Kuba: Was bedeuten die Demonstrationen gegen die Regierung und die Repression?

14.07.2021, Lesezeit 10 Min.
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Protest von Exil-Kubaner:innen in Miami am 13. Juli 2021. Foto: Fernando Medina / Shutterstock.com.

Eine wirtschaftliche und soziale Krise – verschärft durch die Pandemie, die US-Blockade und die Sparmaßnahmen der Regierung – löste Demonstrationen in Kuba aus. Die Regierung reagierte mit Repression. Was sind die Forderungen der Demonstrant:innen?

Am vergangenen Sonntag gewannen die Demonstrationen in Kuba ein breites internationales Interesse. Die Proteste in Havanna und anderen Teilen der Insel richteten sich gegen Knappheit, gestiegene Lebensmittelpreise und Stromausfälle inmitten der Coronakrise.

Während das Land den schlimmsten Moment der Pandemie durchmacht – mit Berichten über zusammengebrochene Gesundheitszentren, wie in anderen Ländern geschehen, und einem Mangel an Medikamenten und anderen grundlegenden Ressourcen – gingen Teile der Bevölkerung mit legitimen Forderungen auf die Straße.

In diesem Zusammenhang wurden auch Parolen wie „Heimat und Leben“ oder „Freiheit“ gerufen – auch von rechten Sektoren, die für eine Politik der wirtschaftlichen Öffnung und für marktwirtschaftliche Reformen stehen. Die Mobilisierungen sind auch Ausdruck einer sozialen Basis, die sich durch die von Raúl Castro seit 2010 vorangetriebenen Reformen gebildet hat: Reformen, die es Sektoren mit Zugang zum Dollar erlaubten, Geschäfte zu machen und Arbeitskräfte auszubeuten, wenn auch auf eine staatlich kontrollierte und limitierte Art.

Wir erinnern uns an den 10. Dezember, als Präsident Miguel Díaz-Canel in Begleitung von Raúl Castro ankündigte, den kubanischen konvertierbaren Peso (CUC) zum 1. Januar aus dem Verkehr zu ziehen und einen einheitlichen Wechselkurs von 24 Pesos (CUP) zu 1 Dollar einzuführen – dies bedeutet eine enorme Abwertung der nationalen Währung um 2400 Prozent.

Diese Abwertung wurde von einer Reihe von Reformen begleitet, darunter einem allgemeinen Subventionsabbau. Von der Regierung als „unnötig“ oder „unangemessen“ bezeichnete Subventionen und Vergünstigungen wurden reduziert oder gar direkt abgeschafft. Die Regierung Díaz-Canel nahm eine harte wirtschaftliche Anpassung vor, die die Arbeiter:innenklasse direkt betrifft. Die Ergebnisse: Auswirkungen der Pandemie wurden intensiviert, zusammen mit der Wut über den wachsenden Autoritarismus und das Ein-Parteien-Regime. So kam es zur Eskalation und zu den Protesten an diesem Sonntag.

Diese Situation und die mit ihr einher gehenden Proteste versuchen die rechten Gruppen, die sowohl auf der kubanischen Insel als auch im Ausland seit Jahrzehnten für die vollständige Wiederherstellung des Kapitalismus kämpfen, für sich zu nutzen. Der „Ausweg“, den sie propagieren, greift die letzten Überbleibsel der sozialen Errungenschaften der Revolution an.

Diese Sektoren, die versuchen, die Proteste auf der kubanischen Insel anzuführen, agieren als direkte Agenten der imperialistischen Interessen. Sie sind Handlanger der Blockade gegen die Insel, die die Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten aufrechterhalten. Ihr Ziel ist nicht nur der Sturz der Regierung, sondern auch der übrigen Errungenschaften der Revolution. Internationalen Medien strahlten Videos und Bilder der Proteste aus, doch versuchten die meisten von ihnen, das Geschehen aus einem ausgeprägt antisozialistischen Blickwinkel darzustellen.

Die kubanische Regierung wiederum nutzte diese politische Instrumentalisierung durch den rechten Flügel, um Repression zu rechtfertigen und die Proteste zu kriminalisieren, während sie die dringenden Forderungen von Millionen Kubaner:innen ignoriert.

