Kundgebung für Palästina: „Es heißt Never again for everybody“

13.12.2023, Lesezeit 9 Min.
Gastbeitrag

Wir veröffentlichen die Rede von Yagmur, unabhängige Studentin an der Freien Universität Berlin, die sie auf der Kundgebung „75 Jahre FU - Kein Grund zum Feiern“ gehalten hat.

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Bild: KGK

Mein Name ist Yagmur und ich bin eine unabhängige Studentin der FU. Eigentlich hätte ich sehr viel zu sagen, aber ich werde mich in dieser Rede auf das Wesentliche für heute beschränken. Wie viele andere hier bin ich mit unserer Universität und wie sie zu dem Genozid in Gaza steht, mehr als unzufrieden. Für eine ach so liberale Universität ist es nicht nur kritisch, sondern auch falsch, wie zurzeit mit der Situation an der Uni, aber auch außerhalb, umgegangen wird. Die Universität veröffentlichte einen Post, in dem sie bekannt gab, solidarisch mit Israel zu stehen. Die Opfer auf der palästinensischen Seite werden ignoriert, so wie in den letzten 75 Jahren auch. Auf mehrere Aufforderungen, ein neutraleres Statement abzugeben, oder ein weiteres Statement zu veröffentlichen, in welchem klar gemacht wird, dass man auch solidarisch mit den Opfern auf palästinensischer Seite, sowie den Betroffenen hier und besonders an der Uni steht, wurde nicht eingegangen. Wieso ist klar: entweder es interessiert sie nicht, es passt nicht in ihre politische Agenda, oder aber sie finden es schlichtweg nicht schlimm genug.

Seit 50 Tagen werden palästinensische Zivilist:innen ermordet und unsere Universität denkt, es totzuschweigen, sei die beste Lösung. Vielleicht denken die sich, je mehr Menschen da abgeschlachtet werden, desto eher wird sich die Lage hier beruhigen. Ich weiß es nicht, mir fällt generell sehr schwer Individuen zu verstehen, die sich nicht gegen einen Genozid aussprechen können, zu verstehen. Ehrlich gesagt will ich das auch nicht. Ich kann es nicht nachvollziehen, ich will es auch nicht nachvollziehen. Ich finde es nur lustig, dass die so schockiert und wütend darauf reagieren, dass WIR uns dagegen aussprechen. Wie können wir es wagen, zu sagen, dass Kolonialisierung, Apartheid, Unterdrückung, Genozid und ethnische Säuberung falsch sind? Auch von einigen Kommiliton:innen und deren Rassismus bin ich mehr als schockiert. Besonders in den Fachbereichen Psychologie, Medizin und Lehramt. Die Zukunft sieht geil aus für uns.
Damit wir alle das mal abgeklärt haben: Wir distanzieren uns von der Hamas und von jeglicher Art des Antisemitismus. Hier mal kurz angemerkt, finde ich es jedoch lustig, dass die pro-israelische Seite sich anscheinend nicht von den Gräueltaten Israels oder von dem Rassismus und der Islamophobie der pro-israelischen Propaganda distanzieren muss. Unserer Uni sind diese Probleme anscheinend auch egal. Viele von uns werden hier bedroht, beleidigt, angespuckt, verfolgt, gefilmt, fotografiert. Wen kümmerts?
Aber Ziegler [Präsident der FU], eine Frage: Warum ist Ihnen das alles unwichtig? Passen wir nicht in Ihr Opferschema? Was ist mit der Diskriminierung, unter der wir leiden?

