„Landesvater“ Ramelow organisiert „historischen Kompromiss“: Linkspartei wird mit Stimmen der CDU in Thüringen regieren

23.02.2020, Lesezeit 9 Min.
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Am Freitagabend verkündete Bodo Ramelow das Ende der Regierungskrise in Thüringen: Die CDU wird eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung stützen. Ramelow wird wieder Ministerpräsident, die Regierungsfähigkeit ist gesichert – und mal wieder geht "Stabilität" vor Programm.

Bild: Flickr

Nach der Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) durch die Stimmen von AfD und CDU gab es ein politisches Erdbeben. Danach wurde in langen Verhandlungen versucht, die Ordnung wieder herzustellen. In diesem Prozess hatte Bodo Ramelow zwischendurch sogar seine Amtsvorgängerin Christine Lieberknecht (CDU) als Übergangsministerpräsidentin vorgeschlagen. Nun verkündeten Linkspartei, SPD, Grüne und CDU am Freitagabend in Erfurt einen Ausweg aus der Krise: Der Landtag soll mit Stimmen der CDU Bodo Ramelow am 4. März zum Ministerpräsident einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung wählen. Im April – allerdings erst 2021! – sollen dann Neuwahlen stattfinden. Ob das tatsächlich stattfindet, ist noch unklar, auch weil die Bundes-CDU gestern verkünden ließ, dass sie die Entscheidung ablehnt.

Mario Voigt, stellvertretender thüringischer CDU-Vorsitzender, sprach vor der Presse dennoch von einem „historischen Kompromiss“. Das Springer-Blatt WELT zog sogleich den historischen Vergleich zum „compromesso storico“ der Italienischen Kommunistischen Partei mit der konservativen Christdemokratie, der die Politik der „nationalen Einheit“ der Stalinist*innen auf die Spitze trieb.

Der Vergleich ist gut gewählt: Ramelow inszeniert sich immer wieder als „Landesvater“, dem es nicht um Macht und Posten, sondern um das Wohl des Landes ginge. Doch was ist dieses viel beschworene „Wohl des Landes“?

Bodo Ramelow war in den vergangenen fünf Jahren der Kopf der rot-rot-grünen Landesregierung. Dabei ging es auch um die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, frei nach dem Motto:“Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es allen gut“.

Die wirtschaftlichen Probleme von Thüringen sind dabei dieselben wie vielerorts. Vor allem Abwanderung, demografischer Wandel und Strukturwandel. Auch Thüringen ist von Schließungen von Industriestandorten und sinkender Produktion betroffen. Allen voran in der Automobilindustrie und dem Generatorenwerk von Siemens. Da kam die Ankündigung der Ansiedlung des chinesischen Batteriekonzerns CTAL bei Erfurt im vergangenen Oktober gerade recht.

Dabei ist es nicht irgendeine Form der Wirtschaft. Wie in ganz Deutschland befinden sich auch in Thüringen die Produktionsmittel in privaten Händen. Wenn es also der Wirtschaft gut geht, dann geht es also vor allem jenen gut, denen die Produktionsmittel gehören. Das viel beschworene „Wohl des Landes“ ist und bleibt vor allem das Wohl der Besitzer*innen der Produktionsmittel.

In Thüringen streiten sich derweil die unterschiedlichen Parteien darum, wer diese Interesse am besten vertritt, von den „politischen Rändern“ – AfD und Linkspartei – bis hin zu den „Parteien der Mitte“ – CDU, SPD, FDP und Grüne, von rechts bis links. In diesem Szenario wollen sich vor allem Bodo Ramelow und seine Partei als Stützpfeiler der bürgerlichen Ordnung präsentieren.

Die CDU steckt nach der Wahl von Kemmerich in einer politischen Krise. Nachdem es Annegret Kamp-Karrenbauer im Vornerein nicht gelungen war die Wahl zu verhindern, kündigte sie ihren Rücktritt als Partei-Vorsitzende an. Allgemein gibt es viel Trubel über die zukünftige Ausrichtung der Partei. Schon allein deswegen muss sich die ehemalige selbsternannte Volkspartei CDU den Vorwurf gefallen lassen, es ginge ihnen mehr um Macht und Posten, als um „das allgemeine Wohl“ des Landes.

Die AfD schlägt ebenfalls in diese Kerbe und schlägt ein pro-kapitalistisches Programm vor, mit Russland als wichtigem Absatzmarkt und Lieferanten für Rohstoffe. Sie machen vor allem die Sanktionen gegen Russland für die Standortschließungen verantwortlich und schlagen selbst ein protektionistisches Programm vor. Sie profitiert dabei in erster Linie von der Schwäche der CDU im Kampf um die zukünftige Ausrichtung angesichts der neuen Herausforderungen.

Bodo Ramelow vertritt dabei als ehemaliger Gewerkschaftsbürokrat ein klassisches sozialdemokratisches Programm, indem Proletariat und Bourgeoisie ein gemeinsames Interesse an der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes haben. In klassisch sozialdemokratischer Manier verkennt er dabei, dass der Wohlstand der einen auf dem Elend der anderen fußt.

Während rot-rot-grün vor allem als Friedensgarant und Stützpfeiler präsentiert und die AfD eine offensivere kapitalistische Politik vorschlägt, weiß die CDU eigentlich gar nicht was sie möchte. Ihr einziges Ziel war es, eine Fortsetzung von rot-rot-grün zu verhindern. Der nun ausgehandlete „historische Kompromiss“ hinterlässt einen politischen Scherbenhaufen. Annegret Kamp-Karrenbauer war nicht in der Lage, eine darüber hinausgehende Alternative überzeugend darzulegen. Diese Unfähigkeit führte zu ihrem Rücktritt.

