Kundgebung vor der DGB-Zentrale: “Mobilisiert endlich gegen die Krise!”
Am Montagabend protestierten mehrere Dutzend Gewerkschafter:innen vor der Zentrale des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin. Sie forderten ihre Gewerkschaftsführungen dazu auf, endlich gegen die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise und die Regierungspolitik angesichts der Energiekrise zu mobilisieren.
Die Kundgebung wurde organisiert von der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), zusammen mit dem Bündnis Heizung, Brot und Frieden, welches zuletzt am 3. Oktober eine Demonstration für Inflationsausgleich bei Löhnen und Sozialleistungen und gegen die Krisenpolitik der Regierung organisiert hatte.
Inés In, GEW-Mitglied und Aktivistin bei RIO und KGK, berichtete zunächst von ihrem Alltag als Sozialarbeiterin an einer Neuköllner Schule, die auch unter den Kürzungsmaßnahmen des Senats von SPD, Grünen und Linkspartei leidet. Dagegen gibt es aktuell Streiks der Lehrer:innen, die aber von der GEW noch nicht mit voller Kraft geführt werden. Während sich Kolleg:innen in den Schulen gemeinsam organisieren, um eine hohe Streikbeteiligung zu erreichen, verzichtet die GEW-Führung bisher darauf, neben Lehrer:innen auch andere GEW-Mitglieder, wie die ausgelagerten Sozialarbeiter:innen, zum Streik aufzurufen.
In Bezug auf die Inflationsproteste verhält es sich ähnlich: Während die steigenden Preise zu einem immer größeren Problem für die Kolleg:innen werden, verzichten die Gewerkschaftsapparate bisher darauf, zu größeren Protesten zu mobilisieren und ihre Kraft und Strukturen zu nutzen, um diese Proteste auch mit den ohnehin stattfindenden Streiks zu verbinden. Immerhin rufen ver.di und GEW für den 22. Oktober zu einer Demonstration in mehreren Städten unter dem Motto “Solidarisch durch die Krise” auf. Die anderen DGB-Gewerkschaften ziehen bisher jedoch nicht nach. Und auch die Mobilisierung für den 22. lässt zu wünschen übrig – schließlich sind die Forderungen sehr handzahm und schwammig gehalten: “Soziale Sicherheit schaffen und fossile Abhängigkeiten beenden” heißt es da. Und der Staat solle “Vermögende und Krisengewinnler zur Solidarität verpflichten und endlich angemessen belasten”. Handfeste Forderungen nach einem automatischen Inflationsausgleich für Löhne oder nach einer Gewinn- und Vermögenssteuer, um den sozialen Ausgleich zu finanzieren: Fehlanzeige.
Ein Sprecher des Bündnisses Heizung, Brot und Frieden betonte, dass neben Löhnen auch Renten, Hartz IV und andere Transferleistungen an die Inflation angepasst werden müssten. Er sprach sich außerdem dafür aus, die Energiewirtschaft in öffentliche Hand zu überführen, um die Energieversorgung nicht weiter den Profitinteressen der Konzerne zu unterwerfen.
Im Redebeitrag der VKG Berlin sprach René Arnsburg darüber, dass der ver.di Landesverband Berlin-Brandenburg auf Druck von Teilen der Gewerkschaftsbasis bereits beschlossen hat, Mobilisierungen gegen die Krise durchzuführen. Allerdings müsse der Druck aufrechterhalten bleiben, damit dies auch tatsächlich umgesetzt wird. Er machte außerdem deutlich, dass eine Forderung wie die Enteignung der Energiekonzerne und anderer elementarer Infrastruktur nicht allein mit Protesten auf der Straße, sondern nur mit Streiks durchzusetzen sein wird. Doch für eben diese müssten die Gewerkschaften mobilisieren. Dafür müssten sie aber ihre sozialpartnerschaftliche Ausrichtung ändern und sich insbesondere nicht mehr an der “Konzertierten Aktion” gemeinsam mit den Arbeitgeberverbänden beteiligen. Arnsburg verwies auch darauf, dass der DGB Berlin-Brandenburg im Vorfeld der Kundgebung angefragt wurde, selbst mit einem Redebeitrag Stellung zu beziehen. Darauf gab es jedoch keine Reaktion – passend dazu, dass der DGB sich auch nicht an den Mobilisierungen für den 22. beteiligt.
Ein Kollege der Deutschen Bahn sprach anschließend über die Situation bei “seinem” Unternehmen, in dem sich mit EVG und GDL zwei Gewerkschaften um Einfluss streiten und dabei vor allem ihre eigenen Interessen und nicht die der Beschäftigten im Blick haben. Auch sie mobilisieren ihre Mitglieder bisher nicht für soziale Forderungen über die Routine der Tarifrunden hinaus. Er forderte eine Verlängerung des 9-Euro-Tickets, zusammen mit einem gezielten Ausbau der Bahn-Infrastruktur. Außerdem schlug er die Enteignung der großen deutschen Automobilkonzerne vor, um deren klimafreundlichen Umbau zu ermöglichen und gleichzeitig den Ausbau des Bahnverkehrs mit den Milliarden der klimaschädlichen Automobilkonzerne zu finanzieren.
Die verschiedenen Beiträge auf der Kundgebung haben deutlich gezeigt, dass die Gewerkschaften noch viel Potenzial hätten, um wichtige Sektoren der Arbeiter:innenklasse zu mobilisieren. Doch es ist nicht nur so, dass die Führungen sich davor scheuen, sie nehmen auch problematische Positionen angesichts der aktuellen Krise ein. In Fragen des Krieges, der ja eng mit der Inflation verbunden ist, bleiben sie auf Linie der Regierung: So erklären sie sich solidarisch mit der Ukraine, ohne die NATO und die Bundesregierung für ihre militaristische Politik und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu kritisieren, die sowohl die Arbeiter:innen in Russland als auch in Europa schwer treffen. Stattdessen brauchen wir ein Ende der Sanktionen und eine internationalistische Antwort der Gewerkschaften auf den Krieg. Dazu gehört auch, alle Flüchtenden aus der Ukraine und Russland aufzunehmen und ihnen ein Recht auf Arbeit zu gewähren. Dies gelte insbesondere auch für die russischen Deserteur:innen, die sich gegen den Kriegskurs ihrer Regierung wehren.
Nur wenn die Gewerkschaften sowohl im Interesse der Unterdrückten, als auch im Interesse aller von der Inflation betroffenen Arbeiter:innen mobilisieren, kann die Spaltung der Klasse überwunden und sowohl die politischen als auch die ökonomischen Forderungen angesichts der Krise durchgesetzt werden.
In diesem Sinne werden wir auch gemeinsam mit der VKG auf der Demonstration am 22. Oktober von ver.di, GEW und verschiedenen NGOs intervenieren und mit Arbeiter:innen aus der Krankenhausbewegung, der Berliner Stadtreinigung und anderen kämpferischen Bereichen über die notwendigen Aktionen und Forderungen der Gewerkschaften diskutieren.
Demo: “Solidarisch durch die Krise”
ver.di Demo am Samstag, 22.10., 12 Uhr, Invalidenpark, beim Krankenhausblock