Kreißsaal München Neuperlach soll schließen: Wie weiter kämpfen nach dem gebrochenen Versprechen?

09.06.2024, Lesezeit 10 Min.
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Aktion des Kreißsaal-Teams am 4. Juni. Foto: Marius Rabe / KGK

Am vergangenen Dienstag protestierten 60 Kolleg:innen und Unterstützer:innen gegen die Schließung des Kreißsaals München Neuperlach. SPD und Grüne brachen in der Aufsichtsratssitzung ihr Versprechen, die Station zu erhalten. Zugleich verkündeten sie umfangreiche Schließungen auch für andere Stationen.

Gibt es eine Chance den Kreißsaal München Neuperlach zu erhalten? „Nein“ antwortete am Dienstag Hendrik Brodermann, Geschäftsführer der München Klinik (MüK). Zur Aufsichtsratssitzung demonstrierten 60 Kolleg:innen und Unterstützer:innen vor dem Eingang des Rathauses. Ihre Forderung: „Der Kreißsaal muss bleiben!“

Entgegen des Parteitagsbeschlusses der regierenden SPD und eines Fraktionsbeschlusses der Grünen/Rosa Liste, die Station bis mindestens 2028 aufrecht zu erhalten, soll diese nun laut Süddeutsche Zeitung bereits 2025 schließen und mit der Station im Harlachinger Krankenhaus zusammengelegt werden. Dies würde nicht nur eine deutlich schlechtere ​ geburtshilfliche Versorgung im gesamten Münchener Osten bedeuten, die Kolleg:innen würden dadurch voraussichtlich ebenfalls ihre feste Anstellung verlieren. Ein Mischsystem aus freiberuflich und angestellt arbeitenden Kolleg:innen halten sie für „rechtlich unsicher und organisatorisch ein Fiasko“. Dennoch ließ SPD-Bürgermeister Dieter Reiter nach der Aufsichtsratssitzung gegenüber der Abendzeitung verkünden, dass genau dies am Standort Harlaching umgesetzt werden solle.

In einer 20-minütigen Diskussion mit den Kolleg:innen aus der MüK vor dem Rathaus im Rahmen einer Protestaktion gegen die Kreißsaalschließung versuchte Reiter, sich verständnisvoll zu zeigen, doch behauptete er, nicht für all seine Angestellten Verantwortung übernehmen zu können. Auf die Frage, warum er nicht die Versprechen der SPD halten wolle, meint er nur, dass er nicht immer alles machen könne, was seine Partei verspreche. Stattdessen betonte er ganz im Stile eines Managers die wirtschaftlichen Defizite der München Klinik. Der wirtschaftliche Wettbewerb führe zu Sachzwängen.

„Wirtschaftliche Sachzwänge“? Stadt baut lieber neue Autobahntunnel

Die Argumentation Reiters fußt auf den 90 Millionen Euro Budget-Defizite des Jahres 2023, das die München Klinik nach dem Bau von infrastrukturellen Großprojekten und Sanierungen im Wert von etwa eine Milliarde Euro, verzeichnet. Dieses Defizit, das zur Begründung der Schließung in Neuperlach verwendet wird, ist besonders absurd angesichts eines weiteren Bauprojekts, für welches der Oberbürgermeister als expliziter Verfechter steht: der sogenannte „BMW Tunnel“, ein drei Kilometer langer Tunnel, der die  Schließheimer Straße an die A99 binden soll und laut SPD Experte Nikolaus Gradl „weniger als eine Milliarde, aber mehr als 500 Millionen Euro“ Investitionen benötigt seien. Dafür wurden bereits allein für die Planung letzten November 13 Millionen Euro investiert. 

Und noch 2023 berichtete die Stadtkämmerei von horrenden Gewinnen der Landeshauptstadt. Die Wahrheit ist: Der Oberbürgermeister der SPD und die Stadtratsmehrheit von SPD, Grünen, Volt und Rosa Liste möchten offenbar nicht genug Geld für Gesundheit ausgeben – das ist eine politische Entscheidung gegen die Gesundheit der Bevölkerung, kein Sachzwang. 

Trotz der offensichtliche Lüge darüber, dass es „kein Geld“ gäbe, äußerte sich Reiter gegenüber dem Kreißsaal-Team: „Ganz langsam, wir sind jetzt seit einigen Jahren an diesem Konzept, es ist der dritte Anlauf jetzt. Glauben sie nicht, dass das heute da oben beschlossen wird.“ Eine dreiste Aussage angesichts der nach der Sitzung verkündeten Entscheidung über die Schließung.

