Landtagswahlen: Brandherd statt Brandmauer

04.09.2024, Lesezeit 10 Min.
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Ryan Nash Photography / Shutterstock.com

Nach dem Sieg der AfD wird die „Brandmauer“ zunehmend löchrig. Für die Bundespolitik könnte sich die komplizierte Lage im Osten zu einem größeren Brandherd ausweiten. Gegen den Rechtsruck braucht es die Mobilisierung auf der Straße und in den Betrieben, Schulen und Unis.

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ist eine extrem rechte Partei stärkste Kraft bei einer Landtagswahl mit 32,8 Prozent in Thüringen, und knapp zweitstärkste Kraft in Sachsen mit 30,6 Prozent, nur 0,9 Punkte hinter der CDU. Björn Höcke und Alice Weidel traten entsprechend siegestrunken in den TV-Debatten auf. In der Berliner Runde erklärte Bernd Baumann, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion: „AfD wirkt“. Das zeige sich daran, dass „der BSW und die CDU unsere zentralen Forderungen zur Zuwanderung übernommen haben“.

Tatsächlich haben nicht nur CDU und BSW sich den Forderungen der AfD angeschlossen. Auch die Ampelregierung ist – nochmals verstärkt durch den Anschlag in Solingen – auf Kurs der inneren Militarisierung und der Abschottung. Verbunden mit ihrem schwachen Abschneiden in Thüringen und Sachsen öffnet sie der Rechten die letzten Schleusen. Schon hält sie mit der CDU ein Treffen ab, um über noch weiter reichende Maßnahmen zu diskutieren. So fordert Friedrich Merz unter anderem einen gänzlichen Aufnahmestopp von Geflüchteten aus Syrien und Afghanistan, Markus Söder spielt mit dem Gedanken einer Grundgesetzänderung zur völligen Abschaffung des Asylrechts. Forderungen, wie sie vor noch vor zehn Jahren nur von Parteien wie der NPD zu hören waren.

Die Parteien der Ampelkoalition auf Bundesebene erlebten wie erwartet eine krachende Niederlage: Mit 10,4 Prozent (Thüringen) bzw. 13,3 Prozent (Sachsen) für alle SPD, FDP und Grünen zusammen zeigte sich das ganze Ausmaß der Repräsentationskrise, vor der die Bundesregierung steht. Dennoch kam zumindest die SPD noch glimpflich aus dem Wahlabend heraus. Trotz einstelliger Prozentwerte wird sie wohl weiter Teil einer Regierung in Sachsen und Thüringen bleiben. Möglicherweise auch in Brandenburg, wo am 22. September gewählt wird. Diese Niederlage mit blauem Auge dürfte vorerst ausschlaggebend dafür sein, ob die Ampel-Koalition sich weiter halten kann. Der Tod folgt also nicht auf den Knall im Osten, sondern weiter auf Raten. Härter als die SPD traf es die Grünen, die aus dem sächsischen Landtag rausfliegen und insbesondere die FDP mit 1,1 Prozent in Thüringen und 0,9 Prozent in Sachsen. Dagegen hat die Nazipartei Freie Sachsen doppelt so viele Stimmen bekommen. Auch nach kritischen Aussagen aus den eigenen Reihen etwa von Wolfgang Kubicki dürfte die FDP damit das größte Fragezeichen für die Stabilität der Ampel darstellen.

Zersplitterung der Parteienlandschaft

Während in Sachsen ein Bündnis von CDU, BSW und SPD greifbar scheint, zeichnet sich in Thüringen eine komplizierte Regierungsbildung ab. Unter der Ausschluss der AfD bräuchte es eine ganz große Koalition von CDU, BSW, LINKE und SPD, eine Option, die die CDU bisher aber ausschließt. Die Alternative verspricht keineswegs mehr Stabilität: eine Minderheitsregierung ohne Linkspartei.Der Wahlausgang zeigt eine Zersplitterung der Parteienlandschaft, die auch auf die Bundespolitik zurückschlagen dürfte. So schreibt die Süddeutsche Zeitung:

Die deutsche Demokratie ist zwar lebendig, wie die Wahlbeteiligung im Osten zeigt, aber das Land ist immer schwerer steuer- und regierbar. Schon die Ampel ist weniger Wunschprojekt als Zweckbündnis. Die FDP erklärt regelmäßig, dass sie eher aus ’staatspolitischer Verantwortung‘ mit SPD und Grünen regiere als wegen geteilter Überzeugungen.