Auch hier kann sich die Linkspartei als Stützpfeiler präsentieren. Man versucht dem überkommenen Vorurteil der sozialistischen SED-Nachfolgepartei entgegenzuwirken, die insgeheim doch eine Wiederherstellung der DDR plane, die für Mauern, Zäune und „Unfreiheit“ stehe, womit wiederum die Unfreiheit des Kapitals gemeint ist. Die Linkspartei lässt dabei keine Gelegenheit ungenutzt, um zu beweisen, dass sie dem Kapital einen guten Dienst erweist. Dagegen wirkt das Agieren der CDU doch reichlich eingestaubt.

Doch über das parlamentarische Spiel hinaus: Was ist nun die Bedeutung dieses „historischen Kompromisses“? Voraussgesetzt, Ramelow wird am 4. März tatsächlich gewählt – auch gegenn die Haltung der Bundes-CDU – und es gibt keine weiteren Überraschungen, wird Thüringen in den nächsten vierzehn Monaten von einer Minderheitsregierung regiert, die um Schritt und Tritt die Verhandlungen mit der CDU suchen muss. Jede auch nur halbwegs progressive Politik wird vor diesem Hindernis stehen, geschweige denn eine Politik, die tatsächlich die Profite der Kapitalist*innen angreifen und gegen das neoliberale Mantra der Privatisierung und Kürzungen vorgehen will. Denn das – in der Perspektive der Vergesellschaftung der Produktion und der Daseinsvorsorge – ist die einzige Antwort auf den Aufstieg der AfD. Wenn die Linkspartei mit rot-rot-grün nun ein ganzes Jahr lang auf Neuwahlen verzichtet, erlaubt sie damit nicht nur eine Erholung von einem der rechtesten Landesverbände der CDU – was für eine zweifelhafte Ehre –, sondern sie gibt der AfD noch mehr Spielraum, um sich als einzige Partei zu gerieren, die „gegen das Establishment“ gerichtet ist.

Das Problem ist, dass es keine Partei gibt, die offen ein antikapitalistisches Programm vorschlägt und dabei auch das Parlament als Bühne nutzt. Thüringen verschärft stattdessen das Bild einer systemtreuen Linken, der es mehr um das allgemeine Wohl der Wirtschaftsbosse geht und dies als Wohl des Landes verkauft, statt offen die objektiven Interessen der Arbeiter*innenklasse zu vertreten.

Statt den Aufbau einer solchen Partei voranzutreiben, befinden sich viele linke Strömungen weiterhin innerhalb oder am Rand der Linkspartei. Die aktuelle Krise lässt erahnen, auf wie viele offene Ohren eine solche Partei stoßen würde.

Sie würde im Kampf gegen Schließungen und Entlassungen nicht AfD und Linkspartei das Feld überlassen, sondern ein Programm vorschlagen, das die Verstaatlichung unter Kontrolle der Beschäftigten vorschlägt, und Antworten auf die drängenden Fragen im Interesse der Arbeiter*innenklasse geben.

Es reicht nicht, die AfD als die kapitalistischen Hunde zu entlarven, die sie sind, sondern auch eine echte Alternative anzubieten. Diese beruht auf einem radikalen Bruch mit dem Kapital und seiner Agenten. Zu behaupten, die Massen währen noch nicht so weit, verkennt die objektive Notwendigkeit dieser Forderungen.

Der Reformismus beweist tagtäglich seine Unfähigkeit für wirkliche Verbesserungen im Interesse der Mehrheit. Das Bewusstsein der Massen ist auch abhängig von der Existenz einer anderen, revolutionären Partei. Um das Bewusstsein der Massen zu heben, braucht es überhaupt eine solche Partei, die eine wahre Alternative anbietet, sowohl zur sozialen Demagogie der AfD, als auch zu den Versprechungen der Linkspartei. Nicht nur bei rein ökonomischen Fragen, sondern in sämtlichen politischen Fragen.

Sie würde enge Bindungen an die Arbeiter*innen suchen und Antworten auf sämtliche Fragen des alltäglichen Lebens geben. Eine solche Partei muss erst noch geschaffen werden, das ist die drängendste Aufgabe in Deutschland.

Zur Erfüllung dieser Aufgabe ist es eine große Hürde, dass sich weiterhin die größten Strömungen der antikapitalistischen Linken am Rockzipfel der Linkspartei befinden und mehr Zeit dem Studium des innerparteilichen Lebens der Linkspartei und ihrer anhänglichen Institutionen widmen, anstatt des alltäglichen Lebens der Massen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Sowohl die SAV als auch die SOL, die innerhalb der Strömung „Antikapitalistische Linke“ in der Linkspartei arbeiten, beteuern zwar, dass sie die staatstragende Linie von Bodo Ramelow und der Thüringer Linken ablehnen und fordern ein „linkes“ oder „sozialistisches Regierungsprogramm“. Zugleich ist ihnen klar, dass die Linkspartei-Führung nicht dazu bereit sein wird – noch weniger nach dem Deal, den Ramelow mit der CDU geschlagen hat. Doch weiterhin geben sie sich sowohl der Illusion hin, dass eine linke Opposition in der Linkspartei diese nach links drücken könnte – entgegen der gesamten Geschichte der Linkspartei, die durch mehr und mehr Regierungsbeteiligungen immer weiter nach rechts gerückt ist und nun sogar mit der CDU paktiert! –, anstatt die Konsequenz zu ziehen, dass eine tatsächliche Alternative nicht als Teil einer Regierungspartei aufgebaut werden kann.

Diese eigentlich banale Erkenntnis ist jedoch allererste Voraussetzung zum Aufbau einer revolutionären Partei in Deutschland.

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