Neues Medizinkonzept der Geschäftsführung sieht Schließung vor

Einen Tag nach der Aktion der Neuperlacher Kolleg:innen liegen die Pläne nun auf dem Tisch: die Ambulante Versorgung soll ins Zentrum rücken, wodurch die Häuser in Neuperlach und Schwabing auf den Status der „Basisnotfallversorgung“ heruntergestuft werden sollen, während Bogenhausen und Harlaching als „Maximalversorger“ priorisiert werden und Thalkirchen schließen soll. Der Geschäftsführer Brodermann erklärte zudem der SZ gegenüber, dass das Konzept der „wohnortnahen Versorgung“, ein Hauptargument des Neuperlacher Teams, „aus der Zeit gefallen sei“ und ein „eher emotionales als rationales Thema“ sei. 

Dieser Plan, ganz im Sinne der Gesundheitsrefom Lauterbachs, wurde nun durch den Aufsichtsrat bestätigt. Ebenso wie die Geburtshilfe Neuperlach könnten weitere Stationen schließen, die gemäß diesem technokratischen Planungsvorhaben keinen Platz verdienen. Zusätzlich erklärte die Grüne Landtagsabgeordnete Sanne Kurz, dass der Bayerische Krankenhausplan 2025, der von dem CSU geführten Gesundheitsministerium – unter Mitwirkung des Bayerischen Krankenhausplanungsausschuss – erstellt wird, „keine Lizenz für die Geburtshilfe in Neuperlach vorsehe“. 

Somit steht fest, dass die Geschäftsführung mit der bayerischen Landesregierung aus CSU und Freien Wählern, sowie den führenden Parteien im Münchner Stadtrat – trotz allen anderslautenden Versprechungen aus der Vergangenheit – geeint sind, die Neuperlacher Geburtshilfe zu schließen. Dies stellt nicht nur einen  Wortbruch von Seiten der SPD und Grünen dar, sondern auch der CSU und Freien Wähler, welche sich immer wieder als Unterstützer:innen der Hebammen und aller jungen Familien präsentierten. 

Ebenso ist es erschreckend, dass Stefan Jagel als Stadtrat der LINKEN, diese Pläne begrüßt, trotz monatelanger Unterstützung im Kampf der Kolleg:innen. Gegenüber der Abendzeitung meinte er, er unterstütze den Ansatz, „nicht die Wirtschaftlichkeit an erste Stelle zu setzen.“ Damit verdreht er komplett den Inhalt der Umstrukturierungspläne, die ja gerade aufgrund der finanziellen Defizite der München Klinik erarbeitet wurden. So passt sich Jagel der Logik der „Sachzwänge“ an, statt den kapitalistisch organisierten Gesundheitsbetrieb in Frage zu stellen. Bedeutet das, dass DIE LINKE nun künftig nicht mehr auf der Seite der Hebammen steht, wenn diese weiter um ihren Kreißsaal kämpfen wollen?

Kommt zusammen zur Verteidigung des Kreißsaals!

Auch wenn der Aufsichtsrat der Schließung von Neuperlach und weiteren Standorten zugestimmt hat, so muss die Entscheidung noch durch den Stadtrat. Am 18. Juli will der Stadtrat das Medizinkonzept und damit auch die monatelang geforderte Bedarfserhebung, vor der Öffentlichkeit präsentieren, die Abstimmung ist in der Woche darauf angesetzt. Von den Regierungsfraktionen SPD/Volt und Grüne/Rosa Liste ist nicht zu erwarten, dass sie ohne massivsten Druck nochmal von ihrer Position abrücken. Zu lange haben sie die Kolleg:innen hingehalten und mit falschen Versprechen vertröstet.

Doch gerade weil mit dem Medizinkonzept nun auch andere Stationen von Schließungen bedroht sein werden, öffnet sich die Möglichkeit, mit den betroffenen Kolleg:innen in ganz München gemeinsam zu kämpfen. In der Überzeugung, dass nur eine große Kampagne mit vielen Beschäftigten und Bürger:innen auf den Straßen die Chance bietet, jetzt noch Einfluss auf die Situation zu nehmen, schlagen wir folgenden Plan vor.