Präsident Díaz-Canel prangerte die Beteiligung der Vereinigten Staaten an „historischen Aktionen der politischen Destabilisierung, die sich besonders während der Pandemie verschärft haben“ an und setzte die legitimen Forderungen der Kubaner:innen mit der abscheulichen Politik der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten gleich. Die Antwort waren Verhaftungen und Repressionen gegen die Demonstrant:innen, um die Unzufriedenheit zum Schweigen zu bringen.

Ein Beispiel dafür ist die Verhaftung von Frank García Hernandez. Er ist kubanischer Marxist, Soziologe, Historiker und Mitglied des Kollektivs Kommunistischer Blog. Genau wie der Student Marco Antonio Perez Fernandez (am 30. April verhaftet, weil er ein Schild mit der Aufschrift „Sozialismus ja, Repression nein“ getragen hatte) oder Maikel Gonzalez Vivero (Direktor der LGTBQ-Community-Zeitschrift „Tremenda nota“) und anderen Personen wurde er dafür verhaftet, Sozialist zu sein.

Mit seiner Rede rief Díaz-Canel „alle Revolutionäre auf, auf die Straße zu gehen“ und berief sich dabei auf die Verteidigung der Revolution. In Wirklichkeit aber will er das Regime schützen, das in den letzten Jahren mit seinen Reformen die Lebensbedingungen von Millionen verschlechtert hat. Gleichzeitig versucht die Bürokratie der Kommunistischen Partei gemeinsam mit Teilen der Armee von der kapitalistischen Restauration zu profitieren.

Selbst US-Präsident Joe Biden versucht bereits, die Situation für sich zu nutzen: so bezeichnete er die Proteste vom Sonntag als „Ruf nach Freiheit“.

Der abgegriffene Appell an „Freiheit“ und „Demokratie“ soll die wahre Absicht verdecken: den Missbrauch demokratischer Forderungen für das reaktionäre Ziel, den Kapitalismus auf der Insel wiederherzustellen.

Imperialistische Blockade und Pandemie: der Nährboden der kubanischen Krise

Eine der Ursachen für die Situation, die Millionen Menschen in Kuba durchmachen, ist die rechtswidrige Handelsblockade, die von den Vereinigten Staaten aufrechterhalten wird. Trotz der Pandemie behielt die Administration von Joe Biden bisher alle Maßnahmen bei, die von Trump in einem Versuch, die kubanische Wirtschaft zu ersticken, eingeführt wurden. Diese Maßnahmen und die Ankunft amerikanischer Tourist:innen verschärfte die Situation.

Die Vereinigten Staaten halten seit den 1960er Jahren ein Embargo aufrecht, das sogar UN-Resolutionen ignoriert. Es verursacht einen Mangel an Produkten der Grundversorgung, schneidet den Zugang zu Ressourcen ab und stellt mitten in der Pandemie ein Hindernis bei der Beschaffung grundlegender medizinischer Güter dar.

Der rechte Flügel im kubanischen In- und Ausland leugnet die Verantwortung der USA, während er als direkter Agent imperialer Interessen agiert.

Wie jedoch die kubanischen Blogs Comunistas, Tremenda Nota und La Joven Cuba in einer gemeinsamen Petition ausführen, ist die kubanische Regierung durch ihre Anpassungsstrategie mitverantwortlich für den Mangel an medizinischen Bedarfsgütern. Der Artikel beschreibt als eine weitere Ursache neben der Blockade „den Rückgang von Investitionen in Wissenschaft und technologische Innovation. Im vergangenen Jahr waren sie zweiundsiebzigmal geringer als Investitionen in die Bereiche ‚Unternehmensdienstleistungen, Immobilien und Vermietungstätigkeit‘, zu denen auch die Tourismusinvestitionen gehören. Diese geschahen, wohlbemerkt, während der Pandemie.“

In den letzten Jahren hatte sich die kubanische Regierung auf zwei grundlegende Säulen gestützt, um die Wirtschaftskrise zu bewältigen. Zum einen war dies der Tourismus, der nun durch die Pandemie stark zurückgegangen ist. Zum anderen wurde versucht, mit der venezolanischen Regierung eine Allianz zum Zwecke des einfacheren Zugangs zu strategischen Ressourcen und dem internationalen Handel zu bilden, um die eigene Isolation zu durchbrechen. Doch die Krise, die Venezuela in den letzten Jahren durchlebte, konnte das Bündnis nicht überleben.