Die AfD wird so zu einem strategischen Problem für die sogenannten etablierten Parteien. Sowohl der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer als auch Sahra Wagenknecht stellen schon die „Brandmauer“ in Frage. Ohne die AfD direkt in Regierungen einbeziehen zu wollen, plädieren beide für einen „pragmatischen“ Kurs. Mit über 30 Prozent ist die AfD zu präsent, um sie gänzlich ignorieren zu können. Auf kommunaler Ebene stellen sich bereits vielfach die Frage des Umgangs mit der AfD. Und die Sperrminorität, die sie im Thüringer Landtag nun ausüben kann, zwingt die anderen Parteien, bei Verfassungsänderungen oder der Nachbesetzungen am Verfassungsgericht mit der AfD zu verhandeln. So findet ihre weitere Normalisierung und Integration in das politische System statt. Zwei deutlich rechte Landesregierungen unter CDU-Führung in Sachsen und Thüringen könnten zudem ein Leuchtturm der Rechten werden, der auf die Bundesrepublik ausstrahlt.

Das andere strategische Problem heißt BSW. Auf Landesebene kann die CDU mit der neuen Truppe von Wagenknecht wohl eine Einigung finden. BSW will das Thema Frieden in Koalitionsverhandlungen an eine prominente Stelle setzen. Doch ist vollkommen unklar, was dies auf regionaler Ebene bedeuten soll. Die Forderung, keine Mittelstreckenraketen in Sachsen und Thüringen zu installieren, dürfte die CDU nicht schrecken, wenn sie eben woanders platziert werden.

Doch für die nächsten Bundestagswahlen könnten gute Ergebnisse für BSW und AfD einem Friedrich Merz – oder Markus Söder – auf der Suche nach einem Koalitionspartner schwer zu schaffen machen. Noch muss sich zeigen, wie „unbequem“ BSW tatsächlich für die anderen Parteien wird. Doch allein ihr Aufstieg mit der Ablehnung der Kriegs- und Migrationspolitik zeigt einen sich ausweitenden Brandherd für das Parteiensystem der Bundesrepublik. 

„Linke“ Regierungspolitik ist endgültig gescheitert

In Thüringen, wo Bodo Ramelow mit kurzer Unterbrechung die letzten zehn Jahre Ministerpräsident einer rot-rot-grünen Regierung war, hatte DIE LINKE den krassesten Absturz: Sie kam nur noch auf 13,1 Prozent, ein Verlust von 17,9 Prozentpunkten. Scharenweise sind ihre Wähler:innen zu BSW, zur CDU und sogar zur AfD abgewandert. Statt einen Schutz gegen die Rechten zu bilden, hat die Politik des „linken“ Regierens den Rechten erst den Weg bereitet. Dass der Landesverband des Faschisten Björn Höcke sich zum Vertreter „des Volkes“ gegen „das Establishment“ aufschwingen konnte, belegt eindrücklich die Abwesenheit einer tatsächlichen linken – ganz zu schweigen von antikapitalistischen – Opposition. In Sachsen konnte sich DIE LINKE nur dank starker Ergebnisse der Direktkandidat:innen in Leipzig halten; die zwei gewonnenen Direktmandate erlauben der Partei, als Fraktion in den Landtag einzuziehen, obwohl sie landesweit mehr als die Hälfte ihrer Stimmen verlor und an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte.

Nicht nur verlor die Linkspartei den Ruf, eine Partei der „sozialen Gerechtigkeit“ zu sein (so stimmten in Sachsen etwa nur noch 9 Prozent der Befragten zu, dass DIE LINKE „am ehesten für soziale Gerechtigkeit“ sorge). Auch mit ihren mehrheitlichen pro-NATO- und pro-Israel-Positionen war sie eine mehr als zahme Opposition. Die letzten fünf Jahre überbrückte Bodo Ramelow die Amtsgeschäfte im scheinbar unregierbaren Thüringen, inklusive Kürzungen, wie zuletzt ausgerechnet in der Integrationsarbeit und Projekten zur Demokratieförderung, während sich auf den Straßen vermehrt Nazibanden herumtreiben. 

Mit seiner Regierung ist nun Schluss. Doch ihre strategische Sackgasse als Partei, die zu zentralen Fragen der Außenpolitik keine Einigkeit findet, hebt dies nicht auf. Ihre vollständige Ausrichtung auf Regierungsbeteiligungen – und damit kapitalistischer Mitverwaltung – hat über viele Jahre hinweg ihre Glaubwürdigkeit weitgehend ausgehöhlt. 

