das historische Ereignis sondern um die politischen Lehren ging. Nachdem in der vorigen Woche auf offenen Treffen von dem Studierendenflugblatt Waffen der Kritik und von den SchülerInnenzeitungen Red Brain und Banana Republic über die Russische Revolution diskutiert wurde, ging es in den zwei Vorträgen zur Einleitung der Diskussion um zwei zentrale Fragen, die immer wieder aufgekommen waren: Warum ist eine revolutionäre Partei notwendig? Warum degenerierte die russische Revolution?
Zur Bedeutung einer revolutionären Partei gab es bereits einige Ausführungen in der Rede „Verteidigung der Oktoberrevolution“, die Leo Trotzki im Jahr 1932 in Kopenhagen hielt. Eine neue Ausgabe der Rede vom Trotzki-Archiv wurde der Veranstaltung vorgestellt. Aus Trotzkis Geschichte der Russischen Revolution wurde auch eine Metapher vorgestellt, die für viel Diskussion sorgte: „Ohne eine leitende Organisation würde die Energie der Massen verfliegen wie Dampf, der nicht in einem Kolbenzylinder eingeschlossen ist. Die Bewegung erzeugt indes weder der Zylinder noch der Kolben, sondern der Dampf.“ Genauso zeigt das Beispiel der Deutschen Revolution von 1918-19, in der es Räte aber keine starke revolutionäre Partei gab, dass Räte zwar einen unverzichtbaren Rahmen für revolutionäre Politik bilden, aber an sich noch nicht revolutionär sind.
Genauso lebendig war die Diskussion darüber, wie der Stalinismus aus der Oktoberrevolution hervorgehen konnte. Diese Degeneration, die mit der Entmachtung der Räte und der Ermordung der alten Bolschewiki einherging, war kein Machtkampf sondern in erster Linie ein sozialer Prozess, der auf die Rückständigkeit Russlands und die internationale Isolation der Sowjetunion nach der Niederschlagung revolutionärer Prozesse in anderen Ländern basierte. Deswegen kämpfte die Linke Opposition in der Sowjetunion (von der Trotzki die bekannteste Figur war) für eine richtige revolutionäre Politik für die Kommunistische Internationale, auch wenn sie sich gleichzeitig gegen die Bürokratie im eigenen Land richtete. Diese Orientierung auf die Weltrevolution war der entscheidende Unterschied zwischen dem Marxismus von Marx, Lenin und Trotzki auf der einen Seite und seiner stalinistischen Entartung auf der anderen.
Schließlich musste die Diskussion mehrmals verlängert werden und ging über zweieinhalb Stunden. Es hat uns gefreut, dass auch mehrere GenossInnen aus der autonomen Szene an der Diskussion teilnahmen. Ebenfalls anwesend waren mehrere GenossInnen der PSG, die aber nur kontrollieren wollten, dass ihr Urheberrecht auf einen Film von 1937 nicht verletzt wird. Uns hat es nicht gefreut, dass sie gar nicht an der Diskussion teilgenommen haben (dazu haben wir einen offenen Brief geschrieben). Anstelle des angekündigten Filmes zeigten wir „Ellos se atrevieron“ („Sie wagten es“), einen spanischsprachigen Dokumentarfilm von unserer Schwesterorganisation TV.PTS, der selbstverständlich im Internet frei zugänglich ist.