Kriegsverbrecher wird Präsident Sri Lankas
Am 16. November wählte die Bevölkerung Sri Lankas einen neuen Präsidenten, Gotabaya Rajapaksa. Dieser ist bekannt für die zahlreichen Kriegsverbrechen während des 26-jährigen Bürger*innenkrieges in Sri Lanka. Tamilische und muslimische Minderheiten befürchten nun Repressalien.
Beitragsbild: „Sri Lanka“ von masondan ist lizensiert unter CC BY-NC-SA 2.0
Am 16. November wählte die Bevölkerung der Demokratisch Sozialistischen Republik Sri Lankas den neuen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa mit 52,25 Prozent der Stimmen, während sein Hauptkontrahent Sajith Premadasa mit 41,99 Prozent der Stimmen verlor. Mit einer Wahlbeteiligung von 81,50 Prozent fanden die Wahlen in einer besonderen Situation statt. Sri Lanka kämpft zur Zeit mit Verschärfungen der Gesetze zur „Inneren Sicherheit“ (vor allem nach den diesjährigen so genannten Osteranschlägen), zunehmender politischer Polarisierung und einer schleppenden Wirtschaft. 16 der ca. 21,8 Millionen Einwohner*innen Sri Lankas sind wahlberechtigt, also circa 73 Prozent der Gesamtbevölkerung. Der Präsident hat in der Präsidialdemokratie Sri Lankas eine starke Stellung und ernennt den Premierminister, der die Regierungsgeschäfte führt. Seine Amtszeit beträgt 6 Jahre und wird direkt vom Volk gewählt.
Kandidat*innen für ein Land mit ereignisreicher Geschichte
Für die diesjährige Wahl standen 35 Kandidat*innen aus dem gesamten politischen Spektrum zur Verfügung. Der amtierende Präsident Maithripala Sirisena ließ sich nicht mehr zur Wiederwahl stellen, sodass sich der Wahlkampf auf zwei Hauptkandidaten fokussierte: Sajith Premadasa von der regierenden liberal-konservativen Partei United National Party (UNP) und Gotabaya Rajapaksa von der oppositionellen singhalesisch-nationalistischen Sri Lanka Podujana Peramuna (SLPP), die sich selbst als „sozialistische“ Arbeiterpartei für Singhalesen versteht. Gotabaya Rajapaksa ist ehemaliger Verteidigungsminister (2005-2015) und Bruder des zweimaligen singhalesischen Ex-Präsidenten (2005-2015) Mahinda Rajapaksa, der Vorsitzender der SLPP ist. Gotabaya Rajapaksa verspricht eine starke Führung in Fragen der nationalen Sicherheit zu übernehmen, nachdem im April diesen Jahres koordinierte Bombenangriffe stattgefunden hatten, bei denen mindestens 269 Menschen getötet wurden. Als Verteidigungsminister leitete G. Rajapaksa unter seinem Bruder Mahinda 2009 das blutige Ende des 26-jährigen Bürgerkriegs Sri Lankas (1983-2009) gegen tamilische Rebell*innen und wurde beschuldigt, für die damals begangenen Menschenrechtsverletzungen gegen Tamil*innen verantwortlich zu sein.
Es ist einer der längsten Bürger*innenkriege in Südasien, dessen Zentrum der Konflikt zwischen der singhalesischen Regierung Sri Lankas und der paramilitärischen Organisation Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) stand. Die LTTE, oder besser bekannt als die Tamilischen Tiger, will aufgrund von politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Unterdrückung und Repressalien seitens der singhalesischen Regierung, einen unabhängigen Staat für die tamilische Minderheit in Sri Lanka – von tamilischen Separatist*innen als „Tamil Eelam“ bezeichnet. Der geforderte Staat soll den Nord- und Ostteil Sri Lankas umfassen. Im Mai 2009 hat die singhalesische Regierung mit einer brutalen einjährigen Militäroffensive die LTTE niedergeschlagen und den Führer der LTTE, Vellupillai Prabhakaran, getötet. Die SLPP wird von Rajapaksa-Loyalisten unterstützt, darunter die Oppositionspartei Sri Lanka Freedom Party (SLFP) des scheidenden Präsidenten Maithripala Sirisena. Rajapaksa ist eine umstrittene Figur unter den Minderheiten, hat aber eine starke Unterstützung unter der Mehrheit der singhalesischen, buddhistischen Bevölkerung der Inselnation.
