Kriegsgegner*innen wollten mit SPD-Abgeordneten reden. Dafür hagelt es 80 Tagessätze.
Kurdistan-Solidarität: Die SPD Bayern bleibt bei ihren Strafanzeigen gegen eine Gruppe von Aktivist*innen, die wegen des Kriegs in Afrin mit Bundestagsabgeordneten reden wollten. Drei von ihnen wurden nun zu je 80 Tagessätzen wegen Hausfriedensbruchs verurteilt.
Die türkische Armee führte 2018 mit ihrer Operation „Olivenzweig“ einen Angriffskrieg in die kurdische Stadt Afrin auf dem Staatsgebiet Syriens. Mit dabei: Panzer und Waffen aus deutscher Produktion – ein von der Großen Koalition gedeckter und unterstützter Krieg. Dies war für 20 Aktivist*innen aus dem Bündnis „Solidarität für Afrin“ der Grund, das Gespräch mit der SPD-Bundestagsabgeordneten Claudia Tausend in ihrer Sprechstunde in der SPD-Landeszentrale am Münchner Oberanger zu suchen.
Dabei trafen sie zunächst auf Landesgeschäftsführer Olaf Schreglmann, anschließend verhandelten sie mit der Sekretärin Ruth Metzger, während Schreglmann in seinem Büro blieb und die Polizei rief. Schreglmann beanspruchte vor Gericht, die Aktivist*innen zum Verlassen des Hauses aufgefordert zu haben, woraus er einen Hausfriedensbruch konstruierte – und zunächst sogar noch Nötigung. Weder Hausfriedensbruch noch Nötigung fanden in der Realität statt; selbst die Polizei musste vor Gericht zugeben, dass die Diskussionen in der SPD-Zentrale angesichts des drohenden Völkermords in Afrin zwar „laut, aber nicht aggressiv“ waren. Der Prozess wurde willkürlich und aus politischer Rache gegen die Kurdistan-solidarischen Aktivist*innen geführt, die auf eine politische Diskussion der SPD über ihre Politik bestanden und den deutschen Staat für seine Mitschuld anklagten.
Im ersten Prozess gegen die Aktivist*innen am Amtsgericht München wurden nun die Angeklagten Benjamin Ruß, Hrzwan Abdal und Maximilian Roddorf zu je 80 Tagessätzen wegen Hausfriedensbruchs verurteilt – weitere Prozesse gegen Beteiligte sollen folgen. Der Vorwurf der Nötigung wurde fallen gelassen. Der Straftatbestand des Hausfriedensbruchs sei jedoch erfüllt, so die Richterin, weil die Gruppe von 20 Personen das Haus nach Aufforderung Schreglmanns nicht verlassen hatte.
Auf die Argumentation der Verteidigung, dass diese Aufforderung keineswegs eindeutig gewesen sei, da Herr Schreglmann und später Frau Metzger weiter mit den Aktivist*innen diskutierten, ging die Richterin nicht ein. Und dies, obwohl die SPD-Sekretärin Metzger drei Personen zugesichert hatte, sie könnten als Delegation zum Gespräch bleiben, woraufhin sich die restliche Gruppe ohne weitere Diskussion friedlich zurückzog. Offenbar fand also keine Besetzung statt, offenbar gab es sogar noch von der SPD ein Diskussionsangebot, das dann zum Hausfriedensbruch umgedeutet wurde. Den Hinweis der Verteidigung, dass nicht alle Beteiligten die Aufforderung Schreglmanns zum Verlassen des Hauses mitbekommen hatten, ignorierte die Richterin in der Urteilsbegründung komplett. Damit entspricht das Urteil nicht einmal den bürgerlichen Standards der Rechtsprechung, seine Motivation war politisch. Alle drei Angeklagten haben angekündigt, das Urteil anzufechten.
Gerichtsurteil Fortsetzung deutscher Kolonialpolitik
Auffällig, wenn auch erwartbar, war die rein formaljuristische Betrachtung der Anklage von Seiten der Richterin und der Staatsanwaltschaft. Während Benjamin Ruß eine politische Erklärung über den Angriffskrieg der Türkei in Kurdistan und die Verantwortung von SPD und Bundesregierung verlas, ging die Richterin nur mit einem schmalen Satz auf die politische Dimension des Prozesses ein. Die „Problematik der Kurden“ sei ein gerechtfertigtes Thema, aber sie müsse im rechtlichen Rahmen diskutiert werden. Was für den deutschen Staat der rechtliche Rahmen ist, demonstriert er seit dem PKK-Verbot 1992 und nochmal verschärft seit den türkischen Kriegseinsätzen nach 2014. Hunderte Menschen wurden angezeigt, weil sie Symbole der kurdischen Volksbefreiungsmiliz YPG/YPJ gezeigt haben. Mehrere Menschen müssen wegen PKK-Mitgliedschaft lange Haftstrafen in deutschen Gefängnissen absitzen.