1. Für eine gewerkschaftliche Kampagne anstatt Verhandlungen mit Politiker:innen!

Im vergangenen Jahr fällte der ver.di einen Beschluss, sich für den Erhalt des Kreißsaals einzusetzen. Doch bei der Kundgebung der Kolleg:innen am Dienstag kamen zwar Kolleg:innen aus der Basis von ver.di, Funktionär:innen fehlten aber. Hat die ver.di-Führung in München Absprachen mit der Stadtpolitik getroffen, die Füße zugunsten der SPD still zu halten? Dieser Verdacht drängt sich auf und er kann nicht im Interesse der ver.di-Mitglieder sein. Der Geschäftsführer von ver.di München Heiner Birner ist immerhin SPD-Mitglied. Die Gewerkschaft ver.di gehört den Mitgliedern und ist nicht ein verlängerter Arm der Stadtratsmehrheit! Es ist an der Zeit für Mobilisierungen, um die Gesundheitsversorgung der Stadt und insbesondere den Erhalt des Kreißsaals Neuperlach sicherzustellen.

2. Für Versammlungen an allen Standorten der München Klinik!

Die Betriebsrätestrukturen können zum Beispiel dringende Betriebsversammlungen zum Thema abhalten und dafür auch in den betroffenen Stationen mobilisieren. Bei der Mobilisierung können auch gewerkschaftliche und betriebliche Strukturen mitwirken, in deren Interesse es ist, über die Zukunft der MüK mitzubestimmen. Die Kolleg:innen brauchen Infomaterialien zu den Plänen des Aufsichtsrats, um sich ein umfangreiches Bild machen zu können und sich auf Aktionen vorzubereiten. Es braucht zudem zentrale Veranstaltungen für Kolleg:innen, solidarische Unterstützer:innen und die Münchner Öffentlichkeit, um über die Umstrukturierung und Gegenmaßnahmen zu diskutieren – hierbei kann auch die Gewerkschaft ver.di eine Rolle spielen.

3. Gemeinsam auf die Straße mit Beschäftigten und der Münchner Bevölkerung!

Die einzige Chance, die Pläne der Umstrukturierung abzuwenden, ist massiver Druck. Es braucht eine große Demonstration zum Tag des Stadtratsbeschlusses. Dabei ist die Beteiligung von ver.di als Vertreter:in der Gesundheitsarbeiter:innen unabdingbar. Betriebsstrukturen können an einer Demonstration mitwirken, indem sie Stationen informieren und die Kolleg:innen aktivieren. Eine Demonstration sollte aber nicht auf die Belegschaften begrenzt bleiben: Millionen Menschen in München sind von der Umstrukturierung der MüK zu Lasten ihrer Gesundheitsversorgung betroffen. Es ist also eine breite Mobilisierung nötig, die die Stadtratsparteien nicht nur an ihr Versprechen erinnert, sondern den Erhalt des Kreißsaals Neuperlach und die Beteiligung der Beschäftigten an allen Umstrukturierungen einfordert. Das letzte Mittel, wenn der Stadtrat weiter wortbrüchig bleibt, ist ein Streik, den es mit Aktionen und Versammlungen vorzubereiten gilt.

4. Für die Einheit der Studierenden und Beschäftigten!

Die zuverlässigsten Verbündeten für die Kolleg:innen des Kreißsaals waren bisher immer freiberufliche Hebammenkolleg:innen sowie die Studierenden, und nicht die Parteien im Stadtrat. Sei es Hebammenstudent:innen, die in großer Zahl zu den Kundgebungen kamen, Studierende und Dozent:innen der Fachschaften Soziologie und Medizin, oder Teilnehmende des aktuellen Protestcamps gegen den Krieg in Gaza vor der Universität, die ebenso zur letzten Kundgebung der Kolleg:innen vom Kreißsaal kamen.

Die Studierenden haben die Möglichkeit einer Kampagne für den Erhalt des Münchner Gesundheitssystems eine große Dynamik und Öffentlichkeit zu verschaffen. Gemeinsam kann es einen tatsächlichen Kampf geben, der die Pläne der Stadtpolitik zurückschlägt. Deshalb schlagen wir auch eine Mobilisierung an den Hochschulen und Universitäten für den Erhalt des städtischen Gesundheitssystems, gegen Kürzungen und für den Erhalt des Kreißsaals Neuperlach vor. Dazu müssen sich unter anderem die Fachschaften und deren Konvente / Studierendenparlamente positionieren und entsprechend mobilisieren.

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