Sajith Premadasa ist Kabinettsminister für Wohnungswesen, Bauwesen und kulturelle Angelegenheiten in der Regierung des Premierministers Ranil Wickremesinghe und wird von der regierenden UNP Sri Lankas unterstützt. Premadasa ist Sohn eines ehemaligen Präsidenten Ranasinghe Premadasa (1978-1989), der 1993 von einem tamilischen Attentäter der LTTE ermordet wurde. Ein Jahr später, 1994, wurde er politisch aktiv. Premadasa kandidierte für die liberal-konservative Allianz der United National Front (UNF). Er versprach Wirtschaftsreformen und erhält Unterstützung von den tamilischen und muslimischen Minderheit in Sri Lanka, um gegen eine starke Rajapaksa-Kandidatur gewinnen zu können. Die beiden Minderheiten machen zusammen ungefähr 20-25 Prozent der 21,8 Millionen Einwohner*innen Sri Lankas aus.
Tamil*innen und Muslim*innen – die Wahlstimmen der Minderheiten
Es gibt 22 Wahlkreise in den 9 Provinzen Sri Lankas, die weiter in 25 Distrikte unterteilt sind. In 16 Wahlkreisen (in der kompletten Westprovinz, zwei Wahlkreise in der Zentralprovinz, komplette Südprovinz, komplette Nordwestprovinz, komplette Nord-Zentralprovinz, komplette Uva und komplette Sabaragamuwa) konnte Gotabaya Rajapaksa die Mehrheit der Stimmen für sich gewinnen. In diesen Provinzen leben mehrheitlich Singhalesen, die etwa 74,9 Prozent (Stand 2012) der Gesamtbevölkerung ausmachen. Sajth Premadasa gewann in den restlichen 6 Wahlkreisen (in Wahlkreis in der Zentralprovinz, komplette Nord- und Ostprovinz), in der mehrheitlich Tamil*innen wohnen, die ungefähr 15,4 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Dies bedeutet keineswegs, dass Sajith Premadasa von Tamil*innen favorisiert wurde. Premadasa war Kabinettsminister in einer Regierung, die für Folterungen und Entführungen von Tamil*innen und der Militarisierung von tamilischen Gebieten verantwortlich ist. Premadasa wurde vielmehr als kleineres Übel neben Gotabaya Rajapaksa betrachtet.
Latheef Farook analysiert die Wahl und schreibt beim Colombo Telegraph:
[…] Es war jedoch nicht einfach für Tamil*innen und Muslim*innen, Herrn Gotabaya angesichts ihrer Leiden und Erfahrungen zu unterstützen. Die Leiden der Tamil*innen nach der Niederlage der LTTE bleiben ihnen frisch in Erinnerung, ohne Antworten auf ihre vielen Fragen und Beschwerden. Ebenso wenig war es den Muslim*innen möglich, für Herrn Gotabaya zu stimmen, da sie sich an die Verfolgung erinnern, der sie während des Rajapaksa-Regimes ausgesetzt waren. Tatsächlich bewies Rechtsanwalt M.M. Zuhair P.C. vor Gericht, dass der Angriff der Städte Aluthgama, Beruwala und Dharga auf Muslime gut geplant und von rassistischen Elementen durchgeführt wurde und die Regierung es trotz vorheriger Informationen nicht geschafft hat, ihn zu verhindern.
Der tamilische Politiker und ehemaliges Parlamentsmitglied Mahalingam Shivajilingam stellte sich ebenfalls als Präsidentschaftskandidat auf, doch dieser bekam keine Unterstützung von den tamilischen politischen Parteien, die wohl aus strategischen Gründen für Premadasa gewählt haben. Shivajilingam sagte: „Die Wahl für die singhalesischen politischen Parteien hat dem tamilischen Volk nie geholfen.“ Weiter meint er, für einen Kandidaten zu wählen, der sich für die Hoffnungen und Probleme der Tamil*innen einsetzt, würde gegenüber der internationalen Gesellschaft und den Singhalesen ein Zeichen setzen. Er bekam 0,1 Prozent der gesamten Wählerstimmen, überwiegend in tamilischen Gebieten Sri Lankas. Ein Tamile aus Berlin kommentierte dies hoffnungslos: „Ein Tamile wird niemals Präsident von Sri Lanka werden oder irgendwelche hohen politischen Positionen innehaben.“ Des Weiteren gingen in zunehmender politischen Polarisierung die Stimmen für das linke Spektrum im Allgemeinen zurück. Der Kandidat Siritunga Jayasuriya aus der Vereinigten Sozialistischen Partei (USP) bekam 0,03 Prozent der Wählerstimmen. Die USP versteht sich als trotzkistisch und ist mit der CWI (Comittee for Worker´s International) affiliiert.