Was ist mit der steigenden Islamophobie? Dem Rassismus unter Studierenden?
Dem Mobbing, unter dem pro-palästinensische Studierende leiden?
Hör mal, wir sind nicht dagegen, dass israelische und jüdische Studierende unterstützt werden. Wir finden es auch nicht schlimm, dass sie sich mit den Opfern auf israelischer Seite solidarisieren. Meine Frage ist nur, Ziegler: Was ist mit UNS??? Was ist mit den pro-palästinensischen Studierenden? Den Studierenden hier? Was ist mit den muslimischen Studierenden? Den palästinensischen Studierenden? Den Opfern auf palästinensischer Seite? Warum sagen sie nichts dazu?
Ist ja schonmal erstaunlich, dass die Antidiskriminierungsstelle der Uni überrascht reagiert, wenn wir sagen: „Ey yo, wir haben ein Problem.“ Die erwarten hier anscheinend, dass wir unseren Kopf beugen und alles mit uns machen lassen.
Die Situation ist so schlimm, dass Studierende sich nicht mal trauen, zur Antidiskriminierungsstelle zu gehen. Schlichtweg, weil sie der Universität nicht vertrauen.
ZIEGLER, SIE LASSEN DAS ALLES DURCH UND DENKEN WIR GÖNNEN IHNEN EINE JUBILÄUMSFEIER?
FU – shame on you!

Die Uni stellt sich genau wie Deutschland gegen sämtliche Arten des Antisemitismus. Das ist gut und wichtig und für alle, die es noch nicht mitbekommen haben ’same bro‘. Aber der Kampf gegen Antisemitimus wird instrumentalisiert. Ich finde es erstaunlich was als antisemitisch bezeichnet wird:
Kritik an Israel – ist antisemitisch
Historische Fakten – sind antisemitisch
Wir sagen: Genozid ist falsch- ist antisemitisch
Wir zeigen Beweise – ist antisemitisch
Wir sagen Palästinenser:innen haben Menschenrechte – es ist antisemitisch.
Wenn die Tatsache, dass Menschen und vor allem POCs Menschenrechte verdienen, eure Existenz so sehr erschüttert, dass ihr das als Bedrohung aufnehmt,
wenn eine neutrale Berichterstattung und Fakten euch so sehr den Boden unter den Füßen wegreißen, dass ihr Lügen und Propaganda verbreiten müsst, die übrigens auch widerlegt werden, um standzuhalten,
wenn der koloniale Ethnostaat, den man beschützt, ein Handbuch als Anleitung veröffentlicht, wie pro-israelische Menschen am besten Fakten leugnen und die Menschen auf ihre Seite bringen können – nicht mit Fakten und Logik, sondern durch Manipulation–
Honey, dann sollte man meinen, der Groschen würde fallen.

Die werfen uns Volksverhetzung, Antisemitismus und Gott weiß was vor aber, wie heißt es so schön: zionists accusations are zionists confessions.
Wir wissen alle, wer hier wen abschlachtet. Wir wissen alle, wer hier welches Land von der Landkarte streichen will.
Wir wissen alle, dass es nichts antisemitischeres gibt, als Zionismus.
Die verstehen nicht einmal woher unsere Erschütterung wirklich herkommt. Nicht nur an der Uni, sondern global ist den Menschen klar geworden, dass der Westen der selbe rassistische, kolonialistische Piephaufen ist, wie er es schon immer war. Die Unfähigkeit, seine eigenen Taten zu verstehen und das Opfer zu beschuldigen, um mit sich selbst klarzukommen. Denial (the nile) is a river in egypt – just saying.

Ich könnte jetzt Stunden über die Zionist:innen, Rassist:innen und Islamophob:innen reden,
was mich aber besonders verblüfft, sind unsere vermeintlich liberalen Kommiliton:innen. Ich fasse es nicht, dass wir hier Geschichtsstudent:innen haben, die ihre Bachelorarbeiten über decolonization schreiben, aber sich ‚aus dem Konflikt raushalten‘.
Es wird 5 mal eine Anzeige zur selben Party geteilt, aber ein Spendenaufruf für Gaza und schon wird man aus der Gruppe geschmissen.
Sie sagen, dass Genozid zu kompliziert ist,
sagen dass sie Pazifist:innen sind – ich habe noch nie einen Pazifisten getroffen, der sich bei einem Genozid nicht entscheiden konnte.
Sie sagen, es sei ein religiöser Krieg, deswegen halten sie sich raus – es hat nichts mit Religion zu tun.
Sie sagen, dass es doch 2 Seiten gäbe.
Ja, es gibt 2 seiten:

