Kürzungen für uns, Vermögensschutz für Reiche
Berliner Bezirke wie Neukölln kürzen Ausgaben, damit Superreiche ihren Reichtum behalten. Am 5. Juli findet dagegen eine Protestaktion statt. Warum wir eine Vermögenssteuer und einen Kampf gegen die superreichen Kapitalist:innen brauchen. Kommentar von einem Neuköllner Pfleger.
Es drohen in Berlin massive Kürzungen in sozialen Bereichen. Unter dem neuen Finanzsenator Stefan Evers (CDU) sollen die Kosten der Ukraine-Krise, der Pandemie und der Wirtschaftskrise auf die Arbeiter:innen, Arbeitslose und Rentner:innen gewälzt werden. Neukölln ist mit der Ankündigung somit der erste Bezirk, der konkrete Maßnahmen vorschlägt. Pro Jahr sollen 22,8 Millionen Euro eingespart werden. Sind diese Kürzungen unvermeidbar? Gibt es tatsächlich nicht genug Einnahmemöglichkeiten?
Dieses Kürzungspaket ist ein sozialer Kahlschlag in Neuköllner Schulen, Obdachlosenhilfe, Müllentsorgung, Suchthilfe und vieles mehr. Am Mittwoch, dem 5. Juli, um 17 Uhr findet vor dem Rathaus Neukölln eine Kundgebung gegen diese Vorhaben statt, zu der wir alle hingehen sollten. Besonders aus Berliner Schulen, Krankenhäusern, Sozialeinrichtungen, der Berliner Stadtreinigung (BSR) etc. sollten unsere ver.di und GEW Betriebsgruppen sowie Fachbereiche für die Kundgebung mobilisieren.
Der Berliner Senat hat bereits eine erste Reaktion abgegeben, sodass es doch mehr Geld für Bezirke geben soll. Jedoch nur 100 Millionen Euro für 12 Bezirke. Auch wenn die versprochenen Zusatzgelder proportional an die Bezirke weitergegeben werden sollen, bliebe z.B. für Neukölln immer noch eine Lücke von 14,5 Millionen Euro, die dann gekürzt werden müssen. In anderen Bezirken dürfte die Lage auch nicht anders sein.
Am 11. Juli soll der Berliner Doppelhaushalt im Abgeordnetenhaus abgestimmt werden. Dabei dürfen wir es nicht erlauben, dass Bereiche und Bezirke gegeneinander ausgespielt werden.
Wo soll das Geld herkommen?
Diese ganze Diskussion bekommt aber auch eine andere Ebene, wenn man sich die Steuereinnahmen genauer anschaut. Es ist nämlich eine bekannte Taktik der Regierungen, soziale Bereiche gegeneinander auszuspielen. Einerseits, weil mit der Schwarzen-Null Politik keine neuen Schulden aufgenommen werden sollen. Die Regierungen haben jedoch sogar eine wichtigere Motivation dabei: dass eine besondere Gruppe der Gesellschaft von Steuern frei bleibt.
Für das Jahr 2023 werden rund 28 Milliarden Euro Steuereinnahmen erwartet – also etwas mehr als im vergangenen Jahr. Der größte Anteil dieser Summe kommt vom Landesanteil an Lohnsteuer (2 Milliarden Euro) und Umsatzsteuer (2,8 Milliarden Euro). Diese Steuer treffen unmittelbar die arbeitende Bevölkerung, Rentner:innen und Arbeitslose. Um so mehr jetzt, während die Inflation für Nahrungsmittel in Berlin bei 22,8 Prozent liegt.
Und wie viel zahlen die Superreichen von ihrem Privatvermögen in die Steuerkassen? Genau null Euro. Als einzige Konstante im Haushaltspläne der Landesregierungen. Diese Klasse an Superreichen, die Betriebe, Aktien und Investmentfonds besitzen, akkumulieren ihr Vermögen dadurch, dass die arbeitende Bevölkerung immer ärmer wird. Es ist nicht die „harte Arbeit“, die einen im Kapitalismus reich macht, sondern im Gegenteil, die Möglichkeit, sich durch Vermögen, das geerbt wird, von Lohnarbeit zu entziehen und durch die Ausbeutung anderer zu leben.
So besitzen in Deutschland die 45 reichsten Familien so viel Vermögen wie 40 Millionen Lohnabhängige. Allein während der Pandemie ist das Vermögen der zehn Reichsten Personen um 100 Milliarden Euro gewachsen, während die Armutsquote mit 16 Prozent einen Rekordwert erreichte.
Diese herrschende Klasse der Vermögenden in Deutschland übt ebenfalls einen riesigen politischen Einfluss auf die Regierung aus. Sei es durch Unternehmensverbände; Medienunternehmen, die in ihrem privaten Besitz sind; Abgeordnete, die für sie Lobbyarbeit machen; aber auch Richter:innen, die in ihrem Namen Streiks verbieten und „das Recht auf Privateigentum“ schützen und in letzter Instanz ein Polizeiapparat, der diese Staatsgewalt durchsetzen soll. Zur Durchsetzung eines Rechtes, andere auszubeuten, in Luxus zu leben, und keine für sie nennenswerten Steuern zu zahlen. Das ist das wahre Gesicht des „Rechtsstaates“, ein Rechtsstaat für die Reichen.