Ausbau des Rajapaksa Regimes und politische Polarisierung
Die autoritäre Herrschaft von Mahinda Rajapaksa wurde mit großer Überraschung bei den letzten Präsidentschaftswahlen in Sri Lanka am 8. Januar 2015 von der New Democratic Front (NDF) unter der Leitung seines ehemaligen Gesundheitsministers Maithripala Sirisena abgelöst. Rajapaksa, der zehn Jahre lang (2005-2015) Präsident war, kandidierte als Premierminister bei der United People’s Freedom Alliance (UPFA) während der Parlamentswahlen am 17. August 2015. Doch es konnte keine Mehrheit gewonnen werden. UPFA-Mitglieder waren dem neuen Präsidenten Sirisena treu ergeben und Wickremesinghe wurde schließlich Premierminister.
Im Jahr 2016 gründeten Rajapaksa-Loyalisten die Sri Lanka People´s Front, bekannt auf singhalesisch als Sri Lanka Podujana Peramuna (SLPP), eine Abspaltung von der SLFP. Seine Brüder Gotabaya und Basil (Minister für wirtschaftliche Entwicklung und Chefstratege der Präsidentschaftskampagne von Gotabaya) wurden Mitglieder, als Stellvertreter für Mahinda. Erst 2018 übernahm Mahinda Rajapaksa die Führung dieser Partei.
Am 26. Oktober 2018 schlug die Ernennung eines neuen Premierministers Schlagzeilen. Präsident Sirisena versuchte den amtierenden Premierminister Ranil Wickremesinge nach dem Rückzug der UPFA aus der Regierung zu entlassen und diesen durch seinen ehemaligen Rivalen Mahinda Rajapaksa zu ersetzen. Doch Wickremesinghe weigerte sich, von der regierenden United National Party (UNP) zurückzutreten und erklärte die Ernennung eines neuen Premierministers als verfassungswidrig und illegal. Danach wurde das Parlament vertagt und Sirisena konnte kein Vertrauen in die Bildung eines neuen Kabinetts mit Rajapaksa als Premierminister gewinnen. Er versucht das Parlament am 9. November aufzulösen und Neuwahlen durchzuführen. Allerdings wurde dies von der UNP vor dem Obersten Gerichtshof angefochten und schließlich für ungültig erklärt. So musste Rajapaksa am 15. Dezember wieder zurücktreten und Wickremesinghe wurde am nächsten Tag in seinem vorherigen Amt bestätigt.
Diese politische Konfrontation hat das politische Spektrum sehr polarisiert. Mahinda Rajapaksa kehrte im Dezember 2018 als Oppositionsführer mit der UPFA ins Parlament zurück und ersetzte R. Sampanthan von der Tamil National Alliance (TNA). Mit Gotabaya Rajapaksa als Präsident ist nun wie erwartet sein Bruder Mahinda Rajapaksa seit dem 22. November 2019 Premierminister und Finanzminister, folglich trat Ranil Wickremesinghe am Donnerstag den 21.11. zurück. Mahinda wird nun eine 16-köpfige Übergangsregierung leiten und zum frühsten Zeitpunkt Neuwahlen für das Parlament anstreben. Sein Ziel ist es, seiner Partei, der SLPP, eine Mehrheit im Parlament zu sichern. Zur Zeit haben Rajapaksa und seine Loyalisten der UPFA 96 von 225 Sitzen im Parlament, was es sehr schwierig macht für sie, Gesetze zu verabschieden.
