Konstanz: Antisemitischer Übergriff mit noch unbekannten Folgen
An der Universität Konstanz wurde eine antisemitische Parole entdeckt, die an die dunkelste Zeit der deutschen Geschichte erinnert. Besonders pro-palästinensische Stimmen können dadurch ins Kreuzfeuer geraten.
In der Nacht von Montag auf Dienstag ereignete sich in der Universitätsstadt Konstanz ein antisemitischer Übergriff. Am frühen Dienstagmorgen waren Polizist:innen auf dem Campus zugegen, um eine Parole am Gebäude zu überdecken. Die Parole hatte einen klar antisemitischen Charakter (die wir hier nicht wiederholen werden) und richtete sich nicht gegen eine spezifische Person oder Institution, sondern gegen das jüdische Volk an sich. Diese Parole stand allerdings nicht alleine da, sondern wurde durch den Spruch „From the River to the Sea“ ergänzt. Dadurch wird ein klarer Bezug zu Palästina hergestellt, die politische Dimension dahinter darf also nicht unterschätzt werden. Dieser Spruch, der ein befreites Palästina bedeutet, in dem sowohl Jüd:innen als auch Araber:innen friedlich zusammenleben, wird spätestens seit dem 7. Oktober 2023, als der sogenannte Krieg in Gaza begann und der zionistische Staat seinen Völkermord an den Palästinenser:innen radikal verstärkte, immer stärker in die Nähe des Antisemitismus gerückt. Die Ideologie, die sich dahinter verbirgt, setzt den Antizionismus mit der Jüd:innenfeindschaft gleich, wie es besonders im deutschen Staat die offizielle Staatsraison ist. Es ist allerdings grundfalsch, den Antizionismus, der sich gegen den reaktionären zionistischen Staat richtet, mit dem Antisemitismus gleichzusetzen, der sich gegen das jüdische Volk richtet.
Wer für den antisemitischen Übergriff an der Universität Konstanz verantwortlich ist, ist nach aktuellem Stand nicht bekannt. Dass sich der Blick auf Palästinenser:innen und das palästina-solidarische Bündnis „Rettet Gaza“ richtet, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ausbleiben. Noch am selben Tag, als die Parolen entdeckt wurden, veröffentlichte die Leitung der Universität ein Schreiben, in dem die „antisemitischen Äußerungen auf das Schärfste“ verurteilt werden. Etwas allgemeiner scheint dabei ihr Anliegen zu sein, „[d]ie Thematik des Antisemitismus […] an unserer Universität kontinuierlich wissenschaftlich und institutionell [zu] bearbeiten.“ Wenngleich es begrüßenswert ist, sich mit dieser rassistischen Ideologie auseinanderzusetzen, wird nicht deutlich, in welcher Form das geschieht und wie der Fokus in der aktuellen Zeit gesetzt wird. Dadurch, dass sich die Leitung einer politischen Einordnung verweigert, das heißt auch die zweite Parole unter „antisemitische Äußerungen“ subsumiert, besteht die Gefahr, getreu der Staatsraison, den Antizionismus mit der Jüd:innenfeindschaft gleichzusetzen. Die Haltung, die dadurch impliziert wird, richtet sich schlechterdings (mindestens indirekt) an das Bündnis „Rettet Gaza“, das derzeit die einzige politische Stimme für Palästinenser:innen ist und dabei ihren Standpunkt sehr deutlich formuliert.
Als „Rettet Gaza“ im Dezember 2023 das erste Mal in Erscheinung trat und mit Mahnwachen und Teilnahme an „Demonstrationen gegen Rechts“ auf sich aufmerksam machte, war ihre Kommunikation nach außen noch sehr vorsichtig, wie wir in unserem Artikel vom 2. Februar 2024 schrieben. Darin merkten wir unter anderem an, dass sie ihre Forderungen „moderat“ formulierten und beispielsweise Begriffe wie „Völkermord“ und „Genozid“ vermieden. Davon kann jedoch keine Rede mehr sein. Um der immer schrecklicheren Lage in Gaza gerecht zu werden, tritt das Bündnis mittlerweile mit konkreten Forderungen auf: darunter fallen unter anderem ein sofortiger Waffenstillstand, ein Ende des Besatzungsregime sowie eine Fortführung der Zahlungen des UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge UNRWA. Das bleibt freilich nicht unbeantwortet. Als am 25. Februar 2024 die zweite bürgerliche Demonstration „gegen Rechts“ auf die Straße ging, beteiligte sich das Bündnis mit einem palästinensischen Block. Bereits vor Beginn der Laufdemo wurden die Teilnehmer:innen darauf hingewiesen, keine palästinensischen Fahnen zu zeigen – eine Forderung, die zuvor nicht kommuniziert wurde. Als die Demonstration losging, wurden von Seiten „Rettet Gaza“ nicht nur allgemeine Parolen gegen rechte Parteien gerufen, sondern auch auf den zionistischen Völkermord an den Palästinenser:innen hingewiesen. Dies schmeckte besonders der Führung der Organisationen der Demonstration nicht. Von Seiten einzelner Demonstrant:innen war durchaus Zuspruch zu hören. Doch auch die örtlichen Polizist:innen hatten ein Auge auf den palästinensischen Block.