Kampf für eine Vermögenssteuer
Selbst bürgerliche Wirtschaftswissenschaftler:innen und Wirtschaftsinstituten in Deutschland fordern, dass Vermögen und Erbschaften besteuert werden müssen. Sie fordern lediglich, was Staaten wie USA, Frankreich oder Großbritannien bereits machen, nämlich, einen geringen Steuersatz einzuführen. Damit soll der Staatshaushalt stabilisiert werden, ohne größere Eingriffe in die „unternehmerische Freiheit“.
Jedoch sind die Superreichen nicht mal zu den kleinsten Zugeständnissen bereit, solange es keinen Widerstand von unten, seitens der Arbeiter:innenklasse und ihren Organisationen gibt. Appelle reichen nicht aus.
Damit im Staatshaushalt soziale Bereiche nicht gegeneinander ausgespielt werden, braucht es einen Kampf für die Einführung einer Vermögenssteuers und eine Erhöhung der Erbschaftssteuers. Als erster Schritt sollte ein Vermögen oberhalb von einer Million Euro mit 20 Prozent besteuert werden, oberhalb von 5 Millionen mit 50 Prozent und alles über 10 Millionen mit 75 Prozent und bei darüberhinausgehenden Vermögen ein steigender Anteil. Aktuell kommen die radikalsten Forderungen der Partei DIE LINKE auf 5 Prozent bei einem Nettovermögen von 50 Millionen Euro. Es ist also noch sehr vorsichtig.
Um so mehr ist es notwendig, dass alle Organisationen der politischen Linken und Gewerkschaften gemeinsam gegen Kürzungen, Inflation und für die Einführung einer Vermögenssteuers kämpfen. Daher forderten viele Gewerkschaftler:innen und auch wir von KGK Workers während der Streikbewegung im öffentlichen Dienst, dass es Streikdemonstrationen für die Einführung eines Vermögenssteuers geben müsse, damit der Inflationsausgleich der Löhne von Reichen finanziert wird.
Was für eine Regierung gegen Vermögensungleichheit?
Das strategische Problem bei der Durchsetzung einer solchen Vermögenssteuers, um wirklich an der sozialen Ungleichheit eine strukturelle Veränderung zu bewirken, ist jedoch mehr als nur die Höhe der Steuern. Die Frage ist, wie sich überhaupt Maßnahmen, die sich gegen die Interessen der herrschenden Klasse richten, durchsetzen lassen. Selbst unter den sich als links verstehenden rot-rot-grünen Regierungen konnten keine nennenswerten Errungenschaften erzielt werden.
Die Antwort ist meiner Meinung nach, dass all die bisherigen Regierungen in der BRD bürgerliche Regierungen gewesen sind. Also Regierungen, die mal etwas linkere Versprechen gemacht haben, jedoch auf letzter Instanz das Privateigentum und Privatvermögen der Kapitalist:innen nicht antasten wollten.
Deutsche Großmilliardäre kommen zu einem beträchlichen Anteil aus Familien der herrschenden Nazi-Kriegsverbrecher und bereicherten sich durch Zwangsarbeit und Verbrechen. Sie haben nie für ihre Unterstützung ihres Nazi-Regimes bezahlt. Sie konnten selbst die Niederlage im Zweiten Weltkrieg ohne große Verluste ihres Vermögens überleben. Warum sollen sie jetzt zu Kompromissen bereit sein? Im Falle eines ersten Angriffes auf ihr Vermögen wären sie wieder wie vor dem Zweiten Weltkrieg bereit, sich mit aller Kraft zu verteidigen.
Daher denke ich, dass wir keine Illusionen haben dürfen, dass wir einfach durch eine weitere bürgerliche Regierung drastische Maßnahmen durchsetzen können. Wir sollten nicht einfach für eine Neuauflage des rot-rot-grünen Senats in Berlin kämpfen. Aber eine andere Form der Regierung könnte diese Aufgabe übernehmen: eine Arbeiter:innenregierung.
Diese Art der Regierung wäre eine Regierung, die sich vornimmt, mit der gesamten Bourgeoisie, also der Klasse der Vermögenden, zu brechen. Das bedeutet die Quelle des unrechten Vermögens der Superreichen anzugreifen, indem alle Großkonzerne entschädigungslos enteignet werden, alle Banken ebenfalls enteignet und zentralisiert werden und eine demokratische Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung über die Wirtschaft und das Staatswesen hergestellt wird.
Natürlich wären diese Maßnahmen durch parlamentarische Politik alleine nicht durchsetzbar. Um eine solche Arbeiter:innenregierung gegen Angriffe der Bourgeoisie zu verteidigen und die Enteignungen durchzusetzen, bräuchte es eine Massenorganisierung und den Aufbau von Komitees in den Betrieben und allen Städten. Es bräuchte Strukturen, die die wichtigsten Stellen in der Produktion und Versorgung im Dienste der arbeitenden Bevölkerung neu organisieren.
Nur wenn wir als Arbeiter:innen als eine Massenbewegung mit Streiks und Besetzungen kämpfen, können wir Errungenschaften gegen die Vermögensungleichheit erzielen. Dieser Kampf führt jedoch stets zu der Frage, ob es möglich ist, die Vermögensungleichheit innerhalb eines kapitalistischen Wirtschaftssystems zu beseitigen. Ich denke nicht. Und genau deswegen lohnt sich der Kampf dafür.