Osteranschläge und Beeinflussung der Präsidentschaftswahl
Am 21. April 2019, Ostersonntag und 22. April fanden koordinierte Selbstmordattentate in Kirchen und Luxushotels in Colombo, Negombo, Batticola und anderen Orten in Sri Lanka statt, bei denen 277 Menschen umkamen, darunter acht Selbstmordattentäter. Die Angriffe richteten sich gegen Christ*innen. Alle sechs des ersten Satzes von Explosionen wurden von Selbstmordattentätern durchgeführt. Drei 5-Sterne-Hotels, das Shangri-La Hotel, das Cinnamon Grand Hotel und das Kingsbury im Zentrum von Colombo wurden gleichzeitig bombardiert. Die Mehrheit der Getöteten waren Sri Lankes*innen und mindestens 38 Ausländer. Zwischen dem 22. April und dem 25. August 2019 wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Die Terroranschläge führten im Mai 2019 zu Vorfällen anti-muslimischer Gewalt. Viele waren besorgt über eine Wiederholung der weit verbreiteten anti-muslimischen Gewalt, die im März 2018 zwei Tote forderte und zu einem landesweiten Ausnahmezustand sowie einer Blockade der sozialen Medien führte. Zahran Hashim, ehemaliger Führer der National Thowheeth Jama’ath (National Monotheism Organisation, NTJ), einer in Kattankudy gegründeten, globalen dschihadistischen Gruppe, ist der Hauptverdächtige für die Vorbereitung dieser Angriffe.
Im Mai 2019 ernannte das Parlament von Sri Lanka einen Parlamentarischen Ausschuss (Parliamentary Select Committee, PSC), der sich mit den Umständen der Anschläge und des Versagens des Geheimdienstes befassen sollte. Das neunköpfige PSC veröffentlichte seine Ergebnisse am 23. Oktober 2019. Der Bericht offenbart Belege, dass sich Regierungsmitglieder seit Jahren der Entwicklung des gewaltbereiten politischen Islam bewusst waren, jedoch nur begrenzte Maßnahmen zur Verhinderung von Angriffen ergriffen wurden. Der Direktor des staatlichen Nachrichtendienstes (State Intelligence Service, SIS) habe bereits am 4. April 2019 Nachrichten über Warnungen der Osteranschläge erhalten, hat aber keine Maßnahmen ergriffen. Des Weiteren bestätigt der Bericht, dass das Verteidigungsministerium Sri Lankas erstmals schriftlich auf Warnungen ausländischer Geheimdienste vor dem Angriff am 8. April 2019 aufmerksam gemacht wurde. Die SIS habe auch den nun geschiedenen Präsidenten Sirisena angerufen, der jedoch nichts von Vorwarnungen gewusst haben sollte. Dieser befand sich während der Anschläge außer Landes im Urlaub. Zudem wurde offenbart, dass die SIS nach einer Explosion vom 16. April in Kattankudy nicht tätig geworden ist. Laut dem PSC trägt der Direktor des SIS die größte Verantwortung.
Die PSC verweist auf den Menschenrechtsaktivist und Akademiker Rajan Hoole und zitiert diesen aus seinem jüngsten Buch „Sri Lankas Ostertragödie: When the Deep State Gets Out of its Depth„ aus dem Jahr 2019. Hoole zieht dabei interessante Schlussfolgerungen aus den Belegen der PSC zu den Osteranschlägen:
Der Ursprung des Osterbombenanschlags war die Vorstellung, dass eine freie muslimische Wahl die Rückkehr der Rajapaksas an die Macht behindern würde. Sein Zweck war es, wie das sich entfaltende Drama andeutete, den Zorn der betroffenen christlichen Gemeinschaften zu nutzen, um eine breitere Vergeltung gegen Muslim*innen zu erreichen. Wenn ja, legt dies die Beteiligung eines Teils des tiefen Staates nahe, was viele Politiker wissentlich toleriert haben. Um eine freie muslimische Wahl zu überwinden, mussten Bedingungen geschaffen werden, unter denen die meisten Muslim*innen nicht wählen würden (wie die Nordländer 2005) oder unter einer überhängenden Bedrohung wählen würden. […] Die Oster-Tragödie, wenn auch nicht unbedingt eine Verschwörung, wurde ermöglicht, weil das Gesetz seit der Unabhängigkeit als entbehrlich behandelt wurde, wenn es um parteiische Interessen enger nationalistischer Ideologie geht. Es ermöglichte es Teilen der Mächtigen, wechselnde Allianzen zu bilden, um bestimmte Ziele der Singhalisierung zu fördern.