Währenddessen steht die Türkei auf dem ersten Platz als Empfänger deutscher Waffenlieferungen. Wie Hrzwan Abdal in seiner Erklärung vor Gericht betonte, hat Deutschland alleine in den ersten vier Monaten des Jahres 2019 Waffen im Wert von 180 Millionen Euro an den türkischen Staat verkauft. Waffen, mit denen Massenvergewaltigungen und Völkermorde der türkischen Armee an Kurd*innen und Jezid*innen begangen werden. Da kommt es besonders perfide, dass ausgerechnet der Jezide Abdal nun von einem deutschen Gericht zu einer Geldstrafe wegen seiner Gegnerschaft zum Kriege verurteilt wurde – eine Fortsetzung der kolonialistischen deutschen Politik, wie Ruß vor Gericht erklärte.
Die SPD im Rechtsruck
Die zahlreichen Prozesse gegen pro-kurdische Aktivist*innen stehen im Zusammenhang mit dem Rechtsruck in Deutschland. Bundesinnenminister Horst Seehofer rüstet nach Innen auf: Mehr Polizei mit mehr Befugnissen und Ausrüstung, mehr Überwachung, Ankerzentren, vermehrte Sammelabschiebungen. Die Liste der repressiven Maßnahmen ist lang – betroffen sind vor allem Migrant*innen, Geflüchtete, kurdische und pro-palästinensische Aktivist*innen, Linke und Jugendliche. In Polizei, Armee und Geheimdiensten haben sich währenddessen Nazi-Zellen gebildet; die AfD mit ihrem faschistischen Höcke-Flügel könnte bei den Landtagswahlen im Herbst in Sachsen, Thüringen und Brandenburg jeweils zur stärksten Kraft aufsteigen. Gleichzeitig plant die Bundesregierung mit Zustimmung der Grünen einen Marineeinsatz vor der iranischen Küste.
Es ist eine gefährliche Situation der inneren und äußeren Militarisierung, die von der SPD-Führung mal passiv hingenommen oder, wie im Fall der Anzeige gegen die pro-kurdischen Aktivist*innen, aktiv befördert wird. Die SPD stützt sich einmal mehr auf Polizei und bürgerlichen Gerichte, um keine Kritik an ihrer Kriegspolitik zuzulassen. Statt eine klare Opposition gegen Rüstungsexporte und Auslandseinsätze einzunehmen, wie sich das viele Mitglieder an der Basis wünschen würden und mit der No-GroKo-Kampagne zum Ausdruck gebracht haben, wählt die Parteibürokratie lieber den Staatsapparat als Verbündeten. Ein Staat, der von Union und AfD getrieben immer weiter nach rechts rückt und damit auch für SPD-Mitglieder Versammlungsfreiheit und demokratische Rechte einschränkt. Unabhängig davon, was Olaf Schreglmann mit seiner Anzeige bezwecken will: Die verbrecherische Rolle seiner Partei in der GroKo mit Militarisierung und Waffenlieferungen kann er nicht verdecken. Aber er gibt den bayerischen Gerichten freie Hand, die Strafverfolgung von Kriegsgegner*innen in seinem Namen zu betreiben. Sicherlich ein zweifelhafter und wenig einbringlicher Ruhm.
Hinweis: Nächster Prozesstermin zu Kurdistan Solidarität - 7. August
Am 7. August findet ein nächster Prozess gegen Benjamin Ruß statt. Ihm wird vorgeworfen, auf Facebook einen Hitler-Gruß gepostet zu haben, mit dem Kommentar, dass dies bei den Ausschreitungen in Chemnitz problemlos möglich war, während das Zeigen von kurdischen YPG-Symbolen verboten sei. Damit kritisierte er offensichtlich sarkastisch und künstlerisch, dass der deutsche Staat auf dem rechten Auge blind ist – dieser versucht in einer irrwitzigen Anklage nun, aus der Kritik gegen Nazis und den Staat das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole zu konstruieren. Mehr Infos: Einladung zur Prozessbeobachtung: Kurdistan-Solidarität ist keine Straftat