Neben der Repression durch das Wort fand auch eine Repression durch die Tat statt. Als sich der Demonstrationszug seinem Ziel näherte, wurde der kleine palästinensische Block von den Polizist:innen herausgezogen und es wurden mit Verweis auf vermeintlich strafbare Äußerungen sowohl Personalien aufgenommen als auch Platzverweise ausgesprochen. Diese Repression blieb freilich kein Einzelfall. Auch beim Internationalen Feministischen Kampftag am 8. März wurde von Seiten der Organisator:innen dem Bündnis „Rettet Gaza“ angeraten, keinen Bezug zum zionistischen Völkermord herzustellen, sondern sich auf den „Feminismus“ im deutschen Staat zu beschränken. Den „Feminismus“ allerdings rein nationalstaatlich und losgelöst von weltweiten Entwicklungen zu betrachten, ist ein Einknicken vor selbsternannten Feminist:innen hier vor Ort, die enge Bindungen zur antideutschen Szene haben. Konkret heißt das also: Am 8. März 2024 war es in Konstanz unerwünscht, auf die tausende ermordeten Kinder und Frauen in Palästina durch den zionistischen Staat hinzuweisen. In einer Stellungnahme vom Feministischen Antifaschistischen Kollektiv (FAK) in Konstanz hieß es dazu: „[Wegen] [d]er Komplexität und emotionalen Aufgeladenheit der Sache (dem zionistischen Völkermord, Anmerkung KGK) [möchten wir uns] nicht von diesem Thema vereinnahmen lassen.“ Das ist es also! Das FAK will sich nicht von der Existenz eines Völkermords „vereinnahmen lassen“. Ob sich hinter dem Beschluss auch die Basis des FAK stellt, scheint zweifelhaft. So bekundete ein ehemaliges Mitglied des FAK Solidarität mit „Rettet Gaza“.
Zurück zum antisemitischen Übergriff an der Universität Konstanz. Die Reaktionen darauf können unterschiedlicher nicht sein. Während diverse Antideutsche der Universitätsleitung vorwerfen, nicht konkreter den Antizionismus in die Nähe des Antisemitismus zu rücken, veröffentlichte am Mittwoch, dem 28. März 2024, „Rettet Gaza“ ein umfassendes Statement. Darin wird die antisemitische Parole „aufs Schärfste verurteilt“ und die Solidarität „mit Konstanzer Jüd:innen“ ausgesprochen. Gleichzeitig betrachten sie den Übergriff nicht als Einzelfall beziehungsweise Entwicklung im luftleeren Raum, sondern ordnen sie in einen historisch-politischen Kontext ein: „Der Vorfall an der Universität Konstanz reiht sich ein in eine endlose Liste von antisemitischen Vorfällen unterschiedlicher Intensität ein”. Der deutsche Staat sei nach der Shoah alles andere als frei von Antisemitismus. Im Gespräch mit KGK betonte Khalid Kashmiri, Aktivist:in von „Rettet Gaza“, dass durch den Übergriff an der Universität die Repression steigen wird: „Wir befürchten einen Anstieg der Anfeindungen und des Generalverdachts gegenüber pro-palästinensischen Stimmen und somit ein noch stärkeres Silencing.“
In der postfaschistischen BRD lebte der Antisemitismus weiter und erfuhr nach der Annexion der DDR 1990 einen deutlichen Schub. Während rechtsradikale Organisationen und Parteien kaum beachtet werden, werden linke, jüdische und palästinensische Organisationen, die einen antizionistischen Anspruch vertreten, umso mehr kriminalisiert. Die aktuellste Entwicklung ist eine Entscheidung des Berliner Senats, der einen Angriff auf die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit darstellt: Student:innen sollen exmatrikuliert werden, wenn sie mit „Gewalt und Extremismus“ in Verbindung gebracht werden. Dass unter anderem unsere Hochschulgruppe Waffen der Kritik (WdK) und andere palästina-solidarische universitäre Gruppierungen damit im Visier stehen, ist dabei mehr als offenkundig.