Diese Interpretationen der Fakten müssen überprüft werden und werfen Fragen auf: Wieso wurden die Anschläge zugelassen, obwohl Regierungsmitglieder und die SIS davon schon vorher wussten? Welche Netzwerke gibt es innerhalb der Regierung und in der SIS? Die PSC stellt fest, dass weitere Untersuchungen notwendig sind, um zu überprüfen, ob die Regierung, diese Anschläge tolerierte mit dem Zweck, Chaos hervorzubringen, Angst und Unsicherheit zu schüren und noch vor den Präsidentschaftswahlen Bedingungen zu schaffen, die den Wunsch und Forderungen nach einem Regimewechsel verstärken.
Wunsch nach einem starken Führer
Gotabaya behauptete, dass die Angriffe hätten verhindert werden können, wenn die gegenwärtige Regierung nicht das nachrichtendienstliche Netzwerk und die umfangreichen Überwachungskapazitäten abgebaut hätte, die er zuvor während des Bürger*innenkrieges aufgebaut hatte. Am Freitag, den 26. April 2019, kündigte Gotabaya an, dass er bei den Präsidentschaftswahlen im November als Kandidat für die SLPP kandidieren werde. Er sieht sich in der Rolle, die Ausbreitung des radikalen politischen Islam zu stoppen, indem er den Geheimdienst wieder aufbaut und die Bürger*innen überwacht. Er inszeniert sich als den „starken Mann“, der umgehend Betrug und Korruption beseitigen, die Wirtschaft nach den Angriffen und der Instabilität der Regierung der nationalen Einheit zur Erholung verhelfen werde und die Sicherheit durch seinen Bruder und Präsidentschaftskampfstrategen Basil gewährleisten würde. Gotabaya reagiert dabei auf die Forderungen der singhalesischen Mehrheitswähler*innen.
Latheef Farook sagt dazu beim Colombo Telegraph:
Die Tatsache, dass die Brüder Rajapaksa seit dem Ende des ethnischen Krieges im Mai 2009 buddhistische Tempel und buddhistische Mönche benutzten, um buddhistische Menschen auf allen Ebenen zu erreichen und ihre Stützpunkte aufzubauen, ist allgemein bekannt. Viele glauben, dass hier die Samen gesät wurden, die den singhalesischen Geist gegen Muslime vergiften.
Gotabaya wurde offiziell als Präsidentschaftskandidat der SLPP auf ihren ersten nationalen Kongressen am 11. August 2019 angekündigt, gleichzeitig mit Mahinda als Parteivorsitzendem. Es wurde später im Wahlkampf berichtet, dass die Rajapaksas der muslimischer Minderheit Sri Lankas, die etwa 10 % der Gesamtbevölkerung ausmacht, subtil signalisierten, dass es ihnen schlechter gehen wird, wenn sie mehrheitlich gegen Gotabaya stimmen, aber er trotzdem an die Macht kommen würde. Große Besorgnisse um wiederholte Terrorangriffe auf Sri Lanka waren dominante Emotionen bei der Wahl, doch nicht der einzige entscheidende Faktor für das Wahlergebnis. Sultan Barakat schreibt hierzu bei Al Jazeera:
Die dramatische Veränderung der Wahrnehmung der Muslime durch die sri-lankische Gesellschaft und ihre Entscheidung, einen streng mehrheitlichen Führer wie Gotabaya zu wählen, kann jedoch nicht nur auf die Bombenanschläge am Ostersonntag zurückgeführt werden. Die wachsende antimuslimische Stimmung in Sri Lanka, die zumindest teilweise zur Wahl von Gotabaya zum Präsidenten führte, ist das kumulative Ergebnis einer Reihe von Unsicherheiten, die für die singhalesische Mehrheit typisch sind.