Das katastrophale Abschneiden der Linkspartei und der Ampel zeigt, dass im Kampf gegen Rechts auf diese parlamentarischen Formationen kein Verlass ist. Sie sind – zusammen mit der CDU – selbst verantwortlich für kapitalistische Kürzungspolitik, rassistische Hetze, Abschottung sowie innere und äußere Militarisierung. Ebensowenig stellen BSW oder AfD eine Antwort dar auf die Kriegsfrage. Die AfD will selbst mehr Aufrüstung. BSW positioniert sich zwar für Frieden, aber fordert zugleich eine Stärkung der Sicherheitsapparate und der Festung Europa. Es sind genau diese innere Militarisierung und der Rassismus, die überhaupt erst die Kriegs- und Sparpolitik ermöglichen und den Aufstieg der Rechten befördern. 

Zugleich ist klar, dass die AfD nicht allein als „Protestpartei“ gewählt wurde. Ein bedeutender Teil der AfD-Wähler:innenschaft stimmt extrem rechten Positionen zu, insbesondere in Bezug auf Migrationspolitik und rassistische, antifeministische und queerfeindliche Positionen. Und auch über die AfD hinaus sind Forderungen nach mehr Abschiebungen und Ausgrenzung nicht nur in den Parteizentralen, sondern auch unter Wähler:innen der „demokratischen“ Parteien salonfähig. Eine große Mehrheit ist für Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien und für die Streichung von Sozialleistungen für „ausreisepflichtige Ausländer“. Auch hier hat die Linkspartei diese Politik in Regierungsverantwortung mit umgesetzt, während BSW direkt in den rassistischen Chor mit einstimmt. Solange linke und Arbeiter:innen-Organisationen in Richtung solcher Positionen vermitteln – oder die Auseinandersetzung darum vermeiden, indem sie sich auf ökonomische Forderungen beschränken –, überlassen sie den Rechten das Feld. Nur geduldiges, aber entschiedenes Einstehen für Solidarität und die Einheit aller Ausgebeuteten und Unterdrückten entgegen der prokapitalistischen Spaltungspolitik kann AfD und Co. das Wasser abgraben.

Mobilisierungen gegen den Rechtsruck statt „demokratischer“ Volksfront

Die selbst weit rechts stehende Merz-CDU profiliert sich nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen als Anführerin des „demokratischen“ Lagers gegen die AfD. Doch selbst wenn die CDU die „Brandmauer“ nicht aufweichen sollte – das Gegenteil ist wahrscheinlicher –, kann mit der CDU der Aufstieg der Rechten nicht bekämpft werden. Im Gegenteil sorgt die immer offensivere Übernahme von AfD-Positionen durch die bürgerlichen Parteien nur dafür, die AfD noch weiter zu stärken. Es gilt, sich nicht nur gegen die AfD zu mobilisieren, sondern auch gegen jede Politik, für die die AfD steht, die von den etablierten Parteien umgesetzt wird. Linke Kräfte können keine CDU-geführte Regierung „tolerieren“ oder gar Verantwortung für ihre Politik übernehmen. Anstatt einer breiten „demokratischen“ Volksfront braucht es einen Zusammenschluss von linken und Arbeiter:innen-Organisationen mit Versammlungen und Mobilisierungen gegen die AfD und die Politik der Regierungen. 

Die Gewerkschaften und linken Kräfte müssen Mobilisierungen gegen die Rechten führen und dabei konsequent auch gegen die Politik eintreten, die von Ampel über BSW, CDU bis zur AfD gemacht wird. Es gilt, Auftritte der AfD zu blockieren, ihre Veranstaltungen zu stören, in den Betrieben und Unis Versammlungen und Aktionen gegen den Rechtsruck und die Militarisierung abzuhalten. Es braucht Massenmobilisierungen, Blockaden und Streiks gegen jedwede Regierungsbeteiligung der AfD. Ein ermutigendes Beispiel waren da die 400 Beschäftigten von Zeiss, Jenoptik, and Jena-Optronik in Jena, die im Anschluss an die Wahlen dem Aufruf der Vertrauensleute folgten, gegen mögliche AfD-Koalition oder eine Tolerierung zu protestieren. Solche Aktionen müssen sich ausweiten und auch insgesamt gegen die arbeiter:innenfeindliche Politik der Bundes- und neuer Landesregierungen richten.Der Kampf gegen den Rechtsruck beginnt auf den Straßen und in den Betrieben, Schulen und Unis. Doch er braucht auch den Aufbau einer konsequenten sozialistischen und antikapitalistischen Alternative, mit einem Programm der Selbstorganisation und der Mobilisierung gegen die extreme Rechte und die Regierung gleichermaßen.

AfD und Co. auf dem Vormarsch: Wie weiter nach Solingen und den Landtagswahlen im Osten?

Online-Veranstaltung am Samstag, den 7. September, um 19:30 Uhr
via Zoom und in Präsenz in unseren Lokalen in Berlin und München

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Berlin: Rosa und Karl, Sonnenallee 152, Neukölln
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