Die Auswirkungen des Imperialismus und die Krise, die die Regierung durch ihr schlechtes Management der Coronapandemie geschaffen hat, schufen eine Situation, die dem ähnelt, was in den 1990er Jahren als „Sonderperiode“ bekannt wurde. Mit dem Fall der Bürokratien, die die Länder des so genannten Sowjetblocks leiteten, verlor die kubanische Regierung ihre wichtigste Quelle für Rohstoffe und Güter.

In jenen Jahren konnten die Kubaner:innen den Umständen und der Knappheit trotzen und die Errungenschaften der Revolution verteidigen. Doch die gegenwärtige Lage ist anders – vor allem die Politik, die von der bürokratischen Kaste der Kommunistischen Partei und der Armee angewandt wird.

Die Rechte nutzt die Wut für sich aus

Wie wir sehen, hat die kubanische Regierung einen harten wirtschaftlichen Angriff auf die Arbeiter:innenklasse verübt. Parallel dazu erleichtert sie ausländische Investitionen auf verschiedene Arten. So wurde ein ehrgeiziges „Portfolio der Möglichkeiten“ mit mehr als 500 Projekten, hauptsächlich aus den Bereichen Tourismus und Öl, zusammengestellt. Gesamtumfang: zwölf Milliarden Dollar. Gleichzeitig wird die Verpflichtung zur mehrheitlich kubanischen Staatsbeteiligung an Investitionen in den Bereichen Tourismus, Biotechnologie und Großhandel abgeschafft.

Diese Maßnahmen haben die sozialen Errungenschaften weiter abgebaut, um Sektoren der herrschenden Bürokratie und der Armee zu begünstigen – sowie kleine Sektoren der Mittelschicht, deren Geschäfte mit dem Dollar verbunden sind.

Gleichzeitig werden das Ein-Parteien-Regime, der Angriff auf elementare demokratische Freiheiten und die Illegalität für jede politische oder gewerkschaftliche Organisation, die nicht unter der Kontrolle der kommunistischen Parteibürokratie und der Regierung steht, fortgesetzt.

Die Repression gegen Künstler:innen, Organisationen und Einzelpersonen, die die offizielle Politik zu Recht in Frage stellen, nahm mit einem staatlichen Ausbau der Polizei zu – und damit auch die Wut auf die Polizei.

Der rechte Flügel auf Kuba und im Ausland heuchelt den Diskurs der „Freiheit“. Schon früh äußerten sich Figuren wie Luis Almagro, Sekretär der Organisation Amerikanischer Staaten, oder der republikanische US-Senator Marco Rubio in diesem Sinne. Die gleichen Leute, die Unterdrücker:innen wie den kolumbianischen Präsidenten Ivan Duque verteidigten oder den Staatsstreich in Bolivien unterstützten, versuchen nun, im Namen der „Freiheit“ zu sprechen.

Entgegen der rechten Demagogie sind die wichtigsten Forderungen – neben der Abschaffung des Handelsembargos und aller Sanktionen – die nach dem Recht der Kubaner:innen auf legitimen Protest, das Ende der Repression und der Freiheit für politische Gefangene.

Daneben sind andere grundlegende demokratische Maßnahmen unabdingbar – zum Beispiel die Legalität für alle Parteien, die die noch verbleibenden Eroberungen der Revolution verteidigen, aber auch das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Pressefreiheit und die Freiheit der  gewerkschaftlichen Organisation, die für die Arbeiter:innen von grundlegender Bedeutung ist. Auf diese Weise kann die Arbeiter:innenklasse ihre Kräfte wiederherstellen und eine progressive, dem Ernst der Lage angemessene Lösung vorschlagen.