Bei den tamilischen und muslimischen Minderheiten sind die Rajapaksa Geschwister gefürchtet und verhasst. Tamil*innen befürchten, dass sie für ihre Stimmen gegen Gotabaya nun bestraft werden und fordern Schutz für tamilische Journalist*innen und (Menschenrechts-) Aktivist*innen, da diese schon seit Jahrzehnten von der singhalesischen Regierung unterdrückt, verfolgt und missbraucht werden. Hunderte von Tamil*innen sind immer immer noch auf der Suche nach ihren geliebten Menschen und Familien, die während des Bürger*innenkrieges spurlos verschwunden sind. 2017 wurde in Colombo das „Office of Missing Persons“ (das Vermisstenamt) eingerichtet, um Nachforschungen über spurlos Verschwundenen zu betreiben. Doch sie haben bislang sehr wenig erreicht. Etwa 20.000 Menschen werden seit dem Bürger*innenkrieg immer noch vermisst. Seit mehr als 1.000 Tagen sitzen Betroffene ununterbrochen am Straßenrand quer durch die Insel, mit Fotos ihrer Vermissten – ein stiller Protest.
Während des Wahlkampfes kündigte Gotabaya an, im Falle seiner Wahl Sri Lanka aus einem Abkommen zur Untersuchung von Kriegsverbrechen mit den Vereinten Nationen auszusteigen. Er sagte zur BBC, dass Kriegsverbrechervorwürfe gegen ihn „unbegründet“ seien. Nun mit der Wahl des Kriegsverbrechers Gotabaya Rajapaksa zum neuen Präsidenten fragen sich Betroffene, ob sie jemals Antworten, Rechenschaft und die Wahrheit hinter dem spurlosen Verschwinden von Menschen finden werden und ob der Genozid an Tamil*innen in Vergessenheit geraten wird.
Schwere Zivilklagen gegen Gotabaya Rajapaksa
Der Blog Theoretically Tamil informiert sehr gut über schwere Zivilklagen gegen Gotabaya: Mahinda Rajapaksa als Premierminister (2005-2015) hatte ebenfalls das Amt des Ministers für Verteidigung und Stadtentwicklung inne und ernannte Gotabaya zum Verteidigungsminister. Dieser hat als Chef-Militärstratege das Ende des dreißigjährigen Bürger*innenkriegs in Sri Lanka (1983-2009) im Mai 2009 herbeigeführt, der in seiner Endphase zwischen 40.000 und 100.000 Zivilist*innen das Leben kostete. Viele sind der Meinung, dass Gotabaya für Kriegsverbrechen, Folter und außergerichtliche Tötungen verantwortlich gemacht werden sollte.
In einem Fall wurde durch Roy Samathanam Klage beim Bundesbezirksgericht von Kalifornien nach dem U.S. Torture Victim Protection Act (1991) eingereicht. Samthanam, inzwischen kanadischer Staatsbürger, behauptet, zwischen 2007 und 2010 von der Terrorism Investigation Division (TID) der sri-lankischen Polizei festgehalten und gefoltert worden zu sein. Im September gab das Gericht dem Antrag Gotabayas statt, einen Aufschub der Gerichtsverfahren am 30. Dezember 2019 zu beantragen. Sobald er Präsident sei, kann er das Recht auf staatliche Immunität wahrnehmen.
Gleichzeitig wurde Gotabaya vor den US-Gerichten von Ahimsa Wickrematunge strafrechtlich verfolgt, der Tochter des im Januar 2009 ermordeten Journalisten Lasanthe Wickramatunge. Am 21. Oktober genehmigte das Bundesbezirksgericht in Kalifornien, Gotabayas Antrag, die Klage von Wickrematunge gegen ihn abzuweisen,da er staatliche Immunität als Verteidigungsminister wahrnehmen kann.
Eine weitere Benachrichtigung kam im Oktober aus einer Zeugenaussage über die Hinrichtung von 27 Gefangenen im Gefängnis Welikada am 9. November 2012 durch die Sonderkommission und das Personal der Armee. Der ehemalige stellvertretende Superintendent P.W. Kudabandara, ein Zeuge der Anklage, teilte dem Gericht mit, dass an diesem Tag zwei Armeeoffiziere im Gefängnis ankamen und eine Liste der Namen der Häftlinge aufschrieben, die sie als Gota-Liste bezeichneten, was den Präsidentschaftskandidaten in diese Morde verwickelt.