Occupier und occupied
Unterdrücker und Unterdrückte
Täter und Opfer

Um das klarzustellen, es gibt kein: „Ich halt mich raus.“
Wer leise ist, unterstützt den Genozid
Herr Ziegler
Your silence is the silencer on the oppressors gun!
Sie sind ein Feigling.
Oder Sie unterstützen die Taten Israels bedingungslos. Wir wissen alle, was das heißt.

Ich weiß wirklich nicht, was in deren Köpfen so vorgeht .

Ziegler, wenn Sie also glauben, dass wir müde werden, dann können Sie noch den Rest ihrer Karrierelaufbahn darauf warten. Wenn man hier wirklich denkt, wir würden uns unsere Rechte, unsere Stimme wegnehmen lassen, uns wie Scheiße behandeln lassen, den Kopf beugen, dann können sie alle noch lange darauf warten. Lasst uns nicht vergessen, auf welcher Seite wir stehen: Auf der richtigen.
Wir sind es, die sich gegen den westlichen Imperialismus stellen. Pro-Palästina heißt nicht pro-Hamas. Allein von so etwas auszugehen, ist rassistisch und nichts weiter als Heuchelei. Für die Menschenrechte von Menschen in muslimischen Ländern einzustehen, ist nicht islamistisch. Es sind halt nur Sachen, die den Leuten und vor allem unserer weißen, westlichen Elite nicht passen. Pro-Palästina zu sein bedeutet, Dinge in einen historischen Kontext zu packen.
Sich gegen Unterdrückung, Apartheid, Rasissmus, Kolinialismus und ethnische Säuberung zu stellen.
Dass uns vor allem hier in Europa viele Steine in den Weg gelegt werden, ist kein Wunder. Was erwartet man auch, wenn man sich die Geschichte Europas anguckt. Denn lets be real, wenn ihr auf der einen Seite das internationale Gesetz, die UN, Unicef, sämtliche Menschenrechtsorganisationen der Welt und Freiheitskämpfer wie Nelson Mandela, Malcom X und Mahadma Ghandi habt und ihr steht auf der Seite des tag teams Kolonialisierung, Völkermord und Terrorismus aka die Kolonialmächte Deutschland und die USA: Dann wissen wir, auf wessen Seite ihr im Laufe der Geschichte immer gestanden hättet.
Leute wie uns gab es schon immer.
Leute wie sie gab es auch schon immer. Aber wir wissen ganz genau, welche Seite im Nachhinein immer wieder versucht, ihre Taten zu verbergen. Was ein bisschen schwierig sein wird, wenn zurzeit der am besten dokumentierte Genozid in der Geschichte der Menschheit stattfindet.
Ihr werdet diese Geschichte nicht löschen und ihr werdet sie nicht verbergen können.

Google Maps und Apple Maps haben Palästina bereits von der Karte gelöscht.
Macht doch.
In den verschiedensten Ländern der Welt wird Palästina anerkannt. Wir kennen die Grenzen des Landes. Selbst wenn ihr jeden Interneteintrag über Palästina löscht oder gar das Internet ausschaltet, gibt es Bücher, Karten, Berichte. Wie wollt ihr sie alle loswerden? Selbst wenn ihr das schaffen würdet – es gibt immer noch uns. Wie viele von uns habt ihr denn auf eurer Zielliste? Ihr werdet uns nicht aufhalten können und wir werden nicht aufhören. Es hieß Free Palestine gestern, es heißt Free Palestine heute und es wird Free Palestine morgen heißen.

Es heißt never again for everybody.
Es heißt Stop the genocide.

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