Was könnte passieren?

Die Demonstrationen mit ihrer anfänglichen Wut und der Deutlichkeit ihrer Forderungen könnten die Spitze eines Eisbergs sein, der durch die brutale imperialistische Blockade und die Anpassung der Regierung entstanden ist. Aber sie sind voller Widersprüche, wie wir am Anfang aufgezeigt haben. Diese machen sie anfällig für eine pro-kapitalistische Vereinnahmung. Die von der kubanischen Regierung ergriffenen Maßnahmen sind weit davon entfernt, die Revolution tatsächlich zu verteidigen. Sie haben die Demoralisierung von breiten Sektoren verursacht: Eine privilegierte, gierige, sich stets bereichernde Bürokratie vermittelt einem Teil der Bevölkerung den Eindruck, dass die marktwirtschaftlichen Öffnungsschritte ihre Lage nur verbessern könnten – und nicht etwa verschlimmern.

Allerdings ist die Situation auch für die Rechte nicht einfach. Der Versuch eines sofortigen Vorstoßes der USA hätte die Schwierigkeit, dass sie in der Region, vor allem in Mittelamerika und der Karibik, keine „verlässlichen“ Verbündeten haben. Solche Verbündeten würden dem Imperialismus erlauben, sich nicht direkt in einen Prozess der Absetzung der Regierung einmischen zu müssen.

Die gegenwärtige Krise wollen die USA und ihre Verbündeten ausnutzen, um den Kapitalismus zu restaurieren, indem sie die letzten Errungenschaften angreifen. Die Antwort der Regierung ist Repression und Kriminalisierung. Indem sie ihren Reformplan aufrechterhält, wird sie den reaktionären Bestrebungen nur Vorschub leisten. Während der rechte Flügel, der mit den USA verbunden ist, eine vollständige Rückkehr zum Kapitalismus als Lösung verkündet, ist die Realität eine andere. Diese Lösung hat nichts zu bieten als Ungleichheit und Armut.

Während wir Trotzkist:innen gegen die imperialistischen Pläne kämpften, lehnten wir den Sozialismus in einem Land als utopisch ab. Durch die bürokratische Demagogie des Sozialismus auf einer kleinen Insel wurde diese Vorstellung auf die Spitze getrieben. Es war die Bürokratie der Kommunistischen Partei und der Armee mit ihrer Politik gegen die soziale Gleichheit, gegen die Ausweitung der Revolution und gegen die Errungenschaften der Revolution, die zentral für diese Krise verantwortlich war.

Eine grundlegende Lösung ist nur durch eine neue revolutionäre Intervention der Massen möglich, die dem restaurativen Kurs Einhalt gebietet, die Bürokratie hinauswirft und ihrem Ein-Parteien-Regime ein Ende setzt, das nach dem Vorbild Chinas jede Organisation außerhalb der Kommunistischen Partei verbietet. Auf dieser Grundlage ist es notwendig, eine echte Arbeiter:innen- und Volksregierung durchzusetzen, die auf der Selbstorganisation der Massen und der Arbeiter:innendemokratie basiert, wo es volle Organisationsfreiheit für jede:n gibt, der:die die Errungenschaften der Revolution verteidigt und dem Imperialismus entgegentritt.

Eine Arbeiter:innen- und Volksregierung könnte die Kontrolle über die großen Unternehmen übernehmen und alle Zugeständnisse an das Kapital überprüfen, um die Wirtschaft nach den Interessen der großen Mehrheiten neu auszurichten und nicht nach der Handvoll Bürokrat:innen, die mit dem ausländischen Kapital verbunden sind und das nationale Erbe an sich reißen wollen.

Diese Perspektive kann sich nicht auf den Rahmen der Insel beschränken. Sie muss eine revolutionäre Lösung auf internationaler Ebene aufwerfen und den Prozessen des Klassenkampfes, die sich in einer Welt abzeichnen, in der die Pandemie die Ungleichheit und die Krisen vertieft hat, eine sozialistische Perspektive geben.

Dieser Artikel erschien erstmals am 12. Juli bei La Izquierda Diario

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