Zudem ist Gotabaya Rajapaksa als Doppelstaatsbürger mit amerikanischer und sri lankischer Staatsbürgerschaft umstritten. Der Colombo Telegraph berichtete im August, der damalige Premierminister Sri Lankas, Ranil Wickremesinghe hätte zusammen mit dem Innenminister Wajira Abeywardena, Gotabaya bei der problemlosen, schnellen und bevorzugt bearbeiteten Beschaffung eines neuen sri lankischen Passes geholfen, nachdem er auf seine amerikanische Staatsbürgerschaft angeblich verzichtete. Dazu gibt es jedoch verschiedene fragwürdige eidesstattliche Erklärungen des Präsidenten und seines Anwaltes, die bestätigt haben sollen, dass er tatsächlich auf seine US-Staatsbürgerschaft verzichtet hätte. Die Annahme besteht, dass Gotabaya Rajapaksa aufgrund seiner Doppelstaatsbürgerschaft sich gemäß Artikel 91 und 92 der sri-lankischen Verfassung überhaupt nicht als Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen darf. Des Weiteren habe Wichremesinghe schon vor den Präsidentschaftswahlen Vereinbarungen mit Gotabaya Rajapaksa getroffen, falls seine Wahl erfolgreich sollte, um die Kontrolle über die UNP zu behalten und die Rolle des Oppositionsführers zu übernehmen. Wickremesinghe versicherte, dass sri lankische Beamte nicht mit Bundesbezirksgerichten in den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten werden, die gegen Gotabaya im Mordfall des Journalisten Lasantha Wickrematunge ermitteln.
Latheef Farook schreibt beim Colombo Telegraph, dass der geschiedene Präsident Maithri Sirisena und der ehemalige Premierminister Ranil Wickremesinghe die perfekten Konditionen für Gotabaya bereitet hätten, um ihn und seine Brüder wieder zurück an die Spitze der politischen Macht Sri Lankas zu bringen.
Sozioökonomische Gegebenheiten
Die Politik des vorherigen Präsidenten Sirisena und der regierenden Partei UNP, Privatisierungen und eine auf am IWF orientierte Wirtschaftspolitik zu fördern, wird höchstwahrscheinlich fortgesetzt werden. Das Wirtschaftswachstum ist in vier Jahren fast um die Hälfte gesunken: von 5 % im Jahr 2015 auf nur noch 2,7 % in 2019. Zudem konnte die ohnehin schon schleppende und hoch verschuldete Wirtschaft Sri Lankas sich die hohen Kosten für die Reparaturen und Wiederaufbau nach den Bombenanschlägen nicht leisten. Die Staatsschulden betragen 69,5 Milliarden US $, wovon 34,4 Milliarden US $ Auslandsschulden sind. Ein Großteil der Schulden wurde von der Regierung Mahinda Rajapaksas geerbt. Das Bruttoinlandsprodukt war im letzte Jahr 4,102 US $ und ist in diesem Jahr um 0,13 Prozent gesunken. In den größten Wirtschaftssektoren Sri Lankas brach das Bruttoinlandsprodukt sehr drastisch zusammen, was wohl unter vielen anderen Faktoren auch mit den Osteranschlägen erklärt werden kann: im Dienstleistungssektor um 48,5 Prozent, im Industriesektor um 27 Prozent und im Landwirtschaftssektor um 8 Prozent. Die Tourismuszahlen fielen in diesem Jahr, vor allem zu Zeiten der Osteranschläge: im März waren es 244,328 Touristen, im Mai dann nur noch 37,802. Bis zum September ist die Zahl mit 108,575 Tourist*innen wieder etwas gestiegen.
Selbst für singhalesische Arbeiter*innen, die für Rajapaksa gewählt haben, kann dieses Wahlergebnis nicht positiv sein. Die singhalesische Mittelschicht wird wahrscheinlich politisch und gesellschaftlich etwas gewinnen, da sie verglichen zu den Minderheiten verhältnismäßig mehr Sicherheit und weniger Repressalien genießen können. Doch sie werden weiterhin und noch mehr ausgebeutet. Wirtschaftlich werden sie nicht viel profitieren, da die allgemeine Richtung der Weltwirtschaft sich im Abwärtstrend befindet und dies Spielräume für die Klientel der Rajapaksas verengt, geschweige denn zu den Großkapitalist*innen aufzusteigen.
Die Internationale Gemeinschaft, vor allem die imperialistischen Staaten der EU und die USA, sowie Indien, Pakistan und China haben natürlich schon immer ein ökonomisches Interesse an Sri Lanka gehabt. Das Land ist aufgrund der geografischen Lage sehr attraktiv für die großen kapitalistischen Wirtschaftsmächte. Diese waren nie um einen wahrhaftigen Friedensprozess zwischen tamilischen Separatist*innen und Singhales*innen während des Bürger*innenkrieges bemüht. Es ging um ihre ökonomischen Eigeninteressen, Weshalb sie den autoritären singhalesischen, sri lankischen Staat unterstützen anstatt auf eine wirtschaftlich unsichere Zweistaatenlösung zu setzen. In der ersten Regierungswoche Gotabayas gingen die Brüder Rajapaksa diplomatische Beziehungen mit Indien und China ein. Der Premierminister Indiens, Narendra Modi, war einer der ersten, die Gotabaya zum Wahlsieg gratulierten. Hierzu Rajesh Venugopal, außerordentlicher Professor am Department of International Development an der London School of Economics bei der Deutschen Welle :
Indien und Sri Lanka haben jetzt eine gemeinsame anti-muslimische Perspektive. Gotabaya Rajapaksa hat die Macht über einen anti-muslimischen Gegenschlag erlangt, ähnlich wie bei Modi, der Muslime auch als Sicherheitsbedrohung benutzt hatte.
Es sieht schlecht aus
Die Rückkehr und der Ausbau der politischen Macht der Rajapksa Familie bedeutet eine Rückkehr zum autoritären, nationalistischen Populismus gegen Minderheiten und eine Singhalisierung, also eine Fortsetzung der Präsidentschaft von Mahinda Rajpakasa von 2005 bis 2015. Sri Lanka ist eine Oligarchie mit der Rajapaksa Familie an der Spitze der Macht. Wir beobachten nun schnelle beunruhigende Entwicklungen nach der Wahl, wie die Ernennung Mahinda Rajapaksas als Premierminister und Ankündigungen, so schnell wie möglich Neuwahlen des Parlaments durchführen zu wollen, wie auch die Verfassung des Landes ändern zu wollen, um „Recht und Ordnung“ herbeizuführen. Rajapaksa strebt eine Mehrheit der SLPP im Parlament an, um so mehr Macht und Kontrolle zu erlangen. Für singhalesische Arbeiter*innen ist dies ebenso kein gutes Wahlergebnis. Dennoch erzielte wohl die singhalesisch nationalpopulistische Rhetorik Gotabaya Rajapaksas ihre Wirkung. Seine Botschaft, der starke Führer Sri Lankas für Singhales*innen zu sein und nationale Sicherheit herbeizuführen, verkaufte sich bei diesen sehr gut. Die Sicherheit, von der Gotabaya spricht, bedeutet für Muslim*innen, Tamil*innen auf der einen Seite und für Singhales*innen auf der anderen Seite sehr unterschiedliche Dinge. Für erstere bedeutet es verstärkte Kontrollen, Repressalien, Restriktionen. Für letztere hingegen bedeutet dies vermeintlichen Schutz vor Muslimen und Tamilen.
Sumugan zitiert in seinem Blog Theoretically Tamil Rajesh Venugopal:
Gotabya ist genau der Richtige für Sie. Er ist ein Nationalist und Autoritarist, der den Krieg gegen die Tamilischen Tiger mit einem strikten Vorgehen beendet hat. Aber es klebt Blut an den Händen, und wenn es um Kriegsverbrechen geht muss er dafür Verantwortung übernehmen. Leider hat dies seine Glaubwürdigkeit bei vielen singhalesischen Sri Lankesen nicht beschädigt, sondern ihm tatsächlich geholfen.
Der Bürger*innenkrieg von 1983 bis 2009 ist nicht vorbei. Der Konflikt spielt sich in den Köpfen der Menschen in Sri Lanka und in der tamilischen Diaspora nach wie vor ab. Die politische Situation sieht vor allem für Minderheiten sehr schlecht aus. Die wirtschaftliche und geopolitische Lage sowie Spannungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen werden dazu führen, dass sich die Lebensbedingungen der Massen, vor allem der Minderheiten, noch weiter verschlechtern. Eine eigenständige Politik der Arbeiter*innenklasse und der anderen Marginalisierten, ihre Mobilisierung und Organisation im Kampf für mehr demokratische, wirtschaftliche sowie politische Rechte ist absolut notwendig.